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HARVARD
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LIBRARY
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Conrad von Megenberg.
Die erste Natnrgeschiclite in deutscher Sprache.
In Neu -Hochdeutscher Sprache
bearbeitet lind mit Anmerkungen versehen
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Dr. Hugo Schulz,
Professor an der UniversU|t Greifswald.
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Oreifswald.
Verlag und Druck von Julius Abel.
1897.
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von
Conrad von Megenberg.
Die erste NatargescMclite in deutscher Sprache.
In Neu -Hochdeutscher Sprache
bearbeitet und mit Anmerkungen versehen
von
Dr. Hugo Schulz,
Professor an der Universität Greifswald.
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Greifswald.
Verlag und Druck von Julius Abel.
1897.
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III
Inhalt
I* Tom Menschen im Allgemeinen Seite 1
II* Ton den Himmeln nn4 den sieben Planeten . . . „ 43
III. Ton den Thieren im Allgemeinen „ 93
A. Von den vierfüssigen Thieren .,...„ 98
B. Vom Geflügel „136
C. Von den Meerwandern „192
D. Von den Fischen ,203
E. Von den Schlangen „219
F. Von den Würmern „243
lY. A. Ton den Bäumen „264
B. Von den wohlriechenden Bäumen . . . . „ 304
y. Ton den Kräutern „326
Tl. Von den Edelsteinen ...» 367
YII. Ton den Metallen . . , „407
YIIL Ton den wunderbaren Gewässern „ 414
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JVonrad von Megenberg wurde um das Jahr 1309 geboren.
Sein Yater scheint Yogt auf dem Schlosse Megenberg gewesen zu
sein, dessen Trümmer vielleicht in der alten Schlossruine Mainberg,
in der Nähe von Schweinfurt, heute noch erhalten sind. Die Burg
war zu der Zeit, wo Konrad geboren wurde, im Besitze der Grafen
von Henneberg. Seine Schulbildung erhielt Eonrad zu Erfurt auf
dem dortigen Gymnasium und ging von da zunächst nach Paris,
wo er an der Universität öffentliche Vorlesungen über Theologie
und Philosophie hielt. Auch erlangte er dort den Doktorgrad. Im
Jahre 1337 kehrte Eonrad nach Deutschland zurück und begab
sich nach Wien, wo er die Leitung der Schule zu St. Stephan über-
nahm. Hier befiel ihn eine schwere Krankheit. Er wurde an
Händen und Füssen völlig gelähmt, so dass er des Gebrauches der-
selben ganz beraubt war. In dieser Noth hatte er im Traume eine
Vision, die ihn bewog, sich zu Schiffe nach Regensburg bringen zu
lassen, um daselbst am Altare des heiligen Erhard Hülfe zu suchen.
Während einer Messe, bei welcher zwei, von Eonrad während seiner
Krankheit gedichtete, Hymnen gesungen wurden und er selbst in
tiefem Gebete um Befreiung von seinem Leiden flehte, fühlte er
eine Veränderung in seinem ganzen Eörper sich vollziehen und
genas darauf völlig wieder.
Von da ab blieb Konrad in Begeusburg, wo er, wie es scheint,
zunächst an St. Ulrich Pfarrer wurde. Bald darauf wurde er zum
Kanonikus am Begensburger Dom ernannt. In dieser Stellung, die
er bis zu seinem Tode innegehabt hat, hat Konrad auf Veranlassung
einiger Freunde sein Buch der Natur geschrieben. Dass er eich
hohen Ansehens auch in kirchlichen Angelegenheiten erfreute, geht
daraus hervor, dass er im Jahre 1357 zum Papste nach Avignon
gesandt wurde, um dort einen Konflikt zu begleichen, der zwischen
den Konventualen der regensburger Abtei St. Emeran und dem
römischen Stuhle entstanden war. Er brachte den gewünschten
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Vergleich denn auch richtig zu Stande. Dass er im Uebrigen mit
den damals in Kegensburg herrschenden Zustanden nicht völlig zu-
frieden war, geht aus seinem Buche der Natur deutlich hervor.
Wo es möglich ist, ergreift er die Gelegenheit, seinen Amtsbrüdem
derb und gründlich seine Meinung zu sagen. Der damalige Bischof
von Regensburg, Friedrich, von Geburt ein Burggraf von Nürnberg,
hatte durch unsinnige Verschwendung das Kirchenvermögen schwer
geschädigt und mit den zu ihm haltenden Klerikern das Ansehen
der Geistlichkeit herabgewürdigt. Es spricht für Konrad's Gesinnung
und Charakter, dass er diesem Treiben entgegentrat, und er hat an
seinem Theile redlich dazu beigetragen, dass Bischof Friedrich im
Jahre 1367 seines Amtes enthoben wurde. Ihm folgte auf dem
bischöflichen Stuhle Konrads Freund, Herr Konrad von Heimberg,
der im Buche der Natur auch erwähnt wird.
Der 14. April des Jahres 1374 wurde Konrads Todestag. Er
starb in seinem 65. Lebensjahre. Sieben Jahre später wurde zur
feierlichen Begehung seines Jahrestages im Frauenstift zu Nieder-
münster, wo er beerdigt worden war, eine Stiftung begründet.
Das Buch der Natur ^) entspricht in seinem Inhalte, wie auch
nicht anders möglich, den Anschauungen der Zeit, in der es ent-
stand. Die Lehren des Aristoteles beherrschten die einzelnen
Disciplinen der Naturwissenschaft wie sie es seit dem Hingänge des
grossen Stagyriten gethan hatten und noch lange nach der Zeit, in
der Konrad von Megenberg sein Buch schrieb, thun sollten. Die
Vorgänge des Lebens und ihre Grundgesetze hatte Galenus fest-
zustellen versucht. Die Lehren beider Männer begegnen uns
im Buche der Natur wieder, aber in der Gestaltung, die sie
durch die Epigonen und besonders die arabischen Gelehrten er-
fahren hatten. Die Begriffe über anatomische Verhältnisse sind
noch ganz verworren, ein Unterschied zwischen Blutgefässen und
Nerven zum Beispiel kaum vorhanden. Die vier Elemente bilden
das Baumaterial des menschlichen und thierischen Körpers. Die
Lebensfunktionen werden unterhalten und bedingt durch das Ver-
hältniss zwischen den vier Grundflüssigkeiten: Blut, Schleim, gelbe
und schwarze Galle. Die Verarbeitung dieser Ansichten durch
Galen, den Meister des, das Denken so sehr erleichternden Sche-
^) Dasselbe ist von Fr. Pfeiffer im Jahre 18G2 nach den Hand-
schriften veröffentlicht. Diese Ausgabe bildet die Grundlage meiner Arbeit.
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VII
matisirens, hatte wesentlich dazu beigetragen, sie zum Allgemeingut
der Kreise zu machen, die sich der Natur der Sache nach für sie
interessiren mussten. Die Bemühungen, ein Bild der Vorgänge des
Lebens zu erhalten, Bestrebungen, die das Fundament aller wissen-
schaftlichen Arbeit bilden werden, so lange es Menschen geben
wird, hatten dann weiter auch zu besonderen Ideen und Begriffen
über die seelischen Vorgänge im belebten Organismus geführt.
Drei Arten von Geist waren es, die nach der Vorstellung der Alten
den Leib belebten: der Seelen-Geist, der Lebens-Geist und der
natürliche oder organische Geist. Der erstgenannte hatte seinen
Sitz in den Gebilden, an deren Aufbau die Nerven Substanz wesentlich
betheiligt ist. Vom Gehirn aus zog der Seelen-Geist durch die,
als Röhren gedachten Nerven. Der Lebens-Geist war im Herzen
und den Schlagadern thätig, und der natürliche Geist strömte von
der Leber aus durch die Gefässe dahin. Unklar wie alle diese
Vorstellungen waren und, wegen des Mangels an positiven Kennt-
nissen in der Anatomie und Physiologie sein mussten, sind folge-
richtig auch die Begriffe, die man sich aus den Ergebnissen des
Zusammenwirkens der einzelnen, hier erwähnten Momente gebildet
hatte. Einer viel späteren Zeit ist es vorbehalten geblieben, Licht
in das Dunkel zu bringen, ein Vesal musste mit kühner Hand die
Geheimnisse des Baues des menschlichen Körpers durchforschen,
den Iirthum seiner Vorgänger aufdecken und seinen Nachfolgern
die Bahn frei machen und den Weg ebenen zu neuen, der Wahrheit
entsprechenden Befunden.
Bei seiner Bearbeitung des Buches der Natur hat Konrad von
Megenberg selbstverständlich andere Autoren mit benutzen müssen.
Seine Hauptquelle ist das, etwa hundert Jahre früher geschriebene
Werk: üeber die Natur der Dinge. Dasselbe, in lateinischer Sprache
abgefasst, hatte den Dominikaner und Schüler Alberts des Grossen,
Thomas von Cantimpre, zum Verfasser. Aber Konrad hat sich
nicht damit begnügt, wie es zu jener Zeit beliebt war, diesen Autor
einfach auszuziehen und für seinen Zweck allein zu verarbeiten.
Er bemerkt ausdrucklich, dass er auch in anderen Büchern Be-
lehrung gesucht habe, wo ihn das Werk von Thomas im Stiche
liess. Was die, von Konrad augeführten, als Beleg der einzelnen
Angaben dienenden Namen anbelangt, so ist darüber zu bemerken,
dass dieselben auf absolute Genauigkeit keinen Anspruch machen
können. Die Schuld trifft aber Konrad nicht allein. Seine Vor-
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ganger, denen er seine Angaben entlehnen musste, hatten es nicht
besser gemacht, und die irrigen Angaben vererbten sich einfach
Tom Einen auf den Andern. Wir finden manche Aeusserung durch
Anführung eines berühmten Namens illastrirt, dessen Träger an
der Sache ganz unschuldig war, einzelne Namen sind auch ganz
verkehrt wiedergegeben. So ist der oft genannte Adelinus mit
Aldhelmus identisch. Wer der jüdische Gelehrte Tethel gewesen
ist, habe ich, trotz vielfacheu Suchens und Nachfragens nicht her-
ausbekommen können.
Zwei Punkte sind es, die uns Megenbergs Buch besonders an-
ziehend und werthvoll machen. Es unterscheidet sich zunächst von
allen ähnlichen Erscheinungen der damaligen Zeit dadurch, dass es
in deutscher Sprache seinen umfassenden Inhalt auch dem, des
Lateins unkundigen Laien, zugänglich machte. So konnte sich Jeder,
der die Kunst des Lesens erlernt hatte, aus Konrads Naturgeschichte
über Das, was ihm wissenswerth dünken mochte, unterrichten. Die
grosse Anzahl der noch heute vorhandenen Handschriften zeigt,
dass Konrad von Megenberg schon hierdurch allein einem Bedürf-
nisse Rechnung getragen hat, das, von weiteren Kreisen gefühlt,
in dem scholastischen Latein seine Befriedigung nicht finden konnte.
Wir haben in Konrad von Megenbergs Buch der Natur die
erste deutsche Naturgeschichte!
Der zweite und für uns heute das Interesse beim Lesen des
Buches in ganz besonderer Weise erregende Umstand ist dieser:
Die einzelnen Angaben und Mittheiluugen, die uns in ihm entgegen-
treten, sind nicht einfach fremden Quellen entlehnt und abgeschrieben !
Ueberall begegnet uns das Bestreben Konrads, sein Material, wo es
irgend angeht, kritisch zu bearbeiten. Erscheint es ihm nothwendig,
so beleuchtet er die fremden Angaben näher, prüft sie auf ihre
Richtigkeit, macht auf ün Wahrscheinlichkeiten aufmerksam, versucht
die Beweisführung der Berechtigung seiner abweichenden Anschauung
und zensiert manche ehrwürdige Ueberlieferung einfach mit den
kurzen Worten: Das glaube ich nicht! Kourad steht dadurch
wesentlich höher da wie die grosse Anzahl von Schriftstellern jener
Zeitepoche, die über ein blosses Zusammentragen älterer Berichte
eigentlich nicht hinauskamen. Weiterhin versteht es Konrad, an
passender Stelle selbst Erlebtes und Beobachtetes einzuflechten.
Dadurch gewinnt sein Buch noch mehr den originellen Charakter,
der für mich ein Hauptmoment gewesen ist, obwohl nicht Germanist
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IX
noch auch Naturwissenschaftler von Fach, den Versuch zu unter-
nehmen, Eonrad Ton Megenbergs Werk einem grösseren Leserkreise
zugänglich zu machen. Die einzelnen Thier- und Pflanzenarteu, von
denen Eonrad uns berichtet, in jedem Falle genau zu deuten, ist
manchesmal auf unüberwindliche Schwierigkeiten gestossen. Die
Dürftigkeit und Unklarheit einzelner Schilderungen machte es oft
unmöglich, auch nur annähernd festzustellen, was gemeint war.
Bei vielen anderen Einzelheiten musste ich mich damit begnügen,
Möglichkeiten anzudeuten.
Dass Eonrad an ihm passend erscheinenden Stellen religiöse
Fragen in seine Naturgeschichte hineinflicht, ist durch seine äussere
Lebensstellung ebenso bedingt gewesen wie durch die ganze Denk-
weise seiner Zeit. Für seine damaligen Leser konnte aber, wie ich
meine, sein Buch durch ein derartiges Hineinziehen religiöser Mo-
mente nur gewinnen. Es war Eonrad hiermit nicht minder Ernst,
wie mit seinen naturwissenschaftlichen Bestrebungen. Dass er über-
all nur auf Wahrheit und Becht dachte, geht aus seinem Buche
klar genug hervor. Will man einen Autor aus einer, uns fem
liegenden, Zeitepoche vollinhaltlich verstehen und begreifen, so muss
man versuchen, sich möglichst der Denk- und Anschauungsweise
seiner Zeit anzupassen. Es ist das eine unabweisbare Bedingung,
wenn man dem Sinne eines solchen Buches, wie des vorliegenden,
völlig gerecht werden will.
Das Studium des Buches der Natur giebt uns, wie ich denke,
bei der Reichhaltigkeit seines Inhaltes, ein gutes Bild der natur-
wissenschaftlichen Begriffe und Ideen, wie sie sich vor nunmehr
500 Jahren gestaltet hatten. Unwillkürlich entwickelt sich beim
Lesen von Eourads Buche ein Gefühl dankbarer Anerkennung des
Gebotenen. Es ist das Werk eines, in seiner Elause schaffenden
und überlegenden Gelehrten, dem für die Erscheinungen und Vor-
gänge in der Natur ein helles, offenes Auge und der Trieb verliehen
gewesen ist, das Geschehene nicht einfach als solches hinzunehmen,
sondern es zum Gegenstande seines Nachdenkens zu machen. Das,
was er gesehen, beobachtet und aus fremder Quelle als eigenes
Out erworben, hat Eonrad seinen Zeitgenossen nicht vorenthalten
wollen. Er hat dadurch in einer schweren Zeit, wo der schwarze
Tod, die Pest, Länder verwüstend und Menschen mordend unser
Vaterland verheerte, an seinem Theile mächtig zur Verbreitung
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naturwissenschaftlicher Kenntnisse beigetragen, trotz der zahlreicheu
Irrthümer, denen er als ein Kind seiner Zeit nothgedrungen unter-
liegen musste. Möge der Leser dieser Uebertragung seines Buches
in unser gewohntes Idiom einen Theil des Genusses empfinden, den
mir die Anfertigung derselben in reichem Maasse gewährt hat.
H. Schulz.
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I.
Yom Mensciien im AUgemeinen.
Gott schuf den Menschen am sechsten Tage nach den anderen
Kreaturen und hat ihn so geschaffen, dass er in Geist und Leib die
Gesetze des Weltalls wiederspiegelt. Der Mensch hat Vernunft wie
die Engel; kein anderes Wesen ausser den Engeln und dem Menschen
ist mit Vernunft begabt. Desshalb kann auch kein Thier, im Gegen-
satz zum Menschen, eine eigentliche Kunst erlernen. Die Seele
bewegt den menschlichen Körper von Ort zu Ort geradeso, wie der
Himmelslenker den Himmel bewegt. Darin gleicht der Mensch
dem Himmel. Wie die Sonne in der Mitte zwischen den anderen
Planeten steht, damit ihr Licht die übrigen Sterne über und unter
ihr bestrahle, ebenso hat auch das menschliche Herz seinen Sitz
mitten im Leibe, um die Glieder mit Kraft versehen* zu können.
Der Mensch ernährt sich mit Essen und Trinken, wächst und
vergeht. Darin gleicht er den Bäumen und Kräutern und über-
haupt allen Lebewesen, die auf Nahrung angewiesen sind. Der
Mensch besteht aus den vier Elementen: Feuer, Luft, Wasser und
Erde und entspricht darin den Steinen und Metallen sow^ie alledem,
was aus den Elementen hervorgeht. Aristoteles lehrt: So lange
der Mensch noch ein Kind ist, nimmt er zur Weiterbewegung die
Hände zu Hülfe, danach schreitet er aufrecht auf den Pässen allein
bis zum hohen Alter, wo er sich wieder zur Erde bückt und so an
sich selber beweist, dass er von der Erde gekommen ist und wieder
zu Erde werden muss.
In Kürze habe ich hier gezeigt, wie der Mensch der gesammten
Aussenwelt gleicht Die griechische Sprache hat für diese Eigen-
schaft den Ausdruck: „Mikrokosmus", das heisst so viel wie „kleine
Welt". Fein gebildete Leute pflegen desshalb auch wohl zu sagen:
Ich habe die ganze Welt in einer Haut gesehen.-
1. Von der Hinischale.
Wir wollen nunmehr von allen Theilen und Gliedern des
menschlichen Körpers sprechen und zwar zunächst vom Kopfe. Der
Sc balz, Konrad von Megenberg's Bach dor Natur. 1
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2
menschliche Schädel besteht aus harten Knochen mit vielen, zumal
am männlichen Schädel zahlreich Torhandeneu Nähten. Eine Naht
verläuft um das Gesicht. Jedoch hat man auch zuweilen mensch-
liche Schädel gesehen, an denen sich gar keine Naht befand. £&
deutet das auf ein sehr hohes Lebensalter ihrer ehemaligen Besitzer,
denn mit zunehmendem Alter drückt sich die Hirnschale mehr zu-
sammen und wird dicker. Der kindliche Schädel ist unvollkommen
entwickelt bis zu der Zeit, wo die Sprache anfängt, wie ich her-
nach zeigen werde, wenn vom Gehirn die Rede sein wird. Der
Schädel enthält drei Kammern. Die erste Kammer liegt im Vorder-
liaupt. Sie birgt die seelische Kraft, welche Fantastica oder Ima-
ginaria, zu deutsch: Einbildungskraft genannt wird, weil sie die
Eindrücke und Aehnlichkeitsverhältnisse aller erkennbaren Dinge in
sich aufnimmt. Die zweite Kammer, mitten im Schädelin Deren ge-
legen, bildet den Sitz der geistigen Fähigkeit, welche Intellectualis
oder Vernunft heisst. Im Hinterhaupt finden wir die dritte Kammer,
bestimmt zur Behausung der Seelenkraft, welche den Namen Me-
morialis, zu deutsch: Gedächtniss führt. Diese drei Seelenkräfte
umfassen den ganzen Kreis der geistigen Erkenntniss. Die erste
wird befruchtet durch den Eindruck der in der Aussenwelt wahr-
nehmbaren Dinge. Der Eindruck selbst wird vermittelt durch die
fünf äusseren Sinne: Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack und Gefühl.
Die zweite, in der mittleren Kammer befindliche Kraft wägt und
beurtheilt den Werth der gewonnenen Eindrücke wie eine kluge
Hausfrau eine ihr angebotene Waare. Die dritte Kraft in der
letzten Kammer hütet und bewahrt die erhaltenen Eindrücke und
verarbeitet und durchforscht sie sorglich, wie eine zuverlässige Be-
sohliesserin. Man sieht deshalb auch oft, dass ein Mensch in Folge
schwerer Verwundung des Hinterkopfes sein Gedächtniss verliert,
oder seine Vernunft einbüsst nach einer Verletzung oder einem
schweren Schlag auf das Vorderhaupt. Aristoteles lehrt, dass
jedes Thier ebenso eine harte Hirnschale besitze, wie ein Baum
harte Wurzeln. Der Baum zieht nämlich seine Nahrung aus der
Erde gerade so wie der Menscli sie mit dem Munde aufninmit.
Desshalb heisst auch der Mensch auf Griechisch: Antropos, was
auf deutsch: umgekehrter Baum bedeutet.^) Denn wie der Mensch
') Eine der vielen wunderlichen Ktymologieen Konrad's, die uns
namentlich l)ei der Beschreibung der Thiere und Pflanzen wiederliolt be-
gegnen werden.
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sein Haupt himmelwärts und die Füsse zur Erde gekehrt hat, so
hat der Baum seinen Kopf in der Erde und die Füsse zum Himmel
hin gerichtet.
Das Haupt leidet oft und aus vielen Ursachen, besonders durch
Hitze und Kälte, schlechte Ernährung und schwere Arbeit. Stammt
das Kopfweh von der Sonnenhitze im Sommer her, so wasche den
Kopf und reibe ihn mit Pappelsalbe ein. Diese findest Du in der
Apotheke, sie wird vom Pappelbaum gewonnen, wie wir hernach
berichten werden, wenn von den Bäumen die Rede ist. Auch soll
man sich an schattigen, windbewegten Orten aufhalten und mit
Brunnenwasser, das mit Stahl abgekühlt ist, das Haupt kühlen.
Kommt aber der Kopfschmerz von Erkältung her, so wasche den
Kopf gründlich mit warmem Wasser und salbe ihn mit Dialthea-
salbe, die auch in der Apotheke zu haben ist (denn Du musst nicht
denken, dass ich über jedes Wort hier ein halbes Blatt voll schreiben
soll), oder nimm Qalgantwurzel, kaue sie längere Zeit und halte
dabei Mund und Nase zu, damit ihr Geruch in den Kopf ziehen
kann. Leidet der Kopf durch Fasten und Arbeiten, so iss häufig
aber immer nur wenig auf einmal, wasche Dich mit warmem
Wasser, nimm täglich innerlich Muskate, rieche häufig an Gewürz-
nelken und schlafe Dich ordentlich aus.
3. Vom Gehirn.
Jetzt wollen wir vom Gehirn reden. Wie Aristoteles lehrt,
ist das Gehirn kalter, das Herz dagegen warmer Natur. Aus diesem
Grunde liegt das Gehirn höher wie das Herz, damit die aufsteigende
Wärme des Herzens die Kälte des Gehirns mildern kann. Den-
selben Gegensatz zu einander zeigen auch die übrigen Organe
des menschlichen Körpers, eins ist feucht, das andere trocken, eins
kalt, das andere warm. Die Natur lässt zuerst das Herz entstehen,
danach das Gehirn und formt das Gehirn grösstentheils aus Erde
und Wasser. Daher rührt auch seine kalte Beschaffenheit. Galen us
sagt, das Gehirn zerfalle in zwei Hälften, eine rechte und eine linke,
und die Naturkundigen lehren weiter, dass die beiden Hälften durch
eine dünne Wand von einander getrennt seien. Dieselbe scheidet
auch die mittleren Hirnkammern von einander. Das Gehirn ist
nicht als eine Ausscheidung des Organismus zu betrachten wie die
übrigen, vom menschlichen Körper gelieferten Se- und Exkrete, auch
ist es nicht sehr w^iderstandsfahig. Jedoch entsteht es zur selben
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Zeit wie die übrigen Theile des menschlichen Körpers. Das Gehirn
enthält weniger Blnt wie alle anderen, Säfte führenden Organe des
Menschen. Es ist in seiner Substanz kein Blut erkennbar. Gleich-
wohl ergiesst sich von ihm aus in die Ohren gelbe und in die Augen
schwarze Galle sowie Schleim in die J^ase. Das Gehirn hat zum
Theil die Consistenz eines weichen Teiges, und da es frei ist von
Blut, so findet sich auch keinerlei grösseres oder kleineres Gefnss
in ihm, geeignet Blut zu führen. Dem Gehirn fehlt der fünfte Sinn,
das Gefühl, ebenso wie es beim Blut oder den Sekreten der Fall
ist. Aus diesem Grunde merkt ein Verwundeter es nicht, wenn man
den Finger au das freiliegende Gehirn bringt, ebenso wenig, wie
wenn man sein Haar oder seinen Zehennagel berührte. Einige
Aei*zte sind allerdings der Ansicht, dass das Gehirn eine an ihm
hervorgerufene substantielle Verletzung wohl fühle, aber nicht im
Stande sei, den Uebergang von Warm in Kalt und von Trocken in
Feucht wahrzunehmen. Das Gehirn dient im menschlichen Körper
nur zur Erhaltung des organischen Lebens, ebenso, wie die niedrige
Temperatur in einem Keller zur Conserviruug des Weines uoth-
wendig ist. Im Verhältniss zu seiner Grösse hat der Mensch ein
grösseres Gehirn als alle anderen Thiere, auch ist das Gehirn des
Mannes voluminöser als das der Frau. PI in ins giebt an, dass im
menschlichen Gehirn eine grosse Anzahl kleiner Knöchelchen sich
befinde, und Aristoteles lehrt, dass es weder übermässig feucht
noch auch besonders trocken sei, sowie, dass es von zwei Häuten
eingeschlossen ist. Die eine liegt unmittelbar unter der Hirnschale,
ist die stärkere von beiden und empfindet Verletzungen im Gegen-
satz zu der anderen. Der Grund dafür ist der, dass in der dickeren
Hirnhaut sich einige blutführende Gefasse befinden und zwar da,
wo Hals und Kopf aneinander grenzen. Auch behauptet Plinius,
dass nur die Thiere schlafen, welche ein Gehirn besitzen.
3. Vom Haar.
Das Haupthaar des Menschen entsteht aus einem rohen,
irdischen, sowie aus einem heissen, mit zäher Feuchtigkeit ver-
setzten Dunst. Das Grauwerden des Haares rührt her von der
Kälte des Gehirns in den Fällen, wo die natürliche Wärme so weit
sinkt, dass sie die Kälte des Gehirns zu mildern nicht mehr im
Stande ist, wie zum Beispiel im Alter oder in Folge von Sorgen
oder durch ausschweifenden Lebenswandel. Das Haar fällt in Folge
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grober Ernährungsstörungen aus, sowie wenn sich im. Haupt oder
im Leibe faulige Flüssigkeit ansammelt, wie bei den Aussätzigen
wahrzunehmen ist. Die Männer verlieren die Haare leichter wie
die Frauen und die Castraten, weil diese kälterer Natur sind
als jene, Desshalb auch werden die hitziger veranlagten Männer
durch unkeusches Leben kahl, im Gegensatz zu den Weibern,
weil diese eben kälterer Natur sind. Aristoteles giebt an, dass
in den kalten Ländern Menschen und Thiere langes, nicht ge-
kräuseltes, häufig auch weisses und hartes Haar besitzen, wohin-
gegen in den heissen Ländern, wie im Mohrenlande zum Beispiel,
das Haar kraus und schwai*z ist. Das rührt davon her, dass der
irdische Dunst, aus dem das Haar entsteht, durch die Kälte aus-
gedehnt wird, wogegen die Wärme den Dunst zusammenzieht und
das Haar sich kräuseln lässt. Ferner findet sich bei Aristoteles
die Angabe, dass alle starkbehaarten Thiere und Menschen einen
besonders entwickelten Geschlechtstrieb besitzen, ebenso wie die
aussergewöhnlich reich mit Federn ausgestatteten Yögel. Die grösste
Menge Haar findet sich beim Menschen auf dem Kopfe, damit das
Gehirn vor sjtarker Kälte und übergrossor Hitze geschützt sei.
Plinius bemerkt, dass bei einigen alten Leuten in der ersten Zeit
nach dem Tode das Haar noch gewachsen sei. Es kommt das
daher, dass der Dunst, aus dem das Haar entsteht, sich noch so
lange in ihnen erhält.
4. Tom Schlafe.
Der Schlaf ist nichts Anderes, als ein Zurückziehen der Seele
in sich selbst, wie Plinius sagt. Ich fasse das so auf, dass der
Schlaf als eine Art Rückzug der nach Aussen gerichteten Seelen-
kräfte zu betrachten ist. Diese Kräfte sind Hören, Sehen, Riechen
und die übrigen Sinnesfunctionen. Die Ursache für das sich nach
Innen-Kehren der Sinne liegt entweder in einer Trübung der Lebens-
geister oder auch in der Ermüdung der einzelnen Organe. Desshalb
wird der Mensch leicht schläfrig nach dem Genüsse blähender
Speisen wie Knoblauch, Porree, Zwiebeln und dergleichen oder
berauschender Getränke, wie schweren Weines und Aehnlichem. Der
vom Magen aus in das Haupt hinein aufsteigende Dunst trübt nem-
lich die Lebensgeister so, dass die der Seele eigenthümliche Kraft
ihre Herrschaft über sie verliert. Desshalb auch werden die Leute
in Kellern, in denen Most vergährt, ohnmächtig. Auch nach an-
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6
-strengender Arbeit schläft der Mensch leicht. Ich habe oben gesagt,
dass der Schlaf die Folge des sich Zurückziehens der äusseren
Seelenkräfte sei. Die inneren Seelenkräfte bleiben nemlieh häufig
während des Schlafes wach. Wir bemerken das zum Beispiel beim
Träumen und können es bei den Leuten sehen, die im Schlafe auf-
stehen und auf die Dächer klettern. Kinder träumen vor dem
dritten oder vierten Lebensjahre nicht. Aristoteles führt hierzu
noch an, dass es Personen gegeben habe, denen nie geträumt sowie
andere, die nur im hohem Alter Träume gehabt hätten, worauf sie
entweder starben oder doch iu schwere Krankheit verfielen. Einige
Formen der Ohnmacht sowie auch die ekstatischen Zustände sind
dem Schlafe ähnlich.
5. Von den Augen.
Die Augen bilden zwei kostbare Bestandtheile des menschlichen
Körpers, denn mit Hülfe des in ihnen befindlichen Sehorganes er-
fahren wir über die Aussendinge mehr, wie mit irgend einem der
anderen äusseren Sinne. Aristoteles lehrt, dass die Nähe des
Gehirns die Beschaffenheit des Sehorganes beeinflusse, da es, ebenso
wie das Gehirn, kalter und feuchter Natur sei, was bei keinem
anderen Organe sonst zutreffe. Das Sehorgan liegt vonie im
Schädel, denn das Thier soll sehen können, was vor ihm sich
befindet. Vom Gehirn zu den Augen verläuft eine hohle Ader,
Opticus genannt, bestimmt, die eigentliche geistige Siunesthätigkeit
den Augen zuzuführen. Wird sie verstopft, so tritt Blindheit ein.
Im Verhältnisse zur Körpergrösse stehen beim Menschen die Augen
näher bei einander, wie bei irgend einem anderen Geschöpfe. Beide
Augen können nur in derselben Richtung sehen, damit nicht das
eine Auge etwas Anderes wahrnimmt wie das andere. Weil die
Substanz des Auges faule Feuchtigkeit und giftigen Dunst enthält,
so wirkt es häufig auf die äussere Luft wie auch auf Thiere, die
von seinem Blick getroffen werden, schädlich ein. Wir sehen zum
Beispiel, dass neue Spiegel durch den Anblick in Menstruo befind-
licher Frauen fleckig werden, oder dass in einem, von ihrem Blick
getroffenen, kranken Auge sich Blasen bilden. Desshalb sagt auch
Avicenna, dass ein Weib durch seinen Blick eiu Kameel in einen
Graben schleudern könne.
Das menschliche Auge bedarf des Lichtes. Jedoch findet sich
die Angabe, dass der Kaiser Titus des Nachts in der Dunkelheit
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grade so gut habe sehen können, wie am hellen Tage, auch seien
seine Augen durch den langen Gebrauch im Finstern nicht schwächer
geworden, wie bei anderen Menschen der Fall zu sein pflegt.
Form und Farbe der Augen sind der Spiegel der guten oder
bösen Sinnesart ihres Besitzers. Die Gelehrten berichten von einer
besonderen Kunst, die Zeichen zu erkennen, mit deren Hülfe ersicht-
lich ist, ob ein Mensch massig oder unmässig, furchtsam oder tapfer,
traurig oder fröhlich sei, ob er hasse oder liebe, ja, Plinius sagt
gradezu, dass die Seele in den Augen wohne. Das Auge ist von
Schalen, dünnen Häuten, umgeben, welche die kristallinische
Feuchtigkeit umhüllen, auf der die Sehkraft beruht. Kälte ist für
die Augen gesund, Hitze dagegen schädlich, da sie die Sehkraft
vermindert. Der Spiegel des Auges ist so weit umfassend, dass der
kleine Augapfel das Bild eines ganzen Menschen oder eines noch
grösseren Gegenstandes aufzunehmen im Stande ist. Die Augen
sind so zart geartet, dass sie leicht getrübt werden können und in
Folge dessen gar nicht mehr oder doch nur schlecht sehen. Gleich-
wohl haben einzelne I^eute nach zehnjähriger Blindheit ihr Gesicht
wieder erhalten.
6. Ton den Augenbrauen.
Die Augenbrauen sind für die Augen nothwendig, damit
während des Schlafes von ausserhalb Nichts in's Auge gerathe.
Desshalb behaupten auch die Gelehrten, dass die Augenbrauen den-
selben Zweck haben, wie der Zaun um einen Garten. Ich bin aber
der Ansicht, dass die Augenbrauen von der Natur zur Zierde des
menschlichen Auges geschaffen sind. Am hübschesten sind die
braunen, sanftgeschwungenen, wie vom Maler gepinselten der Frauen.
Beim Manne sollen sie stärker und kräftiger entwickelt sein.
7. Von den Ohren.
Das Ohr ist ein Fenster am menschlichen Körper, inwendig
hin und her gekrümmt; die Weisen nennen es eine Thür oder
Pforte der Seele. Am Ende des Fensters, nach dem Gehirn hin,
befindet sich ein zartes Häutchen. In ihm liegt die eigen thümliche
Hörkraft, jeglicher Ton gelangt an dasselbe, und wenn es verwahrlost
wird, wird der Mensch taub. Jedes mit Ohren versehene Thier
kann dieselben hin und her bewegen, der Mensch aber nicht. Ich
meine damit diejenigen Thiere, die äusserlich sichtbare Ohren haben.
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Doch habe ich einen Menschen gesehen, der seine Ohren wie auch
die Kopfhaut bewegen konnte. Der oben erwähnte Sitz der Gehör-
kraft liegt nach dem Ilinterhaupte hin, es findet sich daselbst nur
Luft, kein Fleisch noch auch Gehirnsubstanz. Das erstgenannte
Häutchen ist mit natürlicher Luft gefüllt, die Luft nimmt den Ein-
druck jeglichen Tones auf. Zuweilen ereignet es sich in Folge von
Krankheit oder von unmässigem Essen und Trinken, dass in dem,
von dem Häutchen gebildeten Baum ein fremdartiger Dunst sich
bildet, der hin und her zieht und an die Wände des Gehörorganes
anstösst. Ist das der Fa,ll, so haben die Leute das Gefühl, als pauke
Jemand in ihren Ohren. Das innere Ohr ist rund gebaut und liegt
sehr nahe der Mitte des Kopfes. Desswegen hört der Mensch von
jeder Richtung her, konune de;* Ton von oben oder unten, von
hinten oder von vorne. Die äussere Luft, die die Töne fortpflanzt,
muss die in der feinen Haut eingeschlossene Luft in Bewegung
setzen^ damit diese wiederum den Ton zum inneren Ohr fortleiten
kann.
8. Von der Nase.
Die Nase ist der Sitz des Geruchssinnes, mit dessen Hülfe man
die verschiedenen Gerüche unterscheidet. Ausserdem dient die Nase
dem Menschen zum Athemholen sowie zum Niesen, um sich von der
aus dem Gehirn stammenden Unreinigkeit zu säubern. Das Niesen
kommt dadurch zu Stande, dass die Luft im Gehirn in Bewegung
geräth und die dort angesammelte Feuchtigkeit heraustreibt. Weiter-
hin vermittelt die Nase den freien Wechsel zwischen der äusseren
und der inneren Luft, welche sich in den feinen, vom Herzen ent-
springenden und zum Gehirn hinziehenden Gefässen vorfindet. Zu
bemerken ist ferner, dass der Geruchssinn seinen Platz oben in der
Nase, nach dem Gehirn hin, in zwei fleischigen Gebilden hat.
Werden diese mit überschüssiger, aus dem Gehirn abfliessender oder
von der feuchten Aussenluft herrührender Flüssigkeit überladen, so
riecht der Mensch schlechter wie vorher. Daher kommt es, dass
mau beim Schnupfen nicht so gut riechen kann wie sonst. Die
Jagdhunde wittern zur Zeit der Dornblüthe weniger scharf wie
gewöhnlich. Einzelne Menschen giebt es, die nie irgend welche
Geruchsempfindung gehabt haben, weil bei ihnen die oben genannten
Gebilde von Natur aus schlecht entwickelt sind.
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9. Vom Barte.
Der |Bart kennzeichnet beim Menschen das männliche Ge-
schlecht. Wie das Haupthaar entsteht auch er aus einer dunstigen
Ausscheidung. Männer von hitzigem Temperament haben einen
jstärkeren Bart als kältere Naturen, weil jene mehr von solchem
Dunst in sich haben wie diese. Es giebt aber auch hier und da
Frauen mit bärtiger Oberlippe, ein Anzeichen dafür, dass sie sehr
hitzigen Temperaments und jähzornig sind. Von Jugend auf ihrer
Zeugungskraft beraubte Männer sind bartlos, weil ihnen die zum
Wachsthum des Bartes nothwendigc innere Wärme fehlt. Wird ein
erwachsener Mann entmannt, so fällt der Bart aus, auch nimmt die
männliche Gemüthsart einen weibischen Character an.
10. Tom Munde.
Der Mund ist Sitz und Organ des Geschmackssinnes, den das
Thier zur Ernährung nöthig hat. Im Verhältniss zur Körpergrösse
hat der Mensch den kleinsten Mund unter allen Lebewesen. Das
Maul der Thiere ist breit und klaifend, der menschliche Mund eng
und rund. Das beweist, dass der Mensch im Essen und Trinken
massiger sein soll wie alle anderen lebenden Geschöpfe; leider aber
ist er in seiner bösen Art der Gefrässigste von allen. Gesclimack
und Gefühl haben ihren Ursprung im Herzen, die anderen drei
Sinne entspringen im Kopfe. Der Geruchssinn nimmt die Mitte
zwischen den dreien ein, der Gesichtssinn liegt darüber, das Gehör
zur Seite. Bei allen Thieren befindet sich der Sinn des Gesichts
über dem des Gehörs. Der wesentliche Theil des Geschmackssinnes
liegt in der Mundhöhle, besonders in einer durch die Zunge ver-
laufenden Ader.
11. Ton den ZShnen.
Die Zähne bestehen aus harter Knochensubstauz und sind in
Folge dessen feuerbeständiger, wie die anderen Theile des thierischen
Organismus, wie Plinius bemerkt. Ambrosius behauptet, dass
bei allen mit Zähnen versehenen Wasserthieren dieselben gross, nahe
aneinander gerückt und scharf sind, damit die Nahrung schon im
Munde möglichst fein zertheilt und ohne Beschwerde kurzweg ver-
schluckt werden kann. Andernfalls würde das durchfliessende
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Wasser die Speise mit sieh fortführen. Kein Fisch kaut wieder,
mit Ausnahme des Fisches Scaurus^).
Nach Aristoteles fehlen allen gehörnten Thieren im Ober-
kiefer die Zähne. Als Ersatz dafür besitzen sie einen doppelten
Magen. In den Vordermagen kommt die Nahrung zunächst und
bleibt bis zum Weichwerden darin. Dann wird sie wieder hervor-
geholt und nochmals durchgekaut, und das heisst Wiederkäuen.
Man kann das bei Rindern und Schafen sowie bei anderen wilden
und zahmen Thieren beobachten.
Plinius theilt die Zähne in drei verschiedene Arten ein: Säge-
oder Kammzähne, wie sie bei den Schlangen, Hunden und Fischen
sich finden, scharf und mit weit auseinanderstehenden Spitzen, wie
die Zähne an einer Säge oder einem groben Kamm. Die zweite
Art bilden die aneinanderstehenden Zähne, wie beim Menschen,
Pferde und AflFen, bei denen eine Zahnkrone an die andere an-
stösst. Zur dritten Gruppe gehören die Hauer und Stosszähne der
hauenden Schweine und Elephanten, mit denen sie andere Thiere
verwunden. Gehörnte Thiere besitzen keine Sägezähne. Kein Thier
wechselt die Backzähne. Beim Menschen entstehen die letzten Zähne,
die sogenannten Zwillinge, gegen das zwanzigste, zuweilen auch schon
um das achtzehnte Lebensjahr, je nachdem von der Natur ein
längeres oder kürzeres Leben bestimmt ist. Beim Hunde wachsen
ausgefallene Zähne nicht wieder nach. Nur bei den Menschen und
den Ziegen finden sich beim männlichen Geschlecht mehr Zähne
wie beim weiblichen. Aristoteles lehrt, dass alle Landthiere, die
wie der Hund Sägezähne besitzen, Fleischfresser sind und beim
Trinken das Wasser mit der Zunge aufschöpfen, wohingegen die
mit Zähnen der zweiten Art ausgestatteten Thiere das Wasser auf-
saugen, wie zum Beispiel das Rind. Thiere, die viele Zähne haben,
leben lange.
13. Ton der Zunge.
Die Aufgabe der Zunge ist eine doppelte. Zunächst dient
sie zur näheren Bestimmung alles dessen, was sich durch Ge-
schmack und Gefühl erkennen lässt, da sie in ihrer ganzen Aus-
dehnung befähigt ist, warm und kalt, feucht und trocken, hart und
*) Scarus creticus, der Papageitisch, dessen Kiefer^relenk so gebaut
ist, dass er dem Wiederkäuen ähnliche Bewegungen mit dem Maule machen
kann.
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weich zu unterscheiden. Zweiteus bildet sie das Werkzeug zum
Sprechen, da ohne Zunge kein Mensch zu reden im Stande ist
Aristoteles nennt die Zunge die beste, die weder zu breit noch
zu schmal, weder zu dick noch zu dönn ist. Eine richtig gebaute
Zunge ist von mittlerem Verhältniss, sie gehorcht dem Willen ihres
Besitzers am besten. Eine zu lose, nicht genügend befestigte Zunge
erschwert das Sprechen, doch liegt hier häufig schlechte Angewohn-
heit mit vor. So findet es sich bei Kindern, dass sie, von klein
auf schwächlich, mit zunehmenden Jahren leicht lispeln. Die Zunge
wird zum Sprechen unfähig aus zwei Gründen. Erstens, wenn der
Mensch von Geburt an taub ist. Sie kann dann keine Sprache er-
lernen, und es ist ein Irrthum, wenn die Juden behaupten, dass
auch ein fern von allen Menschen in der Einöde aufgewachsenes
Kind hebräisch könne* Wäre dem so, so müsste ein Taubstummer
hebräisch sprechen können, und das ist nicht wahr. Der andere
Grund liegt vor, wenn die Zunge im Munde angewachsen ist oder
wenn die Bänder, mit denen sie bewegt wird, leistungsunfähig
werden, wie es bei Schlaganfällen vorkommt. Leute mit zu dicker
Zunge lispeln, eine zu dünne Zunge bedingt stotternde und stammelnde
Sprache.
Aristoteles lehrt, dass kein Wesen so viel Bedürfnisse habe,
wie der Mensch, und ihm desshalb die Sprache nützlich und noth-
wendig sei, um seinen Bedürfnissen Worte zu leihen. Taubstumme
dagegen drücken ihr Verlangen, gerade wie auch die Thiere, nur
durch einen Ton aus. Zuweilen verliert die Zunge ihr Beweguugs-
und Sprechvermögen. Der Grund dafür liegt in einem Fehler der
seelischen Bewegungskraft, bedingt durch Gehimkrankheit, z. B.
Vorhandensein einer Himgeschwulst, oder wenn in Folge einer kalten
Vergiftung die Gefässe verschlossen sind, wie auch in anderen
Ursachen.
13« Von der Stimme«
Die Stimme ist ein sehr feiner Luftstrom, welcher zwischen
zwei harten körperlichen Gegenständen zerschlagen und gebrochen
wird, von denen der eine den Schlag führt, der andere ihn aufhebt.
Es gehören mithin zur Stimme drei Dinge: erstens die Luft und
zweitens zwei harte, körperliche Gegenstände. Denn wenn man
Wolle auf Wolle schlagen wollte, würde kein Ton dabei heraus-
kommen. Auch müssen die beiden harten Gegenstände aufeinander
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geschlagen werden, denn wenn man die eine Hand vorsichtig auf
<iie andere legt, entsteht auch kein Ton. Weiterhin bedürfen sie
einer gewissen Breite, denn wenn Jemand eine Nadelspitze gegen
die andere stossen wollte, würde ebenfalls kein Ton erzeugt werden.
Ein klarer Ton bedarf zu seiner Entstehung reiner Luft. Ist sie
feucht, so ist der Ton der Orgeln oder der Saiteninstrumente nie
so angenehm, wie bei heiterer Luft. Kinder sprechen heiser, wenn
sie saftige Aepfel oder Birnen gegessen haben, weil der klebrige
Saft in den Röhren hängen bleibt, durch welche die Luft von der
Lunge aus in den Hals geht. Auch ist es für die Bildung einer
wohltönenden Stimme nothwendig, dass das Organ, an welchem die
Luft sich stösst, durchaus eben und glatt ist, wie denn eine roh
gebaute (jreige nicht so gut anspricht, wie eine künstlich gearbeitete.
Es giebt zwei Arten von Stimme: die austönende und die
wiederhallende. Die erste ist die, welche von den mit einer Stimme
begabten Geschöpfen hervorgebracht wird, die andere heisst lateinisch
Echo. Sie entsteht, wenn die durch die Stimme in Bewegung ge-
setzte Luft an Bäume oder Häuser anstösst, die in einiger Höhe in
einem Thale so gelegen sind, dass sie die tönende Luft zusammen-
halten können, sodass sie die ihr von der Stimme gegebene Ge-
staltung beibehalten muss. Sie kehrt also zu dem Wesen, welches
die erstgenannte Art der Stimme hervorbrachte, wieder zurück und
führt sie ihm unverändert wieder zu. So hört man denn die Kinder
vor einem Walde schreien, im Glauben, es antworte ihnen aus dem
Wald heraus ein Holzmann. Jede der beiden Stimmarten ist
doppelter Natur: sie lässt sich entweder schriftlich wiedergeben oder
nicht. Die erste ist die, welche zu Papier gebracht und durch
Buchstaben ausgedrückt werden kann, wie zum Beispiel die Worte:
Ave Maria. Die andere lässt sich schriftlich nicht wiedergeben, wie
zum Beispiel die Stimme der Weinenden oder Vogel- und Thier-
stimmen. Die menschliche Stimme nimmt vom vierzehnten Lebens-
jahre an Stärke zu, bis zum höheren Alter, wo sie wieder abnimmt.
Es verhält sich mit der Stimme grade wie mit dem Gesicht: so
wie jeder Mensch seine ihm eigenthümlichen Gesichtszüge besitzt
und seinem Nebenmenschen nicht gleicht, ebenso hat auch Jeder
seine eigene Stimme.
14. Tom Zäpfchen.
Das Zäpfchen ist ein kleines, hinten im Munde befindliches,
fleischiges Organ, rund wie eine Eichel oder eine Weinbeere. Sein
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lateinischer Name ist desshalb aueh Uvula, was auf deutsch Wein-
beere bedeutet. Die Laien nennen es das Blatt, und meinen dasselbe
damit. Aristoteles giebt an, dass es zur Stimmbildung tauge,
wenn es weder zu gross noch zu klein ist. Zuweilen schwillt es
so an, dass es seinen Besitzer zu ersticken vermag. Die Aerzte
verbieten, es an- oder gar abzuschneiden; andernfalls muss der
Mensch sterben. Jedoch lehren Einige, dass man bei übermässigem
Wachsthura des Zäpfchens das Zuviel wegschneiden dürfe. Es
bleibt aber immer eine besorgliche Sache.
15. Vom Eehldeekel.
Der Kehldeckel heisst lateinisch Epiglottis, und in dem, hier
von mir ins Deutsche übertragenen Buche wird gesagt, dass er ge-
staltet sei wie das oben genannte Zäpfchen und am Zungengrunde
sich befinde. Auch heisst es dort, es sei seine Aufgabe, abwechselnd
die Speiseröhre, welche Speise und Getränk zum Magen führt, und
die Luftröhre, die den Lungen die Luft zuleitet, zu bedeckeur
Wenn er die Speiseröhre deckt, so ist die Luftröhre offen und um-
gekehrt; beide gleichzeitig kann der Kehldeckel nicht verschliessen.
Rhaazes dagegen hat, wie auch Avicenna, über den Kehldeckel
eine andere Ansicht. Rhaazes lehrt nemlich, dass die Epiglottis-
aus drei Knorpeln bestehe, die der Art gestaltet sind, dass sie zur
Hervorbringung der verschiedenen Töne sich eignen.
16. Von der Speiseröhre.
Die Speiseröhre führt den lateinischen Namen Oesophagus oder
auch Mery und liegt hinten im Halse. Aristoteles nennt sie den
Magenmund, weil sie, am Grunde der Zunge beginnend, Speisen
und Getränk aufnimmt und zum Magen führt, damit sie dort durch
die Naturkraft verarbeitet und allen Organen zu Nutzen bereitet werden.
17. Von der LnftrShre.
Die Luftröhre ist eine starke Ader und heisst lateinisch
Trachea. Die Wundärzte nennen sie Lungenröhre, weil sie vorne
im Halse von der Zungenwurzel bis an die Lungen hin sich er-
streckt, und vom Munde des Menschen die Luft zu den Lungen hin
und wieder führt. Die Luftröhre ist oben durch eine besondere
Einrichtung der Natur gedeckt, damit keinerlei Speise oder Getränk
in sie gerathe. Jedoch kommt es zuweilen vor, dass etwas von
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Speise oder Trank in sie herabfallt, und der Mensch hustet dann
so lange, bis es wieder herauskommt. Bleibt es darin, so stirbt er.
Die beste Hülfe dabei ist, die betreffende Person mit der Faust
kräftig hinten in den Nacken zu schlagen, bis die Speisetheile wieder
herausbefftrdert werden. Kluge Leute reden desshalb über Tische
wenig, um sich vor Schaden zu hüten.
18. Tom Kehlkopf.
Der Kehlkopf findet sich nur beim Menschen, den Schweinen
und den Vögeln sowie den diesen ähnlichen Thieren. Der Kehl-
kopf besitzt am oberen Theil, da wo Kopf und Hals zusammen-
stosseu, einen, in der Mitte durchbohrten Knochen. Dieser Knochen
ist besonders bei Männern unter dem Kinne sichtbar, bei Frauen
bemerkt man ihn selten oder gar nicht. Der Kehlkopf besteht aus
lauter Knorpel und knotigen Anschwellungen und ist innen mit
einer Art von Stufen oder Staffeln ausgestattet. Diese Stufen steigt
die Stimme auf und ab und wird dadurch zur Wortbildung geeignet.
Der Kehlkopf besitzt nur die Fähigkeit, Stimme und Töne in
richtiger Weise zu moduliren, Worte selbst hervorzubringen vermag
er dagegen nicht.
19. Yom Halse.
Der Hals ist die Säule, welche den Kopf trägt und das Haupt
mit dem Rumpf verbindet. Inwendig besteht der Hals grösstentheils
aus knorpeligem Fleisch und reicht vom Kehlkopf bis zum Rücken.
Im Halse finden sich zahlreiche Gefasse, durch welche die geistigen
Fluida und das Blut vom Herzen und der Leber aus zum Haupte
hinströmen und so zu den Centren aller Sinne und seelischen
Kräfte hingelangen.
20. Von den Schultern.
Im Vergleich zu den Thieren und entsprechend seiner Grösse
hat der Mensch die am meisten entwickelten Schultern, bestimmt
zum Tragen und Halten von Lasten. Die Schultern sind aus
kräftigen Knochen gebaut, denn der Mensch bedarf der Stärke an
diesen Körpertheilen. Die Schulterblätter sind den Achseln ange-
fügt. Sie werden von dünnen, breiten Knochen gebildet um die
Schultermuskulatur festzuhalten. Sie sind desshalb so dünn, damit
sie nicht durch überflüssige Dicke die schöne Form der Brust be-
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einträchtigeD, denn es yerun^iert den Menschen, wenn die Achseln
gegen die Brust hin geneigt sind.
31. Von den Armen.
Beim Menschen sind die Arme nach vorne gebogen, während
bei fast allen Thieren, mit Ausnahme der Affen und den affen-
ähnlichen Geschöpfen, die Arme nach hinten gebogen sind. Die
Arme bestehen aus starken Knochen; der Unterarm, welcher mit
der Hand verbunden ist, führt zwei Knochen, von denen der eine
grösser ist wie der andere. Im Oberarm aber, der mit der Schulter
in Verbindung steht, findet sich nur ein starker und kräftig ent-
wickelter Knochen. Zu bemerken ist, dass von einer Schulter
eigentlich nur beim Menschen die Bede sein kann, bei Thieren
nennt man sie Bug. Die Arme sind stark und biegsam, zu allem
Werk geschickt. In den Armen finden sich zahlreiche Adern und
Röhren, aus denen man beim Menschen am bequemsten das schäd-
liche Blut entziehen kann.
32. Von den Muskeln.
Einige Gelehrte behaupten, der Mensch besitze sechs Muskel,
zwei an den Händen, zwei an den Armen und zwei an den Beinen.
Hierzu rechnen Andere noch vier Theile, denen sie auch den Namen
Muskel beilegen. Diese vier sind das Herz, das Gehirn und die
beiden Testikel. Galenus begreift nur das Herz und die Testikel
unter die Zahl der Muskel, das Gehirn dagegen fasst er nicht als
einen Muskel auf. Im Gegensatz hierzu lehren die ersterwähnten
Naturkundigen, dass es unpassend sei, die edelen Organe des
Körpers Muskel zu nennen. Das, was wir unter einem Muskel ver-
stehen, ist ein Organ für die willkürliche Bewegung der Glieder,
und besteht aus Fleisch, Adern und natürlichen Bändern. Khaazes
lehrt, dass nach der Ansicht Galen 's die Anzahl der Muskel sich
auf fünfhundert und achtundzwanzig belaufe. Unser Buch handelt'
nur von den grossen Muskeln. Es ist wichtig zu wissen, dass die
beiden Armmuskel am Elllenbogen nicht verwundet werden dürfen.
Trifft sie eine Verletzung, so muss der Mensch sterben. Man kann
aber, ohne unmittelbare Lebensgefahr, den ganzen Arm sammt den
Muskeln abschneiden. Dieselbe Ansicht herrscht auch über das
Verhalten der Muskel an den Beinen und Händen, doch wird be-
hauptet, dass ihre Verletzung nicht so sicher tödtlich sei, wie die
der Armmuskel.
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33. Von den HSnden.
Die Hände entsprechen beim Menschen nach der Auschauuug^
des Aristoteles den Yorderfüssen der Thiere. Weil der Mensch
Yernunft besitzt und klüger ist als alle Thiere, hat ihm die Natur
die Hände gegeben, mit denen er viele Dinge auszurichten vermag,
Desshalb auch lehren die Weisen, dass man des Menschen Sinn am
besten aus seinen Augen und Händen erkennen könne. Pliniu»
sagt, man brauche die rechte Hand in Angst und Noth und reiche
sie als Zeichen der Freundschaft.
34. Ton den Fingern.
Die Finger sind in die Hände eingefügt, damit diese zu
allerlei Werk geschickt und passend seien. So sagt auch Aristoteles^
dass die besondere Eigenschaft der Finger in der Fähigkeit de»
Greifens, Festhaltens, Gebens und ganz besonders in ihrem Unter-
scheidungsvermögen beruhe. Der Daumen ist so stark, wie alle
anderen Finger zusammen.
35. Ton den Nägeln.
Die Nägel sind nothwendig zum Decken der Finger- und Zehen-
spitzen. Ihrer Beschaffenheit nach stehen die Nägel zwischen Knochen
und Knorpel, sie sind nemlich weicher wie Knochen und härter wie
Knorpel. Schneidet man einen Nagel, so empfindet er nichts, ausser
wenn man zu nahe an das Nagelbett kommt. Es fehlen nemlich
dem Nagel, ebenso wie dem Haar, die das Gefühl vermittelnden
Seelenkräfte. Im Tode wie auch im Verlauf einiger Krankheiten
ändern die Nägel ihre Farbe. Die Nägel der Thiere sind scharf
und hart, sie dienen ihnen als Waffe und zum Zerreissen ihrer
Beute. Kleine Nägel deuten beim Menschen auf leichtfertigen
Character, kluge Leute haben dünne, rosagefärbte Nägel. Kein
Vogel mit krummen Klauen trinkt Wasser, weil er sich von Fleisch
ernährt, das wasserhaltiger ist, wie die Nahrung der anderen Vögel.
Auch haben alle Vögel mit krummen Klauen ein schärferes Gesicht
und höheren Flug wie die übrigen, damit sie schon von Weitem
ihre Nahrung erspähen können, denn alle diese Vögel leben nur
von Raub.
36. Von den Knochen In den Gliedern.
Galen US lehrt, dass die Knochen in den wichtigsten Glied-
massen, von einem Gelenk zum andern, aus einem Stück bestehen.
Die Natur hat den Knochen ihre Härte verliehen, um in ihnen dem
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Körper und seinen Weichtheilen bei der Bewegung die nöthige
Stütze zu geben. Die Knochen sind härter wie alle anderen Be-
ßtandtheile des Organismus. Sie stützen also das schwache Fleisch
gradeso, wie die Pfähle in einer Lehmwand den Lehm zusammen-
halten. Die Knochen sind inwendig hohl, weiss von Farbe und
sehr widerstandsfähig. Männer haben härtere Knochen wie die
Weiber. Eine Ausnahme hiervon findet sich bei den sogenannten
Amazonen. In ihrem Lande, das von Einigen das Mädchenland
genannt wird, besitzen die Frauen stärkere Knochen wie die
Männer.
27. Tom Mark.
Das Mark ist ein Ausscheidungsprodukt des Blutes und findet
sich nach Galen in den hohlen Knochen vor. Das deutet darauf
hin, dass alle Thiere, die sehr fett sind, auch viel Mark besitzen.
Man kann das besonders bei den Kindern sehen, die noch nicht
viel Fett besitzen. Bei ihnen findet man nämlich nach dem Tode
in den Knochen viel Blut und wenig Mark. Es kann bei Kindern
das Blut nicht ordentlich in Mark umgesetzt werden, da die Wärme
des kindlichen Organismus nicht hinreicht, um das rothe Blut in
weisses umzuwandeln und Mark daraus zu bilden. Daraus ergiebt
sich, dass das Mark ein Ausscheidungsprodukt des die Knochen
speisenden und ernährenden Blutes ist. Das Mark ist warm uud
feucht, im Gegensatz zu der kalten und trocknen Substanz der
Knochen. Es ist also das Mark in ' den Knochen mehr als ein Aus-
scheidungsprodukt wie als Ernährungsmaterial für dieselben anzu-
sehen. Diese Ansicht findet eine weitere Stütze darin, dass man
in den Knochen der kalten Thiere viel Mark vorfindet, denn die
Wärme vermag innerhalb der Knochen weder Fett zu bilden noch
das Mark zu verzehren. Der Löwe dagegen ist marklos, da bei
ihm das Mark von der übergrossen natürlichen Wärme, die in des
Löwen Knochen sich findet, verzehrt wird. Jedoch hat das Mark
für die Knochen den Nutzen, dass es sie in einem einigermassen
feuchten und weichen oder zähen Zustande erhält, der ihr Zer-
brechen verhindert. Zuviel Bewegung und körperliche Arbeit dörrt
die Knochen aus und macht sie ohne Ausnahme zu trocken.
Plinius lehrt, dass bei jungen Leuten das Mark roth, bei alten
weiss ist. Wasserthiere besitzen kein Mark.
Schuls, Konrad von MegeDberg*» Buch der Natur. 2
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28. Yoin Fleisch.
Das Fleisch ist schwach, weich, zart und leicht zerstörbar.
Dasjenige Fleisch ist am besten geartet, welches weder zu mager
noch zu fett ist, man erkennt das an der richtigen Proportion und
passenden Fülle der Glieder. Das fetteste Fleisch findet sich am
Nabel und in der Lendengegend. Auch lässt sich die richtige Be-
schaffenheit des Fleisches daraus erkennen, wenn der Körper Wohl
und Wehe leicht empfindet. Fehlerhaft geartetes Fleisch empfindet
schwer. Galenus lehrt, dass das Fleisch den Nutzen habe, die
Hohlräume zwischen Knochen und Adern auszufüllen und die ein-
zelnen Glieder zusammenzuhalten. Das Fleisch hat in den ver-
schiedenen Organen ein wechselndes Aussehen, so ist das Fleisch in
der Lunge rosenroth, im Herzen dunkelroth, purpurroth in der Leber
und schwarz oder schwärzlich in der Milz.
39. Ton der Haut.
Die Haut oder wie es bei den Thieren heisst, das Fell, ist
über alle Glieder ausgespannt, damit eine so grosso Anzahl einzelner
Theile unter einer gemeinsamen Decke vereint sei. Die mensch-
liche Haut ist dünn und leicht verletzlich. Der Grund dafür liegt
darin, dass der Mensch im Stande ist, sich noch and er weite Hüllen
zu beschaffen, mit denen er sich schützen kann, das Thier dagegen
nicht. Galen spricht von verschiedener Beschaffenheit der Haut
an einem und demselben Menschen, an der einen Stelle ist sie dünn,
an der anderen dick. Wo die Haut dick ist, ist sie glatt und weich
anzufassen, an den dünnen und stärker ausgespannten Stellen fühlt
sie sich oft recht rauh und hart an. Trockene Haut ist rauher,
feuchte dagegen zarter im Griff.
30. Vom Bücken.
Der Rücken beginnt am Halse und reicht bis zum After.
Das Rückgrat, welches den Rücken zusammenhält, besteht aus
zahlreichen Knochen, die sämmtlich in der Mitte durchbohrt und
denen zu beiden Seiten die Rippen angefügt sind. Die Zahl der
Rückenwirbel entspricht der der Rippen. Vom Halse bis zum
unteren Ende zieht sich durch die Wirbel hindurch ein langer
Markstrang, wie ein Strick.
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31. Von der Brust.
Die menschliche Brust ist zart gebaut und kann ohne Nach-
theil Anstrengungen nicht wohl ertragen, einmal wegen des in der
Brust befindlichen Herzensi und zweitens wegen der vielen geistigen
Fähigkeiten, die in ziemlicher Anzahl in der Brust beschlossen sind.
Mitten in der Brust liegt ein breiter, von zahlreichen Röhrchen
durchzogener Knochen, dem die Rippen und Bänder sich anfügen.
Unter ihm entspringen die vordersten, blutführenden Gefässe, die
lateinisch Venae genannt werden. Diese Gefässe verästeln sich
nach allen Gliedern hin, wie die Reben an einem Weinstock. Von
den Gefässen soll indess später erst die Rede sein. Aristoteles
sagt, der Mensch habe im Vergleich zu den Thieren seiner Grösse
nach eine breit gebaute Brust. Darum* lieber Mensch, breite Deine
Brust Deinem 8chöpfer entgegen und lass Dein Sehneu zu ihm
gross und breit werden.
33. Von der weiblichen Brust.
Die Brüste des Weibes sind von der Natur aus weichem,
zartem Fleisch geschaffen; sie sollen bei Jungfrauen klein und fest
sein. Aristoteles lehrt, dass die Jungfrauen anfangen, die Männer
zu lieben, wenn ihre Brüste zwei Queerfinger stark geworden sind.
Die Milch brünetter Frauen ist besser wie die der Blondinen. Bei
den Ziegen verhält sich das anders, die Milch weisser Ziegen ist
besser, wie die von schwarzen. Den Grund dafür finde ich darin,
dass die Brünetten wegen ihrer grösseren Wärme bessere Milch
hervorbringen wie die kälter veranlagten Blondinen. Will man im
Allgemeinen wissen, welche Frau gute Milch habe, so nehme man
ein Glas oder eine glatte Holztafel und bringe darauf einige Milch-
tropfen. Sind diese dick und zähe, so ist die Milch gut, zerfliessen
ßie, so ist sie minderwerthig. Es sei bemerkt, dass bei den
unvernünftigen Thieren die milchführenden Organe eigentlich Euter
heissen, bei den Frauen dagegen Brüste oder Mutterbrust. Jedoch
besteht hier der Unterschied, dass bei noch nicht schwanger ge-
^'esenen Jungfrauen die Organe eigentlich Brüste genannt werden
von der Brust, an der sie sich befinden. Bei Frauen dagegen, die
Kinder gehabt haben, nennt man sie Mutterbrust oder Fruchtträger,
weil sie für die Kinder die Nahrung oder gewissermaassen Früchte
tragen. Kein Thier hat, im Gegensatz zum Menschen, die Milch-
4irüsen vorn an der Brust.
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33. Vom Herzen.
Das Herz iat ein Urquell des Lebens, in ihm liegt der letzte
Grund aller Bewegung. Plinius nennt das Herz ein Licht des
Leibes, weil es von Natur mitten im Ijeibe liegt, ein Brunnen und
Ursprung für die Kräfte aller anderen Organe. Das Herz ist des
Lebens Schatzkästlein, desshalb hat es die Natur auch mitten im
Körper verborgen. Das Herz ist das erste Lebendige, wenn das
Thier noch im Mutterleibe sich befindet, und das letzte Organ,
welches stirbt. Auch giebt es kein Organ, das soviel unflüssiges
und unbewegliches Blut in sich enthält, wie das Herz. Es besitzt
zwei Kammern, eine rechte und eine linke, sie bergen das edele
Blut und die besonderen Geister, die das Leben bedingen. Die
Geister und das Blut strömen durch die Adern vom Herzen zu den
übrigen Organen hin, wie wir später noch im Abschnitt von den Ge-
f ässen näher schildern werden. Das Herz ist der Lunge angelagert,
weil die weiche Lunge durch ihre Fähigkeit, Luft aufzunehmen,
das Herz kühl halten kann, sodass es in seiner eigenen Hitze nicht
erstickt. Das Herz ist nemlich das heisseste von allen thierischeu
Organen. Das Hera ist oben breit und unten zugespitzt und liegt
mitten in der Brust, nur mit einer geringen Neigung nach links.
Es würde auch sonst die linke Seite gar zu kalt sein. Das Herz
besteht aus festem, dicken Fleisch, seine Grösse schwankt bei den
verschiedenen Menschen. Das menschliche Herz ist weicher wie das
thierische. Thiere, deren Herz im Verhältniss zum ganzen Körper
gross ist, sind furchtsam, wohingegen die, deren Herz eine mittlere
Grösse besitzt, muthiger Art sind. Das kommt daher, dass die
natürliche Wärme und Kraft ein grosses Herz nicht so zu erfüllen
vermag, wie eins von mittlerer Ausdehnung. Da nun die Kälte die
Ursache der Furcht ist, so ist das eben Gesagte richtig, und dess-
halb sind die Hirsche, Esel und Hasen furchtsamer wie die übrigen
Thiere, da sie im Verhältniss zu ihrer Grösse ein viel grösseres
Herz besitzen, als diese. Das Herz wird durch Krankheit nicht wie
die anderen inneren Organe verändert. Mau sieht nemlich nach
dem Tode am Herzen keine Beschädigung, wie sie an anderen Or-
ganen durch Substanzverluste, krankhafte Veränderung, Geschwüre,
Stein und ähnliche Ursachen zu Stande kommen. So lange das Herz
noch schlägt, ist noch Leben im Körper. Das Herz erkrankt desshalb
nicht so wie die anderen Organe, weil der Tod früher eintritt, ehe
die Herzkrankheit sich ausbilden kann. So heisst es in dem mir
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vorliegenden lateinischen Text, auch findet sich dieselbe — mir indess
zweifelhafte — Angabe bei den alten Autoren. Pliuius lehrt, dass
das Herz solcher Menschen, die an der sogenannten Herzsucht ge-
storben sind, unverbrennbar sei. Die Krankheit heisst lateinisch
Cardiaca und entsteht als Folge übermässigen Zornes oder über-
grosser Furcht. Etliche Autoren geben ferner an, dass das Herz
vergifteter Menschen unverbrennbar sei. Desshalb greift auch der
gelehrte Vitellus den Arzt Piso heftig an, er habe den Tod des
deutschen Kaisers durch Gift herbeigeführt, weil das Herz des Kaisers
nicht habe brennen wollen. Piso bestreitet dies allerdings mit der
Angabe, der Grund liege nicht in einer Vergiftung, sondern in der
Herzsucht, an der der Kaiser gelitten habe. Aber Piso ist im Irrthum,
lind es liesse sich hierüber noch viel sagen, doch will ich es lieber
unterlassen^). Die egyptischen Gelehrten, denen die Wissenschaft grosse
Entdeckungen verdankt, waren der Ansicht, dass das Herz alljährlich
etwas an Grösse zunehme bis zum fünfzigsten Lebensjahre, und dann
ebenso bis zum hundertsten wieder abnehme. Wegen dieser ständigen
Abnahme sollten auch nur wenige Menschen im Vollbesitz der
geistigen Kraft das hundertste licbensjahr erreichen. Diese An-
schauung von dem Zu- und Abnehmen der Grösse des Herzens ist
aber unverständig: das Herz müsste danach im fünfzigsten Lebens-
jahre so gross sein wie eine Kegelkugel und in den folgenden fünfzig
so klein werden wie eine Bohne. Das entspricht dem thatsächlichen
Verhalten in keiner Weise. Das Herz ist umgeben von einer
Membran, etwa so stark wie die äussere menschliche Haut, sie führt
den Namen: Herz-Decke oder -Beutel. Die Natur hat dem Herzen
diese Hülle zur grösseren Sicherung gegeben, um es vor Verletzungen
besser zu schützen.
34. Von der Leber.
Die Leber liegt im Körper zur rechten, die Milz zur linken
Seite. Dies gilt für alle Thiere, die eine Leber haben. Es kommt
vor, dass dies Verhältniss sich umkehrt; eine, wie Aristoteles be-
^) Hier ist K. in einen grossen Irrthum j^erathen, worauf auch Pfeiffer
hinweist. Die Stelle heisst in dem von K. benutzten, lateinischen Texte:
^ünde Vitellius hoc accepto iudicio Pisonem redarguit veneno interemisse
Germanicum caesarem," und K. macht den Piso zu einem Arzt uni den
Germanicus zu einem deutschen Kaiser. Vergi. auch VI. 62; die geschicht-
lichen Vorgänge, die dieser Angabe zu Grunde liegen, finden sich im 3.
Buche von Tacitus Annalen erwähnt.
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merkt, sehr wunderbare Sache. Die Leber ist süss, von weicher
Beschaffenheit und ziemlich gross. Die menschliche Leber ist
rundlich, grade wie die Ochsenleber. Der gelehrte Clemens giebt
an, die Leber liege deshalb in der rechten Körperseite, damit sie
dem Magen zum Zweck ordentlicher Verdauung der aufgenommenen
Nahrung Wärme zuführe und alle anderen Organe mit Blut ver-
sehen könne. Wenn nemlich die Speisen im Magen verdaut sind,
so bilden sie eine weisse, klare Flüssigkeit, wie Gerstenwasser.
Diese wird durch die Naturkraft von den unverdaulichen Bestand-
theilen getrennt und durch besondere Gefässe zu der concaveu
Seite der Leber hingeführt. Nach ihrem Eintritt in die Leber tritt
dann eine weitere Verdauung ein, durch die die Flüssigkeit von
den noch in ihr befindlichen Auswurfsstoffen gesondert wird. Letztere
werden nach den Nieren und der Blase abgeführt. In der Leber
wird dann durch die Naturkraft die klare Flüssigkeit geßtrbt, zu
Blut umgestaltet und den übrigen Organen zugeleitet. Die Organe
verarbeiten das Blut dann weiter, jedes nach seiner besonderen
Art, bis es völlig assimilirt ist. Von der Verdauung wird bei
Besprechung des Magens noch weiter die Rede sein.
35. Von der Galle.
Die Galle ist heiss, trocken und feuriger Natur. Dass heisst:
die Galle hat die Fähigkeit zu erhitzen und auszutrocknen,
grade wie ein Feuer. Deshalb hat Gott die Galle der Leber ver-
eint, damit sie ihr den vom Magen gesandten Speisesaft verarbeiten
helfe. Die Eigenart der Galle besteht in dem Hervorrufen von
Unbeständigkeit, aufgeregtem Wesen, leichter Auffassungsgabe,
Scharfsinn, Erfindungskraft, Kühnheit, Hoffart, Begierde, Unkeusch-
heit, Gedächtnisskraft, Schlagfertigkeit in der Rede, imd der ganze
Leib eines mit viel Galle behafteten Menschen ist heiss und trocken.
Plinius giebt an, einige Menschen besässen keine Galle (doch fänden
sie sich selten), und lebten und behielten ihre Körperkraft in Folge
dessen lange. Aristoteles lehrt, dass bei einigen Menschen die
Galle von der Leber entfernter liege. Solche Leute seien sanfter
von Natur wie die, bei denen Leber und Galle nahe bei einander
gelagert seien. Doch ändert Gewohnheit viel in der Natur de»
Menschen, zum Guten oder zum Bösen. Desshalb liest man auch,
dass ein alter Naturkundiger einmal einen anderen grossen Kenner
der natürlichen Dinge gefragt habe: „Sage mir, welche Art mensch-
licher Natur ist die meine? Die Antwort lautete: „Ich habe noch
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keinen schlechter und grausamer veranlagten Menschen wie Dich
gesehen, aber auch keinen, der durch Tugendübung und sittliche
Führung besser gewesen ist, wie Du. Ich kenne auch keinen
Menschen, der für Kunst und Wissenschaft weniger geeignet gewesen
ist, wie Du, aber auch keinen, der gründlicher und sorgfältiger
wie Du in fleissiger Arbeit und emsigem Studium alle Dinge
durchforscht". Darum ist auch der Satz richtig, dass die Gewohnheit
zur zweiten Natur werden kann. Aristoteles lehrt, dass alle
gallenloseil Thiere lange leiben, wie dei Elefant, der Hirsch, das
Kameel und der Delphin oder das Meerschwein.
86. Von der Lunge.
Aristoteles lehrt, die Lunge sei ein Luftbehälter, welcher
die zum Abkühlen des Herzens nothwendige Luft aus- und einführe.
Desshalb ist die Lunge weich wie ein Badeschwamm, um die Luft
aufnehmen zu können. Beim Eiqathmen der Luft wird die Lunge
grösser, beim Ausstossen der Luft zieht sie sich zusammen. Alle
Thiere, die auf dem Lande leben und Luft einathmeu zur Ab-
kühlung des Herzens, besitzen eine Lunge. Dagegen haben andere
Geschöpfe, wie die Fische im Wasser, keine Lunge nöthig. Doch
besitzen einige warmblütige Seefische Lungen. Darum merke, dass
jedes Thier, welches seines Gleichen durch Schwängerung des
Weibchens erzeugt, wegen seiner hitzigen Natur Lungen führt, und
dabei sind die Lungen gross und stark mit Blut durchfeuchtet.
Die Thiere hingegen, welche, wie die Vögel, Eier legen, haben
kleine und trockene Lungen. Desshalb empfinden sie auch selten
Durst und können lange ohne zu trinken existiren. Ihre körperliche
Wärme ist nur gering, sie kühlen sich hauptsächlich durch die
Bewegung der Lungen, da diese grosse Mengen von Luft aufnehmen.
Aus demselben Grunde sind auch die hierhingehörenden Thierarten
kleiner wie die oben erwähnten. Grosse natürliche Wärme bedingt
auch eiuen grossen Körper, und die Anwesenheit von viel Blut ist
ein Zeichen der inneren Wärme. Die natürliche Wärme hält den
Leib der Thiere aufrecht, und der menschliche Körper ist desshalb
grade aufgerichtet und dem Himmel zugekehrt, weil der Mensch
im Verhältniss zu seiner Grösse mehr Blut und grössere innere
Wärme hat, wie die übrigen Geschöpfe. Die Lunge ist bluthaltiger
wie die anderen Organe, weil sie von so weichem und zartem
Fleisch aufgebaut ist. So heisst es wenigstens in unserem Buche,
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doch glaube ich, dass sie trockener und blutärmer ist wie
die Leber, weil sie doch die Luft in sich aufnehmen muss. Plinius
giebt an, wenn man Holz mit den Lungen gewisser Seefische reibe,
so brenne es wie Oel. Auch stallt man aus den Lungen be-
stimmter Seefischarten ein sehr schönes, klares Oel her. Aristoteles
behauptet, dass ein Thier ohne Lungen auch ohne eigentliche
Stimme sei. Jedoch ist manches Thier stimmlos, trotzdem es eine
Lunge besitzt.
37. Von der MUz.
Die menschliche Milz gleicht nach Aristoteles der des
Schweines, sie ist wie diese lang und schmal. Die Milz liegt in
der linken Seite und nimmt in gewissem Maasse die Unreinigkeiten
des Blutes auf, besonders bei solchen Leuten, die das viertägige
Fieber haben. Sie ist häufig krank und macht dem Menschen Be-
schwerden, wenn man nicht an der linken Hand oder dem
linken Arm zur Ader lässt. Galen lehrt, dass die schwarze
Galle in der Milz wohne. Nimmt sie Ueberhand und zieht zum
Kopfe, so werden die Menschen schweigsam und nachdenklich,
schwermüthig, weinerlich und unlustig zur Arbeit, verfallen in
Furcht, Sorge und Kleinmuth. Unter solchen Kranken findet man
welche, die sich für todt halten und andere, die glauben, sie wären
von Glas. Plinius nennt die Milz ein Hinderniss für das Laufen,
deshalb schlägt man den Läufern die Milzadern. Einige sind der
Ansicht, dass die Häufigkeit des Lachens mit der Grösse der Milz
zunehme und umgekehrt.
38. Yoin Bauehe.
Der lateinische Ausdruck für Bauch hat doppelte Bedeutung.
Einmal versteht man darunter das, was wir Magen nennen, den
sackförmigen Raum, in den die Speisen zunächst hineingelangen.
Plinius jedoch begreift unter dem Worte Bauch vier verschiedene
Dinge. Er sagt: Jedes Thier, welches Blut besitzt und vier Beine
hat, hat auch vier Bäuche. Der erste nimmt die Speisen im rohen
Zustande auf, der zweite empfängt sie in verdautem Zustande, der
dritte vollendet die Verdauung, der vierte endlich nimmt den fertig
verdauten Speisebrei auf und befördert ihn weiter. Plinius ver-
steht also unter dem Begriff Bauch den Magen und die unterhalb
des Magens liegenden Hohlräume, durch die die Speisen der Reihe
nach weiter wandern. Strenggenommen bedeutet Bauch den ganzen
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Darmkanal sammt der ihu bedeckenden Haut, die von oben her
über den Nabel herabgeht. Zuweilen ist der Bauch so fett, dass
der Mensch davon sterben muss. Aristoteles lehrt, die Menschen
seien in der oberen Bauchhälfte den Hunden, in der unteren den
Schweinen ähnlich gebaut Plinius giebt an, dass gefrässige, dick-
bäuchige Menschen ungeschickter und unbehülflicher seien wie
andere Leute; dagegen seien solche mit massig entwickeltem Bauch
behende, klug, vorsichtig, schlau und sinnreich. Die Rippen be-
finden sich am Bauche, um ihn zu hüten und zu sichern, damit er
nicht so leicht verletzt wird.
3d» Tom Magen.
Der Magen bildet das erste Gefass, in dem im menschlichen
Leibe die Speise verarbeitet wird. Von der Speiseröhre nimmt der
Magen die unveränderte Nahrung auf und verdaut sie dann weiter,
nachdem sie in Mund und Speiseröhre einigermassen vorbereitet
worden ist. Im Inneren des Magens finden sich zahlreiche Haut-
falten, wie die Blätter in einem kleinen Büchelcheu, damit durch
die Hitze, welche diesen Häuten eigen ist, die Speisen desto leichter
verdaut werden können, ferner auch, um die Speisen um so länger
im Magen verweilen lassen zu können. Denn wenn der Magen in-
wendig faltenlos und glatt wäre, so würde sein Inhalt vor der Zeit
herausgleiten und bliebe unverdaut. Ausser dem grossen Darm
geht noch ein Darm vom Magen aus abwärts, der den Namen
Leerdarm führt. Er ist nämlich stets frei von den unverdaulichen
Bestandtheilen der Nahrung, da er nur das völlig Gelöste vom
Magen aufnimmt. Das Unverdauliche geht seinen eigenen Weg
zum After hin. In der Wand des Leerdarms verlaufen fünf Ge-
fässe, die die mitleidigen^) Gefässe genannt werden, weil sie von
Erkrankungen aller anderen Gefösse in Mitleidenschaft gezogen
werden. Diese Gefässe erstrecken sich bis zur Leber hin und
führen ihr von dem genannten Darm die gelösten Bestandtheile
seines Inhaltes zu. Die Leber verarbeitet diese dann weiter und
leitet das Wasser zu den Nieren und von da zur Blase hin ab.
Das eigentlich Ernährende der Verdauungsflüssigkeit hält die Leber
zurück und wandelt es zu Blut um. Mit dem Blut ernährt die
Leber alle anderen Körpertheile. Der farblose Antheil des Blutes
*) Hier verwechselt K. miseraica, mitleidige, mit niesaraica. Die
Vasa mesaraica sind die im Gekröse verlaufenden Gefässe.
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wird dem Herzen und der Leber in einem, zwischen Leber und
Herz verlaufenden Gefässe zugeführt und dann in natürliche Wärme
und den eigentlichen Lebensgeist verwandelt. Das ist so zu ver-
stehen: Geist und Seele sind zwei verschiedene Dinge, denn die
Seele ist ein substantielles Etwas, dessen Wirken sich in der
Lebensthätigkeit kenntlich macht und dem Alles, was von ihm
durchdrungen wird, sein Leben verdankt. So lehrt Aristoteles
im zweiten Buche von der Seele. Wenn Du das nicht verstehen
kannst, so gieb Dir die Schuld, dass Du in derlei Fragen nicht
hinreichend geübt bist. Wenn man die deutsche Ausdrucksweise
genau und richtig mit dem lateinischen Text vergleicht, so trifft
mich kein Vorwurf. So wie wir es hier auffassen wollen, ist der
Geist ein natürlicher, luftartiger Dunst, von dem das Leben ab-
hängt. Im Herzen heisst er Lebensgeist, in der Leber organischer
Geist, im Gehirn thierischer Geist. Ich verstehe das so: In der
Leber heisst der Geist organischer Geist, weil, wie vorher gesagt,
die Leber allen Organen ihre Nahrung zukommen lässt. Im Herzen
heisst er Lebensgeist, weil das Herz ein Schatzkästchen und Anfang
des Lebens ist. Im Gehini heisst der Geist thierischer Geist, weil
bei allen Thieren die Sinne im Kopf sich befinden, und der Geist
sich dort verhält wie ein kleiner Wagen, auf dem die Eindrücke
der Ausseudinge von einem Sinn und einer Seelenkraft zur andern
fahren. Der Geist ist das Band, mit dem I^eib und Seele zu-
sammengebunden sind.
40. Yoin Nabel.
Der Nabel ist der Mittelpunkt oder doch nahezu der Mittel-
punkt des menschlichen Leibes. Mit dem Nabel ist das Kind im
Mutterleibe angeheftet und durch den Nabel empfängt es dort seine
Nahrung. Diese wird vom Blut gebildet, und in Folge dessen ist
die Menstruation bei schwangeren Frauen unterbrochen, ausgenommen,
das Kind ist abgestorben oder die Mutter sehr vollblütig. Ich habe
eine Frau gesehen, die bei lebendigem Kinde gleichwohl menstruirt
war. Jedoch überlebten ihre Kinder die Geburt nicht lange. Einige
behaupten, von der Gebärmutter verlaufe ein Gefäss zum Nabel des
Kindes. Durch dieses Gefäss oder Band nimmt das Kind das Blut
von der mütterlichen Leber aus in sich auf und ernährt sich damit,
so lange es noch in der Mutter sich befindet. Durch den Mund
nimmt es keinerlei Nahrung auf. Ein noch grösseres Wunder ist
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es, dass das Kind im Mutterleibe nicht athniet, und doch gleich nach
der Geburt keinen Augenblick ohne zu athmen leben kann. Das
sind die Wunder Gottes! Da nun das Kind seine Nahrung, das
Blut, von der mütterlichen Leber her erhält, so braucht es auch
keine verdaulichen Nahrungsbestandtheile auszuscheiden, da es deren
keine erhält. So heisst es in unserem Buche. Ändere Gelehrte
sind indessen der Ansicht, dass das Kind sich von überflüssigem
Wasser durch einen kleinen Gang befreie, der von der Natur zwischen
den Häuten angelegt ist, mit denen sie das Kind im Mutterleibe
umgeben hat.
41. Von der Blase.
Die Blase ist zur Aufnahme des Harns bestimmt und zwischen
den Hüften und dem After gelegen. Die Blase wird gebildet von
zwei Häuten oder Membranen. Khaazes lehrt, dass am Blasen-
ausgang sich zwei Muskeln befinden, die durch ihre Zusammen-
ziehung den unwillkürlichen Abfluss des Harnes verhüten. Der
Harn fliesst durch zwei Gänge oder Gefässe ab. Da, wo diese die
Blase berühren, treten sie durch die äussere Haut durch und ver-
laufen dann so lange zwischen den beiden Blasenhäuten, bis sie zum
Blasenhals gelangen. Dort durchbohren sie die innere Haut und
gelangen in den eigentlichen Blasenraum. So führen sie das Wasser
in die Blase ab. Kein Vogel besitzt eine Blase, da die Vögel nicht
uriniren, weil ihre überflüssige Feuchtigkeit in die Substanz der
Federn umgewandelt wird. Dagegen haben alle vierfüssigen
Thiere eine Blase.
43. Von den Nieren.
Die Nieren befinden sich in der Nähe der Leber. Die rechte
Niere ist höher gelagert wie die linke, diese aber ist fetter wie jene.
Jede Niere besitzt zwei Hälse oder Gefässe. Das eine Geföss sendet
die Niere in der Seite, wo sie liegt, aufwärts bis zu der grossen
Ader, welche am äusseren Theil der Leber sich findet. Das andere
erstreckt sich abwärts bis zur Blase, wie im vorigen Abschnitt bei
der Blase berichtet ist. Aristoteles vergleicht die menschliche
Niere der des Rindes. Bei den Männern sind die Nieren der Sitz
der Unkeuschheit, wie bei den Weibern der Nabel. Von den übrigen
Organen will ich hier nicht weiter reden. Zucht und gute Sitte
dulden es nicht, in unserer Muttersprache zu behandeln, was sich
nur in fremder Sprache vorbringen lässt.
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43. Von den OefSssen.
Nun wollen wir von den Gefässen reden und dabei dem Text
unseres Buches folgen, da die Bücher der Aerzte andere Angaben
über denselben Gegenstand machen. Es existirt nemlich hier eine
Meinungsverschiedenheit zwischen den Medicinern und den Natur-
wissenschaftlern. Zum besseren Verständniss des uns vorliegenden
Textes ist zunächst zu bemerken, dass der Mensch dreierlei Gattungen
von Gefässen besitzt. Die erste Art bilden die Blutadern, durch
die das Blut vom Herzen und von der Leber aus zu allen anderen
Organen hinströmt. Es sind Röhren, deren Wand nur aus einer
Haut besteht, sie heissen lateinisch: Venae. Die zweite Gattung
sind die Geistadern, lateinisch: Arteriae, was so viel heist wie „enge
Wege". Durch sie fliessen die natürlichen und die Lebensgeister.
Sie haben eine aus zwei Häuten gebildete Wandung und sind kleiner
wie die Blutadern. Wenn auch in beiden Arten von Gefilssen Blut
und Geist sich vorfindet, so will ich sie doch bei ihrer Schilderung
in deutscher Sprache nach ihrer hauptsächlichen Bestimmung be-
zeichnen. Bhaazes giebt an, dass die Blutadern vom auswendigen
Theil der Leber ausgehen, die Geistadern dagegen alle vom linken
Herzen entspringen. Die dritte Klasse bilden die Bandadern,
lateinisch: Nervi. Mit ihnen bindet die Natur die harten Knochen
iu den Gliedern zusammen.
In unserem Buche heisst es nun folgendermaassen: Blutadern
sind die Gefässe, durch welche das Blut vom Herzen aus in alle
Glieder sich ergiesst, entsprechend der Ansicht des Aristoteles,
dass die Blutadern vom Herzen entspringen. Wenn nemlich ein
Mensch in Furcht geräth, so strömt das Blut zum Herzen wie zu
seinem Schutze, und wenn die Haut blutleer wird, so runzelt sie sich,
die Haare gehen zu Berg und der Mensch wird blass. In einigen
Punkten sind die Blutadern, wie Galen lehrt, den Geistadem gleich.
Aber die Blutadern pulsiren nicht, wie die Geistadern, und heissen
desshalb auch die ruhigen Gefasse. Von den Blutadern sind zwei
besonders hervorragend, nemlich die, welche nach Aristoteles am
Herzen entspringen, oder, wie Galen und die anderen Aerzte be-
haupten, von der Leber ausgehen. Von ihnen ist die eine grösser,
die andere kleiner. Jede von ihnen liefert den Ursprung einer An-
zahl anderer Blutadern. Nach Plinius verästeln sich die beiden
Hauptblutadern durch den ganzen Körper und durchtränken ihn
überall mit lebendigem Blut. Sie senden Aeste zum Gehirn, von
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da aus verzweigen sie sich weiter zu den Ohren, den Augen, der
Nase und dem Munde. Auch untereinander verästeln sie sich.
Galen lehrt, dass nach jedem, mit einer bestimmten Funktion ver-
sehenen Gliede sich zwei Schlagadern abzweigen, deren Puls von
Aussen an einigen Gliedern wahniehmbar ist, z. B. an den Armen^
den Händen und an der Schläfe bei den Ohren. Aus dem Pulse
erkennt mau des Herzens Gesundheit oder Krankheit, auch des
Leibes Wärme oder Kälte. Die anderen Gefässe dagegen, welche
polslos sind, führen das Blut nur in die Glieder, um sie damit zu
durchtränken. Dadurch wird die Natur unterstützt und der Körper
ernährt. Die Kleinheit der abgehenden Aeste hat den Zweck, das
Blut stärker zu vertheilen und so seine Umwandlung in die Sub-
stanz der Organe zu erleichtern, sowie es zu ei*möglichen, dass das
Blut sich besser in den Organen hält und nicht so leicht wieder
herausfliesst. Es verlaufen auch Gefässe durch die grossen, mitten
in der Brust gelegenen Röhren bis oben in den Kopf, und von da
gehen zu den Armen drei blutführende Gefässe. Das eine stammt
vom Kopfe und heisst Kopfader oder lateinisch: Cephalica. Das
zweite kommt von der Leber her, es führt den lateinischen Namen :
Hepatica. Unser Buch nennt es Basilica, das heisst Grundader,
weil die Leber Grund und Ursprung des Blutes ist. Die dritte
Ader kommt vom Herzen her und verläuft am Arm zwischen den
beiden ebengenannten. Desshalb führt sie den lateinischen Namen
Mediana, zu deutsch: die Mittlere. Von den vorderen Gefässen des
Herzens verästeln sich andere abwärts nach den Nieren hin und
von da zum Membrum virile, damit des Herzens Lust zu den beiden
genannten Orten hingelangen, dort vermehrt und bethätigt werden
kann. Man merke auch, dass alle Gefässe mit den zahlreichen Ge-
issen communiciren, die sich im Membrum virile zusammenfinden.
Vom oberen Theil des Herzens aus ziehen auch Gefässe abwärts zu
den Beinen und Füssen, damit diese durch das Herz die Anleitung
erhalten können, wohin sie gehen sollen.
44. Von den Bandadem.
Die Bandadern verbinden in allen Gliedern die Knochen unter-
einander. Nach der Ansicht Einiger sollen sie im Gehirn ent-
springen. Die Bandadem führen, im Gegensatz zu den Blutaderny
kein Blut. Sie sind langgestreckt und nicht sehr dick. Blutadern
heilen wieder zusammen, wenn sie durch Schnitt oder Hieb getrennt
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wurden, Bandadern nicht. Im Kopf des Menschen findet sieh keine
Baudader, wohl aber in den Händen und Füssen. Jedes blut-
führende Thier hat Bandadern. Zuweilen büssen die Bandadern an
der ihnen nothwendigen Feuchtigkeit ein, sie ziehen sich dann zu-
sammen, und dieses Ziehen martert den Menschen jämmerlich. Die
Bandadern haben ferner den Zweck, Ueberlegung und Bewegung
vom Gehirn aus allen anderen Organen zuzuleiten und den ganzen
Köii)er zu stärken. Einigen Thieren fehlen die Bandadern, wie
z. B. den Fischen, die auch keine Oeistadern besitzen. Allerding»
verwechselt man im gewöhnlichen Sprachgebrauch häufig die ein-
zelnen tiefässarten untereinander, z. B. Bandadern mit Geistadern,
und im Lateinischen heissen die Nerven Arterien. So hat also
unser Buch ausführlich von den Bandadern gehandelt. Die eigent-
lichen Bandadern aber, das heisst die, welche Galen Ligamenta
nennt, entspringen an den Knochen selbst und sind desshalb eben-
so empfindungslos, wie die Knochen, die sie untereinander verbinden.
45. Von den Kennzeichen der Schwangerschaft.
Nachdem wir nunmehr die einzelnen Organe des Menschen
durchgesprochen haben, wollen wir weiter zusehen, wie er auf die
Welt kommt und welche Unterschiede bestehen zwischen einer
männlichen und einer weiblichen Frucht. Zunächst haben wir es
zu thun mit den Zeichen, aus denen sich erkennen lässt, ob eine
Frau schwanger ist. Avicenna führt solcher Zeichen eine ganze
Reihe auf. Erstens: die vollzogene Mischung des männlichen und
weiblichen Samens. Ich halte dies Zeichen für unzuverlässig, weil
es trotz derselben doch oft genug vorkommt, dass die Frau nicht
schwanger wird. Zweitens: Trockenheit der Glans und starkes
Anziehen derselben durch den Uterus. Drittens: Der enge Ver-
schluss des Muttermundes, der so weit gehen kann, dass selbst das
Eindringen einer Nadelspitze unmöglich wird. Viertens: das Auf-
steigen des Uterus und seine Neigung nach vorn im Leibe der Frau.
Fünftens: das Ausbleiben der Menstruation nach eingetretener
Schwangerschaft. Li sehr seltenen Fällen kann die Menstruation
gleichwohl im Gange bleiben. Sechstens: leichte Schmerzempfindung
zwischen Nabel und Symphyse. Siebentens : Beschwerden beim Uriniren,
was allerdings nicht bei allen Frauen zutrifft. Achtens: einige Frauen
empfinden nach eingetretener Schwängerung Abneigung gegen den
Verkehr mit dem Manne und die Cohabitation. Ich glaube, dass
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das bei solchen Frauen für die erste Zeit der Gravidität zutrifft.
Neuntens: die Frau wird weuiger beweglich und hat das Gefühl
von Schwere im Leibe. Zehntens: leichte Uebelkeit. Elftens: bei
einigen Frauen ent^vickelt sich Aufstossen mit stark saurem Geschmack.
Zwölftens: Hautjucken und Schwindelanfälle. Dreizehntens: es werden
bei einigen Frauen die Augen dunkler und tiefer liegend. Als vier-
zehntes Merkmal gilt das Auftreten schädlicher Gelüste nach Ab-
lauf des ersten oder zweiten Monats, und endlich als fünfzehntes
das Mattwerden und die gelbliche Verfärbung des Weissen im Auge.
Das sind die von Avicenua angegebenen Kennzeichen.
46. Von den Ursachen der Empf ängniss eines männlichen Kindes.
Will man wissen, wodurch eine Frau ein männliches Kind
empfängt und woraus ersichtlich ist, ob sie einen Knaben gebären
wird, so ist zunächst zu bemerken, dass in den Fällen, wo das
Sperma virile heiss und reichlich vorhanden ist, dieses die Oberhand
besitzt, so dass durch die Cohabitation ein Knabe erzeugt wird.
Eine weitere Ursache hierfür ist gegeben, wenn das Sperma grössten-
theils aus dem rechten Testikel hen'ührt und in die rechte Seite
des Uterus gelangt. Die rechte Seite ist nämlich wärmer wie die
linke, und das Sperma aus dem rechten Testikel kräftiger wie das
aus dem linken. Desshalb ist mein Kath, dass die Frau, wann sie
eines Knaben genesen will, sich gleich nach der Cohabitation auf
die rechte Seite legen soll. Einige geben auch an, dass, wenn das
Sperma des Mannes aus dem rechten Testikel in die rechte Seite
des Uterus gelange, ein Knabe gezeugt werde, wie ich vorher schon
sagte, gerathe aber das Sperma aus dem linken Testikel in die
rechte Seite des Uterus, so entstehe ein Mannweib. Kommt das
Sperma aus dem rechten Testikel in die linke Seite, so entwickelt
sich ein weibischer Mann. Wenn aber das Sperma aus dem linken
Testikel in die linke Seite des Uterus geräth, so soll daraus ein
Mädchen werden. Zur Erzeugung eines Knaben hilft ferner die
Kälte der Luft, sowie das kältere Klima überhaupt, und der Wind,
der vom Sternbild des Wagens nach Süden weht und lateinisch
Aquilo heisst. Die Kälte treibt nämlich die natürliche Wärme in
den Leib hinein und vermehrt dadurch die innere Wärme. Zur
Entstehung eines Knaben iät grössere W^ärme nöthig, wie zu der
eines Mädchens.
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47. Von den Kennzeichen einer mftnnllclien Fmeht.
Will man nach eingetretener Schwangerschaft wissen, ob die
Frucht männlichen Geschlechts sein wird, so ist auf folgende
Zeichen zu achten: Die Hautfarbe der Schwangeren ist lebhafter,
wie wenn sie mit einem Mädchen geht. Die rechte Brust nimmt
früher zu wie die linke. Die Brustwarzen sind stärker roth ge-
färbt und die Adern in ihrer Umgebung mehr gefüllt, wie wenn
ein Mädchen zu erwarten ist. Der Leib ist runder. Die Frau ist
im Ganzen kräftiger und behender und frei von schädlichen Ge-
lüsten. Die Schwangere hat das Gefühl, als ob die rechte Seite
schwerer sei, wie die linke. Die Kindesbewegungen werden in der
rechten Seite gespürt; eine männliche Frucht bewegt sich im Mutter-
leibe zuerst nach drei Monaten, eine weibliche nach vier. Wenn
die Frau von der Stelle geht, hebt sie zuerst den rechten Fuss auf,
wenn sie sich erhebt, stützt sie sich mit der rechten Hand. Das
rechte Auge bewegt sich leichter und rascher, wie das linke. Am
rechten Arm ist der Puls stärker und grösser. Ist die Frau mit
einem Knaben schwanger, so hat sie gegen den Verkehr mit dem
Manne grösseren Widerwillen, wie wenn es sich um ein Mädchen
handelt. Dies gilt indess nur für einige Frauen, nicht für alle, und
besonders für die erste Zeit der Schwangerschaft. Die rechte Brust
sondert früher Milch ab, wie die linke, die Milch ist dickflüssig
und zähe. Tröpfelt man sie auf ein Glas, so bleiben die Tropfen
darauf stehen wie Erbsen und fliessen nicht auseinander. Ist die
Frau mit einem Mädchen schwanger, so ist die Milch dünn und
wässerig, die einzelnen Tropfen zerfliessen. Aus allen diesen
Zeichen kann man wohl erkennen, ob eine Frau mit einem Knaben
oder mit einem Mädchen schwanger geht.
48. Wie das Kind zur Welt kommt.
Ist die Frucht im Mutterleibe zur Reife gelangt, so lösen sich
die Gefasse und Bänder, welche bis dahin die Frucht festhielten,
grade wie die kleinen Aederchen an den Früchten der Bäume. Die
Frucht neigt sich im Mutterleibe abwärts zum Ausgang in die
Welt, wie Aristoteles sagt, und zwar mit offenem Munde. Das
Kind deckt seinen Mund mit dem Händchen zu: sein erstes mensch-
liches Thun. Das Kind kommt auch zuerst mit dem Kopfe auf die
Welt. Aus der Welt geht es dagegen mit den Füssen zuerst, denn
man kehrt die Füsse nach vorn, wenn man es zu Grabe trägt.
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Trifft es sich so, dass das Kind nicht mit dem Kopfe voran an den
Muttermund gelangt, so wird es nur schwierig und unter grossen
Schmerzen der Mutter geboren, und oft stirbt dann die Mutter an
dem Kinde. Dies tritt ein, wenn sich die Frau beim Gebären
nicht grade hält. Bevor das Kind den Leib der Mutter völlig ver-
lassen hat, hört man bei ihm keine Stimme. Zuweilen kommen
die Frauen vorzeitig nieder. Die Ursache liegt an mancherlei
Dingen: an einem Schrecken, an Schlägen, wenn man eine
Schwangere heftig schlägt, an starken Sprüngen, die die Frauen
ausführen, an heftiger Erschütterung beim Reiten und Fahren.
Durch diese Ursachen reissen nemlich die Bänder, mit denen das
Kind im Mutterleibe befestigt ist, vorzeitig durch, grade wie wenn
man eine unreife Birne mit einem Stein vom Baume wirft. Einige
behaupten auch, dass eine Frühgeburt eintreten könne durch das
Einathmen des Gestankes einer ausgelöschten Kerze. Ich glaube,
dass das besonders bei zarten Frauen zutrifft, die von ausser-
gewöhnlich empfindlicher Natur sind. Man sagt auch, eine Frau
gebäre leichter, wenn sie während der Geburt den Athem anhalte.
49. Von den Kennzeichen des Characters.
a. Vom Haare.
Nachdem wir hiermit die Organe des menschlichen Körpers
besprochen haben, wollen wir nunmehr angeben, wie man aus der
ganzen Gestalt und der Beschaffenheit der einzelnen Theile eines
Menschen seinen Character erkennen kann. Ich will hierbei den
Angaben folgen, die Rhaazes in seiner Arzneilehre niedergelegt
hat. Der erste Punkt hierbei ist dieser: Will man mit Sicherheit
die angeborenen Neigungen und Gewohnheiten einer Pferson prüfen,
so darf man dabei nicht auf ein Zeichen allein achten. Man soll
-vielmehr soviel einzelne Zeichen sammeln wie möglich, und, falls
man darunter welche findet, die im Gegensatz zu einander stehen,
dem ausgesprocheneren und besonders hervortretenden folgen. Man
beachte, dass die meisten und sichersten Zeichen den Augen und
dem ganzen Antlitz entnommen werden können, danach dann auch
viele aus den Händen.
Wir wollen mit dem Haar des Kopfes und der übrigen Theile
des Leibes beginnen. Schlichtes, weiches Haar deutet auf einen
furchtsamen Menschen. Einen Vergleich dafür haben wir beim
Hasen und beim Hirsch. Krauses Haar bedeutet Kühnheit. Starker
Scholz, Konrad von Megenberg's Bach der Natur. 3
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Haarwuchs am Bauch zeigt Unkeuschheit an. Viele Haare auf der
Brust, sind das Merkmal eines kühnen Sinnes, dagegen weist reich-
liche Behaarung der Schultern und des Halses auf Kleinmuth,
Widerstreben und Trotz. Damit ausgestattete Leute bekehrt man
nicht leicht von einem einmal gefassten Vorsatz. Viel Haar an
Brust und Bauch deutet auf geringe Weisheit. Wie Schweinsborsten
auf dem Haupt oder überall am Körper aufragende Haare zeigen
Furcht an.
b. Von der Hautfarbe.
Rothe oder röthliche Färbung der Haut weist auf eine hitzige
vollblütige Natur, wogegen eine zwischen roth und weiss liegende
Mittelfarbe ein gleichmässiges Temperament sowie nicht zuviel noch
zu wenig Hitze und Blut anzeigt, vorausgesetzt, dass die Haut nicht
sehr haarig ist. Leute mit feuriger, flammendrother Hautfarbe sind
unbeständig und leicht aufbrausend, helle, zarte Röthe ist scham-
haften Naturen eigen. Ein Mensch, dessen Farbe in's Grünliche
oder Schwärzliche übergeht, ist böser Art.
c. Von den Augen.
Leute mit grossen Augen sind träge, wer aber tief liegende
Augen hat, der ist schlau oder hinterlistig und ein Betrüger. Glotz-
äugige sind unverschämt, geschwätzig und dumm. Geschlitzte Augen
haben Hinterlistige und Betrüger. Wer sehr dunkele Augen hat
ist furchtsam, und wessen Augen in der Farbe den Ziegenaugen
gleichen, ist dumm. Leicht bewegliche, stechend blickende Augen
kündigen den Betrüger, Heimtücker und Dieb. Wessen Augen so
ruhig stehen wie ein Stein, der ist listig, und wer einen weibischen
Ausdruck im Auge hat, der ist unkeusch und schamlos. Menschen
mit kindlichem Gesichtsausdruck, heiterem Antlitz und Blick sind
frohgemuth und von der Natur zu langem Leben ersehen. Wer
grosse, unruhige, unbestinmit gefärbte Augen hat, ist träge und ein
Liebhaber der Frauen. Besitzer kleiner, sonst aber ebenso be-
schaflFeuer Augen neigen leicht zum Zorn und sind gleichfalls den
Frauen zugethan. Augen, deren Röthe dem Feuer gleicht, zeigen
einen grundbösen, eigensinnigen und widerspänstigen Character an.
Ist dabei der Augapfel schwarz, so deutet das auf Trägheit und
Stumpfsinn. Augen von unbestimmter Farbe mit einem gelben Ton
darin, wie wenn sie mit Saffran gefärbt wären, weisen auf sehr
schlechte Sitten. Viele Flecken auf den Augen sind Kennzeichen
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eines Böse^chts, ist die Farbe seiuer Augen dabei von unbestimmtem
Character, so ist er um so schlechter. Kleine Augen, die hervor-
stehen wie die Augen beim Krebs, künden Dummheit und närrisches
Wesen, ihr Besitzer folgt seinen fleischlichen Gelüsten. Sind die
Augen klein, unstät, die Augenlider bald geöffnet , bald geschlossen,
so hat man einen grundschlechten Menschen vor sich. Leute mit
auffallend runden Augen sind neidisch, schwatzhaft, feige und von
Orund aus bösartig. Augen, die denen des Bindes gleichen, deuten
auf Kleinmuth. Schwarze Augen mit einem gelben Ton darin, wie
wenn sie übergoldet wären, sind Eigenschaft eines bösen Menschen,
eines Mörders, der gern Menschenblut vergiesst. Grosse, geröthete
und nach aufwärts schauende Augen, den Ochsenaugen vergleichbar,
kennzeichnen den Bösewicht, den Thoren, den Narren, den Trunken-
bold. Die besten Augen sind die, deren Farbe zwischen schwara
und hell die Mitte hält, deren Blick nicht zu lebhaft und deren
Weisses weder geröthet noch gelb verfärbt ist. Solche Augen
sprechen für die gute Art ihres Besitzers. Augen mit unbestimmter
Farbe, die zuweilen plötzlich einen gelben Ton annimmt oder
grünlich ist, wie die Färbung eines gewissen Steines, verrathen den
Bösewicht, und solche Leute, die noch dazu Flecken in den Augen
haben, sind die schlimmsten unter allen Menschen und die grössten
Betrüger. Wessen Augen in ihrer ganzen Grösse hervorglotzen,
der hat nicht viel Energie. Wer kleine, tiefliegende Augen besitzt,
ist listig, ein Betrüger und neidischer Mensch. Wessen Augenbrauen
abwärts gekrümmt sind oder an einer Stelle besonders dicht stehen,
ist ein Lügner, hinterlistig und dumm. Wer sehr bewegliche Augen
hat, ist bösartig. Kleine Augen sind das Kennzeichen von Bosheit
und Dummheit, grosse Angen deuten auf weniger Bosheit aber
grössere Dummheit, wie kleine. Leute mit unbestimmter oder grün-
licher Augenfarbe sind böse und diebisch. Sehr häufiges Oeffnen
und Schliessen der Augenlider verräth einen furchtsamen und leicht
aufbrausenden Character.
d. Von den Augenbrauen.
Menschen mit starken, borstigen Augenbrauen denken und
trachten viel, neigen zur Traurigkeit und haben eine unreine, grobe
Sprache. Wer lange Augenbrauen hat, ist hoflfärtig und unver-
schämt. Wenn die Augenbrauen nach der Nase hin abwärts und
uach den Schläfen hin aufwärts gerichtet sind, deuten sie auf Scham-
losigkeit und Stumpfsinn.
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e. Von den Nasenlöchern. *
Spitze, in die Länge gezogene Nasenlöcher lassen kriegerischen
8iun und Kampflust erkennen. Wer grosse, weitgeöffnete Nasen-
löcher besitzt, hat geringen Verstand. Leute mit langen, dünnen
Nasenlöchern sind jähzornig, unüberlegt und oberflächlich. Wer
breite Nasenlöcher hat, ist unkeusch, sind sie sehr weit offen, so
ist ihr Eigenthümer von Natur zornigen Sinnes.
f. Von der Stirn.
Wer eine glatte, von Runzeln freie Stirn hat, ist kriegerisch
gesinnt und streitsüchtig. Eine nach der Mitte hin besonders stark
entwickelte Stirn spricht für eine zum Zorn geneigte Natur. Eine
kleine Stirn hat der Thor, eine grosse Stirn der Faulpelz. Eine
sehr stark gerunzelte Stirn spricht für unverschämtes Wesen.
g. Vom Munde.
Einen grossen Mund hat der Fresser und der Tapfere. Stark
entwickelte Lippen zeigen beschränkten Geist und Stumpfsinn an.
Wer bleiche Lippen hat, ist hoffärtig. Wer kranke, schlecht ent-
wickelte und kleine Zähne hat, ist durch und durch krank. Lange
und starke Zähne, wie die Hunde, haben gefrässige und bösartige
Menschen.
h. Vom menschlichen Antlitz.
Wessen Antlitz den Ausdruck des Gesichtes eines Trinker»
hat, ist ein Trunkenbold von Natur. Wer aber wie ein zorniger
Mensch aussieht, neigt von Natur zum Zorn, und wer einen scham-
haften Ausdruck im Gesicht hat, ist auch von Natur schamhaft ver-
anlagt. Ein sehr fleischiges Gesicht hat der Faule und der Thor.
Kauhe Wangenhaut kündet grobe Sitten. Ein fein gebautes Gesicht^
nicht aufgedunsen und frei von groben Zügen, zeigt den tiefen
Denker an. Wer ein auffallend rundes Gesicht hat, ist dumm;
wessen Gesicht sehr gross ist, ist träge. Ein besonders kleines Ge-
sicht hat der Arglistige und der Schmeichler. Mit wenig Ausnahmen
entsprechen einem unvollkommen und unschön gebauten Gesicht
auch schlechte Sitten. Ein langes Gesicht deutet auf Schamhaftig-
keit; an den Ohren stark entwickelte Schläfen, mit starken Adei-n,
künden einen zornmüthigen Sinn.
i. Von den Ohren.
Grosse Ohren bedeuten Dummheit und langes Leben.
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k. Von der Stimme.
Eine starke Stimme kündet einen muthigen Sinn. Eiliger und
schneller Rede entsprechen ebensolche Thaten, Neigen zum Zoni
und böse Sitten. Wer langathmig ist, ist böse. Wer eine schwer-
fällige Stimme hat, dient seinem eigenen Bauch. Menschen mit scharfer
Stimme sind gehässig und hegen ihren Groll lange heimlich im Herzen.
Eine schöne Stimme spricht für Thorheit und geringen Verstand.
1. Vom Fleisch.
Hat ein Mensch viel und festes Fleisch am Leibe, so hat er
groben Sinn und schweren Verstand. Zartes Fleisch dagegen be-
deutet eine gute Natur, guten Sinn und hellen Verstand.
m- Vom Lachen.
Wer viel lacht, ist sanftmütig, kommt allen Leuten freundlich
entgegen und sorgt sich nicht viel um irgend Etwas. Wer dagegen
wenig lacht, ist harten Sinnes und anderer Leute Treiben missfällt
ihm. Lachen mit lauter Stimme verräth einen unverschämten
Menschen, wer hustet, wenn er lacht oder Athembeschwerde dabei
bekommt, ist ein Unverschämter und ein Wütherich.
n. Von der Bewegung.
Schwerfällige Bewegungen deuten auf Stumpfsinn und Träg-
heit. Schnelle Bewegung dagegen spricht für Leichtfertigkeit.
o. Vom Halse.
Wer einen kurzen Hals hat, ist listig und sinnreich. Einen
langen Hals hat der Thor, der Schwätzer und der Furchtsame.
Zornige, leicht aufbrausende Menschen haben einen dicken, fest und
kräftig entwickelten Hals.
p. Von der Brust.
Wessen Brust in ihrer unteren Hälfte besonders stark und
fleischig ist, ist ein Thor. FAn zierlich gebauter Körper deutet auf
viel Schlauheit. Wer einen grossen Bauch hat, steckt voll fleisch-
licher Begierden. Magerkeit und zarter Bau von Leib und Bnist
bleuten auf Schwäche des Herzens.
q. Von den Rippen.
Ein umfänglicher Brustkorb zeigt Stärke, Hoflfart und zor-
niges Wesen an. Wer krumme Rippen hat, ist bösartig. Recht
«benmässig entwickelte Rippen sind ein gutes Zeichen. Ein kleiner
Brustkorb deutet auf geringen Verstand, ein breiter Thorax dagegen
mit kräftigen Rippen zeigt guten Verstand au.
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r. Von den Schultern.
Nach dem Kopfe hin gezogene Schultern bedeuten Dummheit*
8. Von den Armen.
Sind die Arme so laug, dass ihr Besitzer stehend mit den
Händen die Kniee erreichen kann, so ist er edelen Sinnes, stolz
und begierig, über Andere zu herrschen. Krumme Arme haben
feige und böse Menschen.
t. Von den Händen.
Zart und fein gebaute Hände sprechen für Weisheit und
klaren Verstand, sehr kurze Hände für Dummheit. Schmale und
sehr lange Hände kennzeichnen den Wütherich und den Thoren.
u. Von den Füssen.
Ist das Fleisch an den Füssen reichlich entwickelt und sehr
fest, so ist es mit der Intelligenz ihres Eigenthümers schlecht
bestellt. Kleine, zierliche Pässe weisen auf unkeusche, aber auch
zum Frohsinn geneigte Sinnesart. Wenig entwickelte Fersen haben
die furchtsamen, gross und stark gebaute die muthigen und be-
ständigen Naturen. Breite Füsse und grobe Knöchel kennzeichnen
einen gefühllosen, unverschämten Menschen. Sehr fleischige Hüften
sprechen für gute und kräftige Art des ganzen Leibes. Stark
gebaute Oberschenkel deuten auf tapferen Sinn, kräftig entwickelte
Hinterbacken auf besondere Körper- und Manneskraft. Das Gegen-
teil findet sich bei Leuten, die die Weiber gern haben sowie bei
kränklichen und furchtsamen Personen.
V. Vom Schritte.
Wer grosse, langsame Schritte macht, ist träge, wer aber in
schnellen, kurzen Schritten einhergeht, ist jähzornig und kümmert
sich um alles Mögliche, was er doch nicht zu Wege bringen kann,
w. Wer muthig ist.
Ein muthiger Mann hat reichliches, starkes Haar, eine gut
gewachsene Figur, kräftige Beine, Hände und Fasse. Die untere
Hälfte der Brust und überhaupt alle Glieder sind stark gebaut,
Brust, Bauch und Schultern gut entwickelt, der Hals ist breit,
kräftig und nicht zu fleischig. Ebenso auch erkennt mau einen
muthigen Menschen an einer fein gebauten Brust, die ausgiebige
Athembeweguugen gestattet, an den schmalen Hüften, den nach
abwärts gesenkten Waden, der etwas trockenen Haut und dem
ebenso beschaffenen Fleisch sowie daran, dass die Adern an der
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nicht mit Bunzeln bedeckten Stirn durchscheinen, und der ganze
Köiper ziemlich stark behaart ist. Auch die Leute sind muthiger
Art, deren Muskulatur ebenmässig, nicht zu schwach und nicht zu
stark entwickelt ist, die sich grade halten, kräftige Gelenke an den
Gliedern und starke Finger besitzen, einen massigen Bauch und
achmale, oder doch wenig in die Augen fallende Hüften, breite
Schultern, stark geschwungene Augenbrauen und eine von Runzeln
freie Stirn haben. Sie sind ausserdem sehr, zum Zorn geneigt,
halten lange in ihrem Grimme an und sind auf Brust und Schultern
stark behaart.
X. Wer furchtsam ist.
Furchtsam ist, wer schlichtes Haar, einen krummen oder
gebückten Körper und nach oben hin stark entwickelte Waden, gelbe
Hautfarbe und schwache, in rascher Folge geöffnete und geschlossene
Augen, bewegliche und magere Hände und Füsse hat und in seinem
ganzen Aeusseren den Eindruck eines traurigen Menschen macht.
y. Wer verständig ist.
Der Mann hat hellen Verstand und einen guten, lebhaften
Character, dessen Körper die Mitte hält zwischen fett und mager,
und dessen Muskulatur proportionirt, trocken und nicht zu sehr
entwickelt ist. Sein Antlitz ist nicht übermässig fleischig, die
Schultern hängen nicht herab, die Brust ist breit gebaut, die Haut
hält in ihrer Färbung die Mitte zwischen roth und weiss, sie ist zart
und rein. Die Bewegung der Hände ist geschickt, das Haar nicht
spröde noch auch zu stark, seine Farbe nicht schwarz, sondern
zwischen blond und schwarz.
z. Wer eine schöne Gestalt hat.
Wer einen wohlgestalteten, richtig gebauten Körper hat, ist
w^eder zu gross noch zu klein, nicht zu dick und nicht zu dünn.
Die Hautfarbe ist weiss mit einem leichten Stich in's Röthliche,
Hände und Füsse sind wohlproportionirt, nicht zu mager und nicht
7XL fleischig. Die Grösse des Kopfes soll der des ganzen Körpers
entsprechen, der Hals nicht zu lang sein. Das Haar muss die
Mitte halten zwischen weich und hart, auch ein klein wenig röthlich
gefärbt sein. Das Gesicht muss wohlgeformt, und sein Ausdruck
ein angenehmer sein, die Nasenlöcher grade, nicht zu gross und
nicht zu klein. Die Augen sollen zwischen schwarz und grün ge-
färbt sein, der Blick klar, der Augapfel etwas feucht.
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aa. Wer ein Freund der Weisheit ist.
Der liebt die Weisheit, der . mit wohlgebautem Körper auf-
gerichtet einhergeht, und dessen Hautfarbe weiss und ein wenig roth
gefärbt ist. Sein Haar ist nicht zu stark noch auch zu schwach,
zwischen schlicht und kraus, weich anzufühlen und zwischen schwarz
und weiss gefärbt. Sein ganzes Aeussere macht auf den, der ihn
erblickt, einen angenehmen, erfreulichen Eindruck. Seine Hände
sind wohlproportionirt, auch hat er getheilte Pinger. Ich verstehe
damit diejenige Fiugerbildung, bei der die einzelnen Glieder leicht
nach i'ückwärts gebogen sind, wie wenn sie in etwas losem Zusammen-
hang untereinander ständen. Die Stirn ist gross, die Augen haben
eine Mittelfarbe zwischen grün und schwarz.
bb. Wer stumpfsinnig ist.
Der Stumpfsinnige ist entweder sehr blass oder sehr dunkel
gefärbt, hat einen dicken Bauch und krumme Finger. Sein Gesicht
ist rund und sehr fleischig. Aber auch der ist nicht besonders klug,
dessen Hals und Füsse, wie überhaupt der ganze Körper, sehr
kräftig im Fleisch sind. Sein Bauch ist rund und hervorstehend,
seine Schultern nach dem Kopfe hin in die Höhe gezogen. Die
Stirn ist rund wie ein Ball, höckerig und fleischig. Die Kiefer sind
stark entwickelt, die Beine lang, das Gesicht gleichfalls in die Länge
gezogen, der Hals dick.
cc. Wer unverschämt ist.
Weit geöffnete, hervortretende und scharf blickende Augen
kennzeichnen den Unverschämten. Die Augenbrauen sind stark
entwickelt, die ganze Statur nicht übermässig gross. Beim Gehen
drückt er die Brust heraus. Die Schultern stehen hoch, die Be-
wegungen sind hurtig, die Körperfarbe ist wegen des Blutreichthums
der Haut roth. Das Gesicht ist rund, die Brust klein oder schmal,
hervortretend oder etwas höckerig. Auch der ist unverschämt, der
mit weit aufgesperrten Augen scharf um sich späht und viel schwätzt,
dd. Wer zum Zorn neigt.
Der Jähzornige hat ein unschönes, dunkelroth gefärbtes Gesicht
Die Gesichtshaut ist trocken und dürr, der ganze I^eib mager.
Das Antlitz ist von Runzeln bedeckt, das Haar schwarz und weich.
ee. Wer unkeusch ist.
Den Unkeuschen und Liebhaber des anderen Geschlechts er-
kennt man an der weissen, zart röthlich gefärbten Haut, dem reichen
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Haarwuchs, der »chwarzen Farbe des weichen Haares. Bei den
Ohren sind die Schläfen stark behaart, seine Augen sind gross.
flf. Wer einen weibischen Sinn hat.
Ein weibisch gesinnter Mann ist ungeduldig, gegen Schmerz
empfindlich, leicht verfährt und ebenso leicht bekehrt, ebenso rasch
erzürnt wie versöhnt. Bei allen Thieren sind neralich zumeist die
weiblichen Individuen äusseren Eindrücken leicht zugänglich. Sie
sind auch listiger wie die Männchen, leichter zum Handeln bereit
oder vorschnell und schamloser. So spricht Rhaazes. Die Frauen
haben auch einen kleineren Kopf, schlankeren Hals und zierlichere
Gesichtsbildung. Die Brust ist eng, die Schultern sind schmal, die
untere Parthie der Brust und die Wölbung derselben ist weniger
entwickelt wie beim Manne. Dagegen sind die Hüften und das
Gesäss breit angelegt. Die Beine sind klein, Hände und Füsse
zierlicher gebaut,
wie die Männchen.
zierlicher gebaut. Bei allen Thieren sind die Weibchen furchtsamer
gg. Von den Castraten.
Ein Castrat oder Kappaun, das heisst ein Manu, der der Zeugungs-
theile entbehrt, ist böse veranlagt, denn er ist thöricht, habgierig
und unüberlegt, und unternimmt in Folge dessen mehr, als er zu
leisten im Stande ist. Wer aber nicht absichtlich castrirt sondern
als Solcher geboren ist, oder dessen Genitalien ungenügend entwickelt
sind, ist einem Kappaun zu vergleichen, auch wächst ihm niemals
ein Bart. Solche Leute sind die bösesten unter Ihresgleichen.
50. Von den Träumen.
Nun wollen wir zum allgemeinen Besten auch noch einige
Mittheilungen machen über die Bedeutung einiger menschlicher
Traumvorstellungen. Wer häufig vom Regen träumt und im Traum
das Meer und fliessendes Wasser erblickt, hat viel wässrige Feuch-
tigkeit im Leibe. Ihm sind Bäder nützlich und ähnliche Mittel,
den Körper zu reinigen. Träumt Jemand von Feuer, Blitz und
Kampf, so hat er viel von der Materie im Leibe, die rothe Galle
genannt wird. Ein Uebermaass von Blut erregt Träume von rother
Färbung der Gegenstände, von frohen Festen und gutem Essen,
wie auch von Blutflüssen. Wer träumt, er sehe viel schwarze oder
braune Dinge und sich im Schlaf fürchtet und erschrickt, der hat
viel von der Materie im Leibe, welche schwarze Galle oder Melan-
cholie genannt wird. Träumt aber Jemand, er stehe im Schnee
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oder sonst wo an einem kalten Ort, so hat er zuviel Kälte im
Leibe. Umgekehrt deutet es auf zuviel Hitze, wenn man von einem
heissen Bade träumt oder glaubt, mau stehe in der brennenden
Sonne oder an einem grossen Feuer. Zu grosse Trockenheit und
Dünnheit des Blutes und der anderen Säfte erregt Träume von
Pliegenkönnen. Wer von einer schweren, drückenden Last träumt,
hat zuviel gegessen. Wer aber im Traum durch unsaubere und
übelriechende Stätten wandert, der hat viel faule und stinkende
Feuchtigkeit in sich. Dagegen ist es ein Zeichen für eine richtige
und ungetrübte Beschaffenheit der Leibessäfte und den völligen
Mangel aller zersetzten Materie, wenn man träumt, man gehe durch
Gärten oder durch wohlriechende Orte. Wer sich im Traum durch
enge Wege und Fenster durchwinden muss, leidet an Erkrankung
der Eöhren und Organe, die den Körper mit Luft versorgen sollen,
so dass sie nicht im Stande sind, so viel Luft einzuziehen, als für
das Wohlbefinden der sämmtlichen Organe nothwendig ist.
Das ist die Lehre des Bhaazes von den Träumen, die aus
der inneren Veranlagung des Menschen hervorgehen. Ein vernünf-
tiger Mann kann also aus seinen eigenen Träumen erkennen, wann
es ihm Noth thut, sich zur Ader zu lassen oder Arznei einzu-
nehmen. Andere Träume aber kommen von den Gedanken her, die
wir wachend hegen, einige auch sind bedingt durch den Einfluss
der Kraft der Gestirne, noch andere sind vom göttlichen Geist ge-
sandt, einige auch vom bösen Geiste eiugeblasen. Die Kunst, die
Träume zu deuten, ist eigenartig und umständlich, wir wollen unseren
Stoff nicht damit belasten.
Hiermit hat das erste Kapitel dieses Buches ein Ende. Das
folgende wird handeln von den vier Elementen, den Winden, dem
Regen, Thau, Schnee, Reif, Donner, Blitz und anderen elementaren
Vorgängen wie auch von den sieben Planeten. Im dritten Kapitel
wird die Naturgeschichte aller Thiere gebracht werden, die auf der
Erde gehen oder kriechen, im Wasser schwimmen und in der Luft
fliegen. Der vierte Abschnitt behandelt die Bäume und ihre Art,
der fünfte alle Kräuter und kostbaren Wurzeln. Das sechste
Kapitel bringt die Edelsteine, das siebente die Jletalle. Im achten
und letzten werden einige wunderbare Brunnen besprochen werden.
Wenn wir das Alles zu Ende führen, so haben wir ein gutes Werk
gethan, unserer lieben Frau zum Dienst und danach guten Freunden.
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II.
Von den Himmeln und den sieben Planeten.
1. Zunttchst Tom Saturn.
Ich weiche hier von der Anordnung meines lateinischen Textes
ab, weil derselbe in diesem Kapitel sehr verwirrt ist, und will zu-
nächst die Himmel und die Planeten, darauf die Elemente ab-
handeln. Viele Gelehrte, besonders die christlichen und jüdischen,
nehmen zehn übereinander geordnete Himmel an. Der erste und
oberste Himmel steht still und dreht sich nicht. Er heisst auf
lateinisch Empyreum, zu deutsch Feuerhimmel, weil er in
übernatürlich hellem Schein glüht und leuchtet. In ihm wohnt
Gott mit seinen Auserwählten. Der zweite Himmel von diesem
abwärts und uns zugekehrt heisst der erste Wälzer oder der
Kristallhimmel, weil er klar und hell wie ein Kristall ist. Einen
Stern findet man au ihm nicht. In einem Tage und einer Nacht,
also in vier und zwanzig Stunden, dreht er sich einmal um die
Erde. Der dritte Himmel heisst lateinisch Pirmamentum, zu deutsch
die Veste. Er ist nämlich der Stütz- und Haltepunkt für alle
Fixsterne. Er dreht sic^ der Sonne entgegen von Westen nach
Osten und vollbringt seinen Lauf einmal in sechsunddreissig-
tausend Jahren. Er wird auch der Sternhimmel genannt.
Es folgen die sieben Planetenhimmel, von denen jeder nur
einen Stern besitzt. Der erste heisst lateinisch Saturnus, zu deutsch
Gutjahr, weil er den Früchten und allem Lebendigen feindlich ist.
Eigentlich sollte er Stöhrjahr oder Hungerjahr genannt werden, aber
zum Spott nennt man ihn Gutjahr (denn er verdirbt Wein und
Korn), so wie man wohl einen missgestaltenen Menschen spottend
einen Engel nennt. Der Stern ist seiner Eigenschaft nach kalt
und trocken, sein Licht ist gering, sein Umlauf vollzieht sich in
Google
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dreissig Jahreil. Plinius bemerkt, dass alle Sterne ihre. Bahn von
links nach rechts durchlaufen, ausgenommen der Saturn, der immer
hurtig von rechts nach links zieht. Ich verstehe das so, dass er
immer grösstentheils dem Westen gegenüber steht, da er der Sonne
langsam folgt. Wenn man nun das Gesicht dem Sternbild des
Wagens zukehrt und den Hucken nach Süden, so hat man den
Stern zur rechten Hand. Die umgekehrte Deutung ist aber auch
richtig, denn es heisst weiter nichts anderes, wie dass der Stern
sich nur langsam bewegt. Den Grruiid dafür findet Plinius in dem
Umstände, dass ihn der Sternhimmel in seinem Umlauf hindert,
und weil er sich so langsam bewegt, ist er auch so sehr kalt;
schnelle Bewegung ist nemlich eine Ursache der Wärme.
Augustinus dagegen äussert sich in seiner Besprechung des Buches
Genesis dahin, dass die Ursache der Kälte des Saturn in den über
den Himmeln befindlichen W^assern zu suchen sei. Das ist aber,
mit Verlaub gesagt, ein Irrthum, da oberhalb der Himmel kein
Wasser sich vorfindet. Wäre Wasser dort vorhanden, das den
Stern so abkühlen könnte, so müsste diese Abkühlung doch zu-
meist den gestirnten Himmel treffen und dessen Temperatur so
herabsetzen, dass er die Erde so abkühlen müsste, dass weder die
Früchte, noch überhaupt ein lebendiges Wesen auf ihr aushalten
könnten. Wenn es aber in der heiligen Schrift heisst, dass über
den Himmeln Wasser vorhanden sei, so nehme ich an, dass hier-
mit der wasserklare Kristallhimmel zu verstehen ist, der sich un-
mittelbar über dem Sternhimmel befindet. Denke nicht, dass ich
klüger sein wolle wie Augustinus, aber er hat in seinen Schriften
doch anfänglich manche Behauptung ausgesprochen, die er weiter-
hin selbst widerrufen hat. Ich sage also: Der Stern Saturnus ist
seiner eigenen Natur nach kalt, weil Gott ihn so geschaflPeu hat.
3. Tom Jupiter.
Der zweite Planet heisst lateinisch Jupiter, deutsch Helfvater,
weil er von milder Art ist, warm und trocken oder vielmehr nur
massig feucht. Die Beiden: Wärme mit massiger Feuchtigkeit
gepaart, bilden den ersten Grund und die weiteren Bedingungen
für alles Leben. Deshalb macht der Jupiter alles Erdreich frucht-
bar und bringt ein gutes Jahr, wenn er in seiner vollen Kraft und
der günstigsten Stellung steht. Da er durch seine besonderen
Eigenschaften dem Saturn das Widerspiel hält, trotzdem dieser sein
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Vater genannt wird, weil er der nächste Planet über ihm ist, so
nennt man ihn aus Scherz den Helfvater, da er seinen Vater in
der Ausübung seiner Thätigkeit hindert. Der Name Helfvater kann
aber auch daher rühren, dass der Jupiter ein Vater und Helfer
für alle Früchte und alles irdische Leben ist. Der Commentator
der Sternkunst des gelehrten Marcianus sagt: Gäbe es weiter
keinen Stern als den Helfvater, so wären alle Menschen unsterblich.
Ich nehme au, dass er diese Annahme nur vom Standpunkte der
natürlichen Verhältnisse, nicht mit Berücksichtigung des götüicheu
Willens aufgestellt hat. Marcianus lehrt, dass der lupiter zu
allen Dingen heilsam sei und Krankheit in Gesundheit verkehre.
Der Stern vollbringt seinen Umlauf in zwölf Jahren.
3. Vom Mars.
Der dritte Planet führt lateinisch den Namen Mars, deutsch:
der Streitgott, weil er von sehr heisser und trockener Beschaifenheit
ist. In seiner günstigsten Stellung erhitzt er der Menschen Herz
und Leib und macht sie zoniig. Der Stern ist roth wie eine
glühende Kohle und vollendet seinen Lauf in zwei Jahren.
4. Von der Sonne.
Der vierte Planet führt lateinisch den Namen Sol, deutsch:
Sonne. Dieser Stern scheint und leuchtet am stärksten von allen
übrigen Gestirnen. In Folge dessen löscht er über Tage der
anderen Sterne Licht aus, so dass man sie nicht sehen kann. Die
Sonne vollendet ihren Lauf in dreihundertfünfundsechzig ein Viertel
Tagen. Scheint die Sonne des Morgens beim Aufgehen roth oder
trübe, oder ist sie unter den Wolken verborgen, so deutet das auf
Regen. Scheint sie dagegen Abends roth, so zeigt das für den
kommenden Tag schönes Wetter an. Es kommt daher, dass die
Sonne des Abends durch die Wolken scheint, die sie aus unserer
Atmosphäre mit sich herunter gezogen und so dieselbe gereinigt
hat. Wenn sie aber Morgens durch die Wolken scheint, so hat sie
die Wolken aus unserer Atmosphäre vor sich und die Luft ist
trübe. Erscheint die Sonnenscheibe konkav, in der Mitte am
hellsten und sendet sie ihre Strahlen seitwärts nach Süden und
Norden, so deutet es auf feuchtes, windiges Wetter. Ist der Schein
der Sonne bleich, so giebt es Wind ohne Regen. Die Sonne hat
fünfzehn besondere Eigenschaften. Sie strahlt in eigenem Licht
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und wirft ihren Sehein auf die anderen Dinge. Sie ist eine Quelle
oder ein Ursprung der Hitze. Sie zieht die Wolken an sich. Sie
ist ein Sinnbild der Farben. Sie erleuchtet den Mond. Sie bringt
Tag und Nacht. Sie zeitigt die Früchte. Sie trocknet angefeuchtete
Dinge wieder. Ihr Licht dringt ein, wo Du ihm aufthust. Sie
schmilzt das Eis. Sie erfreut gesunde und schädigt kranke Augen.
Sie geht auf und unter. Sie steigt auf und ab, denn im Sommer
steht sie hoch, im Winter niedrig. Diese fünfzehn Eigenschaften
finden wir wieder an der auserwählten Sonne, unserer lieben Frau
im Himmel. Salomo sagt von ihr im Hohenliede: Sie ist aus-
erwählt wie die Sonne. Unsere Frau erstrahlt im eigenen Glänze
aller Tugenden, aller Reinheit und aller Seligkeit. Darum heisst
es im Hohenliede: Wer ist die, die da einhergehet wie die Morgen-
röthe, die des Morgens aufgeht. Zum anderen streut unsere Frau
ihren Glanz aus in wunderbaren Werken und den Wohlthaten ihrer
Milde und Huld. Zum Dritten ist sie ein Quell der Wärme,
nemlich der heissen Liebe. Denn wir werden durch sie entzündet
wie von einem Ebenbilde der Liebe, da wir wissen, dass sie ihr
Kind so sehr liebt, wie denn Ambrosius spricht: Da sie ihr Kind
vor sich am Kreuze sah, hätte sie sich gerne an seiner Statt
kreuzigen und martern lassen, und war bereit, für ihren einge-
borenen Sohn unter dem Kreuz zu sterben. Zum Vierten zieht sie
die Wolken an sich, das sind die Menschen, die da fliegen mit
ihren guten Werken wie die Wolken und rufen: Ziehe mich zu Dir!
Zum Fünften ist sie ein Sinnbild der Farbe, denn im Finstern kann
Niemand eine Farbe erkennen und desshalb giebt das Licht erst
jeder Farbe ihre besondere Eigenthümlichkeit. So thut auch unsere
Frau, die den Reuigen und Büssern die violette, den Märtyrern die
rosenrothe, den Jungfrauen die lilienweisse Farbe giebt. Zum
Sechsten erleuchtet unsere Frau den Mond, das heisst die Christen-
heit in all ihrer Schwäche. Desshalb singt auch die christliche
Gemeinde von ihr: Du allein hast alle Bosheit und Ketzerei ver-
nichtet! Zum Siebenten bringt unsere Frau Tag und Nacht, das
heisst Gnade und Güte den Guten, die sich wieder zu ihr wenden
wollen, und Ungnade denen, die ihren Namen verunehren, wie die
verfluchten Juden. Zum Achten zeitigt unsere Frau die Früchte,
wenn wir uns befleissigen, ihr in tugendhaften Werken gleich zu
werden. Sie fördert unsere Bestrebungen erst zum vollen und guten
Ende. Zum Neunten trocknet sie die feuchten Dinge, wenn wir
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durch ihre Gnade fest und stetig werden in unserem guten Vorsatz
und uns gürten mit dem Gürtel der Keuschheit und Reinheit. Zum
Zehnten zieht unsere Frau ein, wenn Du ihr aufthust. Wenn Du
den Mund öifnest mit Bitten und Loben, so zieht sie in Deine
Seele und in Dein Herz ein mit Gnade und Milde. Ich kenne
^Niemand, der sie nicht lobt, es sei denn, er sei ihrer Gnade und
ihrer Gaben nicht theilhaftig geworden. Wisse, dass Wohlthun und
Nächstenliebe viel Liebe und Lob entzündet. Zum Elften zerschmilzt
sie das Eis, indem sie unser träges Gewissen erweicht und unser
unreines Hei"z in Thränen und Weinen aufrichtiger Reue zerfliessen
lässt. Zum Zwölften erfreut sie die gesunden Augen, indem sie
die guten und wahrhaften Christen erleuchtet, damit sie die Gnade
der himmlischen Freuden erkennen können. Zum Dreizehnten be-
trübt sie die bösen, kranken Augen, so dass sie ihre Klarheit nicht
erkennen können, bei denen, die ihre Gedanken und ihren ganzen
Fleiss nur auf irdische Lust richten. Solche Manschen mögen ihre
reiche Gnade und süsse Milde nicht ansehen. Zum Vierzehnten
geht sie auf und unter. Denn bei der Geburt ihres ersten, ein-
geborenen Sohnes, unseres Herrn Jesu Christi, ging sie auf am
Himmel der Seligkeit für das ganze Menschengeschlecht, und sie
ging wieder unter in dem grossen Sch^ierz, den sie beim Tode
und dem Leiden ihres lieben Kindes empfand. Da neigte sie sich
und neigt sich auch heute noch zu allen den Herzen, die ihr Leiden
unter dem Kreuz betrachten. Zum Fünfzehnten schwebt unsere
Frau auf und nieder. Sie schwebte zuerst nach oben, als sie von
ihrem lieben Sohne zur ewigen Freude aufgenommen wurde. Seit-
dem schwebt sie alle Tage und jeder Zeit hernieder, wenn sie für
uns arme Sünder ihre Gnade über das Erdreich ergiesst, als unsere
Fürbitterin bei dem obersten Richter.
Eine weitere Eigenschaft der Sonne ist noch die, dass sie viel
grösser ist als das ganze Erdreich. Der Sternseher Alfraganus
sagt, sie sei hundert und sechszig Stunden grösser wie die Erde.
So besitzt auch unsere Frau sieben Würden, mit denen sie alle
irdischen Jungfrauen übertriflFt, und durch die sie erhöht ist über
die Chöre der Engel. Die erste Würde ist die, dass sie Keuschheit
gelobte in ihrer Antwort auf den englischen Gruss. Denn als der
Engel sprach: Siehe Du wirst schwanger werden und einen. Sohn
gebären, da antwortete sie: Wie soll das geschehen, da ich keinen
Mann erkenne.^ Das heisst, wie die Kirchenlehrer sagen, so viel
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wie: Ich will niemals eiiieu Mann erkennen. So gebrauchen wir
beim Sprechen auch häufig die Gegenwart für die Zukunft, z. B.
wenn Du mich auf den künftigen Sonnabend zum Mittagessen eiu>
ladest und ich sage: ich esse Sonnabends kein Fleisch, so heisst
das doch: ich will kommenden Sonnabend kein Fleisch essen. Die
zweite Würde ist die, dass sie als reine Jungfrau schwanger war.
Denn der Engel sprach zu ihr: Der heilige Geist wird über Dich
kommen, davon wirst Du schwanger werden ohne Mannes Gemein-
schaft. Die dritte Würde ist die, dass sie die Gottesgebärerin ist,
wovon Ovidius von ihr und ihrem Kinde sagte: Ein neues Kind-
lein wird jetzt vom hohen Himmel herabgesandt. Nun siehe, wie
selig unsere Frau sich vorgesehen hat, als sie für sich selbst das
beste Theil auserwählte von den beiden Dingen, der Ehe und der
Keuschheit. Die Ehe hat zwei Eigenschaften, sie ist fruchtbar und
unrein in ihren Werken. Ebenso hat auch die Keuschheit zwei
Eigenschaften, sie ist unfruchtbar und lauter und rein. Nun hat
unsere Frau der Ehe die Fruchtbarkeit und der Keuschheit die
Reinheit entnommen. Die anderen beiden Eigenschaften hat sie
verschmäht. Die vierte Würde ist die, dass sie alle ihre Tage ohne
Makel war. Denn da sie ein Beh<niss und auserwählten Saal des
obersten Gottes darstellte,« war es billig, dass das göttliche Gewiss
allezeit duftete nach dem Schatze, der darin war. Davon spricht
auch Sankt Augustinus im Buche von der Güte der Ehe: Alle, die
von Adam und Eva geboren werden sind gebunden zu sprechen:
Vergieb uns unsere Schuld! ausser der seligen Jungfrau. Ich will
nicht davon reden noch auch dessen gedenken,- was man von den
Sünden sagt, die er ihr zugelegt hat um der Ehre unseres Herrn
willen. Die fünfte Würde ist die, dass sie begnadigt ist mit allen
Tugenden. Desshalb sprach der Engel: Gegrüsset seist Du, voller
Gnaden! und Salomo sagt von ihr, als ob sie von sich selber
redete: In- mir ist alle Gnade des rechten Weges und der Wahr-
heit. Die sechste Würde ist, dass sie ihrem Sohne gebietet wie
eine Mutter ihrem Kinde gebieten soll. Davon sagt der Meister
Adam von Sankt Victor in seiner Sequenz^) von unserer Frau:
ora patrem, jube nato, das heisst: bitte den Vater, gebeut dem
Sohne. Die siebente Würde ist aus alle den anderen hervorgegangen^
*) Ein Theil der zur Feier der Messe gehörenden Gesänge wird so
genannt.
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Sie liegt darin, dass sie über allen Himmeln erhöhet ist, als sie mit
Leib und Seele aufgenommen wurde in die ewige Freude. Desshalb
sagt Johannes von ihr in der Offenbarung: Der Mond ist unter
ihren Füssen, das heisst: alle vergängliche Kreatur.
5. Von der Yenas.
Der fünfte Planet heisst lateinisch Venus, zu deutsch: der
Morgenstern, weil er morgens vor der Sonne aufgeht. Er heisst
auch der Mettenstem, weil er zur Zeit der Mette mit hellem Licht
aus den Wolken hervorbricht. Man nennt ihn auch den Abend-
stern, wenn er des Abends nach Sonnenuntergang aufgeht, auch
führt er dann den Namen: der Thierstern. Um diese Tageszeit
kommen nemlich die wilden Thiere, die am Tage sich nicht heraus
wagten, aus den Wäldern und Höhlen hervor und suchen ihre Nahrung.
Endlich nennt man ihn auch den Stern der Minne, weil er seine
Kinder, es sei Frau oder Mann, der liebe geneigt macht. Desshalb
nennen die verliebten Leute die Göttin der Liebe Venus. Dieser
Name ist in erster Linie von unserem Stern entlehnt. Es sagt wohl
Mancher: Venus hilf! der gar nicht weiss, was Venus ist. Endlich
führt er noch den lateinischen Namen Lucifer, Lichtträger, weil er
ein angenehmes Licht ausstrahlt, das eines Jeden Herz erfreut, der
ihn ansieht. Der Stern vollbringt seinen Lauf in dreihundert und
achtundvierzig Tagen, also beinahe in der gleichen Zeit wie die
Sonne. Der Stern hat acht edele Eigenschaften. Die erste ist, dass
er ein schönes Licht hat. Die zweite, dass er Thau bringt. Die
dritte, dass er das Herz der Menschen erfreut, die ihn betrachten.
Die vierte ist, dass er wacht oder vielmehr die Leute aufweckt, dass
sie mit Tagesanbruch sich erheben. Die fünfte ist, dass er angenehm
and lustig anzusehen ist, die sechste, dass er morgens vor der Sonne
aufgeht. Die siebente Eigenschaft ist die, dass er dem Mond in der
Zeit seiner Glanzlosigkeit folgt, wenn der Mond von der Sonne weg
dem Morgenstern voran kommt. Die achte ist die, dass er im
Winter des Morgens sichtbar ist, im Sommer dagegen nicht. Für
uns ist der Morgenstern das Sinnbild eines jeden heiligen Lehrers,
der den Leuten das Wort Gottes verkündet und danach handelt und
lebt. Ein Solcher besitzt die eben besprochenen acht Eigenschaften.
Zunächst leuchtet sein Licht hell, desshalb spricht auch unser Herr
zu seinen zwölf Aposteln und allen seinen Jüngern: Ihr seid das
Licht der Welt! und weiterhin: Eure Werke sollen scheinen! und
Scholz, Konrad von Hegen berg*B Buch der Natur. 4
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auch: Brennende Leuchter sollen sein in euern Händen! Darum
leuchten die heiligen Lehrer im Glanz aller ihrer Tugenden. Die
andere Eigenschaft ist, dass sie mit dem heiligen Gotteswort den
andächtigen Herzen Thau bringen, der in ihnen Blumen hervorbringt
und Früchte der ewigen Seligkeit. Desshalb sagt der heilige
Gregorius: Das finstere Wasser in den Wolken der Luft ist die
dunkele Wissenschaft in den Sprüchen der Propheten. Die dritte
Eigenschaft ist, dass die heiligen Lehrer mit ihrem schönen Ijicht,
das heisst mit ihrem reinen Leumund und ihrem ehrbaren Wandel
den erfreuen, der da sitzt in der Finsterniss der Sünde und des
Irrthums. Zum Vierten sind sie allezeit wachsam in der Furcht
Gottes. Darum spricht unser Herr: Selig ist der Knecht, den sein
Herr wachend findet, wenn er zu ihm kommt. Die fünfte Eigen-
schaft ist die, dass ein jeder heiliger Lehrer einem vernünftigen
Menschen einen erfreulichen Anblick gewährt, denn er blüht herz-
lich schön in seinen Tugenden 'und Werken, gerade wie ein mit
Blütheu bedeckter Mandelbaum im Mai. Die sechste ist, dass er
vor der Sonne aufgeht. Denn ein jeder heiliger Lehrer geht vor
der göttlichen Sonne der höchsten Gerechtigkeit einher wie ein
Ritter vor seinem Herrn, der die Feinde seines Herrn tödtet mit
einem zweischneidigen Schwert. Denn die heiligen Lehrer tödten
die Menschen in ihren weltlichen Werken und machen sie lebendig
in Gott. Zum Siebenten folgt der heilige Lehrer dem Mond in
seiner Glanzlosigkeit, indem er Mitleid fühlt mit der Christenheit in
ihrer Schwäche. Darum sagt der heilige Paulus: Wer siebet und
ich sehe nicht? Endlich leuchtet der heilige Lehrer im Winter und
im Sommer nicht. Das soll heissen: in seineu, ihm durch den
Willen Gottes verhängten Leiden leuchtet er mit der Wärme seines
festen Glaubens an Gott, die Leute aber erkennen diese oft nicht,
wenn die heiligen Lehrer von Anfechtung verschont sind.
6« Vom Mercarlas.
Der sechste Planet wird lateinisch Mercurius genannt, zu deutsch
der Kaufherr oder der Eaufleute Herr. Die Kinder nemlich, die
unter seinem Einfluss gezeugt werden, sind redegewandt, denn Rede-
gewandtheit ist eine Eigenschaft der Kaufleute. Auf griechisch
heisst er auch Stilbon, auf deutsch : der gute Tropfen, weil er Gnade
ausgiesst und herabtropfen lässt über die Kinder, deren Herr er ist.
Der Stern vollbringt seinen Lauf in dreihundert und sechsunddreissig
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Tagen oder doch nahezu in dieser Zeit. Einige sagen auch, dass
er beim Kaufgeschäft glückbringend sei.
7. Tonil Hdnd.
Der siebente und der Erde zunächst befindliche Planet heisst
lateinisch Luna, was auf deutsch so viel bedeutet wie ein Stern,
der in frenidem Lichte leuchtet. Der Mond be]^ommt nemlich sein
Lieht TOB der Sonne und hat aus sich selbst keins. Jedoch sagen
einige alte Meieter, die eine Hälfte der Mondkugel sei durch eigenes
licht erleuchtet^ die andere dagegen finster, und die Mondkugel
drehe sich unablässig, bis die erleuchtete Hälfte auf uns herabr
scheine, danach werde dann die finstere Hälfte uns zugekehrt Das
ist aber falsch, und die grossen Gelehrten sind anderer Ansicht,
wie auch der heilige Augustinus in dem Sendschreiben an seinen
Freund Januar ins sagt, dass der Mond yon der Sonne erleuchtet
werde. Wenn die Erde zwischen dem Mond und der Sonne sich
befindet, verliert der Mond sein Licht, die Sonne kann dann ihrex^
Schein nicht auf don Mond werfen. Deshalb niuss er dann finster
sein. Steht der Mond der Sonne grade gegenüber, so ist er voll,
bescheint ihn die Sonne von der Seite, so ist er nicht ganz voll.
Steht er aber gar unter der Sonne, so hat er an der uns zuge-
kehrten Hälfte gar kein Licht, weil die Mondkugel dick und un-
durchsichtig ist und das Sonnenlicht nicht durchlassen kann wie
etwa ein Glas oder sonst ein durchscheinender Gegenstand. Der
Mond vollbringt seinen Lauf in dreissig Tagen, wie unser Buch
angiebt oder in siebenundzwanzig Tagen, wie die Sternseher sagen.
Der Mond ist viel kleiner wie die Sonne, erscheint uns aber ebenso
gross, weil er uns viel näher ist wie die Sonne. Es liegen ja, wie
oben gesägt, zwei Himmel zwischen dem Sonnen- und dem Mond-
himmel, nemlich der Morgenstern- und der Kaufherrnhimmel. Im
Mond sind schwarze Flecken und die Laien sagen, es sitze ein
Mann mit einer Dornenwelle im Mond. Das ist aber nicht wahr.
Der Grund dafür ist vielmehr der, dass die Mondoberfiäche an
diesen Stellen dicker ist wie an den anderen. In Folge dessen
nimmt er dort das Licht der Sonne nicht auf, und es erscheinen
uns diese Parthieen dunkel. Der Mond ist ein Yater und Meister
aller Feuchtigkeit, desshalb finden sich im Orient einige Gewässer,
die mit dem Zu- und Abnehmen des Mondes steigen und fallen.
Alle Feuchtigkeit nemlich nimmt mit dem Wachsen des Mondes zu,
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bei lebendigen Dingen ebenso wie bei uubeseelten. Auch alle, mit
zu grosser Feuchtigkeit einhergehenden Krankheiten, wie die Wasser-
sucht und ähnliche Leiden werden bei wachsendem Mond schlimmer.
Einige Thiere sind gleichfalls bei zunehmendem Monde stärker wie
bei abnehmendem, wie man bei den Wölfen sehen kann, die bei
wachsendem Mond eifriger jagen als sonst. Auch die kriechenden
Thiere, welche giftig sind, sind dann gefährlicher, wie zu anderer
Zeit. Das Haar wächst um die Zeit des zunehmenden Monde»
gleichfalls besser wie sonst. So lange der Mond von Osten bis zur
Mitte des Himmels zieht, kommen alle Meerthiere und alle kriechen-
den Geschöpfe aus ihren Schlupfwinkeln hervor, und wenn der Mond
sich dem Untergang zu neigt, verbergen sie sich wieder.
Zu beachten ist, dass die Nacht bei Vollmond, wie Aristoteles
angiebt, wärmer ist wie sonst, weil dann der Mond heller scheint.
Der Stemseher Albumasar sagt: Wenn Jemand bei Nacht lange
im Mondschein sitzt oder schläft, so wird er träge und schwerfilllig,
bekommt Husten und in vielen Fällen gichtische Schmerzen im Kopf-
Scheint der Mond auf das Fleisch geschlachteter Thiere, so wird es
unschmackhaft. In dem mir vorliegenden Buche findet sich auch
die Angabe, dass wenn der Mondschein durch ein enges Fenster auf
die Rückenwunde eines abgetriebenen Pferdes falle, das Pferd ein-
gehe, wogegen es durchkomme, wenn es im vollen Mondlicht stände^
Das Haupt und Gehirn des Menschen sind gleichfalls vom jeweiligen
Verhalten des Mondes sehr abhängig, wie man bei den Leuton sehen
kann, deren geistige Störung nach dem Mondstande zu- und ab-
nimmt. Rothe oder blasse Färbung des Mondes deutet auf ver-
änderliches Wetter, gerade wie bei der Sonne. Der Mond mildert
die Hitze der Sonne, erhellt die Nacht und ist von allen Sternen
der Erde am nächsten. W^ir können aber alle Eigenschaften des
Mondes zusammenfassen und vergleichen mit zehn Tugenden,' die
unsere liebe Frau besitzt.
Der Mond ist zunächst ein Vater aller Feuchtigkeit. Ebenso
ist unsere liebe Frau eine Mutter aller Gnaden, wie vorher bei der
Sonne gesagt ist. Weiter kühlt der Mond der Sonne Hitze, und
ebenso sänftigt unsere liebe Frau den Zorn des obersten Richters.
So lesen wir vom Theophilus, der sich dem Teufel ergeben hatte
und Gott verleugnete: den brachte unsere Frau wieder zurück, wie
sie manchen Sünder zurückgebracht hat. Drittens verliert der
Mond sein Licht, wenn er die Sonne verlässt. So verlor auch
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unsere liebe Frau ihren Glanz, in dem sie leuchtete durch die
Gegenwart ihres Kindes und ihre Mutterfreude, als ihr Sohn, die
wahre Sonne der Gerechtigkeit, am Kreuze starb. Desshalb schreibt
auch der Evangelist Lukas, dass Simeon zu ihr im Tempel sprach:
Ein Schwert wird durch Deine Seele dringen! Damit meinte er das
Schwert des bitteren Schmerzes, den sie unter dem Kreuz litt.
Viertens giebt die Sonne dem Mond sein Licht. So gab auch unser
Herr unserer Frau Licht und Gnade, als er ihr seinen heiligen
Oeist sandte. Davon sagen einige Schriftgelehrte, dass Joseph ihr
Angesicht nicht anzusehen wagte, so lange sie schwanger war; und
ebenso spricht Matthäus, dass Joseph sie nicht erkannte, bis sie
ihren ersten Sohn geboren hatte. Zum Fünften erleuchtet der
Mond die Nacht. So erleuchtet unsere liebe Frau die heilige
Christenheit, und man singt von ihr: Freue Dich, Maria,- reine
Magd, denn Du hast alle Ketzerei Vertilgt! Sechstens erhellt der
Mond die Erde, wenn die Sonne untergegangen ist. Denn wenn
die Sonne unter der Erde steht und der Mond über ihr^ so vertritt
der Mond die Stelle der Sonne. So that auch unsere Frau: als
unser Herr gen Himmel fuhr liess er sie auf Erden zurück als
einen Trost und leuchtendes Vorbild für seine Jünger. Desshalb
sagen die heiligen Lehrer, dass Lukas das Evangelium nach ihrer
mündlichen Mittheilung geschrieben habe. Siebentens ist der Mond
unter allen Planeten der Erde am nächsten. So ist auch unsere
liebe Frau uns die gnädigste von allen Heiligen und eine Mittlerin
und Fürsprecherin zwischen Gott und dem Sünder. Achtens nimmt
der Mond zu und wächst. So wuchs auch unsere liebe Frau und
nahm zu von der Zeit an, da ihr die göttliche Botschaft geworden
war, und die Zunahme hörte auf, als sie ihren Sohn gebar.. Sie
nahm aber auch, wie vorher gesagt, ab, als ihr der Trost der
Oegenwart ihres Kindes genommen wurde und sie es für diese Welt
verlor. Von der Zeit nahm sie nicht mehr ab, als sie zur ewigen
Freude aufgenommen wurde, denn dort ist sie die schönste von
allen Frauen und dem höchsten Herrscher die allerliebste, ohne
alles Gebrechen in ganzer Vollkommenheit. Wie aber der Mond
zum Neunten scheint und leuchtet, so erstrahlt unsere liebe Frau in
Keuschheit und Beinheit des Leibes und der Seele, also in doppelter
Reinheit. Desshalb nennt auch ihr Bräutigam im hohen Liede sie
zweifach schön, wenn er zu ihr spricht: Wie gar schön Du bist,
meine Freundin, wie gar schön Du bist! Zehntens theilt der Mond
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durch sein Scheinen die Zeit ein, und so theilt unsere liebe Frau
die Zeit der Gnade und der Ungnade, denn sie hat uns die Gnaden-
zeit gebracht und vertilgt die Zeit der Ungnade.
8. Ton den Planeten in Ihrer ftesammthelt.
Das sind die sieben Planeten, hier nacheinander aufgeführt io
der Reihenfolge, wie ihre sieben Himmel über einander stehen.
Ein Planet ist nach dem Sinn der griechischen Sprache so viel wie
ein irrender Stern oder ein Stern, der eigene Bewegung hat. Die
sieben Planeten drehen sich nemlich aus eigener Kraft, jeder in
seinem Himmel, und sind nicht am Sternhimmel befestigt.
Hierüber will ich nun weiter Nichts mehr sagen. Will Einer
mehr davon wissen, so verschaffe er sich und lese das deutsche
Buch^ dass ich von der Gestalt der Welt geschrieben habe. Es
heisst „die deutsche Sphaera" und fängt an mit den Worten:
Fliess in mich, aller Gnaden Quell!
darin findet man viele schönen Dinge.
9. Vom Fener.
Es ist nun an der Zeit, dass wir von den vier Elementen
sprechen. Der Elemente giebt es vier: Feuer, Luft, Wasser und
Erde. Das Feuer ist heiss und trocken und es erstreckt sich sein
Bereich rund um die Erde zunächst dem Himmel des Mondes.
Das Feuer ist unsichtbar wie die Luft, aber viel leichter beweglich
als diese. Es verbrennt auch die Dinge auf der Erde nicht, weil
es fern von ihnen ist und auch, weil die Luft es durch ihre Eigen -
kraft mildert. Die Eigenschaften des Feuers können wir in acht
Punkten zusammenfassen. Zunächst wirkt es zerstörend und ver-
nichtend, wie wir an den Gegenständen wahrnehmen, die es verbrennt.
Zweitens wirkt es erweichend, wie wir am Blei und anderen Metallen
beobachten können. Drittens zieht es zusammen, wie an feuchten
Häuten und am Leder zu sehen ist. Viertens macht es die Dinge
stark und fest, wie wir an den weichen Gefässen sehen, die die
Töpfer aus Thon oder Lehm herstellen. Fünftens erhellt das Feuer
die Finsterniss, wie wir an dem Feuer sehen, welches mit einer
Flamme brennt. Zum Sechsten erschreckt es, wie wir beim Blitz
sehen. Siebentens zündet es, wie man an vielerlei Dingen be-
obachten kann. Endlich erfreut es und macht die Leute froh, wie
wir es in der kalten Winterszeit wahrnehmen. Diese acht Eigen-
thümlichkeiten des Feuers gleichen den Werken des heiligen Geistes.
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Der heilige Geist wird wohl ein Feuer genannt, desshalb sagt unser
Herr Jesus Christus: Ich bin gekommen, ein Feuer auszusenden.
Dieses Feuer verzehrt zunächst den Rost der Sünde. Darum sagt
die Schrift: Unser Herr ist ein verzehrendes Feuer. Die zweite
Thätigkeit des heiligen Geistes besteht darin, harte Dinge zu er-
weichen, wie z. B. harte, steinerne Herzen. Darum spricht auch
Hesekiel durch den Mund Gottes: Ich will das steinerne Herz von
Euch nehmen. Drittens trocknet der heilige Geist den Strom der
Unfceuschheit aus, grade wie die Sonne, die eine Quelle der Wärme
ist. Desshalb spricht Salomo im Buche der Weisheit: Die Sonne
ist aufgegangen und macht das Erdreich dürr. Viertens stärkt der
heilige Geist unsere schwachen und hinfälligen Werke und giebt
unseren kurzen Vorsätzen Dauer. Darum heisst es in der Schrift:
Die Gefässe des Töpfers bestätigt der heisse Ofen. Fünftens er-
leuchtet der heilige Geist die Finstemiss, das sind die in der
Dunkelheit befindlichen Herzen. Darum sagt Moses im Buche vom
Anfang der Welt: Gott sah das Licht, dass es gut war und schied
das Licht von der-Finsterniss. Sechstens erschreckt und straft der
beilige Geist die Sünder. Davon redet die heilige Schrift im Buche
der Apostel: Als die Stimme des heiligen Geistes am Pfingsttage
gehört wurde, erschraken unseres Herrn Jünger alle; und auch im
Evangelium heisst es, dass der heilige Geist die Welt straft um ihrer
Sünde willen. Das siebente Werk des heiligen Geistes ist, die
Menschen zu entzünden zur Liebe gegen Gott und den Nächsten. Zum
Achten tröstet der heilige Geist die betrübten Herzen und erfreut
die armen Verlassenen auf dieser Welt. Davon sagt die Schrift:
Der heilige Geist ist ein Paraklet, das ist ein Tröster.
Das Feuer besitzt noch weitere sieben Eigenschaften. Erstens
ist es leicht beweglich. Zweitens ist es trocken, drittens rein.
Viertens kann man es unterhalten und vor dem Verlöschen bewahren
durch Aufdecken von leichter, loser Asche. Seine fünfte Eigenheit
ist das leichte Umsichgreifen. Sechstens hat es die Art, nach oben
zu steigen. Siebentes wird es schon von wenig Wasser gedämpft.
Diese sieben Eigenthümlichkeiten des Feuers können wir auch
den Werken des heiligen Geistes vergleichen. Zunächst ist auch
der heilige Geist leicht beweglich, dringt rasch ein in die zu seiner
Aufnahme geschickten Seelen und lässt sie von Tugend zu Tugend
weitergehen. Zum Anderen ist der Geist trocken in seinen Werken,
denn er trocknet das unbeständige Wesen aus, das von Bosheit und
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Aerger fliesst, und bringt Keuschheit und auch Beständigkeit.
Drittens ist er rein, denn er kann nicht verunreinigt werden. Davon
sagt Salomo im Buche der Weisheit: Er rührt aller Enden an,
seiner Reinheit wegen. Die vierte Eigenheit des heiligen Geistes
ist die, dass man ihn bedecken und erhalten kann unter der Asche
der Demuth. Davon spricht Jesaias: Du gefangene Tochter Zion
sitzest in der Asche, das heisst in Demuth. Fünftens breitet sich
der heilige Geist leicht aus. Desshalb sagt die Schrift von ihm-
Der Geist fährt schnell dahin. Siebentens wird der heilige Geist
geschwächt durch eine kleine Menge Wasser, das heisst durch ein
wenig Wollust und Unkeuschheit^ denn da, wo viel Wasser ist,
wohnt der Teufel Behemoth. Dann flieht der heilige Geist von
dannen, da er keine Unreinheit an sich duldet. Desshalb sagt der
heilige Bernhard: Der göttliche Trost ist zart. Aristoteles be-
merkt auch noch vom Feuer: Was vom Feuer entfernt ist, kann
wohl erleuchtet aber nicht entzündet werden.
Es giebt drei Arten von Feuer. Die erste ist das Licht, die
zweite die Flamme, die dritte die Kohle. Das Licht ist so, wie wir
es an den Sternen wahrnehmen, die nach der Anschauung der alten
Meister feuriger Natur sein sollten. Die Flamme ist ein ange-
zündeter Rauch, der von Holz oder anderen brennenden Dingen
aufsteigt. Eine Kohle ist ein brennender Gegenstand, der keine
Flamme giebt, wie wir an den glühenden Kohlen sehen können.
Das Feuer hat die Art, dass es die Materie, mit der es ar-
beitet, zu Asche macht, vorausgesetzt, dass sie dem Feuer nicht
widersteht. Ohne Materie, in der es wirken kann, vermag das Feuer
nicht zu bestehen, ausgenommen an seinem ihm von der Natur an-
gewiesenen Platz zunächst unter dem Monde. Das Feuer verzehrt
sich nicht selbst, wohl aber die anderen Dinge. Die weisen Lehrer
sagen, dass der heilige Geist ebenso sich verhalte, weil er die Sünde
verzehrt, die Nichts von seinem Wesen bildet. Je härter die Sub-
stanz ist, in der das Feuer sich findet, um so stärker und heisser
ist es, denn es ist hitziger im Eisen wie in einer Holzkohle, und in
einer Kohle hitziger wie im Stroh oder den Stoppeln. So brennt
auch der heilige Geist stärker in denen, die reich an Tugenden
9ind als in denen, mit deren Tugend es schwach bestellt ist. An
giiinem Holz entzündetes Feuer brennt stärker wie an dürrem Holz,
denn es muss in grünem Holz stärker arbeiten wie an dürrem. So
verhält es sich auch mit dem heiligen Geist, der in der Seele der
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jungen Leute stärker wirkt, wenn sie von Jugend au bis an ihr
Ende sich in der Tugend üben, wie in der Seele der Alten, die
ihren guten Wein verkauft haben und Gott nur die Hefe geben
können. Das Feuer brennt einen Stein zu Asche. So thut auch
der heilige Geist, wenn er einen in der Glut der Reue verbrannten
Sünder zur Asche der Demuth verwandelt. Das beweisen uns recht
Maria Magdalena, Afra und viele andere grosse Heilige, die vor-
dem grosse Sünder waren. Einige weisse Dinge macht das Feuer
durch seine Glut schwarz. Ebenso thut der heilige Geist, indem er
den Schein und die Lust dieser Welt schwärzt und sie der von Gott er-
füllten Seele zuwider werden lässt. Du sollst auch wissen, dass
ein mit dem heiligen Geiste erfüllter Mensch einer brennenden Kerze
gleicht. Die Kerze nutzt mit ihrem Lichte anderen Dingen zu ihrem
eigenen Schaden, da sie in der Flamme abnimmt* So verhält es sich auch
mit einem geheiligten Menschen, der um so mehr Hass und Leid
in der Welt erfährt, je mehr Gutes er ihr erweist. Darum sprach
unser Herr zu seinen Jüngern: Selig seid ihr, wenn Euch die
Welt hasst! Die Flamme der Kerze wird vom Winde ausgelöscht.
So flieht auch der heilige Geist oft durch das Anblasen und die
Lästenmgen der Welt, durch die mancher Mensch verkehrt wird.
Zuweilen geht die Flamme auch in Folge zu reicher Nahrung aus,
wie man an den Ampeln sieht, wenn zuviel Oel darin ist. So er-
löscht der heilige Geist oft in dem Menscheji, der zu viel Reichthum
besitzt und sein Herz nicht von ihm abkehren mag. Das Feuer
löscht oft von zu starkem Anblasen aus, wogegen es durch massiges
Blasen wieder angefacht werden kann. So erlöscht auch häufig
der Geist der heiligen Hoffnung durch zu grosse und schwere
Busse, mit der der Beichtiger den Sünder schreckt, und wird wieder
angefacht durch eine gemässigte, sanfte Ermahnung. Wenn das
Licht des Feuers ausgeht, so stinkt der danach auftretende Rauch.
Ebenso kommt der Rauch hervor, wenn der heilige Geist von einem
Menschen flieht. Das Feuer vermag ohne die ihm eigene Hitze
und Trockenheit nicht zu bestehen, ebenso duldet auch der heilige
Oeist keine ünreinigkeit. Das Feuer ist weithin sichtbar und be-
wirkt, dass es selber und mit ihm auch andere Gegenstände sichtbar
-werden. Ebenso verhält sich der heilige Geist: er kommt Tom
höchsten Gott in des Menschen Seele und bewirkt, dass der Mensch
sich selbst und die Aussenwelt erkennt. Deshalb heisst es im Liede
vom heiligen Geist, dass er aller Dinge Wissen und Stimme habe.
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Eine brennende Kerze hält ein Betrunkener für zwei: so hat ein
vom heiligen Geiste trunkener Mensch, der die üeppigkeit dieser
Welt verachtet, doppelte Freude von einer Gabe des heiligen
Geistes. Das Feuer wird angefacht oder brennt, wenn man die
Kerze aufrecht hält, und geht aus, wenn man sie umkehrt. So
wird der heilige Geist im Menschen entzündet, wenn sich der
Mensch zu Gott emporkehrt und erlischt in der Seele desselben
Menschen, wenn er sich abwärts neigt zur Bosheit dieser Welt. Das
Feuer währt so lange, wie der Gegenstand andauert, welcher brennt,
und an dem das Feuer haftet. So dauert die Liebe zu Gott und
den Menschen ebenso lange au, wie der Gegenstand der Liebe an-
dauert, es sei denn, dass der Liebhaber sein Lieb verlässt oder
ihm entfremdet wird. Die Hitze des Feuers ist grösser, wenn der
brennende Gegenstand gross ist, wie umgekehrt. So sind des
heiligen Geistes Werke stärker bei einem an Tugend reichen
Menschen wie bei einem, der nicht so viel Tugend besitzt.
Alfraganus sagt, dass das Feuer die Schmerzen lindere, die von
der Hitze herrühren. Wir sehen das, wenn Jemand sich den
Finger verbrannt und ihn darauf dem Feuer wieder nähert, der
Schmerz wird dann geringer wie vorher. So sänftigt der heilige
Geist die Seelenschmerzen, die die Glut dieser Welt hervor-
gerufen hat.
10. Ton der Lnft.
Die Luft ist von Natur warm und feucht, aber ihre Wärme
ist geistigerer Art wie die des Feuers, so dass man sie in der Luft
weniger gut empfindet wie beim Feuer. Ebenso ist auch die
Feuchtigkeit der Luft mehr geistiger Art, so dass man sie nicht so
wahrnimmt wie im Wasser. Die Luft ist das dem Feuer nächste
Element. Wo das Bereich des Feuers endigt fängt das der Luft
an, und die Luft geht rund um das Meer und die Erde, grade wie
das Weisse im Ei den Dotter umgiebt. So hat Gott die Elemente
geordnet: das leichteste von ihnen, das Feuer, befindet sich zu
Oberst. Danach ist die Luft leichter wie das Wasser oder die Erde,
desshalb ist sie dem Feuer am nächsten. Die Luft hat drei Reiche.
Das erste grenzt unmittelbar an das Feuer und ist warm und viel
trockener wie die anderen Bezirke der Luft, eben weil es dem
Feuer nahe ist. Das zweite Reich ist sehr kalt, weil es vom Feuer
entfernt ist und auch desswegeu, weil das Licht der Sonne und der
f&rigen Sterne in ihm sehr zerstreut ist. Das dritte Reich grenzt
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an die Erde und das Was&er und ist aus dem Grunde viel wärmer
wie das mittlere, weil das Sonnenlicht von der Erde und dem
Wasser zurückgeworfen wird wie von einem Spiegel.
Nun ist zu beachten, dass in den drei Reichen der Luft viele
wunderbare Dinge geschehen. In dem obersteu, das höher ist wie
alle Berge, sieht man von Zeit zu Zeit einen Stern, der einen
Schopf oder Schwanz führt. Im zweiten Reich beobachtet man
Nachts mancherlei Peuererscheinungen, z. B. fährt eine derselben
am Himmel hiii wie ein langer Wagenbaum, was die Laien den
Drachen nennen. Einige der Feuererscheinungen brennen wie eine
Kerze, andere hüpfen wie eine Gais. Zuweilen sieht es aus, als
ob in den Himmel hinein eine tiefe Höhle sich ziehe, ausserdem
sieht man in der Luft Regen und Schnee, Hagel und Blitz,
man hört den Donner und mit dem Donner fallen Steine herab.
Hier und da beobachtet man, dass es kleine Frösche und Fische
regnet Ausserdem sieht man den Thau und den Reif und wilden
Honig aus der Luft fallen. Auch kann man die wechselnden
Wege des Windes in der Luft verfolgen und den Regenbogen sowie
den Hof des Mondes und der Sonne, zuweilen auch zwei oder drei
Sonnen auf einmal beobachten. Alle diese Dinge will ich hier so
kurz behandeln wie möglich, das lateinische Buch ist hier nicht
recht in Ordnung.
]!• Tom geschöpften Stern.
Der geschöpfte Stern heisst lateinisch Cometa und ist kein
eigentlicher Stern. Er ist eine Flamme oder ein Feuer, das im
obersten Luftreiche brennt. Mau muss wissen, dass das heisse
Himmelsgestirn irdischen Dunst aus der Erde und wässerigen Dunst
aus dem Wasser zieht, und dass diese beiden Arten von Dunst in
der Luft aufsteigen, weil sie leicht sind wie diese. Wird nun ein
fetter irdischer Dunst in die Luft heraufgezogen, so entzündet er
sich im obersten Bereiche der Luft, zunächst beim Feuer. Ist der
Dunst reichlich vorhanden, so wird die Flamme gross, und wenn
gleichzeitig von der Erde aus viel Material nachströmt, so dauert
die Flamme lange und erscheint uns in der Nacht als ein am
Himmel stehender Stern. Es ist das grade so, wie wenn Jemand
in dunkler Nacht reitet und von ferne ein Licht sieht, ihm scheint
dann auch das Licht ein Stern zu sein. Die Flamme wird von
den Gelehrten der geschöpfte Stern genannt, weil Funken von ihm
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ausgehen und er sich nach dem Theil der Welt hin büschelförmig
ausbreitet, wober ihm der ihn unterhaltende Dunst zuströmt. Der
Stern bedeutet für das Land, dem der Schweif zugekehrt ist, ein
Hungerjahr, weil dem Boden dort die Feuchtigkeit und die Fettig-
keit entzogen wird, mit deren Hülfe süsser Wein und Korn und
andere Früchte der Erde hätten entspriessen sollen. Oleichzeitig
zeigen sich auch häufig Tiele Käfer und Heuschrecken. So sah ich
im Jahre 1337 nach Christi Geburt in Paris einen Kometen, welcher
über vier Wochen lang sichtbar blieb, dessen Kopf nach dem
Sternbilde des Wagens hiu stand und dessen Schweif nach Deutsch-
land gekehrt war. Er bewegte sich aufwärts nach Süden hin, bis
er verschwand. Ich war damals noch sehr jung, nahm aber gleich-
wohl Alles in Obacht, was nachdem geschah. Als ich bald darauf
wieder ins deutsche Land zurückkehrte, kam von Ungarn her eine
Unmenge Heuschrecken durch Oestreich, Baiern und über den Sand
den Main herab zum Rhein gezogen. Sie zerstörten so viel Getreide
auf dem Felde, dass mancher Landmann zu Grunde ging.
Die Ursache davon war die, dass die l^raft der Gestirne das wüste
Land in Preussen und ^n einigen Stellen in Ungarn, wo Sümpfe
und Moor sich befanden, seiner feineren Feuchtigkeit beraubte und
die groben Bestandtheile zurückliess. Aus diesen entstand eine
Feuchtigkeit oder ein Samen, aus dem die Heuschrecken hervor-
gingen, denn jedes Thier hat seine eigene Materie, aus der es wird.
Desshalb ist auch ein Wasser besonders reich an Fischen, das
andere au Fröschen.
Der Komet bedeutet weiterhin auch Streit, Verrätherei, Un-
treue und den Tod grosser Herrscher wie auch in der Regel viel
Blutvergiessen. So erhob sich in den nächsten Jahren viel Krieg
und Sti^eit zwischen den Königen von Frankreich und England,
und der König von England ertränkte dem von Prankreich auf dem
Meere vierzig tausend Mann. ^) In einem anderen Jahre darauf besiegte
er ihn in einer grossen Feldschlacht, in der König Johann von Böhmen
und viel ehrbare Ritterschaft erschlagen wurden. ^ (Das geschah alles
zur Zeit Kaiser Ludwigs, des Vierten seines Namens. Nun könnte
man wohl fragen: Warum bedeutet der Stern Streit und Blut-
vergiessen? Der Grund dafür ist dieser: Zu Zeiten entzieht die
Kraft der Gestirne den Menschen die Lebensgeister und lässt das
») In der Seeschlacht bei Sluys, 1340.
2) Schlacht bei Crecy, 134G.
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leichte Blut aus den Menschen ansdünsten. Wenn aber ein Mensch
trocken und hitzig ist, neigt er zum Zorn und Streit. Wir sehen
das bei lieuten von hiteiger Gemüthsart: wenn sie fasten sind sie
unmuthig und zornig. Jedoch lassen sie sich durch guten Rath
wohl besänftigen. Wenn aber die Gelehrten sag^n, dass der Stern
den Tod der Fürsten mehr anzeige wie armer Leute Sterben, so
kommt das daher, dass die Fürsten einen grösseren Namen haben
wie die armen Leute, und ihr Tod weiter durch die Laude schallt
wie der der Armen.
12. Ton den Fenem in der Lnft.
In dem mittleren Luftreich treten auch noch andere Feuer-
erscheinungen auf, wie der Komet. Sie sind verschiedener Art,
Zuweilen fällt aus der Luft eine Flamme auf die Erde herab, wie
wenn sie von einem Stern herkäme, und die Laien nennen diese
Erscheinung eine Sternschnuppe. Diese kommt dadurch zu Stande,
dass ein fetter Dunst in langem und gleichzeitig schmalem Strahl
von der Erde in das mittlere Luftreich, wo es sehr kalt ist, herauf-
zieht Weil der Dunst nun aus sich selbst warm ist, so widersteht
ihm die kalte Luft und treibt ihn schnell und jählings wieder ab-
wärts, und bei dieser schnellen Bewegung entzündet er sich und
brennt bis zur Erde herunter. Desshalb findet man an den Stellen,.
wo die Flamme niedergegangen ist, eine dickliche, gallertige Materie,
die wie der, in den Bächen zur Maienzeit sich findende Froschlaich
aussieht. ^) Dass ein derartiger fetter Rauch entzündlich ist und mit
einer Flamme brennen kann, lässt sich mit zwei Kerzen von Un-
schlitt beweisen. Löscht man die eine aus und hält die brennende
Kerze oben in den aufsteigenden Rauch, so entzündet sich dieser,
die Flamme läuft abwärts und bringt die verlöschte Kerze wieder
zum Brennen. So entzünden auch die Trossbuben und anderes Ge-
sindel die fetten Dünste, die durch ihr Hemde entweichen. Ebenso
aber sieht man auch häufig in der Nacht auf den Gräbern Flammen,
weil von den Leichen ein fetter Dunst aufsteigt, der sich entzündet
und mit Flamme brennt, weil die Luft des Nachts kühl ist. Es^
ereignet sich dann oft, dass die Wächter diese Erscheinung wahr-
nehmen und denken, es brenne eine himmlische Kerze auf dem
Grabe eines heiligen Menschen. Häufig auch sieht man in der
Luft einen langen Rauchstreifen, wie ein Wagenbaum gestaltet, der
Diese Materie besteht in der That aus Froschlaich, der, von ver-
schluckten weiblichen Fröschen herrühi'end, unverdaut und in gequollenem
Znstande von Störchen etc. entleert wurde.
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sich im mittleren Theil krümmt und rome brennt, wie wenn einem
Drachen Feuer aus dem Halse führe. Diese Erscheinung rührt
daher, dass der fette Dunst an und für sich auch noch zähe ist und
sich der Lange nach ausstreckt. * Wird er dann von der Luft ge-
trieben, so entzündet er sich und da, wo er weniger dicht ist, biegt
er sich wie eine Schlange. Bei stiller kalter Luft entwickelt sich
zuweilen ein Dunst, der unten schwer und dick und in Folge dessen
unten breit und oben spitzer ist. Er entzündet rieh an dem oberen
Ende und sieht dann in der Luft wie eine brennende Kerze. Oft-
mals ist der fette Dunst auch in viele kleinere Parthieen zertheilt,
die nahe bei einander in der Luft schweben, und die Flamme
springt dann hurtig von einer zur anderen, grade wie wenn man
mit einem brennenden Strohvrisch über mehrere Kerzen hinfahrt
und sie so rasch nacheinander ansteckt. Es sieht dann so aus, als
springe eine Flamme iu der Luft umher wie eine Ziege. Desshalb
nennt man diese Erscheinung die springende Gais. Zuweilen nimmt
der Dunst die Gestalt einer Kugel an, und weil er in der Peripherie
derselben leichter und weniger dicht ist wie in der Mitte, so geräth
er nur in der Peripherie in's Brennen und nicht in der Mitte. Der
Dunst erscheint uus dann wie eine hell leuchtende Krone. Zeigen
sich viele Feuererscheinungen in der Luft, so gerathen die Früchte
des Feldes nicht so gut, wie in anderen Jahren.
13. Fon der Hilchistrasse.
Wir sehen oft am Himmel einen breiten, hellleuchtenden Halb-
kreis, wie eine helle Strasse. Dieser Kreis wird von den Laien
die Heerstrasse genannt. Die Gelehrten haben viel darüber ge-
schrieben. Wie ich schon mehriach über Aristoteles Buch von
den Dingen mich geäussert habe, so bin ich auch hier der Ansicht,
dass die Milchstrasse ihr Vorhandensein zweierlei Ursachen verdankt.
Erstens befinden sich an dem Theile des Sternhimmels^ wo die
Milchstrasse sichtbar ist, zahlreiche, nahe bei einander stehende
Sterne, deren Schein vereint leuchtet. Ist die Luft von Wolken
frei, so erscheint uns der Glanz aller dieser Sterne in weisslicher
Farbe. Der zweite Grund ist der, dass die ebengenannten Sterne
mit vereinter Kraft hellen, irdischen Dunst an sich ziehen, durch
den die Sterne mit weissem Lichte hindurch leuchten. Hiermit
habe ich mich weder Aristoteles noch auch dem Ptolemäus
gegenüber in Widerspruch gesetzt, ebenso auch nicht den Gelehrten,
die diesen beiden Autoren folgen.
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,
14. Tom Abgrund des Himmels.
Es sieht des Nachts zuweilen so aus, als ob eine grundlose
Tiefe in den Himmel hinein sich erstrecke. Der Grund dafür ist
der, dass finsterer, dichter Rauch sich in Gestalt eines Kreises zu-
sammen geballt hat, der von einem helleren, dünnen Dunst umgeben
wird, der seinerseits wieder vom Lichte des Mondes oder der an-
deren Sterne weisslich erleuchtet ist. Setzt man Schwarz io Weiss,
so scheint das Schwarz viel weiter von uns entfernt zu sein, wie
das Weiss. Desshalb setzen die Maler, wenn sie Schatten oder
dunklere Parthieen malen wollen, rein weisse Farbe neben schwarze;
die schwarzen Stellen erscheinen uns dann neben den weissen yertieft.
Grade so verhält es sich in der Luft, wenn der Himmel den
Wächtern des Nachts ofifen erscheint. Wir sehen den Himmel auch
in verschiedenen Farben, roth, gelb, grün und noch anders gefärbt,
weil die zwischen uns und dem Himmel befindlichen Dünste ver-
schiedener Art sind, dünn und dick, klar und trüb, wässerig
und erdig.
15. Ton den Winden.
Die Winde kommen auch von irdischem Dunst her. Darum
wollen wir jetzt von den Winden sprechen. Der Wind ist ein in
der Luft angesammelter, irdischer Dunst, der sich in aufsteigender
Richtung von einem Ende der Luft zum anderen bewegt. Aus
diesem Grunde sind auch alle Winde ihrer eigentlichen Natur nach
trocken und warm: trocken, weil der Dunst oder Rauch von der
Erde herkommt, warm von der Sonnenhitze, die den Rauch aus
dem Erdreich sich entwickeln lässt. Jedoch ändern die Winde
ihren Character nach den Gegenden, die sie durchfliegen, so dass
einer feucht ist, der andere trocken, einer warm, der andere kalt.
Tier Winde sind die bedeutendsten unter allen übrigen Windarten.
Der erste heisst der Südwind, weil er von Süden herkommt, also
von Mittag nach Norden oder nach dem Sternbilde des Wagens
hinzieht. Lateinisch heisst er Auster, ist feucht und warm und
darum fruchtbar und den Früchten nützlich. Der zweite wird der
Nordwind genannt, weil er von Norden, das heisst vom Sternbild
des Wagens über Sachsen von Pommern herkommt. Er ist kalt
und feucht, besonders dann, wenn er seinen ursprünglichen Character
durch die Herkunft aus sehr weiter Entfernung verändert hat.
Lateinisch heisst dieser Wind Aquilo. Der dritte Wind ist der Ost-
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M
wind, weil er vou Osten, dem Sonnenaufgang her, durch Ungarn
von Preussen herüber fliegt. Dieser Wind ist von vorneherein warm,
weil die Sonne bei ihrem Aufgang warm ist. Der vierte Wind
heisst Westwind, weil er von Westen, also von Sonnenuntergang
herkommt. Jeder Wind hat zwei Gesellen oder Gefolgsleute, einen
auf der rechten Seite, den anderen zur linken. Man kann diese
nach dem Namen des Hauptwindes benennen, so dass also die Be-
gleiter des Südwindes der rechte und der linke Südener heissen.
So werden auch die übrigea Winde nach dem Namen des betreffenden
Hauptwiudes genannt. Wir haben mithin vier mal drei Winde, das sind
im Ganzen zwölf. Es ereignet sich oft, dass zwei einander entgegen-
gesetzte Winde sich begegnen, wie z. B. der Südwind dem Nordwind,
oder der Ostwind dem Westwind. Der stärkere von beiden wirft dann
den schwächeren zur Erde oder in's Wasser, zuweilen mit solcher Ge-
walt, dass Schiffe dabei untergehen. Sind aber die beiden Wiude
gleich stark, so ringen sie so gewaltig miteinander, dass beide anf
die Erde fallen. Sie fahren dann in einem schnellen Wirbel dahin.
Stossen sie dabei auf grosse Steine oder einen Menschen oder sonst
einen schweren Gegenstand, so führen sie ihn mit sich fort in die
Lüfte. Fallen sie aber in's Meer, so reissen sie das Meerwasaer
in die Höhe und giessen es über das Land aus, wobei Menschen
und Besitzthum zu Grunde gehen. Das Wehen der. Winde wird
verhindert besonders durch zwei Momente. Erstens kann der Ein-
fluss der Sonne und der Sterne den irdischen Dunst mit Hülfe zu
starker Hitze so zertheilen, dass er sich nicht zu einem merklichen
Stoss oder Plug vereinigen kann. Zeigt er trotzdem Bewegung^
so ist dieselbe doch nur gering. Zweitens kann der Regen den
Dunst mit sich auf die Erde herabziehen. Bis der Wind sich
wieder in die Luft emporgeschwungen und das Wasser ihn los-
gelassen hat, sodass er wieder leicht geworden ist, ist die Liuft
unbewegt, und man merkt nicht viel vom Winde. Desshalb ist
nach dem Regen die Luft ruhig, trotzdem vor demselben Regen
die Winde geweht haben.
16. Tom Regen.
Der Regen entsteht aus dem wässerigen Dunst,, den die Sonnen-
hitze in das mittlere Luftreich emporgezogen hat. Durch die dort
herrschende Kälte verwandelt sich der Dunst wieder in Wasser»
grade so, wie wir es bei dem, aus einem am Feuer kochenden
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Topf aufsteigenden Schwaden sehen: sobald er den kalten eisernen
Topfdeckel berührt, verwandelt er sich in Wassertropfen. Dasselbe
findet auch bei dem Dampf statt, der sich beim Destilliren von
Rosen oder von Wein entwickelt: kommt er in Berührung mit dem
kalten, bleiernen Helm der Destillirblase, so wandelt er sich auch
zu Wasser um, und das Wasser riecht nach der Substanz, von der
der Dampf herrührt. Wenn sich nun der Dunst in der Luft in
grösserer Menge angesammelt hat, ballt er sich zusammen und
wird dicht, besonders durch die Kälte. Er erscheint uns dann wie
ein Haufen weisser oder schwarzer Wolle. Diese Erscheinung
nennen wir Wolken. Ist dem wässerigen Dunst viel irdischer Rauch
beigemengt, oder hat sich der wässerige Dunst besonders dicht ge-
ballt, so erscheinen die Wolken schwarz; ist dagegen der Dunst
dünner, so sehen sie weiss aus, und die Anwesenheit von nur wenig
irdischem Rauch giebt ihnen eine rothe Färbung. So ändert sich
die Färbung der Wolken je nach der Beschaffenheit des Dunstes.
Wenn nun die Kälte stark auf die Wolken einwirkt, so werden
sie zu Wasser. Tritt die Kälte nur in massigem ' Grade an die
Wolken heran, so macht sie kleine Wassertropfen aus sehr kleinen
Theilchen des Dunstes, und das Wasser fäUt in Folge dessen tropfen-
weise herab. Ist dagegen die Kälte sehr stark, so wandelt sie auf
einmal grosse Mengen des Dunstes in Wasser um, und es fallen
besonders grosse Regentropfen. Aus diesem Grunde sieht man
zuweilen im Sommer auffallend gi'osse Tropfen fallen. Die grosse
Hitze hat dann an einer bestimmten Stelle der Wolken die Kälte
vertrieben, und weil die Kälte nunmehr auf einen Raum vereint
ist, besitzt sie eine viel grössere Kraft, will der Hitze Widerstand
leisten und verwandelt in Folge dessen die wässerigen Dünste in
grosse Tropfen. Dadurch geschieht es auch oft, dass mit einem
Male eine grosse Menge Wasser herabstürzt, so dass ein Haus
oder auch ein ganzes Dorf weggerissen wird. Zuweilen regnet es
rothes Wasser, wie Blutstropfen. Dies kommt davon her, dass viel
verbrannter irdischer Rauch ,dem wässerigen Dunste beigemengt ist,
davon förbt sich das Regenwasser roth. So findet man es häufig,
dass sich das Wasser in der Erde färbt und auffallend roth heraus
quillt. Die einfaltigen Leute glauben dann, dass an solchen Stellen
eine Reliquie sich befinde. So erbauten zum Beispiel die Einwohner
von Kelheim eine hölzerne Kapelle über einem rothgefärbten Ge-
wässer au der Donau oberhalb Regensburg. Zuweilen regnet es
Schulz, Konrad von Megenberg's Bach der Natur. 5
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auch kleine Frösche oder Fischchen. Dies ereignet sich dann,
wenn der wässerige Dunst bei seinem Uebergang in Wasser die-
selben Eigenschaften besitzt wie der wässerige Samen, aus dem die
Frösche oder Fische entstehen. Die Kraft der Gestirne erzeugt
dann aus dem dazu geeigneten Material die Thierchen und giesst
Leben in sie hinein. Ich rathe Dir aber nicht, die Fischchen zu
verspeisen, denn sie sind von grober Art und giftig. So fällt auch
oftmals ein Stein oder ein Stück Eisen herab. Beide entstehen
ebenfalls aus dem irdischen Rauch und dem wässerigen Dunst,
wenn ihr Mischungsverhältniss der Natur der beiden genannten
Dinge entspricht. So fiel vor Zeiten einmal ein Eisenstück herab
von solcher Härte, dass ein König ein Schwert daraus hergestellt
haben wollte. Es wollte das Eisen im Feuer aber nicht weich
werden, weil es nicht recht nach Art des gewöhnlichen Eisens aus
den vier Elementen zusammengesetzt war. Wenn in einer Cisterne
gesammeltes Regen wasser ruhig steht, so fallen die erdigen Be-
standtheile desselben, die von dem irdischen Rauch hereingelangt
waren, zu Boden. Es wird dann klar und wohlschmeckend und
ist gut gegen die Ruhr, um sie zum Stehen zu bringen, wie auch
gegen den rothen Fluss. Die Fische werden vom Regenwasser
fett, deshalb schwimmen sie bei Regenwetter oben und freuen sich
darüber. Du sollst ferner wissen, dass der Luftraum, in dem
die Wolken sich befinden, der Regen entsteht, der Wind weht und
die Unwetter sich zeigen, niedriger ist, wie die höchsten Berge, die
auf der Erde sind. Es giebt uemlich Berge von solcher Höhe, dass
weder Regen, noch Wind, noch Thau, noch sonst ein anderes
Wettergebilde ihre Gipfel trifft. Die alten Gelehrten haben das
an einigen hohen Bergen ausprobiert. Sie nahmen einen Bade-
schwamm, befeuchteten ihn mit Wasser und hielten ihn sich vor
den Mund, wenn sie in den Bergen solche Höhe erreicht hatten,
dass ihnen die feuchte Luft knapp wurde, die zur Abkühlung des
Herzens nothwendig war. Dann schrieben sie mit den Fingern
Zeichen in die Erde auf den Bergen. Kamen sie darauf nach Ab-
lauf eines Jahres wieder auf dieselbe Bergeshöhe, so fanden sie
ihre Schriftzeichen in demselben Zustande wie am ersten Tage
wieder vor. Das hätte nicht der P^all sein können, wenn zwischen-
durch Regen oder Wind an dem Orte geherrscht hätte.
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17. Tom Thau.
Der Thau entsteht aus äusserst leicht beweglichem, zartem,
wässerigem Dunst, der so linder und empfindlicher Art ist, dass
er die Kälte des mittleren Luftreiches nicht auszuhalten vermag.
Er verbleibt desshalb in den obersten Regionen des untersten Luft-
reiches, wo die Luft sanft und gelinde ist. Tritt nun im Sommer
die Nachtkühle ein, so verwandelt sich der so sehr feine Dunst in
derartig feinvertheiltes Wasser und so wenig merkbare Tröpfchen,
dass man das Niederfallen derselben nicht bemerkt und denjenigen,
die bei Nacht draussen ihr Gewerbe haben, die Haare auf dem
Haupte nass werden. Dem zarten wässerigen Dunste ist ein so
fein vertheilter irdischer Dunst und eine so subtile Wärme zu-
gemischt, dass alle Bäume, Kräuter und Blumen, auf die der Thau
fallt, grünen und zunehmen. Man kann sich von seiner Zartheit
folgendermassen überzeugen. Man breite im Sommer in einem
Garten ein ganz reines Leintuch auf einer sauberen Grasfläche aus
und fange damit des Nachts den Thau auf. Dann drücke man
mit reinen Händen das Leinen in eine leere Eischale, aus der Dotter
und Eiweiss durch ein kleines Löchelchen entfernt sind, aus und lehne
sie bei Tage an eine aufrecht gestellte Stange an einem sonnigen
Platz. Wenn sie sich dann erwärmt, so wird die Eischale so leicht,
dass sie an der Stange in die Höhe steigt.
Ach wie schön lässt sich das mit den Gaben des heiligen
Geistes vergleichen, die in der zarten Schale unserer Frau die
Blume Christus ergrünen Hessen und sie erhöht haben am Speere
der Stetigkeit! Erkenne die edele Art des Thaues auch daraus,
dass er der menschlichen Natur so wohl angepasst ist und ihr so
zu Gute kommt. Denn wenn ein Mensch im Frühjahr eine unreine
Haut bekommen hat und sich vor Sonnenaufgang mit dem Thau
wäscht oder darin herumwälzt, so wird seine Haut rein und sein
Gemüth fröhlicher. Ach Helferin, hilf und bethaue Du mit Deiner
Gnade uns unreine Sünder, himmlische Frau, Gottesgebärerin!
18. Vom Schnee.
Schnee entsteht grade so wie der Regen im mittleren Luft-
reich. Es muss aber die Luft so kalt sein, dass sie die Kraft be-
sitzt, die zusammengeballten und wie Wollenstücke dicken Wolken
auf einmal zu durchdringen und zu durchfrieren, so dass sie einiger-
niaassen hart werden, ehe sie sich zu Wasser umbilden oder wässerige
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Beschaffenheit aunehmen. Desshalb fallt der Schnee in Gestalt von
Wolle herab. Einige Berge sind das ganze Jahr hindurch mit
Schnee bedeckt, weil sie sehr hoch sind und bis an das kalte
Luftreich herankommen. Es giebt Berge, auf die niemals Schnee
noch Regen fällt. So berichten die griechischen Gelehrten von dem
Berge in Griechenland, der Olympus genannt wird.
19. Tom Seif.
Der Reif entsteht aus demselben Dunst, aus dem der Thau
sich bildet, jedoch ist zur Erzeugung von Reif viel stärkere Kälte
nöthig, wie zu der von Thau. Denn gerade so, w^ie der Schnee
zum Regen, so verhält sich der Reif zum Thau, und wie der Thau
allen Früchten gut ist und Vortheil bringt, ist der Reif den Baum-
früchten und den Weinreben schädlich und verdirbt sie. Er durch-
dringt sie derartig, dass sie abfallen oder schwarz werden, als ob
sie verbrannt wären. Der Reif ist eben ein sehr feiner und dabei
recht kalter Dunst, desswegen dringt er durch die feinen Poren
der Früchte und lässt die natürliche Wärme in ihrem Innern er-
löschen. Geschieht dies, so müssen die fruchttragenden Blüthen
sterben und schwarz werden. Es fasst sich der Reif auch härter
an, wie der Schnee, weil die grosse Kälte den Dunst, aus dem der
Reif entsteht, gründlicher durchdringt, sich tiefer in ihn einsenkt,
wie in den Schnee, und so die sehr kleinen und harten Körnchen
des Reifes sich bilden lässt. Deshalb lässt sich der Reif auch nicht
so schön ballen wie der Schnee. Du sollst auch wissen, dass der
Rauhreif an den Zweigen der Bäume zur Winterzeit von derselben
Ursache herkommt. Der feuchte, warme Dunst, der von Natur den
Aesten entströmt, verwandelt sich durch die strenge Kälte in Reif,
und weil dieser Dunst sehr dünn ist, wird er sofort umgewandelt,
wenn er eben hervorkommt. Desshalb bleibt er auch an den Aesten
hängen. Ebenso bereift dem Menschen der Bart oder das Haar oder
was er sonst auf dem Kopfe trägt von dem feuchten Athem, der
dem Munde und der Nase entströmt, wenn es sehr kalt ist. Zu-
weilen, und besonders im Frühjahr, fallen Körnchen, rund wie eine
Erbse und härter anzufühlen wie Schnee, dagegen weicher wie der
Reif. Sie bilden sich dann, wenn die Kälte zu gross ist, um Schnee,
und zu gering ist, um Reif auftreten zu lassen, so dass sie den
Dunst nicht so durchdringt, wie bei der Bildung von Reif. Diese
Körnchen heissen lateinisch Granula.
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20. Tom Hagel.
Der Schauer wird an anderen Orten Deutschlands auch Hage
genannt. Er entsteht, wenn der wässerige Dunst zunächst an einer
nicht übermässig kalten Stelle der Luft, wo der Regen sich zu
bilden pflegt, in Regentropfen sich umwandelt, und die Tropfen
dann beim Niederfallen eine sehr kalte Stelle passiren, an der die
Sommerhitze die Kälte zusammen getrieben hat. Diese übermässige
Kälte verwandelt dann die Tropfen in Eis, grade wie das Wasser
zur Winterzeit. Desshalb sind die Hagelkörner auch kristallinisch
und, weil sie sich beim Fallen durch die Luft allerorts aneinander
abschleifen, rund. Zuweilen fallen mit dem Hagel gleichzeitig
Regentropfen. Wenn nemlich beim Herabfallen der Schauer durch
wärmere Lult kommt, so zerfliessen die Hagelkörner an ihrer Ober-
fläche, und die Schmelztropfen fallen dann gleichzeitig mit herab
wie Regen.
2i. Tom Hehlthan.
Es giebt Etwas, das heisst Mehlthau; es verdirbt oftmals den
Hopfen, das Korn und das andere Getreide. Der irdische Dunst,
aus dem der Mehlthau wird, ist äusserst feiner Art und von der
Sonne, die ihn von der Erde aus in die Höhe gezogen hat, stark
durchgebrannt. Wenn dieser Dunst sich nun unversehens in
Tropfen verwandelt und, mit oder ohne Regen herabfallend, auf
' die Blüthen der Pruchtpflanzen gelangt, so verbrennt er das frucht-
bare Mark in denselben, gerade wie feuchte, wohlgebrannte Asche
es thut, die man auf die Blüthen gebracht. Dass es sich in der
That so verhält und der Mehlthau wirklich von irdischem Dunst
herrührt, finde ich durch Folgendes bestätigt: Wenn Mehlthau ge-
fallen ist, bemerkt man ihn zuerst am dritten oder vierten Tage,
wenn die betrofiPenen Pflanzentheile gelb oder schwarz geworden sind.
Diese Verfärbung bedeutet ein Verbranntsein der Materie. Zuweilen
staubt auch das vom Mehlthau befallene Getreide nach dem Trocknen,
wie wenn es mit Asche bestreut wäre. Das könnte alles nicht der
Fall sein, wenn der Mehlthau nicht von verbranntem irdischem
Dunste herkäme, der das Getreide so ruinirt. Du sollst auch wissen,
dass der Mehlthau den Früchten besonders zur Blüthezeit schadet,
denn ihre Blüthe ist zart und empfindlich. Sind aber die Früchte
bereits aus den Blumen entwickelt und etwas kräftiger geworden,
so schadet er nicht mehr so viel. Der Name Mehlthau kommt auch
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nicht von seiner milden Art her, denn er ist schlimm und übel,
sondern das Wort ist von dem Worte Milbe abgeleitet. Denn
ebenso wie die Milben das Zeug anfressen und verderben, so zer-
stört der Mehlthau die Frucht. Er hiesse deshalb auch mit Recht
Milbenthau, weil man an vielen Pflanzen, die er befallen hat, nach
einigen Tagen kleine schwarze Würmchen vorfindet. Ich will
noch bemerken, dass ich diese Deutung des Wortes Mehlthau nicht
anderen Naturforschem entnommen habe.
S2. Vom Hoiiigthau.
Im Sommer ereignet es sich zuweilen, dass Honig aus der
Luft auf die Bäume und das Gras herabfällt. Die Bienen fliegen
dann danach und sammeln ihn. Das nennt man Honigthau. Er
entsteht dadurch, dass zur Sommerzeit der feuchte Dunst aus den
Blumen, Kräutern und Früchten von der Sonne angezogen wird
bis in das über den Wolken befindliche Luftreich. Durch die
massige Kälte, die dort in der Nähe des obersten Luftreiches
herrscht, wird der Dunst eingedickt und in Folge dessen, sowie
durch die niedrige Temperatur, wandelt sich der Dunst zu einer
süssen Flüssigkeit, die dann auf die Früchte und Blumen herab-
fällt. Wir nennen das wilden Honig. Jedoch ist zu bemerken,
dass es zweierlei Arten von Honig giebt, natürlichen und künstlichen.
Der natürliche Honig ist der, von dem eben die Rede war, der
künstliche wird durch die Geschicklichkeit der Bienen gesammelt
und in ihre Behausung getragen. In unserer Gegend fällt wenig
natürlicher Honig, viel dagegen in den Ländern nach Sonnenaufgang
hin. Bei uns kann nemlich der feine und zai*te Dunst, aus dem
der Honig wird, von den Blumen und Früchten nicht so durch die
dichtere, zähere Luft aufsteigen bis an die Stellen, wo der Dunst
sich in Honig umwandelt. Die Luft in unseren I^anden ist voll
wässeriger Wolken, die den Dunst ungünstig beeinflussen und ver-
derben. Zur Sommerzeit dagegen, wenn die Luft rein und schon ist,
fällt auch bei uns Honigthau, namentlich im Brachmonat, der un-
mittelbar auf den Mai folgt und besonders zur Sommer-Sonnenwende.
Wenn es aber geschieht, so sterben die Schafe und Ziegen leicht,
weil der Honig im Leibe der Thiere Galle erzeugt. Ein
Zeichen dafür ist, wenn man die gefallenen Thiere aufschneidet
und ihr Inneres durch die heftige Wirkung der Galle gelb gefärbt
findet. In den Ländern des Orients dagegen ist die Luft das ganze
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Jahr hindurch sehr rein und still, deshalb fällt dort oft Honigthau.
Ist Honigthau gefallen so soll man das Yieh nicht heraus lassen
und auch den Kindern verbieten, ihn von den Blättern abzusaugen.
Als kleines Kind habe ich ihn auf dem Lande oftmals gegessen,
aber nachher that mir mein Leib sehr weh, und ich wusste nicht,
wovon es kam. Ueber die Wirksamkeit des Honigs reden wir
später, wenn wir die Bienen behandeln werden.
2S. Tom Hlmmelsfladen.
Eine Substanz heisst lateinisch Ladauum^), was wir mit
Himmelsfladen oder Himmelsthau übersetzen können, so wie wir
das Vorige Honigthau nennen. Der Himmelsthau fallt grade so
herab, wie der Honigthau, aber aus etwas grösserer Höhe und ent-
steht aus demselben Dunst, nur dass er dickerer und zäherer Be-
schaffenheit ist. Wenn der Himmelsthau auf die Kräuter gefallen
ist, so theilt und zerschneidet man dieselben mit Hülfe lederner
Riemen, an denen die kostbare Flüssigkeit hängen bleibt. Nach
dem Eintrocknen heisst sie dann Ladanum. In unseren Gegenden
fallt sie nicht herab, aus demselben Grunde, den wir beim Honig-
thau anführten. Ist der Himmelsthau rein und frei von fremd-
artigen Zusätzen, so riecht er sehr fein, und man zählt ihn zu den
wohlriechenden Bubstanzen, die lateinisch Aromata genannt werden.
Das Ladanum ist sehr schätzbar, aber man fälscht es mit Ziegen-
koth und anderen schwarz gefärbten Dingen, die man leicht
zerkauen kann. Zuweilen ist es so verfälscht, dass man in zehn
Pfund kaum eine Unze reiner Substanz findet. Als beste Qualität
ist Das auszusuchen, was schwer wiegt, schwarz gefärbt und leicht
zu kauen ist und dabei einen feinen Geruch besitzt. Wenn es da-
gegen röthlich aussieht und zwischen den Fingern zerbricht oder
zerreisst, so ist es entweder schon zu alt oder sehr gefälscht. Das
Ladanum hat die Fähigkeit, Flüsse von wässeriger Natur zum
Stehen zu bringen und erhitzend zu wirken. Beide Eigenschaften
kommen von seiner edeleu Beschaffenheit her. Mau giebt es dess-
halb gegen den Husten und den Fluss, der vom Gehirn nach der
Brust zieht. Rührt der Husten von einer Erkältung her, so hält
man es vor die Nase und riecht daran, dann hilft es gegen den
Fluss. Man siedet auch das Ladanum zusammen mit Rosenblättern
^) Ladanum ist das Harz verschiedener Cistus- Arten.
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in Kegeuwasser und deckt darauf das Gefäss zu bis sein Inhalt
lauwarm geworden ist. Leidet Jemand an Wackeligsein der Zähne,
so nimmt er von dem Wasser etwas in den Mund und gleichzeitig
wäscht mau ihm die Püsse damit, so dass sich die Adern eröflFnen.
Davon werden die Zähne fest. Dasselbe geschieht, wenn man
Ladanum mit dem Kraute vermischt, das Mastix genannt wird.
Wenn man diese Mischung innen und aussen an das Zahnfleisch
und die Zähne legt, so werden die Zähne fest. Das Ladanum
stärkt auch die Gebärmutter und ist der Frucht im Mutterleibe
von Nutzen. Ebenso hilft es bei Magenbeschwerden in Folge von
Erkältung. Wer seinen Magen kräftigen will, damit er die Speisen
gut verdaue, nehme fünf Pillen, das sind Kügelchen, die in der
Apotheke angefertigt werden, von Ladanum in Kaesewasser oder
Molken, was auf dasselbe herauskommt.
24. Tom Himmelsbrot.
Manna heisst auf deutsch Himmelsbrot ^) und fällt gleichfalls
hoch aus der Luft herab, jedoch nach der Annahme einiger Ge-
lehrten aus noch grösserer Höhe wie der Himmelsthau. Es ent-
steht auch aus derselben Dunstart wie dieser, nur dass es aus den
Elementen gleichmässiger oder passender gemischt und seine
Feuchtigkeit gründlich gekocht ist. Es fällt des Nachts wie Thau
auf die Kräuter und Felsen, erhärtet darauf und \\ird von den
Leuten gesammelt. Weil es aber nur in geringer Menge fallt,
fälscht man es sehr. Wisse, dass es bei uns nicht fällt, aus den-
selben Ursachen, die wir beim Honigthau und dem Ladanum an-
gegeben haben. Ist das Himmelsbrot rein und nicht mit anderen
Dingen vermischt, so ist es w^ohlriechend und sehr schätzbar. Man
unterscheidet aber das reine von dem verfälschten dadurch, dass
das reine weisslich gefärbt ist und inwendig einzelne Hohlräume
hat, wie der Honig, und das besonders reine Himmelsbrot schmeckt
süss und ist dem Munde sehr angenehm. Du könntest nun fragen,
ob es sich um das Himmelsbrot handele, das Gott vordem dem
gläubigen Volke in der Wüste schickte, als es aus Egypten floh.
*) Der Saft von Fraxinus ürnus L., Mannaesche, als Manna oflicinell,
der, wie aucJi von anderen Pflanzen abstammende, mannaartige Produkte aus
der Rinde zum Theil freiwillig ausschwitzt und erhärtet. Die Annahme,
dass die Manna vom Himmel stamme, hat sich bis Anfangs dieses Jahr-
hundertserhalten, trotz gegentheiliger Angaben älterer, sorgßlltiger Beobachter-
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Darauf antworte ich: Nein, denn Gott speiste das Volk vierzig
Jahre mit immer demselben Himmelsbrot in übernatürlicher Weise,
das Himmelsb'rot dagegen, von dem ich hier berichte, entsteht durch
natürliche Vorgänge. Auch hatte das Himmelsbrot der alten Väter viele
Eigenschaften, die unser heutiges nicht besitzt. Dass aber hinsichtlich des
Geruches und Geschmackes zwischen Beiden eine sehr grosse Aehulich-
keit bestanden haben kann, will ich nicht in Abrede stellen. Das
Himmelsbrot, von dem wir hier sprechen, wird oft mit Honig oder
auch gepulvertem Süssholz gefälscht. Wenn man es aber fälscht,
wird es widerlich süss, so dass einem danach übel wird. Das
Himmelsbrot, hat die Fähigkeit, das Blut zu läutern und zu reinigen,
desshalb passt es bei hitzigen Krankheiten, die von Galle her-
rühren. Man soll es den Kranken in warmem Wasser geben, wie
man eins in der Apotheke herstellt, das Röhrenkassien-Wasser
heisst. Jedoch ist Das Sache der Aerzte, denn ein Laie könnte sich
leicht vergreifen. Sollte ich Schuld daran haben, so wäre es
mir leid.
25. Tom Donner und Blitz.
Der Donner entsteht aus dem irdischen, fetten Dunst, aus dem
wie oben erwähnt, die Feuer in den Lüften hervorgehen, und zwar
in folgender Weise : Da der Dunst an sich selber warm ist und der
von den Wolken eingenommene Luftbezirk kalt, so wogt der Dunst,
wenn er an den Wolkenbezirk herankommt, aufwärts in die Höhe, nach
dem Feuer oder dem obersten Luftreich hin, weil er leicht und
warm ist, wie das Feuer leicht und heiss ist. Stösst er dann an
4ie kalten Wolken an, so stossen diese ihn wieder herab. In Folge
dieses Stosses kehrt der Dunst mit vermehrter Geschwindig-
keit zurück und wird seinerseits durch die Kälte auch energischer
wieder herabgestossen. Dies wiederholt sich so lange, bis der
Dunst mit der Schnelligkeit und Kraft eines aus einer Büchse
fliegenden Geschosses herabgeworfen wird. In Folge dessen ent-
zündet sich der feiste Dunst während seines schnellen Fluges, so
dass er Flammen sprüht, und diese Flammen nennen wir Blitz.
Das Geräusch dagegen, welches der Dunst durch das Durchbrechen
von Wolken und Luft hervorruft, heisst der Donner. Desshalb
kommen die beiden, Donner und Blitz zusammen mit einander.
Man bemerkt aber den Blitz ehe mau den Donner hört, weil das
Gesicht weiter reicht und schneller funktionirt wie das Gehör. So
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sehen wir oftmals auf den Anhöhen an den Bächen, wo die Wäscher
waschen, den Schlag mit dem Waschholz früher, als wir den Schall
hören. Du könntest nun einwenden : Wir bemerken oft den Blitz ohne
den Donner zu hören und vernehmen diesen, ohne einen Blitz zu
sehen! Das kommt davon her, dass die wässerigen Wolken oft so
dicht und dunkel sind, dass sie durch ihre Dichte die Flamme aus-
löschen, so dass wir sie nicht sehen können. Wenn dies geschieht,
hören wir den Donner ohne Blitz. Ist es aber Sommertags sehr
heiss gewesen, und haben sich die fetten Dünste erst in grosser
EntfernuDg von uns entzündet, so dass der Schall des Donners sich
unterwegs bricht und nicht bis zu uns gelangt, so sehen wir das
Wetterleuchten oder den Blitz ohne Donner. Einige Leute glauben,
der Donner sei ein Stein, weil oftmals unter Donnergetöse in
schwerem Wetter ein Stein herabfällt. Das ist aber nicht wahr,
denn wenn der Donner ein Stein wäre, so würde er die Menschen
und Thiere, die er schlägt, verwunden wie andere fallende Steine
es thun. Das ist aber doch nicht der Fall, denn wir sehen an den
vom Donner erschlagenen Menschen keine Wunden. Sie sind aber
an der getroffenen Stelle schwarz, weil der heisse Dunst sie ver-
sengt und ihnen das Herzblut verbrennt. So gehen sie ohne
äussere Wunde zu Grunde. Es wendet auch der Mensch das Ge-
sicht dem Schlage zu, denn wenn der Donner schlägt, will er ab-
warten, was daraus werde und wendet das Antlitz hin, und während
des Umwendens stirbt er. Wisse auch, dass der Donner besonders
harten Dingen, wie Stahl, Fels oder Stein, schädlich ist, weil diese
den Dunst nicht durch sich hindurch gehen lassen. Desshalb zer-
bricht er sie und zerschellt sie oft zu Stücken. Weichen Gegen-
ständen dagegen schadet er nicht so sehr, so dass er oft das
Schwert in der Scheide und ihre Holzwände zertrümmert, den Leder-
bezug der Scheide dagegen ganz lässt. Der Donner ist verschiedener
Art. Zuweilen hört er sich an, wie wenn Jemand Einem eine
luftgefüllte Blase auf dem Kopf zerschlägt. Dies kommt davon, dass
sich die Wolken im Kreise um den Donnerdunst geballt haben und
dieser nirgends heraus kann, bis er au einer Seite die Wolken
sprengt, wie die Luft die Blasen Zuweilen tönt er, wie wenn man
ein Leintuch der Länge nach zerrisse, wenn er nemlich die Wolken
und die Luft im Herabstürzen zerreisst. Manchmal prasselt er,
wie wenn Tannenholz im Feuer prasselt. Dies rührt daher, dass
der Dunst zuweilen in einzelnen Stücken und Theileu von den
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Wolken umschlossen ist und dann nach und nach hervorbricht,
gerade wie die Luft im Feuer aus lufthaltigem Holz oder au»
Kastanien oder Eicheln, die man ganz in's Feuer geworfen hat.
Auch der Blitz wirkt oft wunderbar und ist sehr vielen Dingen
schädlich. Erstens blendet er oftmals die Augen des Menschen,
der ihn scharf ansieht Er verbrennt nemlich danu die kristallische
Feuchtigkeit im Auge, in der die Sehkraft liegt. Ferner verdirbt
er die Blüthen an den Bäumen und besonders die zarten Wein-
blüthen. Desshalb verhüllt die Natur die kleinen Fruclitträger, das
sind die Fruchtknoten, an den Bäumen mit Blättern, grade wie eine
Amme ihr Kind in Windeln hüllt, und giebt der Weinrebe recht
breite Blätter, damit sie ihre Trauben vor dem Blitz decken kann.
Zum Dritten versengt er häufig den Menschen die Haare unter
den Achseln und sonstwo, ohne dem Körper zu schaden. Dies er-
eignet sich dann, wenn der Dunst nicht so gewaltig dahinfahrt,
dass er dem Menschen schaden kann. Da er aber brennt und sehr
schnell über den Menschen hinläuft, so versengt er das trockne,
zarte Haar ohne weitere Schädigung seines Besitzers. So ereignete
es sich, dass die Eömerfürstin Marcia von einem Donner getroffen
wurde und das Kind, mit dem sie schwanger ging, abstarb, sie
dagegen unverletzt blieb. Die Leibesfrucht war nemlich noch
schwach, und durch den Schrecken, den die Frau erfuhr, rissen
die Bänder, die das Kind hielten, entzwei; gleichzeitig aber wurden
auch des Kindes Adern und sein Herz abgerissen. Es heisst in
unserem Buche, dass der Donner und der Blitz Niemandem schade,
der sie vorher sehe oder höre, ehe der Schlag ihn trifft. Wahrlich
das scheint mir eine ebenso leichtfertige wie unüberlegte Aeusserung,
denn unser Yorhersehen hilft dabei nichts, da kein Mensch sich so
hurtig vor dem Schlage zu bergen vermag. Ausserdem giebt unser
Buch noch an, dass Blitz und Donner nicht allemal den Menschen
tödten, wenn er getroffen wird. Andere belebte Wesen dagegen
sterben, wenn sie getroffen werden, es sei Baum oder Thier, und
unter den Thieren ist, nach Plinius, der Adler am meisten ge-
fährdet, von den Bäumen dagegen der Lorbeer^). Seneca erzählt,
es habe zu seiner Zeit einmal der Donner ein volles Weinfass
zerschlagen, so dass noch eine kleine Weile lang der Wein ohne
Fass bei einander geblieben sei, grade so wie er in dem Fasse
gestanden hatte. Das kam davon, dass der Schlag so rasch erfolgte,
^) IV. A. 21 wird vom Lorbeerbaum das Gegen tlieil angegeben.
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dass der Wein nicht so schnell auseinander fliessen konnte. So
«ehen wir auch wohl, dass Jemand ein offenes, mit Wein oder
Wasser gefülltes Glas mit einer Schlinge oder der blossen Hand so
schnell umschwingt, dass Nichts herausfliesst. Auch ist der Wein
vielleicht dickflüssig gewesen. Das hat dann auch dazu geholfen.
Man könnte nun die Frage aufwerfen, woher es komme,
dass es im Winter nicht wie im Sommer gewittert, da doch der
Dunst, aus dem Donner nnd Blitz entstehen, im Winter wie im
Sommer aufsteigt. Dies erklärt sich so, dass im Winter die Hitze
fehlt, die so kräftigen und starken Rauch, wie er zur Hervor-
bringung des Donners nöthig ist, emporziehen könnte. Auch kann
die Wärme den Dunst nicht so hoch in die Luft hinaufziehen, dass
er mit der nötigen Gewalt wieder herab fallen kann. Desshalb
-zieht die Soime im Winter nur Dunst auf, der mit Regen, Schnee
oder Wind zu thun hat, sowie mit solchen Feuererscheinungen,
die nicht Blitze genannt werden. Ebenso verhält es sich, mit
wenigen Ausnahmen, auch im Frühjahr und im Herbst. Einige
berichten, dass in den Ländern des Orients im Sommer keine Ge-
witter auftreten, wohl aber zur Winterszeit. Der Grund dafür liegt
darin, dass es in jenen Ländern im Sommer so übermässig heiss ist,
dass sich kein Dunst in der Luft zu Wolken umzubilden vermag, da
die starke Hitze den Dunst zerstreut und ihn nicht sich verdichten
lässt. Im Winter dagegen herrscht dort eine massigere Wärme,
gerade wie im Sommer bei uns. Desshalb donnert es in jenen
Ländern im Winter. In den nach Sonnenuntergang gelegenen
Gegenden finden sich dagegen Verhältnisse wie bei uns, denn dort
ist es im Sommer nicht übermässig warm. Plinius behauptet, es
gebe dreierlei Arten von Donnern und Blitzen. Die erste Art sind
die, welche die getroffeneu Gegenstände nicht zertrümmern, wohl aber
verbrennen, und diese sind an und für sich trocken. Die anderen
Donnerschläge sind feucht, sie verbrennen nicht, aber sie zertrümmern
und schwärzen die getroffenen Gegenstände. Die dritte Art nennt
man hellen oder hurtigen Donner. Diese Art ist höchst selten,
äusserst wunderbar und eins der grössten Geheimnisse der Natur.
Diese Schläge stehlen und schöpfen den Wein ganz heimlich aus
den Fässern, ohne dass beim Getroffenwerden des Fasses ein merk-
barer Schall entsteht, sie hinterlassen aber ihre Spuren an den
Fässern.
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36. Vom Nebel.
Der Nebel bildet sich aus wässerigem, grobein Daiist, denr
soviel schwerer irdischer Rauch beigemengt ist, dass ihn die Sonne
nicht sehr hoch von der Erde ab in die Luft emporheben kann.
Desswegen treten die Nebel besonders am Morgen und am Abend
auf, wo die Sonne noch keine grosse Kraft hat, und namentlich im
Herbst, Winter und Frühjahr mehr, wie im Sommer. Steigt der
Nebel in die Höhe, so kommt danach leicht Regen, weil sich der
Dunst in der Luft zu Regenwolken umwandelt. Fällt er dagegen
zur Erde, so bedeutet es schönes Wetter und Fruchtbarkeit für das^
Land im Sommer. Es kann nemlich dann Thau fallen, der den
Früchten Kraft giebt, was nicht der Fall ist bei schöner und klarer
Luft. Der Nebel lagert sich gern am Wasser oder an feuchten
Plätzen, weil er selbst feucht ist und sich der Gesellschaft seines
Gleichen freut. In hochgelegenen Gegenden zerstreut ihn dagegen
der Sonnenschein völlig, und desshalb wohnten die Alten gerne auf
hohen, trocknen Plätzen. Das junge Geschlecht dagegen wohnt
jetzt lieber in der Ebene, wegen der grösseren Bequemlichkeit, die
das Wasser mit sich bringt und baut sich am Wasser an. Das ist
sehr schädlich, bringt viel Krankheit und vieler Menschen früh-
zeitigen Tod. Zuweilen ist der Nebel übelriechend und qualmig,,
nemlich dann, wenn der Dunst, aus dem er entsteht, von fauler
Feuchtigkeit und unreinem Erdreich herrührt. Desshalb kommt
durch den Nebel oft schwere Krankheit und für Manchen der Tod,
weil der Nebel die Brust und das Gehirn versehrt, auch oftmals
einen unreinen Fluss vom Gehirn nach der Brust hiu auftreten
lässt, der so bösartig ist, dass er sich leicht in der Brust zu einem
Geschwür oder Abscess entwickelt. Aus diesem Grunde soll man,
wenn solcher Nebel herrscht, sich im Hause halten und die Schlaf-
kammer und Wohnräume sorgfältig verschliessen. Muss aber ein
Mensch zu solcher Zeit ausgehen, so soll er vorher essen und
trinken, damit die Luft nicht in den leeren Leib kommt. Der
Nebel schadet am meisten im Juli, zur Zeit der Sommersonnwende
und im September, weil dann der Dunst besonders durchgebrannt
ist und leichter als sonst das Innere des Menschen durchdringen-
und durchfressen kann.
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27. Vom Sonnenhof
Man sieht oft einen blassen Kreis um die Sonne oder den
Mond. Die Laien nennen ihn Sonnen- oder Mondhof. Der Kreis
entsteht dadurch, dass die Sonne oder der Mond einen dünnen,
durchsichtigen Dunst unter sich zusammengezogen hat, durch den
hindurch man das Gestirn wahrnehmen kann. Durch die Mitte des
Dunstes hat das Gestirn durch seine Wärme und sein Licht ein
Loch gemacht und der etwas zusammengedrängte Dunst umgiebt
es in einem Kreise. Diesen Dunstkreis bescheint das Licht des
Gestirns, wodurch der Eindruck hervorgerufen wird, als gehe ein
blasser Kreis um das Gestirn. Wird der Kreis nach der Peripherie
hin zunehmend dichter und dunkler, so deutet es auf baldigen
Regen, weil der Dunst sich zuzammenballt und in Wolken um-
wandelt, die sich dann baldigst zu Regen auflösen. Wird der Hof
dagegen nach dem Rande zu heller und theilt er sich oder zeigt
Lücken nach oben oder den Seiten hin, so zeigt er Wind an. In
griechischer Sprache heisst der Hof Halo.
28. Von den Nebensonnen.
Zuweilen sieht es so aus, als seien mehr wie eine Sonne am
Himmel. Diese Erscheinung rührt daher, dass sich unterhalb der
wirklichen Sonne zu den Seiten sehr dicke Wolken angesammelt
haben, und die Sonne mit ihrem Schein einige dünnere Parthieeu
der Wolken durchbricht. Der warme Schein drängt dann die
Wolken nach allen Seiten in Form eines Kreises auseinander, so
dass es aussieht, als befinde sich in den Wolken ein rundes Fensterchen,
durch das die Sonne hindurchscheint. Trifft dies zu, so scheint
uns an solcher Stelle eine zweite Sonne zu sein. Wir nennen diese
Erscheinung Nebensonne, und findet sie sich an mehreren Stellen,
so zeigen sich mehr Sonnen wie eine. Die Nebensonne heisst
griechisch Parhelios.
29. Ton den Sonnenstrahlen.
Wir bemerken auch oftmals in der Luft lange Lichtstreifen,
wie wenn Stränge vom Umkreis der Sonne nach der Erde hin
zögen, grade wie die Stricke, mit denen man auf der Reise ein
Zelt aufspannt. Dies geschieht, wenn sich die Wolken in wechselnder
Art unter der Sonne in der Luft anordnen oder wenn Regen ein-
treten w^ill. Die Sonnenstrahlen durchbrechen dann die Wolken-
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gebilde und werden von den Wolken wie von Spiegeln reflektirt.
Wenn dies geschieht, so sehen wir die Sonnenstrahlen wie Stränge
oder Stricke aus der Luft und von der Sonne herkommen. Je
nach Art der Wolken erscheinen diese Streifen in wechselnder
Färbung, grün, roth oder gelb.
30. Yom Regenbogen.
Der Regenbogen entsteht durch eine wunderbare Wieder-
spiegelung des Sonnenscheins in den Wolken; wir wollen darüber
Einiges berichten, was die Naturkundigen davon sagen. Was aber
diejenigen Gelehrten darüber schreiben, deren ganze Wissenschaft
auf der Spiegelung und der Wiederspiegelung beruht und die den
Namen Perspectivi führen, gehört nicht hierher zu unserer
Kurzweil. Der Regenbogen erscheint immer als Halbkreis oder als
Kreisabschnitt und ist doppelter Art. Die eine Art ist weiss, die
andere mehrfarbig. Den weissen Regenbogen bekommt man selten
zu Gesicht. Jedoch habe ich einmal einen im Ries bei der Stadt
Nördlingen gesehen, an einem Maimorgen nach Sonnenaufgang. Er
bildete einen vollkommenen Halbkreis und hatte einen Ausläufer
nach Süden und einen zweiten nach Norden oder dem Nordpol hin
gerichtet. Der weisse Regenbogen entsteht dadurch, dass der
Wolkendunst am Himmel gleichmässig vertheilt, dünn und mit einer
sehr feinen Feuchtigkeit durchsetzt ist, sodass, wenn der Dunst sich
in Wasser umwandeln würde, äusserst kleine Tröpfchen herabrieseln
würden. Er wandelt sich aber noch nicht zu Wasser um. Wenn
<lann die Sonne ihren Schein direkt dagegen wirft, so bricht er sich
80 eigenthümlich in den Wolken, und alle reflektirten Strahlen
sammeln sich zu einem starken Lichtschein, zum Abschnitt eines
Kreises. Dadurch erscheint dann das Stück rein weiss. Ich will
über diese Materie nicht weiter reden, da sie imr hochgelehrten
I^euten verständlich ist, die etwas von der Gestalt der Welt, der
Natur des Lichtstrahles und anderen Dingen mehr wissen. Der
bunte Regenbogen hat dreierlei Farbe. Die äusserste und zu oberst
gelegene ist apfelroth oder auch dunkler roth, die dann folgende
ist grün, die dritte bläulich und häufig getheilt, so dass sie zur
Hälfte weiss oder bleich erscheint, zur Hälfte gelb. Die Farben,
und zumal die in der Mitte gelegenen, sind so wunderbar, dass kein
Maler sie völlig wiederzugeben im Stande ist. Die drei Farben
hängen von der besonderen Beschaffenheit und Lagemng der Wolken
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>gie j
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ab, in die das Sonnenlicht hineinföllt. Es müssen nemlich an einer
Stelle sehr zahlreiche und kleine Regentropfen herabfallen und
hinter dieser Stelle schwarze Wolken sich befinden, sowie die Sonne
direkt gegen die fallenden Tropfen anscheinen. Diese spiegelartige
Anordnung ist nothwendig, damit die Sonne ihre Strahlen und ihr
Bild darauf werfen und auch wiederspiegeln lassen kann, auch muss
die Bewegung der spiegelnden Tropfen eine ruhige, und diese selbst
müssen rein sein, damit sie das Licht der Sonne aufnehmen können.
Ebenso sind auch die dunkeln Wolken hinter den herabrieselnden
Tropfen nothwendig, um zu verhüten, dass die Lichtstrahlen durch
den Spiegel hindurchgehen und d esshalb nicht auf der spiegelnden
Fläche verweilen, grade so wie wir sehen, dass die Spiegelmacher
die Rückseite des Spiegelglases mit Blei oder Pech bedecken. Es
muss ferner die Sonne der spiegelnden Fläche grade gegenüber
stehen, damit diese ihr Bild aufnehmen kann und die schwarzen
Wolken hinter den spiegelnden Tropfen das Sonnenlicht reflektiren
können. Etwas Aehnliches sehen wir bei manchen Leuten, die
kranke Augen haben. Sie sehen des Nachts bei Mondschein ihr
eigenes Bild mit ihnen zugekehrtem Gesicht vor sich, und wenn sie
vorwärts gehen, so bewegt sich ihr Bild rückwärts vor ihnen her.
Dies rührt davon her, dass bei solchen Leuten auf der Oberfläche
des Augapfels sich viel Feuchtigkeit angesammelt hat und mit der
Luft in Berührung steht. Von diesen beiden, der Feuchtigkeit und
der Luft, wird das Bild des Menschen gegen den Gesichtssinn
reflektirt, der tiefer im Inneren des Auges liegt als die vorher er-
wähnte Feuchtigkeit. Aus demselben Grunde ergeht es einem
Trunkenen oft ebenso. Weil nun die Sonne viel höher sich be-
findet wie die Wolken, so wirft sie ihr Bild nur oben auf die
spiegelnde Fläche in Form eines Kreises. Desshalb erscheint die
Färbung und der Regenbogen nur oben an der spiegelnden Fläche
und nicht überall, so gross und breit auch die von den fallenden
Tropfen eingenommene Fläche ist. Es müsste sonst die Farbe de»
Regenbogens am Himmel die Gestalt einer halben Scheibe oder de»
Stückes einer Scheibe annehmen. Wisse auch, dass in den Wolken
die leichtesten Theile, die zumeist aus leichtem, irdischem Rauch
bestehen, die höchste Stelle einnehmen. Desshalb erscheint die
oberste Farbe am Regenbogen hell und roth. Dann folgt wässeriger
Dunst, der etwas grössere Tropfen bildet. Desshalb ist die zweite
Farbe grün, denn durch wässerigen Dunst scheint das Licht mit
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grttner Farbe. Wir bemerken dies häufig in einer wannen Stube,
in der nasse Tücher trocknen und die Luft sehr feucht ist. Brennt
in solchem Raum ein Kerzenlicht, so erscheint ein grüner Kreis um
die Flamme. Ist dagegen die Luft nicht besonders wasserhaltig, so
erscheint der Kreis weiss oder bleich. Die dann folgenden Tropfen
sind noch schwerer und grösser, und desshalb erscheint die Regen-
bogenfarbe an dieser Stelle heller. Die grossen Spiegel können
nemlich das Sonnenlicht in seiner Eigenheit besser aufnehmen wie
die kleinen, darum sind die, die grüne Farbe reflektirenden,
spiegelnden Tropfen kleiner wie «die, welche die gelbe, und grösser
wie die, welche die rothe Farbe wiederspiegeln.
Im Sommer zeigt sich beim Mittagsstande der Sonne kein
Regenbogen, weil das Sonnenlicht in den zerstreuten und hoch über
unseren Beobachtungspunkt in die Höhe gezogeneu Dünsten nicht
reflektirt werden kann. Zum Sichtbarwerden eines Regenbogens
gehören drei Dinge: Die Sonne muss auf der einen Seite stehen,
der geeignete Regenfall auf der anderen Seite stattfinden, und der
Beobachter in der Mitte sich aufhalten. Steht aber die Sonne hoch
über unserem Haupt, so lassen sich diese Bedingungen nicht in
entsprechender Weise erfüllen. Im Winter dagegen, wo die Sonne
am Mittag so geneigt und niedrig steht, kann zu jeder Zeit ein
Regenbogen erscheinen. Wenn der Regenbogen im Süden steht, so
giebt es vielen Regen, denn er zeigt an, dass viel wässerige Wölken
in der Luft unmittelbar über unserer Gegend stehen. Erscheint er
dagegen im Norden, so deutet er auf massigen Regen und im
Sommer auf Gewitter. Wird er im Osten sichtbar, so zeigt er
schönes Wetter an. So heisst es in unserem lateinischen Text.
Jetzt haben wir von dem zweiten Element, der Luft und den
wunderbaren Dingen gesprochen, die in ihr vor sich gehen. Wir
wollen nun weiter von dem dritten Elemente, dem Wasser reden.
81. Vom Wasser.
Das Wasser ist kalt und feucht und umgiebt das ganze Erd-
reich. Nur an den Stätten, wo Menschen wohnen und andere
Wesen, die ohne Luft nicht existiren können, ist die Erde vom
Wasser frei. Das grosse Meer, das die Erde umfliesst, heisst
lateinisch Amphitrite, was auf deutsch das umhergehende Meer be-
deutet. Dies Meer strömt von Norden nach Süden, weil die Erde
im Norden höher ist wie im Süden. Von diesem Meer fliesst
Schulz, Konrad von Megenberg's Bach der Natar. o
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mancher Arm in manches Stück Land hinein. Die Gewässer des
Meeres^ sind salzig. und nicht zu trinken, weil die Sonne sowie die
übrigen Gestirne die meiste Zeit . über dem Meere stehen . und aus
dem Erdreich des Meeresbodens irdjsjchen Duqst herausziehen und
mit dem Wasser Termengen. Dadurch wird es bitter und salzig,
und dass es wirklich sich so verhält, ersieht man daraus: Wenn
die. Seeleute sjch süsses Wasser herstellen wollen, das sie. trinken
und mit dem sie ihre Speisen kochen können, so nehmen sie einen
grossen, aus,. Wachs gefertigten Becher und ziehen diesen so lauge
durch das Wasser, bis. das reine Wasser hindurchgeseiht und. die
erdigen Beimengungen draussen, geblieben sind. Dann kann man
es gut trinken. Den Salzgehalt des Meeres erkennt man auch
daraus, dass ein grosses, beladenes Schiff auf Salzwasser schwimmt,
das in süssem Wasser untergehen würde. In Folge des Gehaltes
an erdigen Bestandtheilen ist nemlich das Salzwasser dichter wie
das süsse Wasser. Man kann das auch am todten Meere beobachten,
dessen Wasser aus demselben Grunde so dicht ist, dass ein an
Händen und Füssen gebundener Mensch oder irgend ein gefesseltes
Thier oben auf schwimmt, wenn man sie hineinwirft. Es kann
auch kein Fisch oder sonstiges Wasserthier darin lebendig bleiben,
desshalb heisst es auch das todte Meer. Einige Meere fliessen in
einer Nacht und einem Tage ein- oder zweimal ab und zu. Dies
kommt vom Monde her, der ein Vater der Gewässer ist. Er hebt
das dunsthaltige Wasser, wie es das Seewasser und diesem ähnliches
ist, in die Höhe. Denn wenn der Mond über irgend einem Lande
oder einer Gegend, wo ein Meer sich befindet, aufgeht, so wirft er
sein Licht schief auf das Meer, das Licht erhebt in Folge dessen
den irdischen Dunst und durchwärmt ihn, so dass er das Wasser
in der Breitenausdehnung des Meeres mit sich in die Höhe nimmt.
Erreicht dann der Mond in seinem Laufe den Zenith, so wirft er
sein Licht senkrecht auf das Meer und zerstreut die irdischen Dünste
in der Längenausdehnung des Meeres. Das Wasser sinkt dadurch
wieder zusammen und fiiesst nach der Längsrichtung des Meeres
hin ab. Es riecht dann sehr übel nach den gebrannten irdischen
Dünsten, die es in die Luft hat entweichen lassen. Ist darauf der
Mond bis zu der Stelle seines Unterganges gelangt, so wirft er sein
Licht wiederum schief auf das Meer, und das Wasser steigt wieder,
weil das Licht jetzt schwächer ist wie vorher, wo der Mond im
Zenith stand. Weil er nun unter diesen Verhältnissen den Dunst
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nicht aus dem Wasser herausziehen k^nn, so hebt er ihn nur unter
dem Wasser. in die Höhe und das Wasser mit ihm. Aus diesem
Grunde, muss das Meerwasser dann wieder ansteigen. Alle grossen
Gewässer fliessen schliesslich ins Meer, einige nach Osten, wie die
Nab, der Regen, die Isarund die Donau, andere nach. Westen, wie
der Main, der Rhein, die Rhone und andere Flüsse. Nun kann
man sich w.ohl wundern, dass das Meer nicht immerzu- merklich
wächst. Aber einmal ist das Meer sehr gross und dann erstreckt
sich auch die Kraft der Sonne und der übrigen Gestirne in be-
deutender Weise, auf das Meer und verwandelt einen grossen Theil
des Meerwassers in Dunst. Auch fliesst viel Meerwasser in die
Vertiefungen der Erde, wodurch die grossen Seeen gebildet werden
und die stillstehenden Meere. Jedoch muss man wissen, dass nicht
alle schiffbaren Flüsse Ausflüsse des Meeres sind, denn etliche haben
ihren Ursprung in den. grossen Höhlungen des kalten und felsigen
Gebirges. Dort wandelt sich nemlich der wässerige Dunst, der das
Erdreich von den Tagewasseru und dem, auf einigen Bergen jahre-
langliegenden Schnee her durchsetzt, zu Wassertropfen. Die Tropfen
vereinigen sich dann von einer Höhle zur anderen, bis sie ein Bäch-
lein bilden. Aus vielen kleinen Wasserläufen wird schliesslich ein
grosser Bach, und dieser wächst so lange, bis er sich einen Ausweg
aus dem Gebirge sucht. Die Stelle seines Austritts wird dann die
Quelle eines .fliessenden Wassers oder eines Brunnens oder eines
See's im Gebirge. Zuweilen findet aber der Austritt des Wassers
auch entfernt vom Gebirge, ein, zwei oder- mehr oder weniger
Meilen weit^ in einer Ebene statt. So entspringen die Bäche und
die Brunnen. Jedoch, wollen wir die wunderbaren Brunnen erst im
letzten Abschnitt dieses Buches . besprechen.
Du sollst ferner wissen, dass das Wasser seinen Geschmack
und seine Eigenart dem Erdreich entnimmt, das es durchfliesst.
Desshalb findet man einige Gewässer salzig schmeckend, die durch
salzhaltigen Boden fliessen, andere sauer, noch andere, die sumpfigen
Grund haben, von moorigem Geschmack. Auch von Metallen und
dem in der Erde vorhandenen Schwefel nimmt das Wasser sehr
leicht einen Geschmack an. Desshalb riechen die heissen Quellen,
die man Wildbäder nennt, nach Schwefel, w^eil das Wasser durch
brennendes, schwefelhaltiges Erdreich hindurchfliesst, wodurch es
sich erhitzt und den übelen Geruch annimmt. Man weiss dies daher,
dass mit dem Wasser häufig Schwefelstücke ausgeführt werden, und
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desshalb zieht solches Wasser auch die Feuchtigkeit aus, die zwischen
Haut und Fleisch sich findet. Zuweilen entspringen zwei Gewässer
nahe bei einander, von denen das eine heiss, das andere kalt ist.
Die Wasseradern beider liegen im Gebirge weit von einander ent-
fernt, treten aber an einer gemeinschaftlichen Stelle aus der Erde
hervor. Das Wasser einiger Quellen ruft bei den Leuten die Kropf-- ■
krankheit hervor, wie denn in Kämthen viel Kropf kranke sich
finden. Der diesem Wasser beigemengte irdische Dunst ist nemlich
zäh und hat die Eigenheit, dass er sich in den Gefässen des Halse»
ansammelt, diese auftreibt und so den Hals kropfig werden lässt.
Desshalb ist es sehr thöricht, wenn ein Reisender allerorts das
Wasser versucht. Die tiefen Brunnen sind im Sommer kalt und
im Winter warm, weil zur Winterszeit die warmen Dünste in das
Erdreich hineinziehen und die Erde im Innern erwärmen; im Sommer
dagegen treten sie heraus und das Erdinnere bleibt kalt. Dasjenige
Wasser eignet sich am besten zum Getränk, welches durch Felsen
und Sandboden fliesst, denn es ist leicht und rein, eröffnet den Leib
und befördert die Entleerung des Harns. Wasser dagegen, welches
durch kupferne Röhren geleitet wird, ist sehr schlecht und schädlich,
besser ist das durch Bleiröhren geführte, das beste aber dasjenige,,
welches durch Röhren von Fichtenholz geleitet wird, denn das Holz
ist sehr lufthaltig. Von allem Wasser ist reines Regenwasser das
gesundeste, weil es leicht und süss ist und vom Magen leicht ver-
daut wird. Es wird auch leicht kalt und leicht warm. Es bringt
auch Durchfälle zum Stehen, und wenn es in einer Cisteme sich
befindet und klar geworden ist, so stärkt es den Magen und schadet
ihm nicht. Diejenigen Gewässer, welche im Süden oder Osten ent-
springen oder von warmen Bergen herabfliessen, gleichen dem Regen-
wasser und sind gesund. Die schädlichsten dagegen sind die im
Westen oder Norden entspringenden, denn sie erzeugen Steine in
den Nieren und der Blase und machen die Frauen unfruchtbar,
Sie machen auch den Menschen träge und unlustig, verhindern bei
Kranken den heilsamen Ausbruch des Schweisses, rufen Durchfall
hervor und erregen Erbrechen und Unverdaulichkeit. Das gewöhn-
liche Wasser besitzt eine ganze Reihe von Eigenschaften: Es reinigt
und führt die Unsauberkeit fort, es fliesst bergabwärts, es verlässt
seine Mutter nicht, denn es fliesst zum Meere zurück, es folgt dem
grossen allgemeinen Zuge aller Gewässer zu einer gemeinschaftlichen
Vereinigung, es ist ein Bestandtheil der Erde, es macht die Strassen
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kothig, es ist armer Leute Getränk, es ist klar und wie ein Spiegel,
in dem man sich besehen kann, es behält die Spuren der Schiffe
nicht, es yerlöscht das Feuer, es vertreibt den Durst und wird nicht
dick, wenn es für sich und nicht durch andere Dinge verunreinigt
ist. Dieselben Eigenschaften besitzt eine reuige, bekehrte Seele,
ihnen soll ein weiser Mensch nachzustreben suchen.
Das löbliche Wasser hat zwei besondere Eigenschaften. Die
erste kommt von ihm selbst und seiner eigenen Natur. Die zweite
ist durch seinen Ursprung bedingt. Aus sich selbst hat es die Eein-
heit, die Feuchtigkeit und die Kälte, sowie die Färb-, Geschmack-
und Geruchlosigkeit. Denn besässe es eine dieser letzteren Eigen-
schaften, so wäre es kein reines Wasser, sondern mit anderen
Elementen versetzt. Galeuus sagt, dass man das reine Wasser
durch drei Sinne erkenne: Mit dem Gesicht, weil es völlig durch-
sichtig und ganz rein sei, durch den Geschmack, weil es weder
sauer noch süss ist und keine andere Geschmacksempfindung wie
die der Kälte und Feuchtigkeit hervorruft. Mit dem Geruchssinn,
den man auch den Geruch allein nennt, erkennt man es auch, denn
es hat keinen, mit der Nase wahrnehmbaren Geruch. Der Gelehrte
Isaak giebt an, wie man erfahren kann, welches Wasser schwerer
und welches leichter sei. Er sagt: Wenn man ein leinenes Tuch
in zwei gleiche Hälften theiit, diese dann in zweierlei verschiedenes
Wasser taucht und sie nach dem Ausdrücken mit den Händen neben
einander zum Trocknen aufhängt, so ist das in dem zuerst trock-
nenden Tuche befindliche Wasser das leichtere. Hippokrates be-
zeichnet das Wasser als das reinste, welches in kurzer Zeit warm
und kalt wird. Galen us hält süsses Wasser für wassersüchtige
Leute am schädlichsten. Stehendes Wasser ist weniger gesund, wie
fliessendes, weil es aus dem Boden, auf dem es steht, böse Dünste
aufnimmt. Galenus giebt auch an, dass kaltes Wasser Geschwüre
zum Aufbruch bringe. Wenn man aus kaltem Wasser sehr kaltes
machen will, soll man es erwärmen und dann stehen lassen, dann
wird es sehr kalt. Isaak spricht, dass auf Schnee gekühltes Wasser
besser zu geniessen ist, wie der Schnee selbst und dass es weniger
schadet Ein Brunnen reinigt mit seinem Wasser andere Dinge
und bedarf doch selbst oft der Eeinigung. So ergeht es auch mit
manchem gelehrten Mann, der andere Leute tadelt und doch selbst
oft Tadel verdient. Angewärmtes Wasser gefriert schneller zu Eis,
wie kaltes. Das warme Wasser ist nemlich durch die Wärme in
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seinen einzelnen Theileu lockerer nnd feiner vertheilt, und läset
desshalb die Kälte schnell eindringen. Aus diesem Grunde be-
giessen die Fischer im Winter ihre Garne und Netze mit warmem
Wasser, wenn sie sie an den Enden beschweren wollen. Galenus
sagt, dass das süsse Wasser die Glieder weich und zitterig macht,
wie wir bei den Badknechten und Badfrauen bemerken können.
32. Tom Erdreich.
Das vierte und allerunterste der Elemente ist das Erdreich.
Es ist vom Himmel dreihundertneuntausend dreihundert und fünf-
undsiebzig Meilen entfernt. Das haben viele heidnische und christ-
liche Gelehrte bestätigt. So sagt unser lateinischer Text, und weiter-
hin heisst es, dass Niemand dies für eine falsche Behauptung und
frevelhafte Rede halten darf, denn es ist mit grosser Arbeit und
unter Zuhülfenahme sinnreicher Instrumente von den Stemsehem
gefunden. Gewöhnliche Leute aber, die wenig wissen, fertigen
manche lange Wahrheit mit einem kurzen Gelächter ab. Sie
glauben es auch nicht recht, dass man ausserhalb der Stadt auf
dem Felde die Höhe eines Thurmes in der Stadt mit Hülfe eines
Spiegels bestimmen kann, und doch ist es so. Ebenso findet man
auch die Entfernung des Himmels von der Erde. Die Erde ist das
dem Menschen passlichste Element, denn er wohnt auf der Erde
wie Gott und die Engel über dem Himmel. Die Erde nimmt den
Menschen bei seiner Geburt, wenn er zuerst in die Welt kommt,
auf und trägt den Neugeborenen. Nur die Erde ist dem Menschen
nicht feindlich gesinnt, die anderen Elemente dagegen schädigen
ihn oft, denn das Wasser ertränkt den Menschen, die schlechte Luft
tödtet ihn gleichfalls und das Feuer verbrennt ihn. Die Erde ist
von Natur kalt und trocken, äusserlich unansehnlich und birgt doch
in ihrem Inneren viele schöne Dinge, wie die Edelsteine und kost-
baren Metalle. So besitzt mancher demüthige Mensch innerlich
einen grossen Schatz. Das Erdreich ist sehr fruchtbar, denn nur
auf der Erde können Früchte wachsen. Wie viel Meilen der Um-
fang der Erde beträgt und die Grösse ihres Durchmessers findet
man in meiner deutschen Sphaera angegeben, ebenso auch den Grund,
wesshalb die Erde nicht unter unseren Füssen weg auf den Himmel
föUt. Das Erdreich zerföllt in drei bewohnbare Erdtheile. Der
erste heisst Asien, er erstreckt sich von Süden durch Osten zum
Norden hin. Der zweite heisst Europa und geht von Norden nach
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Westen. In diesem Erdtheil wohnen wir. Der dritte erstreckt sich
von Westen bis Süden. Asien allein nimmt die Hälfte der bewohn-
baren Erde ein. Wie das Herz mitten im Thierkörper, so liegt die
Hölle mitten in der Erde. So sprechen die heiligen Lehrer.
33. Tom Erdbeben.
Es ereignet sich oftmals hier und dort, dass die Erde erbebt,
so dass die Burgen niederfallen und oft ein Berg auf den anderen
stürzt. Die gemeinen Leute wissen nicht, woher das kommt und
deshalb fabeln alte Weiber, die sich grosser Weisheit rühmen, es
gäbe einen grossen Fisch, Celebrant geheissen, der seinen Schwanz
im Munde halte und auf dem die Erde ruhe. Wenn er 'sich nun
bewege oder umdrehe, so bebe die Erde. Das ist ein Riesenmärchen
und nicht wahr, und erinnert sehr an die jüdische Sage vom Ochsen
Behemoth. Wir wollen deshalb angeben, wie es sich mit dem Erd-
beben in der That verhält und welch wunderbare Folgen es haben
kann. /Das Erdbeben entsteht dadurch, dass sich in den unter-
irdischen Höhlen uud namentlich in hohlem Gebirge viel irdische
Düns te ansammeln und schliesslich in solcher Menge, dass sie in
den Höhlungen nicht verbleiben können. Sie stossen desshalb überall
gegen die Wände an, fliegen aus einer Höhle in die andere und
nehmen so lange zu, bis sie ein ganzes Gebirge ausfüllen. Das
Zunehmen der Dünste verursacht die Kraft der Gestirne, besonders
des Streitgottes, der Mars heisst und des Helfvaters oder des Jupiter
wie auch des Satumus, wenn sie in Constellation stehen. Wenn
nun die Dünste lange Zeit in den Höhlen rumoren, so wird ihr
Andrang schliesslich so heftig, dass sie mit Gewalt nach Aussen
durchbrechen und einen Berg auf den andern stürzen. Vermögen
sie nicht durchzubrechen, so verursachen sie doch eine heftige Erd-
erschütterung. Es giebt zwei Arten des Erdbebens. Entweder der
Erdboden schwankt langsam wie ein Schiff hin und her, und solches
Erdbeben ist für Burgen und andere Baulichkeiten weniger gefährlich.
Die Dünste schieben dann die Erde in kräftigem Andrang vor sich
her und lassen im Drängen wieder nach, grade wie wenn ein Mensch
den andern drängt und wieder zurückzieht, so dass eine Bewegung
wie die eines auf dem Wasser schwankenden Schiffes zu Stande
kommt. Oder die Erde erzittert in schnellen Stössen, wie wenn
einer den andern mit den Händen schüttelt. Dies ist für die Ge-
bäude sehr gefährlich, denn davon stürzen die Mauern ein. In
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solchem Fall jagt eiu Dunst den Andern und stösst ihn rasch Ton
einer Seite zur andern. So schüttelt sich wohl ein Mann, nachdem
er sich seines Harns entledigt hat, und nun die kalte Luft in den
Leib hineinzieht und dabei die warmen Geister im Kdrper hin und
her jagt, so dass er sich schütteln muss. Dass es sich in der That
so verhält, finden wir aus deutlichen Anzeichen. Erstens saust und
zischt es in der Erde vor einem Erdbeben oft so stark, als zischten
da hunderttausend Schlangen oder es brüllt darin, wie wenn greuliche
Ochsen brüllten. Dies rührt davon her, dass der Dunst in der
Erde sich in Bewegung setzt und durch alle Spalten zwängt, die
ihm im Wege stehen. Es ist grade so, wie wenn Wein aus einem
verspundeten, hölzernen Fässchen ausfiiesst: die Luft dringt dabei durch
die engen Fugen ein und verursacht ein sausendes Geräusch. Sind
die Spalten in der Erde lang und weit, so hört es sich an wie der
Ton eines grossen Heerhoms. Zweitens verdunkelt sich die Sonne
über Tag oder färbt sich roth, weil der dicke irdische Hauch
zwischen die Sonne und unseren Beobachtungsort in die Luft auf-
gefahren ist. Drittens wird die Luft vor oder nach einem (Erd-
beben so vergiftet, dass viele Leute davon sterben. Wenn nämlich
der irdische Dunst lange Zeit unter der Erde abgeschlossen bleibt,
so verfault er und wird sehr giftig. Wir sehen das bei lange zuge-
schüttet gewesenen Brunnen. Wenn man sie zur Reinigung wieder
öifnet, sterben häufig die ersten Arbeiter, die zum Beinigen hinein-
steigen. Das hat man oft gesehen. Auch bei den Bergknappen
kommt es vor, dass sie beim Einfahren schwindlich werden und
umhertaumeln wie Betrunkene, obwohl in diesem Falle der Dunst
gar nicht lange an einer Stelle eingeschlossen war, da die Schächte
offen sind. Grosse Dinge ereigneten sich durch das Erdbeben,
welches im Jahre 1348 nach Christi Geburt am Tage Pauli Be-
kehrung die Stadt Villach in Kärnthen heimsuchte. ^) Es kamen in
dieser Stadt viele Menschen um's Leben, Kirchen und Häuser
stürzten ein und ein Berg auf den andern. Das Erdbeben geschah
um die Vesperzeit und war so stark und ausgedehnt, dass es sich
über die Donau hinüber bis nach Mähren und nach Baiern herauf
bis jenseits ßegensburg erstreckte. Es hielt über vierzig Tage lang
an, denn nach dem ersten Hauptstosse erfolgten nach Tagen und
^) Der folgende Bericht ist von besonderem Interesse in Rücksicht auf
das gewaltige, noch in Aller Gedächtniss befindliche Erdbeben, das denselben
Landstrich im vergangenen Jahre heimgesucht hat.
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Wochen noch kleine Stösse. Ein Jahr darauf kam es in demselben
Gebirge am Sanct Stephanstage wiederum zu einem deutlich wahr-
nehmbariBU Erdbeben. Bedenke, dass der Dunst, der in dem grossen
-Gebirge eiiigeschlossen war, sich lange Jahre hindurch angesammelt
hatte! Als er nun in die Luft hinaus durchbrach, war es natürlich,
dass er sie jenseits des Gebirges auf viele hundert Meilen weit ver-
giftete und ebenso auch diesseits in grosser Ausdehnung. Es wurde
bald deutlich, denn in demselben wie auch in dem nächsten Jahre
erfolgte das grösste Sterben, das je nach und vielleicht auch vor Christi
Geburt dagewesen ist. 2) In den am Meer belegenen Städten, wie
zu Venedig, Marseille, durch ganz Apulien hin und zu Avignon
starben Leute ohne Zahl. In dem ersten Jahre des grossen Erd-
bebens war der Jammer so gross, dass Pabst Clemens der Sechste
eine neue Todtenmesse anordnete, Gott anzuflehen, er möge sich
über das Volk erbarmen. Die Messe begann mit den Worten:
Recordare Domine testamenti tui! In diesem Jahre starben sehr
viele Menschen im Gebirge wie auch in der Ebene in einigen
Städten. Besonders gross war aber im folgenden Jahre die Zahl der
Todesfälle in der Stadt Wien in Oestreich, so dass man vom
Sonnwendstage bis zum Tage Mariae Geburt mehr als vierzigtausend
Leichen und darüber in der einen Stadt Wien allein zählt«. Das
Sterben erstreckte sich weiter nach Baiern hinein bis über die Stadt
Passau hinaus. Dafür, dass dies allgemeine Sterben von der ver-
gifteten Luft herkam, sprechen für mich viele Umstände. Zunächst
begann das Sterben im Gebirge und in den Seestädten. Dort nämlich
war der Dunst am stärksten und am giftigsten, weil das Meer die
Luft in den Höhlungen der Erde in seiner Nachbarschaft einge-
schlossen und sie dick und feucht gemacht hatte, so dass sie durch
und durch verfaulte und deshalb auch das Wasser vergiftete. Weiter
bekamen die von der Seuche befallenen und an ihr sterbenden Leute
Geschwüre unter den Achseln, und in den Geschwüren fand man
dicke Maden. Hielten die Geschwüre einige Tage au, so fand sich
nichts darin, als Dunst mit einer bösartigen Flüssigkeit. Die
Menschen hatten die vergiftete Luft in sich aufgenommen, diese
blieb in der Brust um das Herz herum, und die Natur, die dem
Herzen zur Hülfe kommen wollte, trieb das Gift nach den Achsel-
gruben hin, wo sioh dann die Geschwüre entwickelten. Vermochte
die Natur den giftigen Dunst nicht gehörig auszutreiben, so griff er
^) Der schwarze Tod.
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das Herz an und erstickte die Menschen. Desshalb starben namentlich
junge, zarte IndiTiduen in grosser Zahl und besonders viel junge
Frauen. Drittens schadete die tödtliche Seuche in dem Jahre nach
dem grossen Erdbeben den Leuten nur wenig, die in einiger Ent-
fernung von dem Grebirge in hoch gelegenen Orten wohnten. Als
sich die schwere giftige Luft Tom Gebirge erhoben hatte, senkte sie
sich bald zur Erde abwärts Und desshalb blieb die Luft in der Höhe
reiner wie in den Thälem. Viertens herrschten im Herbst und
Winter beider Jahre viele dichte, sehr brenzlich riechende Nebel,
weil sich der irdische Dunst in der Luft in Nebel umgewandelt
hatte und so dicht wurde, dass er sich zur Erde senkte. Er war
besonders für die Leute gefährlich, die ihn Morgens nüchtern ein-
athmeten« Desshalb hielten vorsichtige Leute sich in ihrer Wohnung,
durchräucherten sie mit wohlriechenden und kostbaren Dingen und
assen und tranken frühzeitig, damit die schädliche Luft ihren Kötper
nicht nüchtern betraf. Sie hüteten sich auch, zu den Siechen zu
gehen, damit der vergiftete Athem derselben und ihre tddtliche Aus-
dünstung nicht in sie hineinzöge. Fünftens schwammen die Birnen
auf dem W^asser, die in anderen Jahren untersanken. Dies kam
daher, dass der giftige Dunst sie völlig durchfressen hatte, so dass
sie viele Luft in sich aufnahmen und desshalb auf dem Wasser
schwammen. Darum war das Obst auch schädlich, wenn man es
nicht sorgfaltig kochte oder briet. Ebenso durchsetzte die schädliche
Luft auch das Herz der Menschen, und wenn sie es merkten, war
das Unglück da. Die Wahrheit war vielen Leuten Verborgen, und
einige behaupteten, die Seuche rühre von einem besonderen Stern
her, so lange er sichtbar bleibe, müsse auch das Sterben andauern.
Das war weit ab vom Ziel gerannt! Wir wissen wohl, dass Alles,
was in den vier Elementen sich ereignet, von der Kraft der Gestirne
abhängig ist. Man muss aber dabei angeben, in welcher Weise sie
Dies oder Das herbeiführen, ob mit Hitze oder Kälte oder sonstwie.
Auch war es weit vom rechten Wege ab, wenn sie sagten, das
Sterben dauere so lange, wie die Stetne sichtbar seien und ihre
Constellation anhalte. Denn die Constellation der am langsamsten
sich bewegenden Sterne, wie des Jupiter und des Saturn dauert nur
ein Jahr, alle andern verlaufen schneller. Nun dauerte das Sterben
leider länger wie ein Jahr. Jedoch wollte ich diesen Weissagungen
nicht entgegen sein bis jetzt, wo wir das Jahr 1349 nach Christi
Geburt schreiben. Ich sage desshalb: Die Seuche hält so lange an,
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bis der vergiftete Dunst die Luft geräumt hat, und das geschieht
Ton Tag zu Tag. Das wirkliche Ende weiss aber kein Lebendiger
auf Erden. Andere sagten, die Seuche käme von Gottes Gewalt.
Sicherlich, das war richtig, denn alle Dinge wirken im Willen
Gottes, ausgenommen die Werke des Sünders, der schafft Gott ent-
gegen uud sein Thun ist ohne Gott. Ich erlaube mir aber zu be-
haupten, dass Gott die Erde in einem Augenblick, ohne irgend
welche Seuche zur Hülfe zu nehmen, zerstören kann, wann und wo
er will. Aber er that es nicht zu dieser Zeit, denn alle, die früh-
zeitig aus jenen Gegenden flohen, kamen mit dem Leben davon.
Auch alle den Kittern, die mit König Ludwig von Ungarn^) in
Apulien waren, um seines Bruders Tod zu rächen, und schon früh
am Tage assen und tranken und sich nichts abgehen Hessen, ge-
schah nichts. Diejenigen aber, die nach Art der Welschen sich
nicht ordentlich satt assen, starben, weil die giftige Luft ihren
Körper durchdrang. Ich weiss aber wohl, dass Gott den Satten
ebenso gut treffen kann, wie den Hungrigen. Dritte endlich be-
haupteten, die Juden hätten alle Brunnen vergiftet um die Christen-
welt auszurotten. Man fand in vielen Brunnen mit Gift gefüllte
Säckchen vor, und es wurden unzählig viele Juden erschlagen, am
Rhein, in Franken und allen anderen deutschen Ländern. Wahr-
haftig ich weiss nicht, ob einige Juden das gethan haben. Wäre
es der Fall gewesen, so hätte das Grundübel darin allerdings eine
Unterstützung gefunden. Auf der anderen Seite aber ist mir wohl
bekannt, dass in Wien so viele Juden lebten, wie in keiner anderen
mir in Deutschland bekannten Stadt, und ihrer so viele an der
Seuche zu Grunde gingen, dass sie ihren Friedhof beträchtlich er-
weitern und zwei Häuser dazu kaufen mussten. Es wäre doch eine
Thorheit gewesen, wenn sie sich selbst vergiftet hätten. Indess
will ich die Bosheit der Juden nicht beschönigen, denn sie sind
unserer lieben Frauen und aller Christen Feinde.
Das Erdbeben bewirkt viele wunderbare Dinge. Erstens
werden von dem, beim Erdbeben aufsteigenden Dunst vielfach
Menschen und Thiere in Steine verwandelt, besonders in Salzstein,
und namentlich im Gebirge und in der Nähe von Salzbergwerken.
Es ist die starke, übermächtige Gewalt des Dunstes, der die Thiere
so verwandelt. So lehren die Meister der Naturwissenschaft,
Der Sohn Karl Roberts von Anjou. Sein Bruder Andreas war 1345 von
seiner eigenen Gemahlin Johanna ermordet worden.
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Avicenna und Albertus, Ebenso erzählte mir Herr Biterolf,
der Kanzler Herzog Friedrichs von Oesterreich, dass vordem auf
einer hohen Alpe in Eärnthen wohl fünfzig Haupt Menschen und
Rinder in Stein verwandelt wären, und dass die Viehmagd noch
unter einem Binde mit einem Handschuh an der Hand dasässe wie
in dem Augenblick, wo beide zu Stein wurden. Zweitens fahren
bei einem Erdbeben oftmals Flammen und glimmende Asche aus
der Erde hervor, die Häuser, Dörfer und Städte verbrennen können.
Es kommt dies daher, dass die Erde inwendig brennt. Drittens
wird häufig während des Erdbebens Sand und Staub in Menge aus
der Erde herausgeschleudert, so dass ein ganzes Dorf verschüttet
werden kann. Die Erde ist nemlich an einigen Stellen inwendig
sandig und staubig, darüber liegt eine starke, feste Rinde und diese
hindert den Dunst und hält ihn fest, so dass er nicht herausschlagen
kann. Endlich ist der eingeschlossene Dunst oft nicht stark genug,
eine Erderschütterung herbei fcu führen, er verursacht nur eine Er-
hebimg des Bodens und fällt dann wieder zusammen. Dies ereignet
sich häufig in Gewässern mit hartem Grunde. Wenn dieser gehoben
wird, fliesst das Wasser aus. Daher kommen die gewaltigen Wasser-
mengeu, die ohne Regengüsse oder Abthauen von Schnee sich von
den Bergen ergiessen. Sie werden nur durch die Winde und Dünste
verursacht, die sich unter dem Ursprung der Gewässer in den Ge-
birgen erheben.
Hier hat der zweite Theil des Buches ein Ende.
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III.
Hier beginnt der dritte Theil des Buches.
Ä. Ton den TMeren im Allgemeinen.
Der dritte Theil des Buches soll sich mit den verschiedeneu
Thierarten beschäftigen und zwar zunächst mit den Thieren, die
auf der Erde sich fortbewegen, dann mit allem Geflügel und schliess-
lich den Wasserthieren. Aristoteles giebt an, dass die zwei- oder
vierfüssigen Thiere blutreich sind, dagegen die mit mehr wie vier
Füssen ausgestatteten kein Blut haben. Darunter ist das Blut zu
verstehen, welches sich in den Blutadern findet. Die Insekten da-
gegen, wie zum Beispiel die Läuse, haben nicht solches Blut, da
sie, wie Plinius sagt, keine Blutadern besitzen. " Es ist eine ver-
breitete Ansicht, dass alle Meerthiere harte, wie von Knochen ge-
machte Augen haben und über ihnen eine harte Haut, damit daa
salzige Meerwasser ihre weichen Augen nicht angreift. Diese
könnten auch im Meerwasser nicht aushalten, wenn die Natur sie
nicht widerstandsfähiger geschaffen hätte, wie die Augen der anderen
Thiere. Es ist so wie bei den Endern dieser Welt, die ihre Ge-
danken in das üppige, unstäte Meer dieser armen Welt versenkt
haben: sie mögen ihren harten Sinn nicht erheben noch auch er-
weichen zu geistlichen Dingen und das Salz der ewigen Weisheit
vermag nicht, sie zu durchdringen. Aristoteles lehrt, dass mit
Ausnahme des Menschen jedes Geschöpf seine Ohren bewegen kann.
So gehört es sich auch, denn der Mensch soll die göttlichen Gebote,
die sein Ohr vernimmt, unwandelbar in seiner Seele und seinem
Herzen festhalten. Alle Thiere haben einen beweglichen Unterkiefer,
ausgenommen das Krokodil, welches ein Wasserthier ist, und die
Cencilen,^) die ihren Oberkiefer bewegen, wie weiter unten be-
Unbestimmbare Thierart.
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schrieben werden wird. Eine Zunge, die nicht zu breit und nicht
zu schmal, sondern von mittlerer Grösse ist, ist die bestgebaute,
denn eine solche vermag der Mensch leicht zu bewegen. Bedenke
dabei, dass der Mensch in seinen Worten sich der Massigkeit be-
fleissigen soll, denn viel reden ist nicht ohne Makel. Er soll aber
auch nicht zu schweigsam sein wie ein Stummer und ein Hund,
der nicht bellen will. Im Verhältniss zur Körpergrösse stehen beim
Menschen die Augen näher beieinander, wie bei den übrigen
Thieren. So sollen in uns Vernunft und Begierde, die Erkenntniss
Gottes und unseres Selbst vereinigt sein. Aristoteles sagt:
Alle Thiere, die einen buschigen Schwanz haben, haben einen kleinen
Kopf und grosse Kitihbäcken. So führen die Fürsten einen langen
Schwanz mit sich, denn es folgen ihnen viele Diener nach, und ihr
Kopf (das heisst der Sinn oder der Verstand) ist klein, aber die
Kinnbacken (das heisst ihre Gefrässigkeit) sind gross. Allen
Thieren, die zwei Hörner haben, fehlen die oberen Zähne, dagegen
besitzen sie zwei Magen, einen vorderen, der die Nahrung zunächst
aufnimmt und sie wiederkäut, und einen zweiten, mehr nach hinten
gelegenen, in welchen die Nahrung nachdem gelangt. Die nicht
gehörnten Thiere dagegen haben nur einen Magen, wie der Mensch,
der Löwe und andere. Das Haar wächst durch den Ueber&uss an
Feuchtigkeit und ' den, im Thierleib vorhandenen Dunst, erstere
entsteht aus zu reichlicher Ernährung. Sehr fette Thiere sind
wenig fruchtbar. So wiAeu auch die Leute, welche mit Reich-
thümern gesegnet sind, gar wenig Gutes, das heisst, wenn sie
ihren Sinn so völlig in ihren grossen Reichthum versenken, dass
sie weder Gott noch sich selbst erkennen. Aristoteles bemerkt,
dass reich behaarte Thiere oder mit starkem Federwuchs ausge-
stattete Vögel mehr zur Begattung geneigt sind und viel Samen
besitzen. Je mehr die Fettanbildung bei einem Thiere zunimmt,
um so mehr sinkt die Menge seines Blutes. Vollblütige Leute
werden früh alt, grade wie es sich mit zu feucht stehendem Ge-
treide verhält. Im Magen junger, noch saugender Wiederkäuer
findet man Coagula,^) die mit zunehmendem Alter immer besser
werden; sie sind besonders gegen Leibesflüsse gut, namentlich die
vom. Hasen und vom Hirsch. Die weiblichen Thiere sind schwächer
wie die Männchen, eine Ausnahme machen die Bärin und der
*) Die sogenannten Bezoarsteine, Aegagropilen, grösstentheils aus
verschluckten Haaren bestehend.
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weibliche Leopard, unter den Vierfüssern ist das Weibeben viel
gelehriger wie das Mannehen. Alfraganus sagt, dass Hunde*
milch, dicker sei wie die Milch aller anderen Thiere, ausgenommen
die des Schweins und ^ des Hasen. Er bemerkt weiter, dass die
vierfüssigen Thiere im Frühjahr den stärksten Begattungstrieb
zeigen. Alles Pleiseh vierfüasiger Thiere ist schädlich, wenn sie
ihre Nahrung, an nassen Orten suchen. Thiere mit kurzem, breitem
Schwanz leiden unter der Winterkälte mehr, als solche mit langem
Schwanz. Die Kuh hat eine stärkere Stimme, wie der Stier, bei
allen anderen Thieren ist die Stimme der Weibchen schwächer w^ie
die der Männchen. Weiter giebt Alfraganus an, dass das Pferd,
das Maulthier, der Elephant und das Kamel die Galle nicht, wie
andere Thiere, in einer besonderen Blase führen, sondern statt
deren mit Galle gefüllte, Gef ässe besitzen. Ausserdem sagt er, dass
der Wolf, der Fuchs und der Hund, ihre Jungen blind zur Welt
bringen. Aristoteles bemerkt, nach der Ansicht der Weissager
und Propheten bedeute es Streit unter den Menschen, wenn die
Thiere sich von einander trennen, und umgekehrt deute es. auf
Frieden, wenn sich die Thiere zusammen schaaren und eins dem
andern folgt. Ferner giebt er an, dass die Thiere, welche lange
Zeit denselben Aufenthaltsort gehabt haben, gern untereinander
kämpfen, das Männchen mit dem Weibchen und der Vater gegen
den Sohn, weil ihnen die Nahrung knapp geworden ist. Ist da-
gegen viel Futter da, so kehren die wilden Thiere zurück und
werden zahm. Pie Thiere kämpfen nur um Putter und Unter-
kommen. Diejenigen, welche rohes Fleich fressen, streiten mit
allen andern, weil sie sich von ihnen ernähren. Thiere, deren
Organismus sehr wasserhaltig ist, sind furchtsam: Furcht macht die
Natur des Körpers kalt. Die warmblütigen Thiere haben eine
Lunge, welche die Luft in sich aufnimmt, damit die innere Wärme
durch die Luft gemindert wird. Die Kaltblüter dagegen bedürfen
der Lungen nicht. Sehr haarige Thiere haben zähen Samen; wer
nur den Lüsten des Fleisches lebt, kann keine reinen Werke thun.
Männer mit starkem Bart und behaarter Brust zeugen leicht Ejnder,
besonders die schwarzhaarigen. Alle mit Augenlidern ausgestatteten
Thiere schliessen sie im Schlafe, ausgenommen der Hase und. der
Liöwe. Alle Thiere des Feldes, die Sägezähne haben, fressen
Fleisch. Wir denken dabei an die Fürsten, die böse Diener haben,
die fressen den armen Leuten das Ihre. Thiere mit vielen Zähnen
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leben in der Begel lange, die mit wenigen haben eine kürzere
Lebenszeit. Thiere ohne Lunge sind stimmlos, doch giebt es auch
stimmlose Thiere mit einer Lunge. Kein Thier, mit alleiniger
Ausnahme des Menschen, yergiesst den Samen schlafend oder
wachend ausserhalb des Weibchens Schooss. Daran kann man die
Schlechtigkeit der Menschen erkennen. Das körperliche Wachs-
thum aller Thiere ist durch die Dinge bedingt, zu denen sie ihre
natürliche Begierde treibt. So nehmen wir auch am meisten durch
Gott an menschlicher Seligkeit zu, weil unsere Yemunft am
meisten nach ihm verlangt. Alle Wiederkäuer befinden sich besser
und behelfen sich besser beim Wiederkäuen, weU ihnen dies eine
körperliche Annehmlichkeit gewährt. Sie werden auch bei massiger
Nahrung schneller fett als andere, nicht wiederkäuende Thiere.
Das rührt von dem ihnen angenehmen Wiederkäuen her. So wird
auch die Seele, welche die Lehren Gottes sich oft vorführt und
mit ganzer Andacht betrachtet, stark an göttlicher Gnade und
trunken von göttlicher Liebe. Die gallenlosen Thiere leben lange,
wie der Elephant, der Hirsch, das Kamel und der Delphin. So
erwerben auch die Sanftmüthigen das Land und Erbe der Lebendigen
im ewigen Leben. Alle vierfüssigen Thiere haben einen Schwanz,
Der Mensch dagegen hat keinen. Statt dessen hat er ein Gesäss,
und das Gesäss wird ebenso ernährt wie der Schweif bei den
Thieren. Ebenso verhält es sich beim Bären und Affen. Grosse
Thiere zeugen wenig Junge, weil ihre Nahrung sich sehr in ihrem
Körper vertheilt und in die Glieder übergeht. In Folge dessen
haben sie wenig überflüssige Feuchtigkeit und wenig Samen.
Ebenso steht es leider mit den Leuten auf Erden, die grosse
Würden besitzen, wie Bisthümer, Probsteien und andere Prälaturen,
und mit Predigen und anderen guten Werken wenig Frucht bringen.
Desshalb strebt des Menschen Sinn nach um so grösseren Dingen,
je kleiner er selbst ist. Ein jedes Thier, das^ sein Futter herab-
schlingt und nicht kaut, ist mager, wie der Wolf und der Löwe;
denn da das Futter nicht ordentlich zerkleinert ist, nährt es auch
den Leib nicht recht. Einige behaupten, dass uns manche Thiere
mit ihren fünf Sinnen übertreffen: der Bär und der Eber durch
das Gehör, der Luchs mit dem Gesicht, der Affe durch den Ge-
schmack, der Geier durch den Geruch (denn er wittert das Aas
aus weiter Entfernung), die Spinne durch das Gefühl. Diejenigen
Thiere, bei denen die Nahrung den Magen rasch passiert, sind un-
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ersätüich, wie der Wolf und seioes Gleichen, und bei den Vögeln
der Pelikan und der Taueher, der lateinisch Mergus heisst. So
sind auch die Menschen mager an guten Werken, die Gottes Wort
gleich wieder fahren lassen und vergessen. Wie Mancher spricht:
Ach welch gute Predigt der Pfarrer heute gehalten hat! und frage
ich: Was hat er gesagt? so ist die Antwort: Wahrlich, ich weiss
es nicht! Der Mensch hat acht Kippen, zuweilen auch zehn. Die
gehörnten Thiere haben dreizehn, die Schlangen dreissig. Plinius
giebt an, dass Thiere, die von Natur lange leben, auch längere
Zeit im Leibe der Mutter verweilen. Man könnte die Frage auf-
werfen, warum einige Thiere nicht wiederkäuen? Der Grund ist
der, dass einige Thiere einen sehr heissen Magen haben, der das
Futter leicht verdaut und zur Aufnahme durch den Organismus
passend macht. Solche Thiere käuen nicht wieder, wie das Schwein,
der Hund und diesen ähnliche. Andere aber haben einen kalten
Magen, die müssen wiederkäuen und ihre Nahrung zweimal zer-
kleinern, damit sie verdaut werden kann. Hierhin gehören die
Rinder, der Hirsch und diesen ähnliche Thiere, Ferner ist zu be-
achten, dass das Fett dieser Thiere trockner und härter und der
Talg stärker angebildet ist, wie bei denen mit heissem Magen.
Diese letzteren sind das Ebenbild sinnreicher Schüler, die zum
Lernen die rechte Hitze und Liebe zeigen. Sie machen sich die
Kost der heiligen Schrift gar leicht zu eigen. Die kalten Thiere
aber sind ein Sinnbild der Schüler, die zum Lernen träge sind und
die heilige Schrift nur schwierig in sich aufnehmen. Denn in die
bösen, zur Leichtfertigkeit geneigten Seelen zieht die Weisheit nicht
ein, wie Salomo spricht. Sie haben härteres Fett wie die anderen,
das heisst, sie leben ihren Genüssen und ihrer Wollust ohne gött-
liche Andacht, sie dienen der Nacht und nicht dem Tage, sie fallen
leicht auf ihr Gesäss, denn sie vergessen der künftigen Seligkeit
und ergeben sich irdischer Ueppichkeit. Jedoch ist zu bemerken,
dass das Schaf zwar einen heissen Magen hat, gleichwohl aber
wiederkäut. Dies rührt daher, dass es schlechte Zähne hat und
desshalb das Futter nicht ordentlich zerkleinern kann. So handeln
die klugen Meister und Schüler, die Das sehr oft wieder lesen,
was sie vorher wohl wussten, denn es fehlen ihnen die scharfen
Zähne, mit denen sie der Welt Ueppichkeit geniessen könnten.
Ich habe nun über die Thiere im Allgemeinen gesprochen.
Jetzt wollen wir von jedem einzelnen insbesondere handeln, und
Schals, Konrad von Megenberg's Bacb der Natur. 7
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zwar zunächst Ton denen, dereu Name im Lateinischen mit einem
A beginnt, dann vou denen, die mit ß anfangen, grade so, wie es
im A B C steht.
1. Vom Esel.
Das lateinische Wort Asinus heisst auf deutsch: ein Esel. ^)
Dies Thier weiss nichts vom Krieg, denn es ist sehr friedfertig.
Unter harten Streichen ist es sanft und gütig. Es trägt sehr schwere
Lasten. Das sind die lobenswerthen Eigenschaften des Esels. Sein
Laster ist seine Cnkeuschheit. Er ist hinten stärker wie vom, sein
Gang ist träge, sein Verstand gering: er weicht keinem ihm Be-
gegnenden aus. Die jungen Esel sehen ganz angenehm und ver-
hältnissmässig schön aus, aber je älter sie werden, um so hässlicher
ist ihr Anblick. Plinius sagt, die Milch der Eselin sei auffallend
weiss und vermöge auch die menschliche Hautfarbe zu verschönern.
Daher liest man auch, dass des Kaisers Nero Hausfrau sieh in
Eselsmilch gebadet habe. Der Uenuss von Eselsfleisch macht sehr
schlechtes Blut, auch ist es schwer verdaulich, jedoch besser, wie
Pferdefleisch. Warme Eselsmilch stärkt die Zähne und lindert ihre
Schmerzen, besonders wenn man sie damit einreibt Sie beseitigt
auch die Präcordialangst. Der Esel ist von Natur sehr kalt.
Aristoteles giebt auch an, dass die Esel die Kälte mehr wie die
anderen Thiere fürchten, desshalb begatten sie sich nicht in der
Zeit der Tag- und Nachtgleiche, wie die Pferde, sondern im Sommer
damit die Geburt in die warme Jahreszeit fällt. Die Eselinnen,
tragen ein ganzes Jahr. Plinius sagt, die Knochen vom Esel
seien weisser wie andere Knochen. Die Eselin wirft selten zwei
Junge, und wenn sie werfen will, so flieht sie das Licht und sucht
die Dunkelheit auf, damit sie von den Menschen nicht gesehen
wird. Darum lehrt die Schrift: Deine linke Hand soll nicht wissen,
was die rechte thut! Die Eselin bleibt fruchtbar, so lange sie lebt,
also etwa dreissig Jahre. So soll auch der Mensch in guten Werken
fruchtbar sein bis an sein Ende. Darum sagt die Schrift: Wer
ausharret bis ans Ende, der wird behalten werden! Einige Esel
trinken nur Brunnen- oder sehr reines Wasser. Desshalb sagt die
Schrift im zweiten Buche des Propheten Jeremias: Was nun,
Mensch, welche Kraft hast Du auf dem Wege in Egj^pten, dass Du
^) Kquus Asinus L.
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trübes Wasser trinkest? (das ist die weltliche Weisheit, die trübe und
finster ist) und was hast Du am Wege der Leute, die Assyrier
heissen,' dass Du fliessendes Wasser trinkest? (das ist die lebendige,
göttliche Weisheit). Wenn der Esel über eine Brücke gehen soll,
und durch die Brücke das Wasser sieht, so geht er nicht leicht
herüber. Ich sage auch, dass der Esel vorne, wo er schwach ist,
ein Kreuz auf dem Rücken trägt, hinten aber, wo die Nieren sitzen,
ist er stark. So treiben wir üppigen Pfaffen es: wo wnr das Kreuz
tragen sollten mit Fasten und Beten und allem göttlichen Dienst,
da sind wir leider schwach, aber wo wir unkeusch und ausschweifend
sind, da sind wir stark.
2. Vom wilden Eber.
Aper lateinisch heisst zu deutsch Eber, ^) und es giebt zweierlei
Art, den wilden und den zahhien. Der wilde ist ein starkes Thier,
völlig ungelehrig, wenn man ihn zähmen und gefügig machen will,
und allezeit grimmig und scharf. Er ist schwarz und hat grosse,
hauende Zähne, einen halben Puss lang. Am lebendigen Eber sind
sie scharf wie gestähltes Eisen, nimmt man sie dem Eber weg, so
sind sie nicht mehr so stark wie zuvor. Der Eber ist uns das
Sinnbild der grimmigen Leute, die keine Lehre zu guten Werken
annehmen wollen und allezeit grimmig und in ihren Sünden
schwarz bleiben. Diese Leute haben ihre Zähne gegen sich selbst
gekehrt, denn wer dem Anderen zu schaden trachtet, tödtet sich
selber zuerst. Sie haben halbfusslange Zähne, denn sie schädigen
des Nächsten Leib, der Seele aber vermögen sie nicht zu schaden.
Sie mögen wohl grimmig sein bei Lebzeiten, aber nach dem Tode
nicht mehr. Das Thier hat die Eigenheit, dass es schnell ermüdet,
wenn der Jäger es in der PrühlB jagt, ehe es seinen Harn entleert
hat. Hat es aber zuvor geharnt oder thut es während des Jagens,
so ist es nicht leicht zu fangen. Warmer, frischer Eberkoth ist
sehr gut gegen Nasenbluten. Wenn die Wildsau viel Eicheln
während der Tracht frist, so verwirft sie. Die Schweine haben
die Gewohnheit, die Erde umzuwühlen und mit dem Maule im
kothigen Schmutz zu roden. Das erste Junge der Sau ist kleiner
und schwächer wie die übrigen. Wenn sie viele Perkel hat, ist
ihre Milch sehr hell.
*) Sus scrofa L.
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3. Tom zahmen Seliwelm
Unter den zahmen Schweinen ist eins stärker wie die anderen,
dies beherrscht dann die andern alle. Kommt aber ein stärkeres
und überwindet das vorige, so wird es Herr über die andern.
Wenn ein Ferkel schreit, so läuft die ganze Heerde unter zornigem
Grunzen herzu. Ihre Wuth wird gestillt, wenn man sie mit Essig
besprengt. Die Sauen werden schneller fett, wenn man sie kastrirt.
Verliert ein Schwein ein Auge, so stirbt es eher als sonst Nach
dem Werfen reicht die Sau die erste Zitze einem männlichen
und nicht einem weiblichen Ferkel. Wenn der Mond bis zum
letzten Punkt abgenommen hat, nimmt auch das Gehirn der Sau
mehr ab, wie bei irgend einem anderen Thier und ist schliesslich
äusserst klein im Yerhältniss zur Grösse des Schweines.
4. Tom Alches.
Der Alches ist, wie Plinius und auch Soli uns berichten, ein
Thier, das rückwärts geht, wenn es an den Kräutern seine Nahrung
sucht. ^) Er ist ein Sinnbild der Menschen, die unten an den
Füssen mit dem beginnen, womit sie am Kopfe anfangen sollten.
So sind Einige, die wollen zuvor Betrachtungen anstellen und jubi-
liren und frohlocken über Gottes Güte, ehe sie über ihre Sünden
weinen, und so sind auch die Schüler, die eher Meister sein wollen
wie liehrlinge.
5. Yom Haane.
Aristoteles berichtet von einem Thier von der Grösse eines
Hirsches, welches Haane heisst.^) Bei diesem ist die Natur von
ihrer Gewohnheit abgewichen. Alle anderen vierfüssigen Thiere
haben ihre Galle inwendig im Leibe, dieses Thier aber nicht: es
hat seine Galle in den Ohren, sie ist sehr bitter und macht das
Thier sehr zornig und grimmig. Es ist ein Sinnbild der Leute, die
gerne auf Schmeichler hören, die andere Menschen verläumden,
und, wenn man auf sie hört, das Gute zum Bösen verkehren und
die Unschuldigen mit ihrer falschen Bitterkeit vergiften.
^) Cervus alces L., Elenthier, Elch. Solinus sagt: die Oberlippe h§n?t
so weit herab, dass es nur rückwärts gehend fressen kann.
') Der Achaines des Aristoteles. Wahrscheinlich identisch mit dem
gewöhnlichen Rothliirsch, Cervus elaphus L.
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6« Vom Auerrlnd.
Babalns heisst in einer deutschen Mundart ein Auerrind, in
einer anderen ein Waldrind. ^) Es sieht ganz gutmüthig und sanft
aus, ist aber sehr behende und grimmig, wenn es in Zorn geräth.
Es ist grösser wie ein gewöhnliches Rind. Seine Milch wirkt beim
Menschen leicht lösend und heilt frische Wunden. Auch denen,
die Gift genommen haben, ist sie zuträglich. Auch seine Galle ist
heilsam, denn sie wirkt günstig auf die Narben nach Verwundungen
ein und heilt Ohrenschmerz. Das Waldrind hat die Eigenart, dass
es zornig wird und sich auf die Erde niederstreckt, wenn man ihm
gegen seinen Willen eine zu schwere Last aufbürdet. Man kann
68 dann auch mit festen Schlägen nicht leicht auf die Beine bringen,
es sei denn, man erleichtert ihm die Last, die ihm aufgelegt war*
Ln Lateinischen heisst es auch Bisontes.
7. Tom Bomaelins.
Der Bomachus ist, nach Angabe des Solin us, ein Thier mit
dem Kopfe eines Ochsen und dem Leib und den Unterschenkeln
eines Pferdes.*^) Seine Homer sind so vielfach gekrümmt, dass es
andere Thiere, die es mit den Hörnern stösst, nicht verletzen kann.
Wenn es gejagt wird, hat es die Gewohnheit, seinen weichen Koth
aus seinem Leibe auf den Jäger zu werfen auf eine Entfernung
von eines Ackerjochs Länge. Der Geruch des Kothes erregt
Brennen. Mit diesem Yertheidigungsmittel verjagt der Bomachus
seine Feinde. Dieses Thier ist ein Sinnbild der guten, höheren
Geistlichen, die den anderen vorgeordnet sind und in Folge ihres
festen und gleichmässigen Lebenswandels ihre Homer nach innen
gekrümmt haben. Wenn sie auf ihre Untergebenen stossen, so
verwunden sie nicht, denn sie erweisen Das durch ihre eigenen
Werke, was sie ihren Untergebenen mit Worten lehren.
8. Vom EameL
Der grosse Meister Basilius giebt vom Kamel^) an, dass es
ein besonders gutes Gedächtniss für das Böse habe und seinen
^) Muss Bos bubalas L., (Bubalus buffelus L), der Büffel, sein, da die
ganze Schilderung nicht auf den nicht zähmbaren Bos ums L., Auerochs,
passt Vergl. den folgenden Artikel.
') Bonasus ist die aristotelische Benennung des Auerochsen, Bos urus
L. (Bison europaeus Ow.), und hier wohl gemeint.
*) Gamelus bactrianus und dromedarius L., das Trampelthier und das
Dromedar sind hier wohl gemeinsam behandelt. Vergl. No. 23.
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schweren Zorn lange für sich behalte. Schlägt man es, so lässt
es sich Nichts merken, bis ihm die Zeit und Gelegenheit passend
scheinen, dann rächt es sich ohne Zögern. Es verschlingt die
Gerste, seine Nehrung, sehr schnell, und behält sie bei sich, um
sie bei Nacht mit Wiederkäuen nochmals zu verzehren. Einige er-
zählen auch, es habe die gute Eigenschaft, dass wenn in einer
ganzen Heerde oder im Stall ein Kamel krank ist und nicht frisst,
alle andern, wie aus Mitleid, auch nicht fressen. Zur Brunstzeit,
wenn es sich begatten will, sucht .es einen verborgenen Platz auf,
damit die Leute es nicht sehen. Es begattet sich von hinten und
das Weibchen ist so brünstig, dass es vor Wollust knurrt. Pllnius
sagt, getrocknetes Kamelhirn, in Essig getrunken, heile die fallende
Bucht. Solin US behauptet, dass die Kamele eine zu schwere Last
nicht annehmen. Meister Michael von Schottland giebt an, dass
das junge Kamel gleich nach der Geburt sein Putter auf der Weide
aufsucht. Aristoteles erzählt, dass ein Mann eine Kamelstute mit
seinem Mantel bedeckte, weil ein männliches Junges derselben sich
mit der Kamelstute begatten und nicht wissen sollte, dass sie seine
Mutter sei. Ehe es aber die Begattung vollzogen hatte, bemerkte
es den wahren Verhalt, liess von ihr ab und tödtete den Mann,
weil es in seiner Art liegt, sich nicht mit seinem Mutterthier zu
begatten.
9. Vom Hunde.
Jacobus sagt, die Hunde^) seien zu allen Dingen gelehrige
Thiere, und wenn sie auch gern schlafen, so behüten sie ihres
Herrn Haus doch wachsam. Sie haben ihren Herrn so lieb, dass
sie oft seinetwegen sterben. Von allen unvernünftigen Thieren
kennt der Hund allein, wie Solinus bemerkt, seinen eigenen Namen.
Jakobus giebt auch an, dass einige Hunde im Stande sind, die
Diebe zu wittern und sie voll Hass aus ^ anderen Leuten herauszu-
suchen. Wenn auch einige Hunde gern am Tische ihres Herrn
liegen, so haben sie sich, wie Jakobus sagt, dabei doch so, dass
sie ein Auge auf die milde Hand ihres Herrn und das andere auf
seine Hausthüre werfen. Wenn die Hunde jemand grimmig an-
laufen und er fällt auf die Erde, so wird ihre Wuth besänftigt.
Die Hunde werfen blinde Junge, diese bleiben zwölf Tage, zuweilen
Canis familiaris L. in seinen verschiedenen Arten.
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auch, drei Wochen lang, blind: Die. Hündin trägt vierzig Tage.
Während der Begattung bleiben die Hunde wegen r ihres übermässigen
Triebes an einander hängen. Der beste Hund unter den Jungen
ist der, der zuletzt sehend wird oder den die Hündin zuerst bei
Seite' 'trägt.- Die Huadswuth veria>eibt man, wenn man den Hunden
einen Kappaun mit Honig zu fressen giebt. Der Biss toller Hunde
ist tödtlieh, man heilt ihn aber mit der Wurzel der wilden Kose.
Die Milch der Hunde isi: dicker wie alle andere Milch, ausgenommen
die des Schweines und des Hasen. Die Hündin hat sieben Tage
vor dem Wurf Milch in ihren Zitzen. Wenn ein Hund nach einer
Züchtigung heult, so zürnen die andern, fallen über ihn her und
beissen ihn. Merke, dass bei allen Thieren die Männchen länger
von Natur leben, wie die Weibchen, mit Ausnahme der Hunde,
kommt es nun von der schweren Arbeit her oder von etwas Anderem.
Wenn die Hunde krank sind, so fressen sie ein Kraut, das die
Zunge stark reizt, Dadurch verlieren sie dann mit Würgen die
schädliche Flüssigkeit aus dem Magen und werden so gesund. Das
Alter der Hunde erkennt man nach Aris4;oteles nur aus dem Ge-
biss, denn die Zähne junger Hunde sind scharf und weiss, die der
alten stumpf und schwarz. Einige behaupten, die Hunde könnten
fern von Menschen nicht aushalten, und würden wüthend, wenn sie
zu den Häusern der Menschen keinen Zutritt mehr haben. Die
Zunge des Hundes heilt seine eigenen wie auch fremde Wunden
mit Leoken, und ist deshalb seine Aerztin. Die männlichen Hunde
fügen der Hündin nicht gern Böses zu. Das ist atich vieler anderen
Thiere Art. Gott hat das bei den üilvernünftigen Thieren weislich
angeordnet, damit die Mensehen ebenso handeln, denn weiln Mann
und Frau schlecht mit einander leben, haben sie viel * schwere Zeit.
Der Stärkere soll dem Schwächeren gegenüber nachsichtig sein,
und der Schwächere dem Stärkeren nachgeben. Eine böse Ange-
wohnheit haben die Hunde: sie verunreinigen tind benetzen die
schönsten Orte und Gewänder. Schuhe von Hundsfell an den
Füssen sind gut gegen die Gicht, wenn aber die Hunde sie wittern,
so benetzen sie sie. Giebt man einem anderen, kranken Thiere
Hundeblut, so wird es gesund. Um zu erkennen, 6b ein Biss von
einem wuthkranken Hunde herrührt oder nicht, verfahrt man so:
Man macht aus einer gut gebackenen Nuss ein Pflaster, legt es
einen Tag und eine Nacht auf die Wunde und giebt es dann einem
hungrigen Hahn oder einer Henne zu fressen. Trinken sie darauf.
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so rührt der Biss nicht yon einem . tollen Hunde her, trinkt der
Hahn oder die Henne aber nicht, so -wat der Hund wuthkrank,
und der Hahn oder die Henne stirbt. Doch können sie noch einen
Tag und eine Nacht nachher leben. Ferner: Wenn man ein Stikk
Brot in das Blut einer, von einem toUen Hunde gebissenen Wunde
drückt, so frisst kein gesunder Hund davon. Es ist auch eine
wunderbare Sache und kommt oft Yor, dass ein von einem
wüthenden Hunde gebissener Mann die jungen Hunde wie ein Hund
leckt und wie ein Hund beUt. Alexander lehrt, wie ^ man wuth-
kranke Menschen heilen soll und räth, man solle die Wunde ein
Jahr lang offen halten und sie nicht yemarben oder überhäuten lassen.
10. Vom Biber.
Das lateinische Wort Castor heisst auf deutsch: ein Biber, ^)
und Aristoteles sagt, dass die Testikel des Bibers Castoreum, auf
deutsch Bibergeil, genannt werden. Plinius giebt an, dass der
Biber sich seiner Galle durch Erbrechen entledige. Das Bibergeil
ist für viele Arzneien gut und der Biber glaubt, man jage ihn
lediglich deswegen. Das im Darme des Bibers vorkommende
Coagulum ist gut gegen die fallende Sucht. Der Biber kann nicht
lange aushalten, wenn sich sein Schwanz, der einem Fischschwanze
gleicht, nicht im Wasser befindet. Das Bibergeil macht heiss und
trocken und hat die Kraft, die Geister und Feuchtigkeiten auszu-
treiben, welche den Krampf hervorrufen. Auch denjenigen, denen
in Folge von Nervenschwäche die Hände zittern, ist es von Nutzen.
Den kranken Gliedern der Gelähmten ist es heilsam, wenn man
Bibergeil mit Wein kocht und der Kranke sich damit salbt und
bestreicht, das Bibergeil bei sich behält und häufig daran riecht.
Der Biber hat die Gewohnheit, dass er sich die Testikel selbst aus-
beisst und sie liegen lässt, wenn der Jäger ihn jagt, denn er meint,
man jage ihn nur der Testikel wegen.
11. Von der Ziege.
Capra heisst eine Ziege 2) und es giebt ihrer zweierlei, zahme
und wilde. Ziegenmilch ist sehr süss, aber sehr schädlich, sobald
sie geronnen ist. Ziegenmilch steht an Güte der Frauenmilch am
*) Castor über L. Das officinelle Castoreum stammt nicht aus den
Testikeln, sondern findet sich in den beiden Bibergeildrüsen.
') Capra hircus L.
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nächsten, aber Aristoteles nennt den Ziegenkäse zu Nichts nutz.
Die Ziegen haben die Eigenart, unfruchtbar zu werden, wenn sie
fett werden, auch verwerfen sie leicht durch schädliche Kälte.
12. Ton der wilden Ziege, Gemse genannt.
Die wilde Ziege ^) ist ein sehr kluges Thier. Ihr behagt es
auf hohen Bergen. Aus weiter Ferne sieht sie es sich bewegenden
Menschen an, ob es Jäger sind oder andere Leute. Einige sagen,
die Gemsen holten weder durch die Ohren noch durch die Nase
Athem. In der Brunst verdrehen die Böcke die Augen in ihrem
Kopfe. 8ie sehen bei Nacht so gut wie am Tage. Desshalb ist
ihre Leber für Diejenigen gut, die bei Nacht sehen konnten und
diese Fähigkeit verloren haben. Die Bocksgalle vertreibt, auf die
Augenbrauen gelegt, die Trübsichtigkeit und verhilft zu hellen
Augen. Wenn man die Bocksgalle irgendwo hinlegt, wo viele
Frösche sind, so versammeln sie sich alle an der Stelle. Aristoteles
berichtet, dass die Böcke oft tagsblind werden und also nicht gut
sehen können, aber in der Nacht wird ihr Gesicht wieder scharf.
Wenn man ein Gemsenhom anbrennt, so dass es stinkt, und es
.einem an der fallenden Sucht Leidenden vor die Nase hält, tritt
sofort ein Anfall bei ihm ein. Ein solches Hörn verjagt auch die
Nattern. Ganz frisches, noch warmes Bocksblut vermag den harten
Diamanten, den kein Eisen beschädigen kann, zu zertrümmern.^)
PliniuB sagt, die Gemsen ässeu giftige Kräuter ohne daran zu
Grunde zu gehen; Andere aber geben an, dass die Gemsen sterben,
wenn sie Honig fressen. Durch das Anbeissen der Ziegen werden
die Bäume sehr beschädigt. Auch machen sie den Oelbaum un-
fruchtbar, wenn sie ihn belecken. Wenn die Gemsen geschossen
werden, so fressen sie ein Kraut, Polei genannt, damit sie das Ge-
schoss schneller wieder aus ihrem Leibe entfernen können.
13. Tom Beb.
Capreola auf lateinisch oder was Plinius Rupicapra nennt,
ist eine wilde Ziege, die auf deutsch Reh^) genannt wird. Gegen
seines Gleichen ist das Thierchen sehr bösartig, anderen Thieren
gegenüber aber furchtsam und sanft. Zup Brunstzeit führen die
Rehböcke lebhafte Kämpfe um die Gaisen.
') Capeila rupicapra L. Gemse.
«) Vergl. VI. 3.
^) Cervus capreolus L.
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14. Vom Cathus.
Cathus ist ein Thier, 'welches im Lande Arkadien lebt und
wie ein schmutziges Schwein stinkt.^) Der gelehrte Adelinus
schreibt von,, diesem. Thiere,. diass es, aus seinem Halse Flammen
hervorgehen lasse, besonders, wenn es sehr zoniig wird. Das
Thier gleicht denen, von denen im Buche der Weisheit geschrieben
steht, dass Feuer aus ihrem Munde gefahren sei. Uns ist das
Thier ein Sinnbild der zornigen Nachreduer und alten Weiber, die
die Ehre braver Leute anschwärzen mit dem Feuer, das heisst den
Worten, die aus ihrem Munde kommen.
15. Vcim Hirsch.
Cervus heisst ein Hirsch. 2) Von ihm sagt Aristoteles., dass
uuter allen Thieren nur der Hirsch seine Hönier abwerfe.. Alle
Hörner sind inwendig hohl, nur die des Hirsches nicht. Der
Hirsch ist auf sein Geweih sehr stolz. Plinius giebt an, wenn
der Hirsch empfinde, dass er unter einer Krankheit oder vom Alter
leide, so ^iehe er mit seineu Nasenlöchern Schlangen aus ihren
Höhlen und verzehre sie. Wenn er sie gegessen hat, wird er von
ihrem Gift durstig und läuft sofort zu einer Quelle zum Trinken.
Dadurch verjüngt er sich und erhält seine Kraft wieder.. Man
sagt, der Hirsch wittere den Geruch einer angebrannten Pfauen-
feder oder sonst einer Feder von Weitem und trete nicht aus einem
Kreise heraus, der mit einer angezündeten Pfauenfeder gezogen ist.
Solin US. giebt an, man habe nie gehört, dass ein Hirsch gefiebert
habe oder süchtig gewesen pei. Desswegen sänftigen die aus Hirsch-
mark verfertigten Salben die Hitze der Kranken. Zur Wurfzeit
scheiden sich die Hirschkühe von den Hirschen. Vor der Geburt
purgiren sie sich mit einem Kraut, damit sie leichter werfen können.
Solinus berichtet, dass die Hirschkühe die neugeborenen Kälber
sehr sorglich behüten, sie unter Gesträuch verbergen und mit ihren
Klauen verhindern, hervorzukriechen, bis sie gross genug sind.
Das Fleisch eines im Mutterleibe getöteten Hirschkalbes ist gut
gegen Vergiftung und heilt beim Menschen den Schlänjgenbiss.
Wenn Hirsche von Hunden gejagt werden, so ist ihnen das Laut-
jagen derselben wunderbar, und sie richten sich desshalb nach dem
*) Eine Viverren-(Zibethkatzen)-Art?, oder MephUi« zorilla, Bandiltis?
-) Cervus elaphus L.
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Winde, damit das Geläute der Hunde sie begleitet Wer täglich
Morgens in der Frühe Hirschfleisch verspeist, ist vor den heissen
Suchten behütet, die lateinisch Pebres heissen. Haben die Hirsche
ihr Geweih abgeworfen und wächst das neue Gehörn wieder her-
vor, so stellen sie sich an die Sonne, wie Aristoteles undPlinius»
angeben, damit die Hörner.. trocknen, wachsen und durch die
Sonnenwärme kräftig werden. Dann fegen sie das Geweih an
Bäumen und versuchen es. Ist es kräftig, so gehen sie mit dem
Gefühl der Sicherheit davon^ denn sie haben nun eine Waffe, mit
der sie sich wehren können. Vorher konnten sie Das der Wölfe
wegen nicht wagen, sondern müssten sich verbergen und des Nachts
ihre Nahrung suchen. Sie werfen ihr Geweih in's Wasser ab, da-
mit es den Menschen nicht zu Nutzen wird. Sie wissen nemlich
recht wohl, dass es den Menschen von grossem Nutzen ist; besonders
das rechte Gehörn ist gegen Schlangenbiss gut. Die Nattern fliehen
vor dem Geruch des verbrannten Hirschhorns, gleichgültig ob es
das linke oder das rechte Hörn ist. Platearius giebt an, dass i
dem Herz . des Hirsches ein Knochen sich finde, gewissermassen
sein Fundament bildend. Nimmt man ihn heraus, lässt ihn hart
werden und giebt ihn gepulvert kranken Leuten, so hilft er gegen
Herzweh und gegen den Schwindel. Es heisst auch, dass einige
Hirscharten die Galle am Schwänze haben und andere, wie
Aristoteles angiebt, in den Ohren. ^) Das Eingeweide der Hirsche
riecht sehr übel; Plinius glaubt, weil sie Galle in den Därmen
haben. Desshalb fressen die Hunde es nur im grössten Hunger.
Im Haupt des Hirsches ist ein Wurm, der ihn oft quält. Ein jedes
Thier aber, wie auch der Mensch, hat einen Wurm unter der Zunge,
und in unserem lateinischen Text heisst es, dass da, wo die Blut-
adern an das Rückgrat herantreten, da wo es an den Schädel anstösst,
sich zwanzig Würmer befänden. Wahrlich, das scheint mir sehr
seltsam, und ich glaube es nicht. Man .könnte vielleicht anniehmen,
dass die Würmer kleine Muskel wären, wie wir im ersten Theil im
Kapitel von den Muskeln gesagt haben. Und auch dann npch ist
die Sache zweifelhaft. Die Hirsche fürchten die Stimme des
Fnchses. Die Hirsche kämpfen untereinander; der, welcher obsiegt,
ist aller anderen Herr, sie gehorchen ihm und halten unter dem
einen Herrn mit einander Frieden. Wenn ein Hirschkalb von
') Vergl. 5.
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einem Menschen gefangen und eine kurze Zeit gefesselt mitgefOhrt
wird, so folgt es nachdem freiwillig. Hirschfleisch ist schwarz-
galliger Art und für den Magen schwer zu verdauen. Das
lateinische Wort Hinnulus bedeutet ein männliches Hirschkalb.
Das Fleisch des Hirschkalbes ist besser wie das des Hirsches, be-
sonders wenn das* Kalb kastrirt wird, weil dann seine Hitze und
Feuchtigkeit milder ist wie sonst Schönes Getön haben die
Hirsche so gern, dass sie zum eigenen Schaden auf lautjagende
Hunde wieder zukommen, vor denen sie vorher geflohen sind.
16. Tom Cathapleben.
Cathapleba ist ein Thier, welches in Egypten am Nilstrom
vorkommt^). So geben die Gelehrten Plinius und Solinus an.
Das Thier hat einen so giftigen Blick, dass der, welcher ihm in's
Auge sieht, sofort stirbt. Wir verstehen darunter die schamlosen
Augen, die manches Menschen Seele tödten. Die Augen sind die
heimlichen Diebe der Seele.
17. Tom Cyrogrillen oder dem grossen Igel.
Cyrogrillus ist ein kleines Thier, ^ welches zu essen das alte
Testament verboten hat. Zu deutsch heisst es ein Igel. Aber
Papias sagt, es sei grösser wie ein Igel. Das Thierchen ist von
Natur klein und schwächlich und besitzt eine wunderbare Eigen-
schaft. Trotzdem es nemlich nur schwächlich ist, ist es doch un-
verträglich, grimmig und für das Leben anderer beseelter Wesen
gefährlich. Jedoch behaupten einige, der Cyrogrillus sei ein Igel.
Das ist aber nicht richtig, er ist grösser.
18. Tom Calopen.
Calopus ist ein Thier, das sich mit seinen Hörnern in dem
Immergrün und dem Gebüsch am Flusse Euphrat aufhängt. Wenn
es dann festhängt, schreit es laut, und wenn der Jäger es hört, so
fängt er es. So fangen sich die, welche fleischlicher WoUust und
irdischem Gut nachfolgen selbst im ewigen Tod. Davon sagt auch
der Prophet Jeremias: Sie sind gebunden am Wasser Euphrat und
sind gefallen.
^) Solinus berichtet auch weiter Nichts über dies, nach ihm am
Niger heimische Thier, vielleicht ist Catoplebas gnu Sund., das Gnu oder C.
taurina H. Sm., das Rindergnu, das bis in die oberen Nilländer geht, gemeint
*) Wie die beiden folgenden Thiere nicht bestimmbar.
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19. Tom Cyrograten.
CjTogrates ist ein Thier, welches menschliche Sprache lernt,
grade wie ein anderes, welches Hyäne genannt wird. Nach Angabe des
Solinn« und Jacobus hat das Thier die Augen immer offen. Es
hat kein Zahnfleisch und nur einen Zahn, der niemals von selbst
stumpf wird und so stark ist, dass er sofort alles zerstört, was er
angreift. Das Thier stammt von einer Hündin und einem Wolf.
Du könntest nun wohl zu mir sagen: Du nennst mir da yiel
Thiere mit griechischen Namen, die solltest Du mir mit deutschen
Namen angeben, oder Du verstehst es nicht recht, das lateinische
Buch in's Deutsche zu übertragen. Darauf antworte ich Dir, dass
die Thiere und sonstige Dinge, die in deutschen Landen nicht vor-
kommen, auch keine deutschen Namen haben. Du thust mir also
unrecht.
30. Tom Damhirsch.
Damula ist ein Thier, ^ das man auf deutsch Scheuhand
nennen könnte, weil es vor der Hand flieht. So sagt Isidorus.
Das Thier ist furchtsam und schwach. Der gelehrte Mar Cialis sagt
von ihm; Der Eber schirmt sich mit seinem Zahn, so beschützen
die Homer den Hirsch. Das Damwild ist unkriegerisch. Was
aber sind wir? Nichts anderes als ein Kaub, an dem Alles reisst,
was nur will. Das Thier versinnbildlicht die, welche dem Teufel
nicht widerstehen, wenn er sie versucht. Es lebt in England und
ist in Grösse und Figur vom Reh nicht wesentlich verschieden.
21. Tom Daran.
Duran ist ein grimmiges, böses, schnelles und sehr starkes
Thier ^) Wird es vom Jäger gejagt und merkt, dass es nicht ent-
kommen kann, so hat es die Gewohnheit, seinen Darminhalt im
Leibe anzusammeln und mit Gewalt heraus zu treiben, den Jagd-
hunden entgegen. Durch den faulen Geruch seines Kotes vertreibt
es dann die Hunde. Dies Thier ist uns ein Beispiel der weltlich
gesinnten Leute, die ihre Pfarrer und Prediger mit Geschenken
dahin bringen, dass sie sie nicht rügen und sie ihre Bosheit weiter
treiben lassen.
^) Dama vulgaris Brookes.
*) Das Wort Daran ist wohl arabischen Ursprunges, aus Zariban,
Daribän entstanden. Dann würde es sich hier um eine Marderart hanlelD.
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88. Vom Dachs.
Daxus auf lateinisch beisst deutsch ein Dachs. ^) Er ist ungefähr
80 gross wie ein Fuchs. Sein Fett nimmt mit zunehmendem Mond
gleichfalls zu und schwindet mit abnehmendem Monde so sehr, dass
man vor Neumond keins an ihm findet. Das Schmalz ist gut zu
Salben, mit denen man Nierenschmerzen und Gliederweh vertreibt
Es ist wunderbar, dass das Fett des Thieres heilsam ist, wo doch
sein Biss so sehr gefährlich ist und so schwere Wunden macht.
33. Vom Dromedar.
Dromedarius^) ist ein Thier von der Art und Natur des
Kameles. So spricht Rabanus. Aber es ist kleiner und viel
schneller wie ein Kamel. Desshalb heisst es griechisch Dromedarius,
das heisst auf deutsch ein T^äufer, denn es läuft in einem Tage mehr
wie hundert Meilen. Das Thier ist ein Wiederkäuer.
34. Vom Elephanten.
Elephas heisst auf deutsch ein Elephaut. ^) Er hat die Eigen-
schaft, sehr bald zahm und fügsam zu werden, und es giebt kein
wildes Thier, das so rasch zahm und dem Menschen unterthan wird,
wie der Elephant. Er hat auch ein gutes üedächtniss, lernt in Folge
dessen sehr leicht und wird zu Allem geschickt, wozu man ihn ge-
brauchen will. Aristoteles sagt, viele Thiere besässen ein gutes
Gedächtniss für alles, was sie sehen oder hören. Das trifft zu für
das Gedächtniss der unvernünftigen Seele, welche die unvernünftige
Gestaltungskraft oder lateinisch Aestimativa genannt wird. Ver-
nünftiges Gedächtniss besitzen sie aber niclit, das hat allein der
Mensch. Wenn man die Elephanten jagt, so lassen sie sich auf harten
Boden oder Steine fallen und zerbrechen dabei ihre Zähne, damit
man sie nicht wegen ihrer Zähne umbringt, denn das Elfenbein ist
sehr kostbar und heisst lateinisch Ebur. Der Elephant ist nur
unterhalb des Nabels verwundbar. Die Elephanten richten sich
eiuigermassen nach dem Stand der Gestirne, denn bei wachsendem
Monde suchen sie das Wasser ordentlich auf und wenn sie daim nass
werden, so gehen sie der aufgehenden Sonne entgegen und springen,
so viel sie nur können. Das thuu sie oft. Der Elephant wird zahm
^) Males tax US Sclirb.
^) Camelus dromedarius L. Vergl. 8.
3) Elephas asiaticus u. africauus Blumenb.
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unter Marter und Strafe. Wenn- die Elephanten ein Wasser durch-
waten wollen, so schicken sie die kleinsten voraus, damit die grossen
nicht den Grund herunter treten und den Bach vertiefen. Sie kämpfen
ständig mit den Drachen, Plinius giebt an, dass die Ekphanten
sich nur an abgelegenen Orten begatten. So schamhaft sind sie,
und nach der Begattung kehren sie erst dann zur Heerde wieder
zurück, wenn sie sich im Wasser gebadet haben. Um die Weibchen
kämpfen sie nicht, weil sie ihre Ehe . nicht brechen. Wenn der
weibliche Elephant gebären will, geht er in ein tiefes Wasser, damit
das Junge bei der Geburt nicht auf die Erde fällt, es könnte sonst
nicht aufkommen. Nach der Geburt ruht das Weibchen drei Jahre
ohne wieder zu gebären, und wenn es trächtig geworden ist, wird
es vom Männchen nicht mehr berührt. Es trägt zwei Jahre. Solinus
bemerkt, dass die Elephanten in zwei Jahren nur zwei Tage laug
sich begatten und nicht öfter. Sie fürchten die Mäiise und fliehen
sie, weil ihnen ihr Geruch unangenehm ist. Auf dem Rücken haben
sie sehr hartes Fell, am Bauche ist es weicher. Andere Thiere
fliehen den vom Eingeweide und der Haut des Elephanten aus-
strömenden Dunst. Sie leben dreihundert Jahre. Kälte können sie
sehr schlecht ertragen. Jacobus sagt, das Elfenbein sei kalt und
weiss. Man kann das daran prüfen, dass man ein Stück Elfenbein
in ein Tuch gewickelt auf eine heisse Kohle legt. Durch die
natürliche Kälte des Elfenbeins verbrennt das Tuch nicht und das
Feuer verlischt. Solinus giebt an, dass die Elephanten Niemandem
schaden, bis sie verwundet sind oder auf der Flucht müde werden,
dann müssen sie sich wehren. Wenn Fliegen auf ihrem Rücken
sitzen, ziehen sie die Haut in Runzeln und klemmen . die Fliegen
todt, denn sie besitzen keinen Schwanzwedel, mit dem sie sie ver-
treiben können. Wisse, dass der Elephant in seinem Innern ganz
anders gebaut ist, wie alle andern Thiere der Erde. Jedoch sagt
Aristoteles, der Elephant, sei inwendig geschaffen wie ein Schwein.
Ist dem so, dann ist er auch wie ein Mensch innerlich gebaut. Ge-
branntes Elfenbein vertreibt die Schlangen und das Gift. Einige
erzählen, dass, wenn der Elephant zornig wird und mit andern
Thieren oder dem Menschen kämpfen will, er seineu ganzen Muth
verliert, wenn ihm Jemand roth gefärbtes Wasser oder rothen Wein
zeigt oder ein grunzendes Schw^ein ihm entgegen hält. Andere be-
richten auch, dass der Elephant in seiner Jugend seine Kniee biegen
könne, im Alter dagegen nicht, weil sie steif geworden sind. So
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mögen auch die jungen Pfaffen und Mönche sich unter schwerer
Arbeit beugen, das Alter hat die Kraft nicht dazu. Die jungen
Elephanten haben die Gewohnheit, den alten, wenn er fällt, mit
ihrem Rüssel wieder aufzuheben. Dieser heisst lateinisch Promuscides
zu deutsch Schlauch oder Rüssel. Haben sie ihn aufgehoben, dann
thun ihnen die Glieder weh. Dafür ist es ihnen dann gesund,
kaltes Wasser zu trinken und mit Honig besprengtes Gras zu fressen.
Der Elephant trinkt von Natur gerne Wein. Er wächst vierzig Jahre,
dann empfindet er den Prost, die Winterkälte und den kalten Wind.
Das kannst Du yergleichen mit dem Verhalten der jungen, gelehrten
Leute. Nun merke eine gute Eigenschaft des Elephanten: Wenn
man ihn zähmen will, so schlägt man ihn gehörig, und wer ihn
dann von den Schlägen erlöst, dem ist er für immer gehorsam. Die
Drachen stellen den Elephanten ständig nach, wenn sie sich satt
getrunken haben. Ebenso mactit es der böse Geist mit dem Menschen.
25. Vom Pferd.
Equus im Lateinischen heisst ein Pferd. ^) Ein lebhaftes, gutes
Pferd senkt beim Trinken seine Nasenlöcher tiefer in's Wasser.
Isidorus sagt, die Zähne dieses Thieres würden mit dem Alter
weiss, desshalb erkennt man sein Alter an den Zähnen. Unter allen
Thieren ersieht man beim Pferde den Character aus den Ohren.
Lebhafte Pferde haben nemlich kurze Ohren, träge dagegen lange.
Von aUen Thieren haben die Pferde, Rinder und Hirsche knorpelige
Knochen im Herzen. Es ist wegen ihrer Grösse, damit sich ihr Herz
besser in seiner Gestalt erhalten kann, grade wie in anderen Glied-
massen die Knorpel auch die eigentliche Grundlage bilden. Das
Bein aus dem Herz des Hirsches besitzt aber allein arzneiliche Kraft,
sodass es als Heilmittel dienen kann, wie vorher beim Hirsch er-
wähnt ist. Die Stuten oder Pferderaütter sind so milden Wesens,
dass, wenn eine stirbt, die andere der Todten Junges säugt. Die
Pferde lieben sich untereinander sehr, mehr wie andere Thiere
Alexander sagt, edle Pferde kündeten ihres Herrn Tod mit grossen
Thränen im Voraus an. Wisse auch, dass mit Ausnahme des
Menschen das Pferd unter allen Geschöpfen allein weint und um seines
Herrn Tod sehr trauert, so dass einige nicht fressen wollen und
Hungers sterben. Aristoteles bemerkt, dass der Mensch und das
^) Equus caballus L.
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Pferd mehr Neigung zur Cohabitation haben wie alle anderen Thiere,
Es war einmal ein König, der hatte eine schöne Stute und ein
Füllen von ihr. Nun wollte er, dass das Füllen die Stute tragend
machen sollte und verband dem Mutterpferde die Augen. Da deckte
das Füllen seine eigene Mutter. Wie es aber merkte, dass es seine
Mutter war, entfloh es und stiess sich selber zu Tode. Michael
von Schottland erzählt auch von einem Pferde, das seine Mutter
deckte. Darauf aber vernichtete es sich selbst die Testikel und
brachte sich selbst um. Aristoteles sagt, aus einem Haar aus dem
Schwanz eines Pferdes entstehe im Wasser in wenig Tagen ein Wurm.
26. Vom Igel.
Erinacius auf lateinisch heisst ein IgeP) auf deutsch oder mit
anderem Namen Cyrogrillus. ^ So heisst es in einer Glosse der
heiligen Schrift an der Stelle, wo die unreinen Thiere verboten
w^erden. Ich glaube Das aber nicht, ich denke, dass Cyrogrillus
ein anderes Thier ist, wie man aus der Eigenart beider Thiere
herausfinden kann. Auch nennen die Gelehrten die beiden Namen
für sich, was nicht der Fall sein würde, wenn beide dasselbe Thier
bedeuteten. Wie dem auch sei, der Igel ist ein Thier, welches auf
seiner Haut viele natürliche Stacheln trägt und am Bauch die
Gestalt eines kleinen Schweines hat. Wenn man ihn schädigen
will, umgiebt er sich ganz mit seinen Stacheln. Einige sagen, die
Nahrung, die der Igel zu sich nimmt, wandele sich grösstentheils
in seine Stacheln um, weil das Thierchen nur wenig natürliche
Wärme hat. Igelfleisch ist gesund für den Magen, stärkt ihn und
vermag auszutrocknen und den Magen zu eröffnen. Ausserdem
treibt es den Harn und ist Denen nützlich, die zur Elephantiasisform
des Aussatzes neigen. Nur der Igel hat eine doppelte Afteröfl^nung
zur Entleerung des Kothes. Die Asche eines verbrannten Igels mit
geschmolzenem Pech oder Harz gemischt, ist gut und lässt die
Haare auf dem Kopfe und sonstwo wieder wachsen. So sagt
PI in ins. Femer giebt Aristoteles an, dass der Igel sich stehend
begatte, damit ihn die Stacheln auf dem Rücken des Weibchens
nicht stechen. Jedoch hat man mir erzählt, das Weibchen lege sich
auf den Rücken; ich glaube Das gerne, denn es ist bequemer.
Erinaceus europaeus L.
«) Vergl. 17.
Scbalz, Koorad von Megenberg's Buch der Natar.
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37. Vom Faien.
Falena ist ein Thier, das in fernen Ländern geboren wird.*)
Dies ^rhier hat Gott zur Strafe der hoff artigen Menschen erschaffen,
donn das Thier verschmäht und hasst die menschliche Hoffart,
entsprechend seiner eigenen Veranlagung. Wenn es mit dem
hofPärtigen Menschen kämpft, so ficht es ohne Unterlass, und
wenn es siegt, so zerreisst es den Hoffartigen unbarmheraig. Sieht
CS aber Menschen kommen, die deniüthig sind und erkennt es ihre
Demuth aus ihrer Furcht un<l daraus, dass sie fliehen, so steht €»s
oftmals still und lässt die Leute gehen.
38. Vom Iltis.
Funinculus ist ein Thier, das in gewöhnlicher Spracht» ein
Utis*-^) genannt wird. FiS ist sehr tapfer und grimmiger^ als seiner
natürlichen Stärke entspricht, dabei nicht viel grösser wie .ein Wisel.
Diese Thierchen begatten sich liegend, und wenn dem Weibchen
zur Brunstzeit ein Männchen fehlt, so schwillt es an und stirbt.
39. Vom Furlon.
Furiou ist, wie Aristoteles sagt, ein unkeusches Thier, das
sich mit Futter überfüllt und oft sein Leben für das Futter wagt.-^
Wegen seiner übergrosson Begier kann es nicht lange leben. In
der Begattung ist es unmässiger wie andere Thiere, weil es ge-
frässiger ist wie die anderen. Bei der Begattung erhebt es sich in
wiegender Bewegung auf dem weiblicheu Thier und wenn es das
Werk, welches es so übermässig begehrt, nicht ganz vollbringeu
kann, so schreit es und ist zur Brunstzeit unruhig. Ein Zuviel in
der Ausübung der sexuellen Functionen duldet die Natur nicht, bei
allen Thieren leidet sie Schaden dadurch, denn der uukeusche
Samen ist eine Kraft des Blutes, die gleichzeitig mit Lebenskraft
ausgestossen wird. Darum wird durch zu starken Geschlechtsgenuss
das Leben verkürzt, und der Mensch oder das Thier müssen vor
der Zeit sterben oder werden sehr geschwächt. Man hat oft
gehört, dass ein Mann plötzlich während der Begattung gestorben
ist. Desshalb begattet sieh das Thier auch wie der Mensch, so dass
das Weibchen unten liegt und da» Männchen oben. Diese Weise
M Phalaena. Balaena, Delpliin?
-) Mustela putorius L., Jltis und M. furo L., Frettchen.
^) Unbestiinnil)ar.
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befolgt das Thier immer. Aber, wie es iu unserem lateinischen
Texte heisst, der Mensch beobachtet in diesen Dingen am wenigsten
die festgesetzte Ordnung, denn er verkehrt die menschliche Art
und verhält sich wie ein Igel oder ein Gänserich oder er nimmt
den Platz des Weibes ein. Das ist sehr schädlich und eine grosse
Sünde, denn das thut kein anderes Wesen als nur der Mensch.
30. Ton den Ratten.
Glis heisst auf deutsch eine Ratte und es giebt ihrer zweierlei
Arten: eine ist die Hausratte, die andere die Waldratte und diese
ist ein kleines Thier. ^) Die Waldratte schläft den ganzen Winter
hindurch, kugelt sich dabei zusammen wie ein Ball und wird während
des Schlafes sehr fett, wie Isidorus sagt. Sie läuft auf den
Bäumen so gut wie auf der Erde umher und ist besonders gierig
auf den Saft der Aepfel. Plinius giebt an, dass ihr Fett gekocht
für die kranken Glieder, die von der Paralyse befallen sind, heilsam
sei, wenn man sie damit salbt.
31. Vom Galy.
Galy ist, wie Aristoteles angiebt, ein sehr muthiges Thier.^
Es kämpft mit den Schlangen, und wenn es sie besiegt hat, so ver-
zehrt es sie und frisst gleich hinterher Raute, die den Schlangen
zuwider ist. Der Grund seines Kampfes mit den Schlangen ist der,
dass die Schlangen Mäuse fressen, die auch dem Galy zur Nahrung
dienen, und es hasst die Schlangen, weil sie ihm seine Nahrung
rauben.
33. Vom RoeseL
Guessides heisst auf deutsch Roesel.*^) Es ist ein Thier, das
häufig am Wasser vorkommt. Sein Koth ist sehr wohlriechend,
dem Bisam gleich, aber ohne dessen Wirkung. Das ist bei dem
Thiere wunderbar: es sammelt seinen Koth an einem Orte an, wo
die Leute ihn sehen und zu ihrem Nutzen mitnehmen können. Das
ist ihm nicht unangenehm, es gönnt ihn jedem Menschen gern.
Selbst aber lässt es sich von den Menschen nicht gerne erblicken
Mus rattus L., die Hausratte und Myoxus glis Sclireb, gemeiner
Siebenschläfer, Rollmaus.
^) Gale bei Aristoteles, Mustela vulgaris L., Wiesel.
3) Nicht bestimmbar.
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und flieht von ihren Wegen. Das ist für uns ein Sinnbild der
guten 3Ien8chen, die gute Werke thun und dabei den Anblick und
das Lob ihrer Mitmenschen fliehen.
33. Tom Elch.
Ibex ist, wie Galenus sagt, ein kleines Thier, das gerne auf
Felsen haust und dort seine Jungen aufzieht.^) Einige Gelehrten
sagen, es sei von der Natur und dem Geschlechte der Hirsche.
Daher glaube ich, dass es das Thier ist, welches auf deutsch Elch
genannt wird, denn es ist grösser wie ein Reh und kleiner wie ein
Hirsch, hat auch zackige Homer wie ein Hirsch. Aber bei ihm
sind sie breit gebaut und beim Hirsch rundlich. Wenn aber Galenus
sagt, das Thier sei von kleiner Gestalt, so verstehe ich das im
Vergleiche zur Grösse des Hirsches.
84. Tom Bastard.
Ibrida^) ist ein vierfQssiges Thier und ein Bastard, denn es
stammt von einem wilden und einem zahmen Schwein, wie das
Maulthier von einem Pferde und einem Esel. Auf deutsch hat das
Thier keinen besonderen Namen, man könnte es aber Bastard*
Schwein nennen. Dasselbe ist der Fall beim Tyadrus, dem Bock-
schaf, welches von einem Schaf und einem Gaisbock abstammt und
dem Muscus, der von einer Gais und einem Widder fällt und auf
deutsch eine Schafziege genannt werden kann.
35. Tom Stachelschwein.
Istrix heisst auf deutsch ein Stachelschwein, ä) So spricht
Solinus. Es kommt häufig am Meere vor und könnte desshalb
wohl Meerschwein heissen. Was wir aber gemeinlich ein Meer-
schwein nennen, ist ein anderes Thier und heisst mit anderem
Namen Delphin. Das Stachelschwein lebt gleich gut auf dem Lande
wie im Wasser und hat einen rauhen Rücken voll harter Stachebi,
lang und wie Igelstacheln gefärbt. Wenn es zornig wird, schiesst
es die Stacheln wie Pfeile gegen die Hunde und die Menschen.
') Der S. KK) besprochene Elch ist hier offenbar nicht gemeint. Viel-
leicht handeil es sich, wegen der Beschreibung der Homer, um Cervus
(Rangifer) tarandus L., das Rennthier.
') Hybrida, Bastard.
3) Hystrix cristata L., Stachelschwein.
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Es wird sehr leicht zornig, und rächt sich an seinen Feinden. So
sagt Jakobus.
36. Tom Grabthler.
lena mag auf deutsch ein Orabthier heissen, ^) denn das Thier
bewohnt nach Angabe des Plinius und des Solinus die Gräber
todter Menschen. Es hat zweierlei Art, die eines Mannes und eines
Weibes. Das Rückgrath des Thieres ist so hart und sein Hals so
stark gebaut, dass es den Kopf nicht wenden kann, sondern sich
ganz umdrehen muss. Wenn die Jagdhunde in seinen Schatten
kommen, verlieren sie die Stimme und jagen nie laut. Es ändert
seine Farbe nach Belieben. Es tritt in die Fussstapfen jeden
Thieres, welches es fangen will. In seinen Augen trägt es einen
edelen Stein, andere Gelehrte aber behaupten, es trage ihn in der
Stirn. 2) Es ist so gross wie ein Wolf, hat auf dem Halse starkes
Haar, wie ein Pferd, und einen sehr starken Rücken, wie Plinius
angiebt. Aristoteles und Jacobus berichten, dass es in die
Pferdeställe gehe und dort Namen und Stimme der Leute erlerne,
•um dann mit rechter Tücke die Leute bei ihrem Namen heraus zu
rufen und umzubringen. Zuweilen hat es sich auch wie ein
3Iensch, der sich übel befindet und mit Husten und Rülpsen er-
brieht, bis es die Hunde herangelockt hat, die es dann auffrisst.
37. Tom LOwen.
Leo'*^) ist ein König aller anderen Thiere wie Jacobus und
Solinus angeben. Dies Thier ist ohne Untreue und Falschheit.
Die Kraft des Löwen erkennen wir aus seiner Stirn und seinem
Schweif. Er ist so hitziger Natur, dass man glaubt, er sei immer
suchtig oder fieberig. Leaena ist des Löwen Weibchen. Sie wirft
zuerst fünf, dann vier, dann drei, darauf zwei und beim fünften
Male nur ein Junges. Dann ist sie unfruchtbar. Sie hat nur zwei
Zitzen mitten am Leibe unter der Brust, die im Yerhältniss zu
ihrer Körpergrösse sehr klein sind. Sie hat nemlich nur wenig
Milch, da ihre Nahrung nur zum Aufbau der Glieder verbraucht
wird. Augustinus erzählt, dass die jungen Löwen nach ihrer
^) Hyaena striata L., die gestreifte u. H. crocuta Gm., die gefleckte
Hyäne.
«) Vergl. VI. 47.
3) Felis leo L.
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Geburt drei Tage schlafen, bis der Vater kommt. Der brüllt gewaltig
über ihiieD, von dem Gebrüll erschrecken sie und wachen auf.
Der Löwe fürchtet den spitzen Stachel des Scorpions und flieht
ihn als todtbringenden Feind. Er fürchtet auch das Schuttern und
Knarren der Wagenräder, aber das Feuer fürchtet er mehr.
Solinus sagt, der Löwe zürne nicht leicht, wenn er nicht ver-
wundet oder beleidigt sei. Wenn er aber erzürnt wird, so zerreisst
er den Thäter sofort. Liegenden Menschen thut er nichts. Auch
Gefangene schont er. Absichtlich tödtet er den Menschen nie,
wenn ihn der Hunger nicht sehr quält. Adelinus spricht: Wenn
der Löwe schläft, wachen seine Augen. Beim Gehen verwischt er
seine Fussspuren mit dem Schweif, damit ihn die Jäger nicht
finden. So sagt Pliuius. Untereinander halten die Löwen Frieden
und streiten nicht miteinander. Aristoteles sagt, der Löwe hebe
beim Harnen sein Bein auf wie ein Hund. Oeflfuet er sein Mau],
so entströmt ihm ein starker Geruch. Wenn ihn hungert, so zieht
er mit seinem Schwanz einen grossen Kreis auf dem Boden, brüllt
laut und erschreckt andere Thiere, und keins darf den Kreis über-
schreiten. Das Fressen vom vorigen Tage und Rester seiner
Nahrung verschmäht er. Einige erzählen, der Löwe gehe an seinem
eigenen Zorn zu Grunde, so hitzig werde er, wenn er übermässig
zürnt. Der Löwe fängt den Waldesel, den er von Natur hasst.
gern. Ambrosius bemerkt, wenn der Löwe krank sei, fange
er einen Affen und verzehre ihn, um wieder gesund zu werden.
Trinkt der Löwe Hundeblut, so wird er gesund. Solinus und
Plinius berichten, der Löwe sei sanft und friedlich gesonnen, wenn
er den Schwanz still halte; es kommt aber selten vor. Beginnt
er zu zürnen, so schlägt er mit dem Schweif die Erde, wächst der
Zorn, so geisselt er mit dem Schweif seinen Rücken. Wird er
verwundet, so merkt er sich den Thäter unter allem Volk und
zerreist ihn, wenn er kann. Hat aber Jemand auf ihn geschossen
und ihn nicht verletzt, so wirft er ihn nieder und bestraft ihn, ver-
wumlet ihn aber nicht. Plinius sagt, Löwenfleisch und besonders
sein Herz sei für die Leute gut, die an überflüssiger Kälte leiden,
denn wenn sie das Fleisch verzehren, werden sie heiss. Die
Knochen des Löwen sind so hart, dass man Feuer aus ihnen
schlagen kann wie aus einem Kieselstein. Löwenfett ist ein Mittel
gegen Vergiftung. Salbt sich ein Mensch mit Wein und Löwenfett,
so verjagt er damit alle Thiere aus seiner Nähe, auch die Schlangen.
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Löwenfett ist heisser als alles andere Thierfett. Der Löwe laborirt
fast immer am viertägigen Fieber, und zu solcher Zeit begehrt er
besonders nach Aflfenfleisch, um gesund zu werden. Löwenfett mit
Rosenöl gemischt schützt das menschliche Antlitz vor Flecken,
macht die Haut rein und heilt sie. Der Halstheil des Rückgrates
besteht beim Löwen aus einem Knochen, das Halsfleisch dagegen
ist knorpelig, wie wenn der Hals aus einer Ader bestände. Desshalb
kann er den Kopf nicht zum Rücken hin biegen. Alexander
sagt, der Löwe sei besonders kräftig in der Brust, den Vorder-
beinen und dem Schwanz. Leon heisst auf griechisch ein König,
desshalb heisst das -Thier Leo, denn es ist ein König aller anderen
Thiere. Der Löwe ist im Vorderkörper heiss, im Hinterleibe kalt,
ebenso verhält sich die Sonne im Zeichen des Löwen. Aristoteles
sagt, nur der Löwe habe, mit Ausnahme des Oberschenkelbeins, mark-
lose Knochen. Desshalb sind auch seine Knochen härter wie bei
allen anderen Thieren, ausgenommen dem Delphin. Die Eingeweide
des Löwen gleichen denen des Hundes. Der Löwe fiebert in
einigen Sommern, im Winter dagegen ist er gesund. Auch vom
Anblick eines Menschen bekommt er das Fieber.
38» Vom Leopard.
Leopardus^) ist ein Thier, das von einem Löwen imd einem
Pardel abstammt. Die Weibchen sind stärker und muthiger wie
die Männchen. Plinius räth, wenn man sich vor einem Leoparden
schirmen wolle, solle man Knoblauch zwischen den Händen zer-
reiben, dann fliehe der Leopard eine Stunde weit, denn er kann
den Knoblauchgeruch nicht leiden. Ambrosius sagt, wenn der
Leopard innerlich krank ist, trinkt or das Blut einer wilden Ziege
und wird wieder gesund. Hat er etwas (xiftiges gefressen, so sucht
er Menschenkoth ; wenn er den frisst, wird er wieder gesund. Der
Leopard ist einigermassen zu zähmen, wiid aber nie so zahm, dass
er seinen Grimm ganz vergisst. Doch wird er so zahm, dass er
zum Jagen zu brauchen ist, so dass man anderes Wild mit ihm
fangen kann. Lässt man ihn zum Jagen los und ergreift er das
Wild nicht im vierten oder fünften Sprunge, so bleibt er zornig
und grimmig stehn. üiebt ihm der Jäger dann nicht sofort ein
todtes Thier, dessen Blut er trinken kann, so greift er unverweilt
Cynailurus jubatus Sclireb., Jagdleopard.
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den Jäger, oder wer ihm soüst in den Weg kommt an, denn er ist
nur durch Blut zu besänftigen. Darum führen die Jäger immer
Lämmer oder andere Thiere mit sich, womit sie die Leoparden be-
sänftigen können. Einige nehmen an, Leopard und Pardel sei das-
selbe Thier nur mit zweierlei Namen.
39. Tom Laml.
Lamia ist ein grosses, sehr böses Thier, das Nachts aus den
Wäldern in die Gärten geht, dort die Bäume zerbricht und ihre
Aeste zerstreut.^) Dies thut es mit seinen sehr kräftigen Armen,
die es zu allen Dingen brauchen kann. Aristoteles sagt, ein von
den Zähnen des Lami verletzter Mensch werde von dem Biss nicht
eher wieder gesund, bis er dasselbe Thier schreien hört. Das Thier
ist sehr grimmig, gleichwohl bietet es seinen Jungen seine Milch
und säugt sie. Viel bösartiger und grimmiger sind unsere Prälaten,
Proebste, Bischöfe und Dechanten, die ihren ünterthanen das geist-
liche Brot, Gottes Wort, nicht bieten und Diejenigen hindern, die
es ihnen gerne böten und geben möchten.
40. Yom Lazan.
Lazania ist, nach Angabe des Solin us und Jakobus, ein
sehr grimmiges Thier. 2) Vor seinem Grimm ist kein anderes Ge-
schöpf sicher, denn, wie sie sagen, es erschreckt sogar den Löwen,
der doch sehr muthig ist. Dies Thier kämpft nur mit solchen, die
nicht seiner Art sind, mit den anderen Lazanen dagegen nicht. Es
hasst auch alle Thiere, welche andere berauben und wenn es auch
anderer Thiere Bosheit hasst, denkt es doch nicht an seine eigene
Schlechtigkeit. Den Menschen hasst es unmässig. Vielleicht ist das
eine göttliche Anordnung, denn der Mensch sollte unter allen Ge-
schöpfen das sanfteste und friedfertigste sein, ist aber, wenn er erst
anfangt, das grimmigste von allen.
41. Yom Luchs.
Linx heisst ein Luchs. •^) Der hat, wie Plinius und Jakobus
sagen, so scharfe Augen, dass er durch dicke Wände sieht. Das
^) Irgend eine grosse Affenart? Vielleicht ein Cynocephalus? C. mormon
L., Waldteufel, Mandrill?
*) Nicht bestimmbar.
3) Felis lynx L.
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glaube ich nicht. Seine Zunge hat die Form einer Natterzunge,
nur ist sie grösser, und er streckt sie sehr weit heraus. Aus seinem
Harn wird ein Edelstein, Ligurius genannt, gefärbt wie ein Hyacinth,
wie wir später bei den Edelsteinen noch erwähnen werden, i) Aber
aus richtiger Abgunst verbirgt der Luchs den Harn, wenn er ihn
lässt, damit der Mensch den Stein nicht findet. Wozu aber der
Stein zu brauchen ist, wird nachher angegeben werden.
42, Yom Wolfe.
Lupus heisst ein Wolf ^) und ist ein hinterlistiges Thier und
ein rechter Räuber. Die Wölfe zerreissen die Netze, wenn die
Fischer am Seestrande sie zum Trocknen aufgehängt und den
Wölfen nicht Fische dafür abgelassen haben. Der Wolf nimmt
«inen Busch recht belaubter Weidenzweige in's Maul und versteckt
sich darunter, bis die Ziegen an das Laub herangehen; dann fängt
er sie. Wenn er über trocknes Laub schreitet, macht er seine
Klauen mit der Zunge nass, damit es nicht raschelt und die Hunde
ihn nicht hören. Kommt der Wolf in einen Schafstall, so begnügt
er sich nicht damit, ein Schaf zu tödten und seinen Hunger damit
zu stillen, sondern er erwürgt sie alle und schleppt sie auf einen
Haufen. Manchmal wimmelt das Fell des W^olfes von Würmern.
Aristoteles giebt an, dass Wolfsblut und Wolfsmist gut sind gegen
die Schmerzen im Leibe, die vom Uterus herkommen und lateinisch
Colica genannt werden. Bei Tage sieht der Wolf schlecht, bei
Nacht dagegen gut. Plinius sagt, dass der Wolf, wenn er vor
den Menschen sich sicher weiss, von seinem grimmigen Wesen ab-
lässt und, statt rasch zu laufen, gemächlich über das Feld trabt.
Ambrosius spricht: Wenn der Wolf Dich früher bemerkt, wie Du
ihn, so nimmt er Dir die Stimme, und wenn Du so stumm ge-
^worden bist, mache Deine Kleider auf, damit Du Deine Stimme
wieder bekommst. Will der Wolf Dich anfechten, so wehre Dich
mit Steinen, denn die flieht er. Folgt er Dir nach, so gehe rück-
wärts, damit er Dich ansehen muss und lege irgend etwas, einen
Stein oder sonst etwas, zwischen ihn und Dich. Dann glaubt er.
Du habest ihm eine Falle gestellt und geht nicht weiter. Kein
fleischfressendes Thier frisst Kraut ohne nachfolgende Schmerzen und
Krankheit, mit Ausnahme des Menschen und des Bären. Hat der Wolf
1) Vergl. VI. 48. s
^) Canis lupus L.
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Meoschenfleisch gekostet, so verlaugt er nach mehr, deun Menschen-
fleisch ist schmackhafter und süsser wie alles andere. Desshalb
wagt er dann sein Leben, um einen Menschen zu erhaschen. Die
Arznei, welche gegen den Biss toller Hunde hilft, bewährt sieh auch
gegen den Biss des Wolfes, denn vom Wolfe kommt ebensolches
Gift wie von den tollen Hunden. Wenn der Wolf über einen Zaun
oder an ihm vorbei will, beim heimlichen Jagen nach Schafen,
und einer seiner Fasse an dem Zaun rauscht oder raschelt, so beisst
er sich selbst in den Fuss, als ob dieser Schuld daran habe. Mit
zu- und abnehmenden Monde nimmt auch das Gehirn des Wolfes
zu und ab. Es ist dies zwar bei allen Thieren der Fall, aber be-
sonders beim Wolf und den Hunden. Verbranntes gepulvertes
Wolfsherz giebt man den Leuten zu trinken, die an der fallenden
Sucht, der Epilepsie, leiden. Es hilft, wenn der Kranke nachher
vom geschlechtlichen Verkehr sich fernhält. Trocknet man das
Herz und hebt es auf, so wird es sehr wohlriechend. So sagen
die, welche es probirt haben.
43. Vom Linsen.
Linsius ist ein vierfüssiges Thier, das von einer Wölfin oder
Woifsmutter und ehiem Hunde gezeugt wird. Beide Thiere sind
nemlich so brünstig, dass sie den gemeinsamen Hass vergessen imd
durch die Brunst zusammengeführt werden. So erhält dann der
Lins, der beider Kind ist, die Färbung und den Character von
beiden, denn er ist stark und grimmig.
44. Yom LeocafPen.
Leocophana ist, nach Angabe des Solin us und Jakobus, ein
kleines Thier. ^) Es wird gefangen, zu Pulver verbrannt und das
Pulver auf die Fährte des Löwen gestreut. Berührt der Löwe dann
etwas von dem Pulver, so stirbt er. Desshalb hassen die Löwen
(las Thier sehr und zerreissen es, wenn sie es erwischen. Das
Thier aber wehrt sich mit seinem Harn, den es gegen den Löwen
spritzt, denn es weiss, dass der Harn für ihn tödtlich ist.
So soll mau die guten W'erke und die Demuth der bekehrten
Leute auf den Weg der Hoifärtigen streuen, damit sie sieh dadurcli
bekehren.
^) Solinus nennt dies wunderbare Thier Leontophonus.
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45. Vom Hasen.
Lepus heisst ein HaseJ) Er ist ein sehr furchtsames Thier,
das seine Nahrung deswegen nur bei Nacht und selten am Tage sucht.
Plinius sagt, die Hasen würden nie fett. Man erzählt, das Wiesel
spiele und scherze so lange mit dem Hasen, bis er müde wird, dann
beisse es ihm den Hals ab und fresse ihn auf. Hasenlunge ist gut
für die Augen, wenn man sie darauf legt. Zerrieben oder gestosson
und angefeuchtet heilt sie müde Füsse, wenn man sie damit einreibt.
Die Haarballen aus dem Darm des Hasen helfen gegen Durchfall,
wenn jemand zuviel Stuhlgang hat. Der Hase hat hinten längere
Beine wie vorn, desshalb läuft er besser und schneller bergauf wie
bergab. Man kann den Hasen zähmen, liegt er aber immer still
und läuft nicht, so wächst auf seinen Nieren Fett und er geht zu
Grunde.
46. Vom Otter.
Luter*-^) heisst ein Otter. Das ist ein schlaues, arglistiges Thier,
welches an Seen und fliessendem Gewässer haust, von der Grösse
und, den Kopf ausgenommen, etwa der Gestalt einer Katze. Wenn
das Thier auch lange unter Wasser aushält, so athmet es doch Luft
ein und bedarf derselben. Desshalb kommt es wohl vor, dass es
auf der Jagd nach Fischen in eine Reuse geräth. Wenn es dann
mit den Fischen wieder heraus will und nicht kann, so erstickt es
im Wasser. Das Thier ist so fressbegierig, dass es in seine Höhle
so viel Fische zusammen trägt, dass nicht allein die Höhle, sondern
auch die Luft im ganzen Umkreis nach den verfaulten Fischen stinkt.
Das haben einige Leute zu ihrem Schaden erfahren.
47. Vom Locusten.
Locusta ist ein vierfflssiges Thier, '^ wie Jakobus sagt. Es lebt
in den Ländern des Ostens am Jordan. Es ist klein mit einem
grossen Kopf, welcher fleischig und essbar ist. Desshalb liest man
vom heiligen Johannes in den Evangelien, dass er von Locusten
gelebt habe. Die Thiere gehen in Heerden geschaart. Desshalb
sagt man: Der Locust hat keinen König. Das würde auf die Heu-
Lepus tiraidus L.
-) Lutra vulgaris Erxl.
^) Nicht bestimmbar.
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schrecke, die im Lateinischeu Locusta heisst, nicht passen, denn diese
geht nur selten schaarweise, eine hüpft ohne die anderen.
Aristoteles erzählt, eine Frau habe einen kleinen Locusten in
ihrem Hause aufgezogen. Als er heranwuchs, fand die Frau ihn
tragend oder geschwängert von ihm selbst, ohne Beisein eines
männlichen Thieres. Desshalb ist der Locust ein Yierfüsser, der
ohne männliches Thier trächtig wird.
48. Tom Hanlthier.
Mulus heisst ein Maulthier. Das ist ein sehr starkes Thier und
kann viel Arbeit aushalten. Es stammt von einem Esel und einer
8tute, wie der Maulesel von einer Eselin und einem Pferd.
49. Ton der Dogge.
Molossus heisst eine Dogge. ^) Das ist ein grosser Hund, wie
man sie in besonderer Grösse in der Lombardei findet. Adelinus
sagt, dass das Thier trotz seiner Stärke und Grausamkeit, vermöge
derer es alle Leute angreife, gleichwohl die Unschuld und Schwäche
der Kinder erkenne und vor ihren Schlägen fliehe. Das habe ich
selbst bei unsern Rüden zu Megenburg und auch anderswo be-
obachtet.
50. Tom Bisainthier.
Musquelibet heisst zu deutsch ein Bisam thier. ^) Plinius giebt
an, es sei von der Grösse eines Rehes und wohne in den östlichen
Ländern. Im Leibe des Thieres bildet sich aus der Ansammlung
von Säften eine Geschwulst. Wenn das Geschwür reif wird, reibt
sich das Thier an einem Baume, bis es aufbricht, und der Inhalt
herausfliesst. Hart geworden heisst er lateinisch Muscus, auf deutsch
Bisam. Desshalb wollen wir das Thier mit dem deutschen Namen
Bisamthier benennen. Der Bisam ist gut gegen den Schwindel und
die Ohnmacht des Herzens, auch gegen Schwäche des Gehirns, der
Leber und des Magens, wenn er (der Bisam) getrocknet ist und den
üblen Geruch verloren hat.
51. Ton der Katze.
Musio oder Murilegus oder Cattus heisst eine Katze. ^) Das ist
ein sehr listiges Thier, wie Jakobus sagt. Es sieht so scharf, dass
M Canis familiaris molossus L.
2) Moschus moschiferus L.
3) Felis domestica Briss.
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es die Mäuse auch in grosser Fiusterniss wahrnimmt. Zur Brunstzeit
wird es leicht wild. Zuweilen kämpfen sie heftig mit einander, weil
jede Katze ihren gewohnten Platz zum Mäusefangen behalten will.
Am Maul haben sie langes Haar. Mit seinem Verlust schwindet auch
ihr Muth. Zeigt eine zahme Katze Lust zum Verwildern, so schneide
ihr die Ohren ab. Die Regentropfen fallen ihr dann in die Ohren,
sie kann im Wald nicht mehr aushalten und wird wieder zahm.
Die Katze liebt Ihresgleichen sehr. Denn wenn eine auf dem Rand
eines tiefen Brunnens sitzt und ihr Spiegelbild unten im Wasser
bemerkt, so springt sie, in der Meinung, es sei eine ihr ähnliche
Katze, absichtlich in den Brunnen herab. Dies geschieht besonder»
dann, wenn die brünstige Katze den Kater sucht und namentlich
passirt es jungen Katzen, die noch keine Erfahrung gesammelt haben.
53. Vom Wiesel.
Mustela heisst ein Wiesel i) und bedeutet im Griechischen soviel wie
eine lange Maus. Das Thiercheu ist zweierlei Art, eine Sorte ist
grösser, die andere kleiner, und diese heisst, nach Isidorus, Ictis^).
Wenn das Wiesel mit der Schlange kämpfen will, so schützt es sich
mit Ackerraute, die den Schlangen zuwider ist. Das Wiesel ist der
Mäuse und Schlangen Feind und schadet ihnen, wo es nur kann.
Solinus giebt an, es tödte sogar den Wurm, der lateinisch Basiliscus
genannt wird und den Menschen durch seinen blossen Anblick sowie
andere Thiere durch seinen Athem umbringt. Ist der Basilisk todt,
dann stirbt auch das Wiesel. Wieselgalle ist gut gegen den Biss
der gelben Schlange, welche Aspis genannt wird. Alle übrigen
Theile des Wiesels sind nach Plinius Angabe giftig. Das Wiesel
verschleppt seine Jungen oft an einen anderen Platz, damit man
sie nicht in ihrer Behausung findet. Bei der Mausejagd zeigt es
grosse Schlauheit, auch ist es schnell bereit, ihm widerfahrenes
Unrecht zu rächen.
53. Von der Hans«
Mus heisst eine Maus^). Der Geruch der Maus ist dem
Elephanten zuwider, wie ich oben in dem Abschnitt vom Elephanten
gesagt habe. Aristoteles behauptet, das eine Maus sterben muss.
Mustela volgaris L.
') Ictis hält, wie aus dem folgenden Abschnitt ersichtlich, K. für den
Hermelin, M. ermlDca L.
^) Mus musculus L.
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'weun sie Wasser triukt, da sie sehr feuchter Natur ist. Mäusekoth
wirkt innerlich sehr erweichend auf den Darminhalt, desshalb
trinken liderliche Leute ihn mit Wein oder Wasser als Arznei.
Plinius bemerkt, in Lybieu trinke keine Maus, was vielleicht auf
alle Mäuse passt. Findet die Maus irgendwo viele Käse, so ver-
sucht sie die Käse sämmtlich und frisst dann von dem besten. Bei
Vollmond geben die Mäuse einen zischenden Ton von sich, in der
Zwischenzeit sind sie stumm. Zur Brunstzeit sind diese Thierchen
schädlich, denn wo ihr Harn in dieser Zeit einen Menschen benetzt,
da verfault er. Während des Vollmonds wächst bei den Mäusen
die Leber, grade wie einige Meerthiere auch mit dem Monde zu- und
abnehmen, wie z. B. die Meerschnecken in den Muscheln. Nun
könntest Du fragen, ob das Hermelin auch eine Maus sei? Darauf
hin sage ich, dass es eine Wieselart ist, vielleicht die, welche
Isidorus Ictis nennt. Einige behaupten auch, die Wiesel ver-
änderten ihre rothbraune Farbe in weisse, denn wenn ein Wiesel
sehr alt wird, wird es weiss. Man sagt auch, das Wiesel werde
nach neun Jahren weiss. Aber das Hermelin bringt weisse Junge
zur Welt.
54. Vom WaldeseL
• Onager heisst ein Waldesel ^) oder ein starker Esel oder auch
ein grimmiger Esel. In der Nacht zum fünfzehnten März brüllt er,
wie Isidorus berichtet, zwölfmal und ebenso oft am Tage. Daran
erkennt man, dass die Tag- und Nachtgleiche eingetreten ist. Die
alten Esel verstecken die neugeborenen männlichen Eselfüllen und
beissen ihnen die Testikel ab. So giebt Solin us an. Die Esel-
stuten wissen das wohl, gebären deshalb an versteckten Orten und
verheimlichen die Geburt. Die Waldeselinnen schämen sich der
Begattung, wenn die Esel dazu neigen. Darum hassen sie die Esel.
So ereignet es sich auch bei den Leuten, dass die Männer ihre
Frauen hassen, wenn sie ihnen in diesen Dingen nicht gehorsam
sein wollen. Wenn ihn die Jagdhunde jagen, so entleert der Wald-
esel seinen Koth; die Hunde riechen ihn gern und bleiben dabei
stehen, während der Waldesel entflieht. Fehlt ihm zur Brunstzeit
ein Weibchen, so besteigt er die hohen Berge, zieht die Luft in
sich und schreit so laut, dass andere Tliiere darüber erschreken.
V Equus onager Schreb. Kulan, wilder Ksel.
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55 Vom Wunderthier.
Onoeentaurus ist, wie Isidorus angiebt, ein Wunderthier,
denn es hat einen Kopf wie ein Esel und einen Leib wie ein
Mensch. Hieronymus erzählt, das» der heilige Antonius Eins in
«1er Wüste gesehen habe. Andere sagen, es sei zur Hälfte, über
dem Nabel, ein Mensch, zur Hälfte, nach abwärts, ein Esel.
56. Vom Schaf.
Ovis ist ein Schaff). Die Hirten probiren, welche Schafe am
besten durch den Winter kommen w^erden, indem sie ihnen allen
eiskaltes Wasser auf den Schwanz giessen. Die Schafe, welche das
Wasser dann kräftig abschütteln, sind stark, die das nicht thun, sind
schwächlich. Das Schaf hat weniger Verstand wie die anderen
Thiere. Das kranke Schaf macht die anderen auch leicht krank,
desshalb muss es von ihnen entfernt werden. Der Widder hat die
Eigenart, dass er das ebene Feld verschmäht und ausser Weges auf
die Anhöhen läuft. Sein zorniges Wesen wird dadurch besänftigt,
dass man ihm die Hörner absägt. J3er Donner bewirkt bei allein-
stehenden Schafen Fehlwurf, um dies zu verhüten, sammelt man sie
bei einander unter ein Dach. Vom vielen Wassertrinken werden
die Schafe fett, besonders wenn sie Nachmittags trübes Wasser
trinken. Deshalb geben die Hirten ihnen viel Salz zum Futter, da-
mit sie tüchtig trinken und viel Milch geben. Isidorus sagt, der
Widder habe einen Wurm im Kopf, und wenn der Wurm ihn plagt,
HO stosse er sich mit einem anderen Widder herum. Ein halbes
Jahr liegt er auf der einen, das andere halbe Jahr auf der anderen
Seite. Die Schafe sterben leicht, wenn sie im Mai oder später von
Honigthau befallenes Gras fressen, oder wenn sie sich im Ernte-
mond mit Aehren überfüllen. So geschieht den Leuten, die der
Süssigkeit dieser Welt nachfolgen, sie sterben den ewigen Tod.
Daher sagt Boetius im Trost der Weisheit: Zwei Gefässe liegen
am Wege des Zeus, das heisst an Gottes Strasse, eins voll Wermuth
(das ist ein bitteres Kraut) und eins voll süssen Honigs. Desshalb
sollen wir nach Gottes Willen so leben, dass wir das Süsse mit
dem Sauren mischen. Aristoteles bemerkt, dass die Schafe un-
fruchtbar werden, wenn sie zu fett sind. Schw^arze Schafe geben
mehr und bessere Milch wie die weissen; bei den Ziegen ist es
Ovis aries L.
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umgekehrt. Ambrosius sagt, das Schaf fresse unniässig viel Kraut,
weil es den rauhen Winter fürchte und sich vorher an dem Kraut
sättigen wolle, ehe der Winter es ihm nehme. Hütet man sie auf
trockener Weide, so leben sie viel länger, wie wenn die Weide
feucht ist. Wer sie aus einem brennenden Hause heraus holen
will, muss sie festhalten, sonst laufen sie wieder in das Feuer.
Treten junge Schafe schnell in die Brunst, so ist das schlimm,
denn es deutet auf schlechte Eigenschaften bei ihnen. Aristoteles
bemerkt, dass die Schafe vorzeitig in die Brunst kommen, wenn sie
Salzwasser saufen. Werden die Schafe bei Nordwind befruchtet,
so werfen sie männliche Junge, bei Südwind dagegen weibliche.
Sind die Adern unter der Zunge des Schafes weiss, so werden die
Lämmer weiss, sind sie schwarz, so werden auch die Lämmer
schwarz und, wenn sie roth sind, scheckig. Er sagt auch, dass die
Schafe sterben, wenn sie an den Niereu zuviel Fett ansetzen. Es
ist dem Schaf von Nutz<m, wenn es sich Abends ausruhen kann.
Lammfleisch ist kräftigen und gesunden Leuten gut, für Sieche da-
gegen ungesund. Isidorus sagt, dass Lamm bedeutet in lateinischer
Sprache einen Erkenner, denn es erkennt seine Mutter besser wie
andere Thiere, oder es heisst Agnus nach dem griechischen Worte
Agnon, das heisst sanft, denn es ist ein sanftes Thierchen.
Alexander sagt, Schafsfell oder auch sonst ein fetthaltiges Fell
gebe nie gutes Pergament. Aristoteles giebt an, dass wenn der
Wolf Schafwolle gefressen und wieder von sich gegeben habe,
auf der Erde mehr W^ürmer darin sich entwickeln wie aus anderen
Haaren.
57. Vom Parder.
Pardus heisst ein Parder.^) Wie Jakobus angiebt, ist es
ein buntfarbiges Thier, wie ein Panther, denn es hat vielerlei
Flecken in der Haut, der eine ist weiss, der andere schwarz, der
dritte roth, der vierte gelb. Solinus sagt, dass diese Thiere in
Afrika sich an fliessendem Wasser sammeln, wo sie es finden, weil
das Land wasserarm ist Dort finden sich auch die Löwinnen an,
die sich mit allerlei Thieren, theils mit Gewalt, theils aus Neigung,
begatten, und daher stammen die Parder. Der Parder sieht schief
und sehr scharf. Er ist auch sehr ungestüm und grimmen Muths-
^) Felis pardus L., afrikanischer Tiger, Panther.
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58. Vom Panther.
Der Panther^) ist ein buntgefärbtes Thier, wie Solinus sagt,
und sehr schön, grade wie mit kleinen Kreisen, gezeichnet. Einige
davon sind gelb oder goldfarbig, andere weiss oder sonstwie gefärbt.
Das Thier ist sehr sanfter Art und hat nur einen Feind, den
Drachen. Wenn es sich an mancherlei Speise sattgefressen hat,
verbirgt es sich, nach Aristoteles, in seiner Höhle und schläft
drei Tage. Dann steht es vom Schlaf wieder auf und schreit ge-
w^altig. Das hören dann andere Thiere und versammeln sich in
seiner Nähe w^egen des süssen Geruches, der von ihm ausgeht.
Vor Seinem Anblick erschrecken sie aber, es verbirgt sich dann,
und die anderen Thiere folgen seinem süssen Geruch weiter nach.
Auf diese Weise lockt der Panther sie au und schädigt dann seine Gäste,
denn einige von ihnen frisst er. Isidorus sagt, das Thier werfe
nur einmal, weil die Jungen im Mutterleibe die rechte Zeit nicht
abwarten, die Gebärmutter inw^endig mit ihren scharfen Klauen
zerren und nach der Geburt das Mutterthier halbtodt liegen lassen.
Desshalb wird das Weibchen unfruchtbar, wie auch Plinius bemerkt,
dass alle Thiere mit scharfen Klauen nicht oft werfen können, weil
die. Jungen im Mutterleibe sich bewegen xmd die Mutter beschädigen.
Einige erzählen vom Panther, er habe auf der Schulter einen mond-
f örmigen Fleck, der anwachse, bis er rund werde, und sich mit der
Stellung des Mondes verändere. Der Drache fürchtet seine Stimme,
sonst kein anderes Thier.
59. Tom PUos.
Pilosus^) ist ein Thier, von dem es in der Glosse zum Pro-
pheten Jesaias heisst, dass es oben wie ein Mensch imd unten wie
ein Thier gestaltet ist. Hieronymus erzählt im Leben des heiligen
Einsiedlers Sankt Paulus, das Thier sei oberhalb wie ein Mensch
gebaut, habe eine eckige Stirn mit Hörnern und Ziegenfüsse und
bemerkt weiter, dass es lateinisch Incubus oder Satyr oder Faun
genannt werde.
60. Vom Utis.
Putorius heisst ein Iltis ^) und ist ein Thier, das argen Gestank
von sich giebt, besonders im Zorn. An der linken Seite hat es
*) Dasselbe Thier wie das Vorige?
^) Pilosus = haarig.
^) Mustela putorius L.
Scholz, Konrad von Megenb»rg' Buch der Natar.
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kürzere Beine wie an der rechten, wie ein Dachs. Es ist sehr
gierig nach Hühnern und deren Eiern und lebt allein von ihrem
Fleisch. Es wohnt aucfi gern in der Nähe der Häuser. So giebt
es auch ein anderes Thier, das auf deutsch Marder^) heisst. Er
ist dem Dtis sehr nahe verwandt, nur sein Fell ist werth voller.
Lateinisch kann er Moritor oder Galliceps genannt werden, weil
er die Hühner fängt und tödtet.
61. Vom Eichhorn«
Pirolus heisst ein Eichhorn.^) Es ist ein kleines Thierchen,
grösser wüe ein Wiesel, aber nicht länger. In einigen Gegenden
ist es roth, in anderen braun oder grau, und wenn es hellgrau ist,
so heisst es Veh. Das Veh ist nemlich dasselbe Thier, wie das
Eichhorn, nur dass es euie andere Farbe hat. Wie aber auch die
Färbung ist, auf dem Bauche ist das Eichhorn immer weiss. Das
Thierchen hat einen grossen, breiten und buschigen Sohweif, fast
so gross als es selbst. Will es seinen Aufenthaltsort des Futters
wegen verlassen und muss über ein .Wasser, so nimmt es ein
leichtes Stück Holz, legt es auf das Wasser, setzt sich darauf und
reckt den Schweif wie ein Segel in die Höhe. So treibt es dann
der Wind herüber.
63. Tom Affen.
Simia heisst ein Affe. Das Thier ist fast in allen Theilen
dem Menschen sehr ähnlich. Bei Neumond ist das Thier vergnügt,
bei Vollmond und abnehmendem Licht trauert es. Solinus sagt,
der Affe habe in der Zunge ein besseres Unterscheidungsvermögen
wie alle anderen Thiere. Er ist sehr gefrässig, bissig und recht
schlecht zu behandeln. Er hat ein übermässiges Verlangen nach
äusserem Putz. Desshalb ziehen die Jäger in den Wäldern Hand-
schuhe und Schuhe an, so dass die Affen es sehen können, ziehen
sie dann wieder aus und lassen sie liegen. Die Affen kommen
dann, ziehen sie au und werden auf diese Weise gefangen. Der
Affe erkennt seinen Herrn auch nach vieljähriger Trennung wieder.
Er spielt auch gern mit Kindern, und bei Gelegenheit würgt er sie.
Aepfel und Nüsse frisst er gern, findet er dabei aber eine bittere
Schale vor, so wirft er Alles zusammen fort und verschmäht das
Mustela foina L., Hausmarder.
^ Sciurus vulgaris L.
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Süsse wegen des Bittern. Thut ihm Jemand etwas zu Leide, so
trägt er es ihm lange nach. Seine Jangen liebt er sehr. Ist er
zahm geworden und bekommt im Hause seines Herrn Junge, so
zeigt er Jedem sein Junges und freut sich, wenn man es streichelt.
Im Aeusseren ist der Affe dem Menschen allerdings sehr ähnlich,
innerlich dagegen unterscheidet er sich vom Menschen, wie Ari-
stoteles sagt, mehr wie alle anderen Thierß. Der Affe hat keinen
Nabel. Das Genitale der Aeffin gleicht dem des Weibes, das des
Affen dem des Hundes.
63. Vom Ochsen.
Taurus heisst ein Ochse. ^) Unter den Hausthieren zeichnet
er sich durch seine Stärke aus, dabei ist er sanfter Art, nur die
Thiere, welche andern schaden, wie den Wolf und den Hund, kann
er nicht leiden. Bei ihren Kämpfen untereinander strecken sie die
Zunge aus und fechten mit den Hörnern, nicht mit den Zähnen.
Sie haben nemlich keine schädlichen Zähne und schaden desshalb
auch den Wurzeln nicht, wenn sie Kräuter fressen, da sie diese nur
oben abbeissen. Je älter die Ochsen sind, um so mürber wird ihr
Fleisch, vorausgesetzt dass sie gemästet werden. Bei allen Thieren
sind die Weibchen flinker und haben eine höhere Stimme wie die
Männchen, ausgenommen bei den Rindern: da [hat der Ochse eine
schwächere Stimme wie die Kuh. Die Zugochsen hegen zu ihrem
Genossen grosse Zuneigung, denn einer sucht den andern, mit dem
er den Pflug zusammen gezogen hat, und schaut beständig nach ihm
aus, wenn er ihn verloren hat. Man sagt, dass die Ochsen fett
werden, wenn man sie häufig mit warmem Wasser wäscht. Das
Rind hat stärkere und härtere Sehnen wie die anderen Thiere, und
der Ochse die stärksten. Rindfleisch macht das Blutjdick und voll
schwarzer Galle. Es wird auch im Magen nur schwer verdaut,
wenn man es nicht mit Knoblauch zusammen geniesst und starken
Wein dazu trinkt. Wenn der Ochse schwer krank wird, so stirbt
er schnell und leidet nicht lange. Dasselbe sehen wir auch bei
den Bauersleuten, die sich nicht bei Lebzeiten verzärtelt und täglich
schwer gearbeitet haben. Die Hörner der Kuh sind härter, wie die
des Ochsen, wie der grosse Basilius angiebt. Ein Trunk Ochsen-
blut ist tödtlich. Warmes Ochsenblut ist gebrochenen Gliedern
*) Bos taurus L.
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heilsam und kräftigt sie. Mit Honig gemischte Ochsengalle zieht
Dornen, Holzsplitter und Eisen aus. So bekommt man die Pfeile
aus den Wunden. Aristoteles sagt, wer einen wilden Ochsen au
einen Feigenbaum anbinde, mache ihn zahm und gefügig.
64. Vom Tragelaphen.
Tragelaphus könnte deutsch ein Bockhirsch heisseu. Es ist
nemlich ein Thier, welches am Kinn einen Bart wie ein Bock führt, ^)
und dessen Höruer ausgezackt und wie beim Hirsch verästelt sind.
Das Thier ist stark und wehrhaft gegeu alles, was ihm zuwider
ist. Im alten Testament ist es als Speise verboten, wie Isidorus
sagt. Es führt auch den lateinischen Namen Hircocervus.
65« Vom Maulwurf«
Talpa heisst ein Schär oder ein Maulwurf.*^) Es ist ein
kleines, blindes, schwarzes Thierchen. Es entsteht, wie Einige be-
haupten, aus fauler, kothiger Erde. Es haust auch nur unter der
Erde, wie es sich auch gehört, und lebt vom Futter der Würmer
in der Erde, nemlich von verrotteter Erde. Wenn es vom Durst
geplagt ist, kommt es häufig» hervor aus der Erde und kann dann
nicht wieder zurück, weil es nicht sieht. Zu Pulver gebrannter
Maulwurf mit Eiweiss auf das Gesicht des Kranken gestrichen, ist
gut gegen den Aussatz. Streicht man Maulwurfsblut auf die Stelle,
wo Jemandem die Haare ausgefallen sind, so wachsen sie wieder.
66. Vom Tiger.
Tigris heisst ein Tiger. •^) Er ist in mancherlei Farbe gefleckt
und auffallend kräftig und schnell. Wie Isidorus und Hieronymus
angeben, wird er in Hirkanien geboren. Diese Thiere sind sehr
grimmig, und wenn die Jäger ihnen die Jungen geraubt haben,
können sie den alten Thieren oft nicht entfliehen. Darum werfen
sie dann, wie Ambrosius berichtet, gläserne Schilde hinter sich.
Wenn nun die Thiere herankommen und die Spiegel ansehen, so
glauben sie, ihre Jungen sässen da, bleiben bei den Spiegeln stehen,
küssen und umfangen sie. Zuletzt aber, wenn sie auf die Spiegel
treten und mit den Klauen scharren, finden sie Nichts. Zwischen-
^j Cervus alces L., Elentliier, liat einen Bart.
-) Talpa europaea L.
3) Felis tigri.s L.
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zeitlich entfliehen ihnen die Jäger. Aristoteles bemerkt, der Tiger
gleiche in vielen Dingen dem Ochsen. Sein Fleisch ist ziemlich
roth und von süssem Geschmack. Desshalb fängt man den Tiger.
67. Tom Einhorn.
Unicomus ist ein Einhorn, ^) ein Thier, dessen gewaltiger Kraft
die Körpergrösse nicht entspricht, wie Isidorus sagt. Es ist sehr
wild und bösartig, so dass kein Jäger es mit Gewalt fangen kann.
Man fängt es aber, wie Isidorus und Jakobus berichten, mit
Hülfe einer keuschen Jungfrau. Lässt man eine solche sich im
Walde niedersetzen, so vergisst das Einhorn, wenn es herankommt,
seinen ganzen Grimm und ehrt die Reinheit des keuschen, jung-
fräulichen Leibes dadurch, dass es sein Haupt in ihren Schooss
legt und darin einschläft. Dann fangen es die Jäger und führen
es in die köniß^lichen Paläste, den Leuten zur Schau und zum An-
sehen. Das Thier ist zu vergleichen unserem Herrn Jesus Christus,
der auch, bevor er Mensch wurde, gegen den Stolz der Engel und
den Ungehorsam der Leute auf Erden Zorn und Grimm hegte.
Ihn fing die hochgelobte Maid mit ihrer keuschen Reinheit, Maria,
in der Wüste dieser schlechten Welt, als er vom Himmel herab-
fuhr in ihren keuschen, reinen Schooss. Danach wurde er gefangen
von den bösen Jägern, den Juden, und von ihnen lästerlich er-
mordet Darauf erstand er wieder und fuhr gen Himmel in den
Palast des himmlischen Königs, wo er der Gemeinschaft aller
Heiligen und aller Engel einen süssen Anblick gewährt. Hilf Mutter,
hilf reine Magd, Du hast oft geholfen, dass wir Dein Kind dort
schauen! Das Einhorn hat ein Hörn auf der Nase. Sanct Gregorius
spricht, das Thier sterbe in der Gefangenschaft durch die ausge-
sprochene Missachtuug seiner selbst, von der es dann befallen werde.
68. Vom Bären.
ürsus heißst ein Bär. 2) Das ist ein gar grimmiges Thier und
von ungefüger Gestalt, wenn man ihm die Haut abgezogen hat.
Der Bau seiner Glieder hat Aehnlichkeit mit denen des Menschen,
Seine grösste Kraft liegt in den Armen und den Hüften, sein Kopf
dagegen ist schwach. Ambrosius sagt, die Bärin werfe am
^) "Wolü Rhinoceros unicomis L., wegen der Angabe am Schluss.
') ürsus aretos L., der gemeine, braune Bär.
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dreissigsten Tage nach der Conception ein unreifes Junges, wenig
grösser wie eine Maus. Plinius giebt an, die Bärin lecke den ge-
borenen Fleischklumpen und halte damit so lange an, bis das Neu-
geborene Glieder bekomme, denn bei der Geburt sei von Gliedmaassen
weiter Nichts zu sehen, wie die Klauen. Die Bären cohabitiren in
gestreckter Lage, wie die Menschen. Solinus sagt, die Bären ver-
ehrten die Bärinnen heimlieh. Es ist Nichts seltsamer anzusehen
unter trächtigen Thiereu, wie eine gebärende Bärin, wenn sie in
der Geburt sich müht. Die Bärinnen sind stärker und kühner wie
die Bären, ebenso sind auch die Leopardenweibcheu stärker wie
die Männchen. Sie werden auch bald zahm und sind gelehriger
wie die Bären. Die Bären geniessen Ameisen und Krebse als
Arznei. Wenn man Bärenfleisch kocht, so wächst es. Das thut,
wie Plinius sagt, sonst kein Fleisch. Der Bär ist so verpestet,
dass kein Thier das von ihm berührte Futter anrührt, und was er
in der Müsse nach der Arbeit anbläst und anfaucht, das verfault
Wenn man den Bären Hingt, so blendet mau ihn so: Man nimmt
ein glühendes Stück Eisen oder Bronce und hält ihm das vor.
Dann erblindet er sofort und kann kaum stehen. Der Bär wächst
fast unaufhörlich. Solinus sagt, der Bär sei hinter den Bienen-
körben her wegen des Honigs, denn er isst Nichts so gern. Wenn
desshalb die Jäger einen Bären fangen wollen, graben sie eine
Grube und besprengen den Weg zur Grube mit Honig, damit der
Bär dem Wege folgt und in die Grube fällt.
69. Vom Fuchs.
Vulpis heisst ein Fuchs. ^) Wie Ambrosius sagt, hat er die
Gewohnheit, wenn er lebensgefahrlich erkrankt ist, einen Fichten-
baum aufzusuchen und das vom Stamm abfliessende Harz zu fressen.
Auf diese Art macht er sich wieder gesund. Einige geben an, der
Fuchs selbst baue sich nie eine Höhle, vielmehr grabe der Dachs
sämmtliche von den Füchsen bewohnten Höhlen. Wenn der Dachs
einen Bau hergerichtet hat, kommt der Fuchs herein und lässt
seinen Koth darin. Der Dachs verabscheut den Gestank desselben
sehr und kommt nie wieder in einen solchen Bau herein. Durch
diese Hinterlist behält der Fuchs die Höhle. Es wird auch gesagt,
der Fuchs habe ein stinkendes Maul, wie auch sein Hintertheil übel
^) Ganis vulpes L.
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riecht. Er stellt besonders dem zahmen Geflügel, wie Hühnern und
Gänsen, nach. Zu Pulver gebranntes Fuchsfleisch, in Wein ge-
geben, ist gut für asthmatische Leute. Das Blut aus der Leisten-
gegend ist gut gegen Ohrenschmerz. Wenn er eine Mandel verzehrt,
stirbt er. Im Sommer leidet er an Ueberhitzung der Leber.
Hungert ihn und kann er Nichts zum Fressen finden, so stellt er
sich todt, legt sich auf die Erde und hält den Athem an, bis die
Vögel sich auf ihm, wie auf einem Aas, niederlassen. Dann fängt
er sie und frisst sie auf, denn er liegt mit schon aufgesperrtem
Maul und heraushängender Zunge da. Isidorus sagt, der Fuchs
laufe selten geradeaus, sondern schiefe und krumme Wege. Den
Hunden entkommt er zuweilen dadurch, dass er wie ein Hund bellt
oder dadurch, dass er sich an einem Aste aufhängt, bis die Hunde
seine Spur verloren haben. Geräth er in ein Fuchseisen, so beisst
er sich oft selbst das Bein ab, mit dem er gefangen ist und ent-
flieht auf drei Beinen. Sitzt er aber in der Falle fest, so stellt er
sich todt, bis man ihn aus der Falle herausholt, und entspringt dann.
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III.
B. Yon den YOgeln im Allgemeineo.
Nun wollen wir von allen Vögeln sprechen und zwar zunächst
im Allgemeinen. Jeder Vogel| der gute Flügel hat und in Folge
dessen schnell fliegen kann, hat wenig brauchbare und schwache
Füsse, wie z. B. die Schwalben und ihres Gleichen. Kleine Vögel
singen zur Brunstzeit mehr, wie die grossen. Alle Vögel mit krummen
Klauen leben von Fleisch. Die anderen dagegen verzehren Früchte,
Würmer und Schlangen. Aristoteles sagt, die fleischfressenden
Vögel brüten nur einmal im Jahr, mit Ausnahme der Schwalben,
welche zwei Brüten machen. Weiter lehrt er, dass man Krankheiten
der Vögel an ihrem Flug erkennen könne, und dass bei allen Vögeln
das Männchen in der Regel länger lebt wie das Weibchen. Er giebt
auch an, dass die Vögel auf Wunden, die sie bei ihren gegenseitigen
Streitereien erhalten haben, ein Feldkraut, Origanum genannt, auf-
legen. Von den Würzkräutern wollen wir aber erst nachher sprechen.
Weiter bemerkt er, dass die Raubvögel heisser und trockner Natur
seien. Diese Natur heisst lateinisch colerica. Er berichtet ferner,
dass alle Vögel mit krummen Klauen ihre Jungen aus dem Nest
werfen, wenn sie flügge geworden sind, und sich nicht weiter um
sie kümmern. Eine Ausnahme machen die Krähen, die ihre Jungen
noch eine geraume Zeit lang im Auge behalten. Alle Vögel mit
Krallen an den Zehen sind Fleischfresser, und jeder Raubvogel fangt
nur Vögel anderer Art als seiner eigenen. Dadurch unterscheiden
sie sich von den Fischen, denn ein Ilecht fängt den andern. Nur
der Sperber übt diese Rücksicht nicht. Das Fleisch solcher Vögel,
die andere Vögel fressen, ist besser und wohlschmeckender wie
anderes Fleisch, wenn dies nicht ganz etwas Besonderes ist. Die
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Jungen haben bei allen Vögeln in ihrer ersten Jugend einen herab-
hängenden Bauch, mit zunehmendem Wachsthum nimmt er seine
gewöhnliche Form an. Die Vögel gehen nur dann an ein todtes
Thier, wenn sein Geruch noch gut ist, nicht, wenn es schon stinkt.
Das Weibchen lebt desshalb weniger lange wie das Männchen, weil
es durch das Brutgeschäft oft bis zum Tode geschwächt wird. Die
Vögel haben keine Blase, weil sie wenig trinken, besonders aber
desshalb, weil alle ihre wässerige Feuchtigkeit in die Federn ver-
wandelt wird. Alle Vögel mit langen Beinen haben einen langen
Hals und die mit kurzen auch einen kurzen Hals. Eine Ausnahme
machen die Vögel, welche zwischen den Zehen eine Haut haben,
wie die Gans. Die kleinen Vögel sind fruchtbarer wie die grossen.
Isidorus sagt, die Vogeleier besässen eine solche Kraft, dass ein
mit ihrem Inhalt bestrichenes Holzstück nicht brennen könne, und
auch ein ebenso behandeltes Kleid unrerbrennlich sei. Wenn man
Kalk mit Eiweiss mischt, kann man einen Gegenstand damit an
einen anderen festleimen. Diese beiden Angaben sind mir zweifel-
haft. Diejenigen Vögel, welche viele Jungen auf einmal haben, ge-
bären oder brüten an möglichst versteckten Orten. Je grösser ein
.Thier ist, um so länger dauert seine Entwicklung im Mutterleibe.
Alle Vögel mit krummen Klauen haben eine scharf gebaute Brust,
sie deutet auf die grimmige Art ihres Besitzers. Dieselben Vögel
theilen im Flug die Luft schnell. Ebenso handeln die grimmen
Wütheriche, die Gottes Freunde auf Erden morden und zerstreuen.
Die Seele aber können sie nicht tödten, wenn sie auch ihren Körper
hinmorden.
]• Tom Adler.
Aquila heisst ein Adler i), und Augustinus sagt, er sei der
edelste und ein König über alle Vögel. Er ist ein grosser Räuber
uud frisst nur Fleisch. Er hat ein äusserst starkes und scharfes
Gesicht, so dass er die Sonne in ihrer ganzen Helligkeit anzusehen
im Stande ist. Der Adler hat die Gewohnheit, seine Jungen mit
den Klauen der Sonne entgegen zu halten. Welches dann von den
Jungen die Sonne ohne Wanken ansieht, das behält er als einen,
seines Geschlechtes würdigen Vogel und füttert es auf. Kehrt aber
Eins die Augen von der Sonne ab, so wirft er es fort als ein un-
M Welche Art gemeint ist, lässt sich nicht entscheiden.
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edeles Kind. Adelinus sagt, dass der Adler, wenn er unter seinem
hohen Alter leide, sich nach einem recht kalten Quell umsehe und
über diesem sich in alle Wolken hinauf schwinge. Durch die Sonnen-
hitze wird dann die Dunkelheit, die seine Augen befallen hat, ver-
zehrt. Dann stürzt er sich, erhitzt wie er ist, sofort in den vorher
ausgesuchten Quell herab, taucht dreimal darin unter und fliegt dann
in sein Nest zurück, zu seinen starken Kindern, die jetzt schon gut
rauben können. Dann mausert er sich, grade wie in der fieberfreien
Zeit zwischen der Hitze und dem Fieberfrost. Die Jungen speisen
und ernähren ihn während dessen im Nest, bis seine Federn wieder
neu gewachsen sind. Wenn sein Schnabel so lang geworden ist,
dass er seine Nahrung nicht mehr gut damit greifen kann, so schlägt
er ihn gegen einen Stein, wetzt ihn daran und kürzt den Haken
des Schnabels so lange, bis er ihm wieder passend ist. Die Jungen
des Adlers winseln und schreien im Nest nicht. Jakobus giebt an,
der Adler habe in seinem Nest einen Stein, Echites oder Gagates
genannt, i). Dieser hat in seinem Inneren noch einen zweiten Stein.
Diesen Stein hat der Adler im Nest gegen seine eigene grosse
Hitze. Jedoch will ich von den Steinen weiter unten reden. Hätte
er den Stein nicht, so würden seine Eier bei der grossen Hitze im
Nest braten. Andere Gelehrte behaupten, der Adler habe zwei
Steine im Nest, Nides genannt, ohne deren Hülfe er nicht brüten
könne. Der Adler theilt anderen Vögeln von seiner Beute mit, aber
die Gäste mögen sich vor dem Wirth wohl hüten. Hat er nemlich,
wenn die Beute verzehrt ist, noch nicht genug, so greift er sich die
Gäste und frisst sie auf. Die Krähen verfolgen den Adler bisweilen.
Lässt er Das auch einige Zeit geschehen, so greift er sie schliesslich
doch mit den Krallen. PI in ins sagt, Adlerfedem vertrügen sich
nicht mit andern Federn; wenn man sie zusammen bringt, frässen
sie auf und litten ihre Gemeinschaft nicht. Das glaube ich aber
nicht. Der rechte Fuss des Adlers ist grösser wie der linke. Er
nimmt seine Jungen auf seine Schulter und lehrt sie so fliegen.
Alle edelen Vögel erschrecken, wenn sie den Adler sehen und wagen
am selben Tage nicht zu rauben, da sie ihren Muth verloren haben.
Eine Ausnahme macht der GreiflFalk^), der fängt den Adler.
Alexander sagt, der Adler hindere durch seinen kaiserlichen Ruf
den Flug anderer Vögel. Muss er einen Tag fasten, so holt er das
») Vergl. VI. 33.
3) Der fabelhafte Greif?
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am anderen Tag durch reichliches Fressen wieder ein. Gamaliel
giebt an, dass der Adler viel Sorgfalt tlbe, wenn er seine Jungen
fliegen lehrt. Wenn er die Nachstellung der Jäger befürchtet, trägt
er seine Jungen auf dem Rücken und bringt so seinen Körper
zwischen das Junge und den Schützen, damit er im Nothfall wie
ein Schild den Schuss von seinem Jungen abhalten kann.
3. Vom Arpen.
Arpia ist, nach Angabe des Adelinus, ein Vogel, der in
fernen Ländern bei der Stadt Trapedes in der Wüste am Jonischen
Meere lebt.^) Er hat einen gewaltigen Hunger und wird niemals
satt. Er hat sehr scharfe Kralleu, geschickt zum Reissen und
Fangen. Der Vogel hat zwar ein Gesicht wie ein Mensch, aber
keinerlei menschliche Tugend in sich, denn seine Grausamkeit ist
unmenschlich. Er tödtet den ersten besten Menschen, dessen er in
der Wüste ansichtig wird. Kommt er dann zufällig an ein Wasser^
und sieht sein Gesicht darin wiedergespiegelt, so trauert er um den
getödteten Menschen nicht wenig, zuweilen bis zum Tode, weil er
seines Gleichen umgebracht hat, und weint allezeit, so lange er
lebt, über den Mord. Gezähmt redet der Vogel mit menschlicher
Stimme, menschliche Vernunft hat er aber nicht.
3. Vom Beiher.
Ardea heisst ein Reiher, 2) wie Jakobus und AmbrosiuS'
angeben. Er fliegt hoch über den Wolken, weil er den Regen und
das Wetter, das aus den Wolken kommt, fürchtet. Gelangt er
über die Wolken hinaus, so entgeht er dem Wetter. Der Vogel
sucht zwar seine Nahrung im Wasser, nistet aber auf den höchsten
Bäumen. Die Habichte belästigen die Reiher sehr und setzen ihnen
gehörig zu. Der Reiher aber kehrt dem Habicht seinen After ent-
gegen und verunreinigt ihn mit seinem Koth. Wo dieser hintriift,
verfaulen die Federn des Habichts. Der Reiher hat, wie der
Storch, nur einen Darm.
^) Eine Tringa- oder Larus-Art? Das menschliche Gesicht ist wohl
eine Erinnerung an die fabelhafte Harpye.
^ Ardea cinerea L.
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4. Von der Oans.
Anser oder Auca heisst eine Gans.^j Dieser Vogel giebt die
Stunden während der Nacht durch sein Geschnatter gerade so an,
wie der Hahn mit seinem Krähen. Die (xänse melden durch ihr
Schnattern auch die Diebe an, denn kein Thier wittert, wie Isidorus
angiebt, den Menschen so fein, wie die Gans. Die Gänse legen
häufig unbefruchtet Eier, aber diese Eier sind eutwicklungsunfahig,
wie Aristoteles und andere Gelehrte bemerken. So lange die
Jungen noch klein sind, behütet eine Gans sie unausgesetzt und
reckt den Hals hoch, damit der Räuber, der Aar, nicht kommt
Die Gans unterscheidet den Aar recht gut vom Geier, was einem
Menschen sehr schwer wird. Die wilden Gänse richten ihren Flug
nach dem Winde, nach dem Südwind, der lateinisch Auster heisst,
und dem Nordwind, der Aquilo genannt wird. Wenn der Nord-
wind weht, fliegen sie nach Süden, also gegen Mittag, bei Südwind
nach Norden. Die Gänse fliegen so gern, dass sie, ausser zum
Fressen, nur selten ruhen. Die zahmen Gänse fliegen dagegen
schlecht, tüchtig fressen ist ihr Vergnügen und ruhen und schlafen
ihre Begehr.
5. Von der Ente.
Anas heisst eine Ente.*^) Das ist ein bekannter Vogel. Die
Jungen schwimmen, sobald sie aus dem Ei gekrochen sind und er-
nähren sich selbst, als ob sie keine Mutter hätten. Die Entriche
sind so begierig, sich zu begatten und in ihrer Brunst so unsinnig,
dass sie, wenn für mehrere Enteriche nur eine Ente da ist, diese
zu Tode treten, einer nach dem anderen, und sich um sie beissen.
6. Vom Habicht.
Accipiter heisst ein Habicht.^) Er ist ein sehr edler Vogel,
grösser wie der Greiflfalke,^) aber viel träger. Jedoch ist er mehr
auf seine Sicherheit bedacht und vorsichtiger wie der Greiflfalke,
denn er fliegt nicht so schnell. Hat der Habicht einen Vogel ge-
fangen, so reisst er ihm zunächst die Seite auf und sucht das Herz,
denn das frisst er am liebsten. Desshalb geben die Herren und
Anser cinereus M.
*) Anas boschas L.
^) Astur palumbarius Bechst.
*) Jagdfalke, Falco gyrofalco L., F. islaudicus Briss?
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die Jäger den Habichten, wenn es angeht, das Herz des Beutethiers
und behalten das Üebrige für sieh.^) Wenn der Habicht seine
alten Federn abwirft, streckt er seine nackten Flügel der Sonne
entgegen, damit die Sonnenwärme die Schweissporen öifnet und
die neuen Federn um ^o leichter wachsen. Die Natur kennt
uemlich am besten, was für alle Dinge, die vergehen und werden,
nützlich, und nöthig ist. Wenn der Habicht gesund ist, stehen seine
Federn aufrecht, ist er krank, so hängen sie herab. Man trägt ihn
auf der linken Hand, damit er nach rechts auf die Beute hinfliegt.
Dieser Vogel schlägt seine Jungen mit den Flügeln und wirft sie
aus dem Nest Auch bringt er ihnen, wenn sie erwachsen sind,
kein Futter, damit sie nicht faul werden, wie Ambrosius sagt.
Es ist desshalb kein Wunder, dass sie ihre Mutter verachten, wenn
sie selbst im Stande sind, zu rauben. In Rosenöl gekocht ist der
Habicht, nach PI in ins, sehr gesund für kranke Glieder. Alexander
erzählt, wenn der Habicht im Winter zur Abendzeit einen Yogel
fange, so behalte er ihn die ganze Nacht unter den Fängen und
lasse ihn am Morgen bei Sonnenaufgang w^ieder los, auch wenn er
Hunger hat. Stösst er dann am selben Tage wieder auf den
nemlichen Vogel, so thut er ihm Nichts. Er wechselt die Farbe
seiner Augen und den Schnabel, Augustinus bemerkt, dass Brot
für den Habicht tödtlich sei.
7. Vom Amer.
Amraam ist nach Aristoteles ein Vogel, der im Morgenlande
lebt^). Er nistet auf hohen, unzugänglichen Bäumen, und man
findet desshalb sein Nest und die Jungen nur sehr selten. Sie
kommen auch nicht früher in die Ebene herab, bis sie völlig
kräftig und der Mutter gleich geworden sind. Das geht auf die
Cifleissner, die sich heilig stellen, ehe sie unserer heiligen Mutter
der Christenheit ähnlich geworden sind.
8. Vom Aehant.
Achantis ist nach Plinius ein Vogel, der sich von Gras und
Futterkraut nährt*). Desshalb hasst er die Pferde, die dieselbe
Lebensweise führen, und flieht, wenn er sie sieht. Er kann sich
^) Hier ist offenbar von Jagdfalken die Rede, auch im Folgenden.
^) Pleiffer deutet diesen Vogel als Olireule, Strix otus L.
3) Akanthis, Friugilla (Linola) cannabina L., Hänfling, Leinfink?
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an den Pferden nur dadurch rächen, dass er sie mit seiner Stimme
verspottet, und wenn sie wiehern, so wiehert er ihnen zum Spott
gleichfalls. Der Vogel ist sehr fruchtbar, weil er nur klein ist,
denn er bringt zwölf Junge auf einmal.
9. Ton der Lerehe.
Alauda heisst eine Lerche, ') und das bedeutet so viel wie ein
Lobvogel, denn sie singt gar fröhlich in den Lüften in der frohen
Zeit des Frühlings im Mai. Plinius nennt diesen Vogel Galerica.
Bei bedecktem Himmel und bei Regen singt er selten oder gar
nicht. Die Lerche kündet den Tag frühmorgens, wenn das
Morgenroth kommt, mit gar frohem Gesang an. Wenn sie auf der
Erde sitzt, singt sie selten, wunderschön dagegen beim Aufflug,
denn sie steigt langsam empor und fällt rasch, wie ein Stein, wieder
herab. Aristoteles berichtet, dass die Lerche den sie verfolgenden
Habicht so fürchtet, dass sie den Menschen in den Schooss fliegt
und sich oft mit der Hand fangen lässt. Denn der Mensch fühlt
oftmals Erbarmen, der Habicht aber nie.
10. Tom Alk.
Alcio ist, wie Plinius sagt, ein kleiner Vogel 2). Zur Winters-
zeit legt er seine Eier in den Sand, besonders wenn das Meer auf
das Land hinauf fluthet und das Ufer und Gestade mit seinen
W^ellen peitscht. Wenn nun der Vogel seine Eier in das ungestüme
Meer hineingelegt hat, so wird dieses besänftigt, hört auf zu wogen
und der Wind ruht, bis der Alk seine Eier ausgebrütet hat. Der
Vogel wohnt nemlich im Meer und brütet sieben Tage auf seinen
Eiern. Nach Ablauf dieser Zeit holt er die Jungen aus den Eiern
hervor. Dann giebt er noch acht Tage zu, während derer er die
Jungen füttert, bis sie kräftig geworden sind. So viel Gnade ist
diesem kleinen Vogel von Gott gegeben, dass auch die Schiffer
sich in diesen vierzehn Tagen über die ruhige Zeit auf dem Meer
freuen können. Sie nennen diese vierzehn Tage die Alkentage und
fürchten sich während ihrer Dauer auf dem Meere nicht. Dieser
Vogel ist den Leuten zu vergleichen, die im Glück träge sind und
keine Frucht bringen. Im Unglück aber wenden sie sich mit
^) Alauda arvcDsis L.
^ Eine Alca-Art?
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Flehen und Bitten zu Gott, in der HofiFnung, dass er ihnen gnädig
sei. Und es geschieht auch, das Gott sie erhört und zwischen sich
und den Sündern Frieden sein lässt in seiner grossen Barm-
herzigkeit. Denn er versucht uns nicht über unser Vermögen und
fordert Nichts von uns, was wir nicht leisten können.
U. Tom Ba^had.
Bachadis heisst ein Bachad und wird auch Wek genannt.^)
Das ist ein Vogel, der auf einem Baume wächst. Der Baum ist
sehr astreich, aus den Aesten wachsen die Vögel hervor, sodass
ihrer immer eine grosse Anzahl an dem Baume hängt. Die Vögel
sind kleiner wie die Gänse, haben Füsse wie die Enten, sind aber
schwarz wie Asche gefärbt. Sie hängen mit den Schnäbeln an
Rinde und Stamm der Bäume. Frühzeitig fallen sie in's Meer
herab und wachsen darin weiter, bis sie zu fliegen anfangen. Einige
Leute assen diese Vögel, aber der Pabst Innocens der Vierte verbot
den Genuss der Vögel auf einem lateranischen Concil.
12. Vom Uhu oder Auf.
Bubo heisst ein Uhu oder, in anderem Deutsch, ein Auf. 2) Mit
diesem Vogel fängt man andere, er ist ein Sinnbild des Sünders,
der offenbar sündigt und andere Menschen mit zur Sünde verleitet.
Der Uhu trinkt den Tauben die Eier aus, frisst Mäuse und wohnt
gern in Kirchen, wo er das Oel aus den Ampeln trinkt und das
Innere der Kirchen mit seinem Koth verunreinigt. Von anderen
Vögeln angegriffen wirft er sich auf den Rücken und wehrt sich
mit den Krallen. Legt man das Herz eines Uhu einer schlafenden
Frau an die linke Seite, so sagt sie Alles, was sie gethan hat. Das
Mark auf die Augen eines Menschen gestrichen macht diese klar.
Dieser Vogel vergleicht sich den zuchtlosen Pfaffen in der Christen-
welt, die von ihren Kirchen reichlichen Gewinn haben und sie doch
durch ihre Sünden verunreinigen. Und wenn die Vögel, die bei
Tage fliegen, (das sind die, die das Gotteswort verkünden) sie
^) Anas bernicla L., Bernicla breuta Steph., die Bernakelgans, die
nach Ansicht der Alten aus den sogenannten Bernikel- oder Entenmuscheln,
Lepas anatifera L., entstehen sollte.
') Strix bubo L. Die Bezeichnung Auf ist in der Jägersprache, wegen
der Verwendung des Uhus auf der Krähenhütte, üblich.
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tadeln, so fahren sie mit den scharfen Klauen ihrer Bösartigkeit
auf sie los. Der Vogel hat für sein Körpergewicht sehr viel
Federn.
13. Tom Calader.
Caladrius ist, nach Angabe des Jakobus und Isidorus, ein
ganz weisser Vogel. ^) Er besitzt die Eigenschaft, dass die in der
Hüftgegend gelegenen Organe den Augen ihre Sehkraft wieder-
geben. Ausserdem vermag er anzugeben, ob Jemand sterben niuss
oder genesen wird, wenn man ihn einigemale zu einem Kranken
fuhrt. Will er das Gesicht des Menschen nicht ansehen und wendet
die Augen ab, so stirbt der Kranke. Sieht er aber den Kranken
an und wendet sich nicht ab, so wird dieser wieder gesund. Dadurch,
dass er des Kranken Gesicht betrachtet, nimmt er dessen Krankheit
an sich, fliegt damit in die Lüfte und verbrennt und zerstreut sie
dort. So wird der Kranke rasch gesund. Die alten Könige hatten
diese Vögel ehedem in ihren Hallen und Palästen. Alexander
fand diese Vögel in Persien. Der Calader hat unter seinen Ge-
beinen einen grossen Knochen, dessen Mark die verdunkelten
Augen wieder aufhellt, wenn man sie damit salbt.
14. Vom Elblz oder Schwan.
Cygnus heisst ein Elbiz oder ein Schwan. 2) Es ist ein weisser
Vogel, und die Gelehrten sagen, er singe sehr schön. Das habe
ich aber nie gehört, trotzdem ich ihrer schon viele gesehen habe.
Jakobus sagt, der Schwan habe weisse Federn und doch schwaraes
Fleisch. Er weiss im Voraus, wann er sterben muss und singt vor
seinem Tode lustig und fröhlich. Seine Hauptkraft hat er in den
Flügeln. Wenn der Tod heranzieht, so sucht er dem Weh in
seinem Hirn dadurch zu entfliehen, dass er lieblich singt, bis er
stirbt. In meinem lateinischen Texte heisst es allerdings: instante
morte Agit pennam in cerebro. Das heisst: Wenn der Tod kommt,
steckt er sich eine Feder in's Gehirn. Das hat aber keinen Sinn
und der Autor hat hier einen Fehler gemacht. Er hätte sagen
müssen: fugit penam in cerebro, das heisst: er flieht die Todesqual
in seinem Kopf durch seinen süssen Gesang, wenn auch das Herz
^) Eine Charadrius-Regenpfeifer-Art?
2) Cygnus musious Bechst. und C. olor L., der wilde oder Singschwaii
und der zahme oder Höckerschwan.
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unterdessen leidet. Er ist hitziger Natur, daher neigt er zum Zorn.
Wenn er mit einem Fusse schwimmt, so steuert er sieh mit dem
andern den Weg, den er schwimmen will, grade wie ein Schiffer.
Für seine Grösse hat er nur einen kleinen Körper. Im Schnabel
hat er ganz kleine Zähne, mit denen er seine Nahrung zerkleinert.
Schlägt man ihn auf den Kopf, so stirbt er leicht, wenngleich er
sonst viel aushalten kann.
15. Yoin Caristen.
Carista ist nach Solin us^) ein Vogel, der, ohne irgend welchen
Schmerz zu fühlen, durch brennendes Feuer fliegt, so dass weder
seine Federn noch sein Fleisch vom Feuer leiden. Darunter ver-
stehen wir die heiligen Märtyrer, die das Feuer dieser Welt auch
nicht zu schädigen vermochte.
16. Tom Storch.
Ciconia heisst ein Storch oder, in anderem Deutsch, ein
Adebar. 2) Dieser Vogel ist, nach Isidorus Angabe, aschgrau.
Solinus sagt, der Vogel habe keine Stimme und könne nur mit
dem Schnabel klappern. Er klappert aus drei Gründen. Einmal
wegen der Jahreszeit, die so wonnig und warm ist. Da klappert
er vor Freude. Er klappert aber auch, wenn er sich vor anderen
Vögeln, die über ihn hinfliegen, fürchtet, und endlich aus Zorn,
wenn er sich rächen will. Wenn die Störche über das Meer fliegen
wollen, so fliegen die Krähen ihnen voraus und zeigen ihnen den
Weg hinüber. Die Störche bemühen und sorgen sich sehr um ihre
Jangen, die sie zärtlich lieben, reissen sich die eigenen Federn aus
und legen sie beim Brüten in das Nest, damit die Jungen weich
sitzen. Umgekehrt hegen auch die jungen Störche grosse Zuneigung
zu ihren Müttern, widmen ihnen ihre Sorge ebenso lange, wie diese
sie ihnen gewidmet haben und nähren sie auch so lange. Daher
heisst der Storch der sanfte Vogel. Er hasst die Schlangen sehr
und stellt ihnen fleissig nach. Adelinus bemerkt, dass der Storch,
wenn er auch die Schlangen und andere giftige Dinge fresse, doch
nicht daran zu Grunde gehe. Kröten frisst er nur, wenn ihn der
Hunger plagt. Man erkennt daraus, dass die Kröten ein starkes
Gift sind im Vergleich zu anderen Giften, wie Plinius sagt. In
*) Liess sich bei Solinus nicht nachweisen.
^ Ciconia alba Bechst. und nigra L.
Sc bolz, Konrad von Megenberg's Buch der Natur. 10
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Asien liegt ein Feld, auf dem die Störche sich versammeln und mit
einander klappern, als ob sie sprächen. Den Letzten, der ankommt,
zerreissen sie und fliegen von dannen. Die Störche tödten ihre
Weibchen, wenn sie die Ehe gebrochen und nach ihrem Vergehen
nicht im Wasser sich gereinigt haben. Das hat man oft gesehen.
17. Ton der Ealanderlerche.
Calandris heisst eine Kalanderlerche.*) Es ist ein kleiner,
der Lerche ähnlicher Vogel. Er erfreut alle, die ihn hören, durch
seinen schönen Gesang. Gefangen und im Käfig verwahrt, vergisst
er seine Gefangenschaft und sein Leid und singt den ganzen Tag.
Er denkt wieder an sein (Jefängniss noch sonst an etwas wie nur
an seinen Gesang, über den freut er sich und singt in vieler Vögel
Weise. Dieser Vogel versinnbikllicht uns die Leute, welche auf
Erden die ewige Seligkeit betrachten, und so froh innerlich sind,
dass sie das Elend, in dem sie leben, vergessen. Von ihnen sagt
Sanct Paulus, dass sie schon jetzt ihre Gemeinschaft und ihren
Wandel im Himmel haben. Nun sieh mir die Kalander an, die
Tag und Nacht über der heiligen Schrift sitzen und die göttlichen
Werke darin wie in einem Spiegel betrachten ! Ach Mutter der
Barmherzigkeit, hilf Deinen Kalandern, die Tag und Nacht Dein
Spiegelbild betrachten und bedenken. Hilf, hilf, Helferin, hilf
Deinem Sünder, Du weisst allein, Herrin, wen ich meine!
18. Vom Raben.
Corvus ist ein Rabe.*^) Der Vogel hat, nach Isidorus, die
Art, dass wenn das Weibchen brütet, das Männchen ihm das Futter
bringt. Augustinus sagt, der Habe pflege seine Jungen nicht
eher zu füttern, bis er sieht, dass ihre Federn schwarz werden. In
Folge dessen bleiben die jungen Raben sieben Tage ohne Nahrung.
Am siebenten Tage werden sie schwarz, und dann erst holt der
Alte ihnen Futter. Wenn sie die Mühe mit den Jungen verdriesst
und sie ihnen nicht genug zu fressen bringen wollen, werfen die
Raben einige Junge aus dem Nest. Einige behaupten, die Raben
empfingen und legten auch die Eier mit dem Schnabel. Johannes
aber sagt, die Raben empfingen mit dem Schnabel und legten ihr«*
*) Melanocorypha calaodra ßoie.
'^) Corvus corax L., Kolkrabe.
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Eier wie andere Vögel auch. Auch sagt mau, die Rabeu würden
befruchtet, wenn sie ein Rabeuei verzehren. Der Rabe schreit viel
und ahmt allerlei Stimmen nach. Fulgentius behauptet, er könne
vier und sechszig Stimmen hervorbringen. Die Raben begatten
sich zuweilen im Fluge. Der Rabe ist bei Tage stärker, der Uhu
dagegen bei Nacht. Der Rabe frisst dem Uhu die Eier bei Tage
auf, der Uhu dem Raben des Nachts. Im Morgenlande giebt es
eine Art Raben, die mit den Eseln und den Ochsen kämpfen. Wenn
die Thiere fliehen, so setzen die Raben sich auf sie, fliegen ihnen
gegen die Augen, stossen ihnen die Augen aus und machen sie so
für ihren Herrn unbrauchbar. Desshalb tödtet sie dann der Herr,
zieht ihnen das Fell ab und der Rabe erhält auf diese Weise sein
Theil von dem Cadaver. So siegt der schlechte Vogel über das
starke Thier. Ebenso handelt ein schlechtes Weib, die auch oft
einen starken Mann besiegt, trotzdem er starkgerauthet ist. Davor
hüte deine Augen, denn die bringen den Schaden. Ich habe eines
Tages in der Kirche eine Frau wieder und wieder angesehen. Da
sagte mir Jemand im Schlafe, ich hätte zwei Schlangen in den Augen,
die müssten sterben. Hilf, Herrin, hilf, dass sie sterben! Der Rabe
mag von Natur den Fuchs gern, und dieser hilft ihm desshalb gegen
die Vögel, die Achilen genannt werden, denn der Achilon^) ist des
Raben Feind.
19. Von der Erahe.
Comix heisst eine Krähe 2) und ist, nach Plinius, desselben
Oeschlechtes wie die Raben. Zur Zeit der Sommersonnwende werden
die Krähen krank. Die Krähen greifen andere edele Vögel feindlich
an. Das bringt ihnen oft Schaden, denn wenn die edlen Vögel die
Angriffe und das Stossen der Krähen auch lange sich gefallen lassen,
80 reisst ihnen doch schliesslich die Geduld, und sie zerfleischen die
Krähen. Die Krähe frisst gern Nüsse. Bekommt sie eine harte
Nuss, die sie mit dem Schnabel nicht öffnen kann, so fliegt sie in
die Höhe und lässt die Nuss so lange auf harte Steine fallen, bi«
sie aufspringt. Die männliche Krähe füttert das Weibchen, so lange
es brütet und nicht ausfliegen kann.
^) Nicht definlrbares Thier.
^ Corvus comix L., C. corone Lath. u. C. frugilegus L., Nebelkrfihe,
Rabenkrähe und Saatkrähe.
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20. Vom Kukuk.
Cueulus heisst ein Kukuk oder ein Gauch^). Er ändert
seinen Gesang nie und singt nur: Kukuk, Kukuk. Desshalb verspotten
die Kinder ihn. Der Vogel ist zwar träge, bleibt aber nicht lange
am selben Ort. Seine Eier legt er in das Nest eines andern kleinen
Vogels, Grasmücke genannt. Ebensoviel Eier, wie er ihr in's Nest
legt, wirft er heraus, damit sie nicht mehr Eier vorfindet, wie sie
haben soll und die übrigen nicht herauswirft. Das fremde Vögelchen
brütet so des Gauches Eier mit den eignen aus und füttert den
jungen Kukuk mit seinen Jungen. Es ist nicht klug |genug, den
Gauch durch seine Grösse von seinen eigenen, kleinen Jungen zu
unterscheiden. Wenn nun der Kukuk mit den Grasmücken zu-
sammen im Nest sitzt, so nimmt er, wie Pliuius erzählt, der alten
Grasmücke in seiner Gier immer das Futter vor den andern .we^
und wird so sehr fett und gross. Seine Amme, die Grasmücke, freut
sich darüber, dass sie ein so schönes Kind hat und ist auf sich
selbst stolz. Dabei verachtet sie die eigenen Jungen und verzehrt
sich in der Pflege des Kukuks so sehr, dass sie ganz von Kräften
kommt. Das wird ihr aber übel gelohnt. Denn wenn der Kukuk
kräftig geworden ist und ausfliegt, so verachtet er seine Amme, die
ihm vor Liebe nachfliegt, und beisst sie todt. Im Winter reisst der
Kukuk sich die Federn aus und setzt sich mit seinen Federn in
ein sicheres Baumloch, in das er über Sommer das Futter für den
Winter zusammengetragen hat. Isidorus bringt über den Kukuk
eine Angabe, die mir zweifelhaft scheint. Er sagt, wenn der Kukuk
zur schönen Frühlingszeit wieder ins Land kommt, so setzt er sich
der Weihe auf die Schultern, damit er bei dem langen Fliegen über
ferne Länder nicht müde w4rd. Aus dem Speichel des Kukuk
entstehen Ackergrillen. Ich habe aber beobachtet, dass eine hohle
silberglänzende Röhre daraus wurde, die um einen dünnen Zweig
des Baumes gewickelt war, auf dem er den Speichel entleert hatte.
21. Tom Coredcl.
Coredulus heisst soviel wie ein Herzfresser, wie Isidorus sagt/*^)
Er ist ein Raubvogel, und wenn er einen anderen Vogel fängt, so
frisst er zunächst das Herz. Ich glaube, es ist der kleine Vogel,
Cueulus canorus L.
^) Irgend eine Lanius-AVürger-Art.
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der auf dem Land Würger genannt wird. Dieser Vogel bedeutet
Gott als den, der die grösste Liebe hat, und dann auch jeden andern
Liebhaber, der zu seinem Lieb spricht: Lieb, gieb mir dein Herz,
das will ich haben. Das ist recht vor Gott. Denn der heilige
Augustinus sagt: Gott hat des Menschen Herz mit seinem kost-
baren Blut sehr theuer erkauft. Darum gehört es billig ihm allein
und sonst Niemand mehr. Ach wäre dem also! Getheilte Liebe lässt
manches liebende Herz verloren gehn.
33. Von der Taube.
Columba heisst eine Taube, i) Das ist ein sehr sanfter Vogel.
Die Taube zerreisst andere Thiere nicht, greift auch mit dem Schnabel
nicht an und hat keine Galle, wie Beda angiebt Aristoteles da-
gegen spricht ihr doch eine Gallenblase zu, nur liegt sie nach ihm
nicht an derselben Stelle wie bei den anderen Thieren, sondern in
einem Eingeweide. Gleichwohl widerspricht Aristoteles dem Beda
nicht direkt, denn Beda meint, die Taube habe keine Galle da, wo
andere Thiere sie haben, und Aristoteles meint, sie habe sie
anderswo. Die Taube regt sich zur Liebe mit Schnäbeln an, wie
die Menschen mit Küssen. Die Tauben fliegen schäarweise und
schaden niemand. Gefallene Thiere fressen sie nicht, nur Korn und
Geti'eide. Anstatt zu singen weint die Taube. Sie sorgt auch für
die Jungen anderer Tauben. Die Taube erhält ihre Sehkraft neunmal
wieder. Sie nistet, wie Jacobus und Beda sagen, hoch, wo kein
Thier an sie kommen kann. So soll auch unsere Wohnung im
Himmel sein. Die Taube rastet gern am Wasser, damit sie ihren
Durst löschen und den Schatten des Habichts früher im Wasser be-
merken kann, ehe er sie greift. Isidorus berichtet, im Morgenlaude
wachse ein Baum, griechisch Peridexion, lateinisch Circa dextram
genannt, was auf deutsch zur rechten Hand heisst.^) Die Früchte
dieses Baumes sind süss. Die Taube ist auf diese Frucht sehr
lüstern, und der Baum behütet seinerseits die Taube mit seinen
Aesten und seinem Schatten. In derselben Gegend lebt eine Art
Drachen, die den Tauben nachstellen. Die Drachen hassen den vor-
genannten Baum so sehr, dass sie sogar seinen Schatten fürchten.
Wenn nun die Tauben auf dem Baum sitzen, so lauert der Drache
*) Columba Uvea Briss.
^ Vergl. IV. B. 25
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in der Ferue und passt auf, ob eine Taube aus dem Baum heraus-
fliegt, um sie zu faugen. Fällt der Schatten des Baumes nach
Rechts, so setzt sieh der Drache zur linken Seite und umgekehrt.
Die Drachen sind die bösen Geister, die Tauben die gläubigen Seelen,
und der Baum das Kreuz unseres Herrn, unter dessen rechtem Arme
unsere liebe Frau, die Gottesmutter steht. Der Schatten des Baumes
bedeutet das Zeichen des heiligen Kreuzes, das wir in rechtem
Glauben vor uns schlagen sollen, denn das fliehen die bösen Geister.
Aristoteles sagt, die Tauben seien in der Liebe sehr treu und
brächen ihre Ehe nicht. Sie haben auch die Gewohnheit, sich eine
gemeinschaftliche Wohnung zu suchen, und Das mögen sie gern.
Sie verlassen ihre Wohnung nicht leicht, nur die ungepaarteu und
verwittweten Tauben fliehen vor den andern. Die Tauben bekommen
jedesmal zwei Junge, zuerst ein männliches, und drei Tage später
ein weibliches. Es brüten auch beide Tauben, der Tauber und das
Weibchen abwechselnd. Das Weibchen brütet Nachmittags und früh
am Morgen, das Männchen in der übrigen Zeit. Vom achtzehnten
Tage ab bleibt der Tauber vom Nest fem. Treffen die Tauben eine
andere, verirrte an, so nehmen sie sie in ihre Gesellschaft mit auf.
Sie pflegen auch Steiuchen zu verschlucken, um die Hitze des Magens
zu mildern, denn sie sind sehr heisser Natur. Wenn sie miteinander
streiten, sträuben sie die Federn, besonders am Halse. Ihr Koth ist
sehr heiss und scharf, sie werfen ihn aus ihren Nestern und lehren
auch ihre Jungen, ihn auszuwerfen. Nimmt man Blut unter dem
rechten Flügel einer Taube, Schwalbe oder Turteltaube her und
bringt es auf kranke Augen, so werden sie gesund, denn das Blut
ist scharf und hat die Kraft, die verdickte Materie zu zertheilen und
zu verzehren. Der Tauber wirft die ausgewachsenen Jungen aus
dem Nest, vorher aber begattet er sich mit ihnen. Das Eierlegen
macht der Taube viel Mühe, und wenn sie während der Zeit verträgt,
wird sie schwer krank. Von andern Vögeln unterscheiden sich
die Tauben dadurch, dass sie beim Trinken den Hals nicht früher
erheben, bis sie genug getrunken haben. Die jungen Tauben sind
am besten und gesundesten zu essen im Lenz, wenn das Sommer-
kom und im Herbst, wenn das Winterkorn gesät wird, weil sie dann
nur von Kom leben. Plinius lehrt, frisches Fleisch von Tauben
und Schwalben unter einander gemengt, sei gut gegen den Schlangenbiss.
Es ist auch ganz richtig, dass das Fleisch einiger Tauben diese
Eigenschaft besitzt, nemlich derer, welche nie begattet worden sind.
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Einige bleiben auch nach dem Verluste ihres Gemahls ver\\ittwet
und vermeiden die gemeinsame Wohnung der gepaarten Tauben,
damit sie die Männchen nicht beunruhigen. Sie fliegen von ihnen
fort und wohnen in den wilden Felsen. Die Tauben putzen und
schlichten ihre Federn fleissig und strählen sie mit dem Schnabel.
Dabei passt ihnen der Sperber am meisten auf, fängt und tödtet
sie. So lauert der böse Geist auf uns, wenn wir uns um die Ver-
lockungen und die üeppichkeit dieser Welt kümmern. Ach Herr,
wie oft hat er mich gefangen, und die Tugendsamste, Schönste,
Reichste, Edelste und Gewaltigste hat mich immer wieder aus seinen
scharfen Klauen erlöst, ti-otzdem ich leider nicht ihre Taube bin,
sondern ein armer Rabe! Hilf mir, edele Kaiserin! Hilf mir und allen
guten Freunden!
Von der Wachtel.
Coturnix oder Quistula helsst eine WachteP) und auf Griechisch
Ortygia, weil diese Vögel zuei'st auf einer Insel, namens Ortygia
gesehen wurden. Die Wachtel heisst auch Ortygometa. Gegen den
Winter hin ziehen die Wachteln in grosser Menge über das Meer.
Vor ihrer Reise versammeln sie sich an der Küste, und des Nachts
lassen sie sich in die Segel und die Schiffe oft in solchen Mengen
niederfallen, dass sie die Schiffe versenken. Solinus sagt, der
Habicht stelle den Wachteln am meisten nach in der Zeit, wo sie
über's Meer ziehen wollen und sich dem Strande nähern. Desshalb
warten die Wachteln dort auf ihre Begleiter, die Krähen, die in
Menge mit ihnen fliegen und sie vor den Habichten schützen. Also,
lieber Mensch, wenn Du von dem elenden Meer dieser armen Welt
scheiden musst, und der Sommer Deines Lebens und Deiner Fieuden
ein Ende hat, so sollst Du Dich vorher um zuverlässige Begleiter
bekümmert haben. Es sind das die heiligen Engel, die Dich sicher
geleiten vor den höllischen Habichten, den bösen Geistern. Be-
merkenswerth ist, dass sich unter den W^achteln mehr Männchen
wie Weibchen finden. Bei den Wasserthieren, die lateinisch Pec-
tines*-^) heissen, giebt es auch mehr männliche wie weibliche Exem-
plare. Unter den Menschen werden dagegen mehr Mädchen wie
Knaben geboren. Das kommt daher, dass der Mensch sehr zur
Coturnix communis Bonn. — Ortygometa = Ortygometra ist viel-
leicht Crex pratensis Bechst., der Wachtelkönig.
^) Pecten maximus L., Pilgermuschel.
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Unkeuschheit geneigt ist und sich besonders des Abends und in der
ersten Stunde der Nacht zu begatten pflegt, wenn der Leib noch
voll ist vom Rauch und Dunst der Speisen und Getränke. Die
leiblichen Geister sind dann noch nicht durch den Schlaf von jenen
Dünsten gereinigt und gesäubert. Die Frauen werden dann mit
einem Kinde des schwächeren Geschlechtes, einem Mädchen,
schwanger. Die Männer dagegen, die des Morgens früh ihren Frauen
cohabitiren, wenn das Blut rein ist, zeugen wohlgebildete Knaben
oder recht frische, lebhafte Mädchen. Beide, Mann und Weib haben sich
dann "durch den Schlaf gestärkt, und ihr Organismus ist leicht,
rein und sauber. Davon haben wenig Laien Kenntniss, und dess-
halb giebt es mehr Frauen wie Männer. Ferner ist wissenswerth,
dass die Wachteln unter allen Thieren auf Erden allein epileptisch
werden können wie der Mensch. Die Sperlinge werden auf den
Dächern von Krämpfen befallen. Die Wachtel frisst sehr schwer
verdauliches Futter, zuweilen auch giftige Samen, und desshalb ver-
bannen einige kluge Leute sie von ihrem Tische.
24. Vom Stieglitz.
Carduelis heisst ein Stieglitz.'*^) Es ist, wie Isidorus anhebt,
ein kleiner Vogel, der sich von Disteln nährt. Es ist ein grosses
Wunder, dass der Vogel so schön »iugt, trotzdem er die scharfen
Stacheln der Disteln frisst. Er ist so ein Sinnbild der guten Prediger
auf Erden, die viel erdulden müssen und doch in den Dornen
dieser Welt fröhlich Gott dienen. Ach Gott, Du weisst wohl, wo
Deine Stieglitze singen. Du kennst auch ihr heimliches Dornenessen
wohl; Du selbst hast auf Erden gesungen bis in den bitteren Tod,
warum leiden Deine guten Freunde nicht auch auf Erden? Der
Stieglitz ist am Leibe schwarz und gelb gefärbt und auf dem Kopfe
roth. Wird er gefangen und in einen Käfig gesperrt, so zieht er
mit seinem Schnabel sein Trinkwasser in einem Näpfchen an einem
Faden heran und hält es mit einem Fusse fest, bis er trinken will.
Das ist ein Wunder der Natur, dass sie dem kleinen Vogel diese
Fähigkeit verliehen hat, die er doch weder mit einem Rinde oder
einem Esel noch sonst einem grossen Thiere theilt. So geschieht
es oft, dass von demüthigen, armen Leuten ein hervorragend kluges
Kind geboren wird, und dagegen von grossen Fürsten ein Narr und
Esel abstammt. Dank sei Dir, Gott, dass Du die Armuth nicht
verschmäht hast!
3) Fringilla carduelis L., Distelfink.
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35. Tom ZaunkSolg.
Crochilus heisst ein Zaunkönig.^) Yon ihm erzählt Plinius,
er sei der König und Herr der anderen Vögel in Italien, in der
Gegend von Venedig und der Lombardei. Der Zaunkönig ist der
kleinste Vogel von allen. Je kleiner er aber von Körper ist, um
so hurtiger fliegt er, wie Plinius sagt Er ist ein Sinnbild der
Demüthigen auf Erden, die auch um so höher und schneller zur
ewigen Freude auffliegen, je grösser ihre Demuth ist. Denn, wie
Gregorius sagt, die Demuth ist die Wurzel jeder Tugend. Der
Vogel ist so muthig und tapfer, dass er dem Adler trotzt und sich
seines schnellen Fluges überhebt. So gesinnte Herzen findet man
auch bei guten Leuten in aller Gerechtigkeit. Die Zaunkönige
haben die Gewohnheit, im Winter in grösserer Zahl sich in einer
Höhle zu sammeln, damit die geringe Körperwärme der kleinen
Ijoiber durch die grössere Menge vermehrt wird. Es fliegen auch
immer mindestens zwei mit einander nach Futter aus. ,
36. Tom ESnigsvogeL
Diomedica oder Herodias mag zu Deutsch Königsvogel 2)
heissen, weil er nach dem König Diomedes genannt wird, wie
Solinus sagt. Griechisch heisst er Herodias. Der Vogel ist so
gross wie ein Schwan und schneeweis. Seine Augen sind feurig
und sein Schnabel stark gezahnt. Diese Vögel fliegen, wie die
Kraniche, in Schaaren, und der Erste unter ihnen führt und leitet
die übrigen. Der Letzte im Schwärm passt auf die anderen auf
und sorgt dafür, dass sie im Fluge die rechte Ordnung halten. So
soll auch in jedem Kloster ein Oberhaupt sein, dem man ohne
Nachdenken folgen muss, und ein Zuchtmeister. Diese beiden sind
jeder Gemeinschaft nöthig. Wenn ein König in dem Lande, wo
dieser Vogel wohnt, sterben soll, so schreit er mit kläglicher,
weinerlicher Stimme. Solinus und Jakobus berichten, dass wenn
ein Grieche sich diesen Vögeln nähere, sie ganz zahm zu ihm seien,
kommt aber ein anderer Mensch auf sie zu, so zerreissen sie ihn.
Von ihren Nestern fliegen ' sie gegen Osten hin auf Nahrung aus,
der Eingang zum Nest liegt aber nach Westen. Desshalb müssen
sie sich beim Einflug vom Futterplatz her umkehren.
1) Troglodytes parvulus Koch.
*) Der Silberreiher, Herodius egretta Bote, ist wohl gemeint. Heute ist
Diomedea der Gattungsname der Albatrossarten. Auf sie passt allerdings
die Angabe der Grösse und der Schnabelbildung mehr.
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27. Vom Greiffalken.
Grifalcus heisst ein Greiffalke. ^) Er wird auch Herodias ge-
nannt, wie es in der Glosse zum Buch Leviticus heisst an der
Stelle, wo Moses die unreinen Vögel verbietet. Dieser Vogel ist
der edelste von allen. Er ist gelb wie Wachs, jedoch ausser am
Herzen oder an der Brust grösstentheils weisslich gefärbt. Er ist,
wie die Glosse zum Leviticus sagt, so stark, dass er den Adler
fängt und besiegt. Beim Plug driickt er die Beine an die Brust,
seineu Raub schlägt er mit den Fängen. Erwischt er seine Beute
nicht beim ersten Stoss, so schwingt er sich hoch in die Lüfte und
kehrt aus rechtem Aerger und Zorn kaum wieder zu seinem ge-
wohnten Standort zurück. Bemerkt er eine Beute, die er fangen
will, so fliegt er auf, sieht zu, ob sie ihm auch passt und ergreift
sie, wenu dies der Fall ist. So handelt der muthige Manu, der
mit Verstand und Rechtlichkeit den Adlern obsiegt, die mit Unrecht
über andere lionte hinausfliegen wollen. Hilf Maria, oberste Kaiserin,
der im Schlafe zugerufen wurde: Du Greifi^alke, Greiffalke!
28. Vom PhOnlx.
Der Phönix ist ein Vogel aus dem Land Arabien.-) Es lebt
immer nur einer, wie Solinus, Jakobus, Isidorus und Ambrosius
berichten. Er lebt dreihundert und vierzig Jahre. Er hat die
Grösse eines Adlers, trägt auf dem Kopf eine Krone wie ein Pfau
und hat einen faltigen Schlund. Am Halse ist er goldig, am Hinter-
leibe purpurroth gefärbt. Sein Schwanz ist wachsgelb mit unter-
mischten, wunderbar schillernden rosenrothen Federn. Wenn ihn
das Alter drückt, sucht der Phönix im Osten den schönsten Baum
auf den höchsten Bergen in der Nähe einer sehr anmuthigen Quelle,
und baut auf dem Baum ein Nest von Weihrauch, Myrrhe, Zimmt
und anderen kostbaren Gewüraen und Kräutern. Wenn dann die
Sonne ihre Hitze auf das Nest ausstrahlen lässt, so fächelt der
Phönix mit seinen Fittichen so lauge, bis die angehäuften Kostbar-
keiten in Brand gerathen. Dann legt er sich in das Feuer und
verbrennt. Nach einigen Tagen entsteht aus der Asche ein kleiner
Wurm, der Flügel bekommt. Darauf wird daraus ein vollkommener
*) Die Beschreibung passt einigermaassen auf Vultur fulvus Gm., den
weissköpfigen oder Hasengeier.
^) Der im Alterthura vielgenannte, fabelhafte Vogel, von dem unte^
Andern auch Tacitus im H. Buche seiner Annalen berichtet.
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Phönix. Isidorus erzählt, es sei vordem ein Phönix iu die egyp-
tische Stadt Heliopolis geflogen, im Monat Adar, das ist im April,
dem nächsten Monat vor dem Mai. Auf seinen Flügeln trug er
allerlei edele Kräuter und Gewürze und liess sich auf dem Holz-
stoss nieder, den die Priester zu einem Opfer gesammelt und ange-
zündet hatten. Da verbrannte er sich zwischen den kostbaren
Specereien, die er auf den Flügeln mitgebracht hatte. Am Tage
nachher kam der Priester zum Altar und fand das Holz verbrannt.
Als er die Asche besah, fand er darin einen kleinen Wurm, der
einen höchst angenehmen Geruch verbreitete. Tags darauf war
das Würmcheu zu einem Vogel geworden und am dritten Tage zu
einem Phönix ausgebildet, der davon flog. In dieser Stadt war,
nach Haimo, vor Christi Geburt ein Tempel zur Ehre des höchsten
Gottes erbaut worden. Gebaut war er nach dem Muster des salomo-
nischen Tempels in Jerusalem, und zwar auf Befehl des Königs^
Ptolemaeus durch Onias, den Sohn des Königs gleichen Namens.
Ptolemaeus war König von Egypten nach dem Spruche des Jesaias:
Unseres Herrn Altar wird in Egyptenland sein. Haimo sagt
ferner, dass Maria mit ihrem lieben Kind häufig in der Stadt
Heliopolis gewiesen sei, als sie vor Herodes aus Judäa nach Egypten
floh. Der Phönix ist das Sinnbild einer frommen Seele, die gross
ist wie ein *Adler in ihrer Betrachtung der göttlichen Sonne. Wie
der Pfau trägt sie eine schöne Krone auf dem Haupt dadurch, das&
sie iu ihren Gedanken lauter und rein ist. Die Seele hat einen
faltigen Schlund wegen des doppelten Verlangens in ihrem Gebet^
denn sie begehrt ihr eigenes und auch des nächsten Seelenheil.
Ihr Hals ist goldfarben, das ist die heilige Lehre und der gute
Rath, den sie anderen Leuten vorträgt. Die geheiligte Seele ist am
hinteren Theile des Körpers purpurfarben, das bedeutet für sie die
Nachfolge der Leiden Christi, die Niemand vermeiden kann, der
zu Gott will. Auch kann man wohl einen Vergleich ziehen zwischen
Christus und diesem Vogel wegen seiner Marter und seiner Auf-
erstehung am dritten Tage.
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89. Tom Falken.
Falco heisst ein Falke. ^) Er ist im Stande, mit einem Ruck
den Kopf völlig herumzudrehen, wobei seine Brust unbeweglich
bleibt. Der Falke bewegt seine Augen so hurtig hin und her, dass
sie so scharf sehen wie zweihundert Augen auf einmal. Er späht
fleissig nach Raub aus, auch wenn dieser sich hinter seinem Rücken
befindet. Seine Nieren sin.d schwach, seine Brust dagegen stark
gebaut. Mit den anderen Vögeln verträgt er sich schlecht. Im
Futter ist er wählerisch. Er fliegt sehr ungestüm und giebt dabei
auf sich selbst nicht Acht Sind aber zwei Falken auf der Reiher-
jagd, so fliegen sie gesellig, der eine oben in der Luft, der andere
an der Erde hin, damit, wenn der in der Höhe fliegende den
Reiher niederschlägt, der an der Erde ihn fassen und halten kann.
Es giebt der Falken zwei Arten. Die eine ist unedel, sie jagt nur
bei grossem Hunger und mit wenig Geschick. Die andere Art ist
sehr edel, sie jagt von Natur und von klein auf. Wenn der unedle
Falke den Reiher zu Boden schlägt und ihn fassen will, so speit
der Reiher einen frischgefangenen Fisch aus dem Kropf. Den
greift dann der unedle Falke und lässt den Reiher fliegen. Der
Edelfalke thut Das nicht: wenn der Reiher den Fisch aus dem
Schnabel lässt, hält er ihn noch fester, wie vorher. Die schlechten
Falken versinnbildlichen uns die bösen Prälaten, Bischöfe, Pröbste,
Dechanten und alle schlechten Richter, die von den Schuldigen Geld
annehmen und sie um des unreinen Gutes willen loslassen. Von
denen sagt Jesaias: Sie machen den Ungerechten gerecht um des
Lohnes willen. In seiner Brust hat der Falke einen scharfen, sehr
harten Knochen. Den hat ihm die Natur gegeben, damit er seineu
Raub damit stossen kann. Nach der zweiten oder dritten Mauser
ist der Falke am besten. Einen wilden Falken zähmt man dadurch,
dass man ihn sehr lange hungern lässt und dann erst füttert. So
werden auch ungefüge Leute zahm nach schwerer Anstrengung.
30. Vom Falken.
Fulica ist ein Vogel, wie Ambrosius sagt. 2) Er hat die
Eigenart, dass er die vom Adler aus dem Nest geworfenen Jungen
Welche Falkenart gemeint ist, ist nicht zu entscheiden. Einige
Angaben sprechen für den Jagdfalken, andere für den Bussard, die
„unedle" Art.
2) Eine Fulica- Wasserhuhn- Art?
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mit seiner eigenen Brut zusammen in seiner grossen Güte und
Mildthätigkeit auffüttert. Er ist so ein Bild der barmherzigen Leute,
die den elenden Menschen, Wittwen und Waisen helfen und sie
ernähren.
31. Vom Faten
Fatator ist ein Vogel, der auf seine Nachkommenschaft so
begierig ist, dass er zur Unzeit, vor dem Frühling und ehe der
Frühling vorbei ist, seine Eier legt. ^) Durch diese übermässige
Eile kommt er um seine Brut, denn die Eier verderben durch die
Winterkälte und werden dadurch zur Entwicklung häufig unnütz.
So geht es den Habgierigen, die nach unzeitigem Besitz streben
und dadurch oftmals um ihn kommen.
32. Tom C^racender.
Gracocendron mag ein Gracender heissen.^) Es ist ein Vogel^
der im Morgenland lebt. Dieser Vogel ist von Natur sehr rein,
keusch und massig, denn er begattet sich im ganzen Jahr nur
einmal und nicht mehr. Er thut dies nur der Nachkommenschaft
wegen, nicht aus Wollust. Das thut sonst kein Vogel noch irgend
ein anderes Thier auf der Erde. Ach schäme Dich Mensch, Du
hast Vernunft und der Vogel nicht. Ich meine Dich, dem jede
Zeit und Stunde und jede Person dazu recht ist. Bedenke, dass Du
Deine Kraft, Deine Schönheit und Dein Leben damit schädigst!
33. Tom erelf.
Gryphus heisst ein Greif. ^) Das ist, wie Jakobus sagt, ein
so grimmiger und bösartiger, dabei gleichzeitig so starker Vogel,
das er einen gewappneten Mann überwindet und tödtet. Er hat
grosse, scharfe Klauen oder Krallen, mit denen er den Menschen
und andere Thiere zerreist. Die Krallen sind so gross, dass sich
die Leute Gefässe und Trinkbecher daraus machen. Der Vogel
hat vier Püsse und ähnielt im Kopf und den Flügeln dem Adler,
aber er ist viel grösser. Der übrige Körper ist dem des Löwen
gleich gebaut. Er haust auf den Gebirgen, welche die hyper-
^) Vielleicht der auch im Winter brütende Kreuzschnabel, Loxia
curvirostra L. u. pityo-psittacus Bechst.?
*) Unbestimmbar.
*) Das bekannte, fabelhafte Thier.
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tore'ischeii heissen. Der Vogel ist besonders deu Menschen und
den Pferden feindlich. In sein Nest legt er einen Stein, Agathes
genannt. Was der für Kräfte besitzt, soll später erörtert werden,
wenn wir von den Edelsteinen sprechen. Kabanus erzählt, dass
die Greifen Gold ausgraben und sich bei seinem Anblick sehr freuen.
34. Tom Knuilch.
Grus heisst ein Kranich.^) Die Kraniche fliegen in einer be-
Btimmten Ordnung und richten ihren Flug mit viel Verstand. Denn
wie die Gelehrten Solinus, Jakobus, Ambrosius und Isidorus
angeben, sie ordnen ihre Schaar so, wie eine wohlgeordnete Ritter-
schaft gegen den Feind. Der vorderste Kranich, der die übrigen
anführt, schreit und braucht seine Stimme, damit die andern nicht
aus der rechten Ordnung kommen. Wird der führende Vogel
heiser, so fliegt ein anderer an seine Stelle und versieht denselben
Posten. Die Nachtwache theilen die Kraniche so unter sich, dass
immer der zehnte wacht, und jeder, der die Wacht hält, zieht einen
Fuss in die Hohe, hält einen kleinen Stein damit fest und steht
auf dem anderen Bein. Wenn das Steinchen fällt, wacht er auf
und schreit. So hütet er sich vor dem Schlafen. Die anderen
stecken beim Schlafen den Kopf unter die Flügel und stehen ab-
wechselnd auf dem einen und anderen Bein. Der Führer aber
bewacht sie alle mit aufgerecktem Halse und sieht sich fleissig um.
Wenn die Kraniche Wolken sehen, schreien sie und ermahnen
ihren Führer zur Eile, damit sie das Unwetter nicht ereilt. Wenn
sie sich zum Futter auf die Erde niedergelassen haben, reckt der
Anführer den Kopf hoch, um die anderen zu bewachen, und diese
können dann in Sicherheit fressen. Erblickt der Führer einen
Menschen, so schreit er, damit die andern sich in Acht nehmen.
Die Kraniche fliegen gegen den Wind. Wenn sie über das Meer
fliegen wollen, fressen sie Sand, damit sie die nöthige Schwere
bekommen, wie Solinus sagt, und nehmen auch aus demselben
Grunde zum Flug kleine Steine in die Krallen. Sehen sie, dass
sie mitten über einem Schiif fliegen, so lassen sie die Steine fallen.
Das haben die Schifi^er auf dem Meere oft beobachtet, dass es auf
sie Steine in die Schiffe geregnet hat. Den Sand geben sie aber
nicht eher durch den Schnabel wieder von sich, bis sie sicher sind,
dass ihnen das Wetter auf der See Nichts mehr anhaben kann.
*) Grus cinerea Bechst.
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Die Kraniche haben auch oft einen Stein im Magen, den geben sie
zuletzt mit dem Sehnabel von sich. Im Feuer gebranut wird dieser
Stein zu Gold. Das haben Die gesagt, die es probiert haben. Wird
bei dem weiten Flug über's Meer Einer müde, so tragen ihn die
Andern und führen ihn mit sich, bis er sich wieder erholt hat.
Im Alter werden die Kraniche schwarz. Wilde Kraniche fängt
man mit zahmen. Sie haben auch die Eigenart, dass der Kranich,
der die andern beim Flug anführte, ohne Hass und Neid die letzte
Stelle einnimmt, Aristoteles sagt, wenn die Kraniche vor dem
Winter fliehen, fliegen sie über Egypten hin und kämpfen mit
kleinen, kaum eine Elle grossen Menschen, welche Pygmäen heissen.
Das ist keine Fabel, sagt Aristoteles. Auch in der Glosse zum
Hesekiel heisst es: Das Volk der Pygmäen ist in Deinen Thürmeu.
Die Glosse sagt dort, dies Volk wohne in den Ländern gegen
Osten und seine Lebensdauer sei kurz. Die Kraniche kämpfen so
heftig und wild mit^ einander, dass man sie dabei mit der Hand
fangen kann. Der weibliche Kranich steht bei der Begattung.
35. Yom Hahn.
Gallus heisst ein Hahn.^) Der Hahn hat die Gewohnheit,
<lie Flügel zusammen zu schlagen, wenn er krähen will. In der
Nacht kräht er lauter und stärker, um sich besser wach zu halten;
gegen Tagesanbruch um die Mettenzeit kräht er weniger laut. Die
Pferde beruhigt er durch sein nächtliches Krähen, Kamele werden
dagegen wild davon. Einige behaupten auch, der Hahn verscheuche
bei Nacht durch sein Krähen die schweren Gedanken und schrecken-
erregenden Vorsätze und Ideen gemüthssch wacher Menschen. Es
giebt auch einige Kräuter, die den Hahn kräftigen, während sie
für andere Thiere tödtlich sind. Wenn der Hahn schlafen will,
fliegt er auf einen hochgelegenen Platz und ruht dort auf einem
Bein. Der Löwe fürchtet sich vor einem weissen Hahn. Aristoteles
sagt, der Hahn krähe nach einem siegreichen Kampfe, die Henne
nicht Wenn der Hahn und die Wachtel auf einer spiegelnden
Fläche ihr Ebenbild sehen, so schwindet ihre Kraft. Hat er Korn
gefunden, so lockt er die Hennen mit leisem Gackern zum Futter.
Wenn der Hahn alt wird, so geschieht es wohl, dass er ein Ei legt.
Dies brütet eine Kröte aus und es kriecht aus ihm eine Schlange,
^) Gallus domesticus Briss.
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lateinisch Basilisk genannt. Sind dem Hahn alle Hennen gestorben,
so magert er vor Leid ab und kräht nicht mehr aus grosser
Trauer.
36. Ton der Henne.
Gallina heisst eine Henne. Augustinus spricht, die Henne
sorge und behüte ihre Küchel mit Tielem Fleiss, denn sie yersammle
sie unter ihre Flügel, führe sie und beschütze sie vor der Weihe
und dem Hühnerfalkeu. Es kommt aber oft vor, dass die uuTor-
sichtigen Jungen den getreuen Flügeln der Mutter so weit entfliehen,
dass die Kaubvögel sie wegschleppen können. So ergeht es den
Leuten, die aus der Gemeinschaft der heiligen Christenheit fliehen,
den Bann nicht achten und die gnädigen Fittiche der christlichen
Kirche verschmähen. Sie werden von den bösen Geistern in das
Elend ihrer Verdammuiss geführt. Der gelehrte Jakobus sagt,
man könne den Hennen ihre Eier jeden Tag wegnehmen. Sie
hören nicht auf zu legen, so lange man ihnen nur ein Ei im Nest
lässt. Die Bäuerinnen nennen das ein Nestei, es veranlasst die
Hennen, weiter Eier zu legen. Legen die Hennen zu reichlich, so
gehen sie bald zu Grunde. So ergeht es auch den Leuten, die
sich körperlich zu sehr anstrengen. Der gelehrte Johannes sagt,
wenn die Hennen an versteckten Orten Eier gelegt haben, erheben
sie sich mit Geschrei und kündigen die Eier so lange an, bis man
sie ihnen nimmt. Wer also heimlichen Gewinn sucht, mache davon
keinen Lärm, damit ihm die Räuber den Schatz nicht stehlen.
Plinius giebt an, dass die Hennen die Eier, aus denen Hähnchen
werden sollen, in der rechten Seite des Leibes tragen, die, aus
denen Hennen werden, links. Aus den Eiern, deren Spitze abgerundet
ist, kommen Hühnchen, aus denen, die gestreckter sind und deutlich
zugespitzt, werden Hähnchen. Die länglichen Eier sind schmack-
hafter und besser zu essen, wie die runden. Einige Beobachter
geben an, dass die jungen Hühner mit den Füssen zuerst aus dem
Ei kommen. Die andern Thiere dagegen werden mit dem Kopf
zuerst geboren. Ich glaube aber, dass sie gewöhnlich die Eischale
mit ihrem Schnabel öffnen und mit dem Kopfe zuerst sich heraus-
arbeiten. Das Legen macht der Henne viel Mühe, gleichwohl
gackert sie nachher. So ist auch das Weib nach der Geburt
froh. 1) Die beste Brut kommt von den Hennen vor dem Frühlings-
Im Texte heisst es : Also nach dem smerzen get diu frawe scherzen.
Google
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äquiuoctium, das heisst vor Gertrudistag in der Fastenzeit Nach
der Zeit der Sonnwende, um den Sankt Veitstag, erhält die Brat
ihre rechte Grösse nicht mehr, sie bleibt um so kleiner, je
eifiriger die Hühner sich begatten. So schreibt der Naturforscher
Johannes, und ich denke, dass Dies für die warmen Länder gilt.
In den kälteren Gegenden ist dagegen, meiner Meinung nach, die
nach Sankt Gertrudistag, vor oder nach Ostern fallende Brut die
allerbeste. Plinius sagt, die, Aspis genannte, Schlange könne eine
Henne an dem Tage, wo sie ein Ei gelegt hat, nicht schädigen.
Das Fleisch der Henne ist auch für solche Menschen, die von der-
selben Schlange gebissen sind, ein Gegengift. Diese Schlangen
haben eine gelbe oder wachsgelbe Färbung, wie später, wenn wir
die Schlangen behandeln werden, angeführt werden wird. Ach,
mein herzlieber Freund, auch wir sollen jeden Tag etwas Gutes
thun, wenn es auch nur wenig ist, damit uns der böse Geist Nichts
anhaben kann. Willst Du wissen, welche Eier zum Brüten taugen,
so lege sie in Wasser. Ein Ei, das oben auf schwimmt, taugt
Nichts und ist innen nicht ganz ausgefüllt, das zu Boden gesunkene
dagegen ist voll und gut. Will die Haushälterin eine Henne auf
Eier setzen, so muss sie es nach Neumond thun, setzt man sie
früher, so brütet sie oft fehl. Auch durch einen plötzlichen Donner-
schlag, oder wenn der Habicht schreit, verderben die Bruteier sehr
häufig. Es giebt aber einen Kunstgriff gegen den schädlichen Ein-
fluss des Donners: legt man einen eisernen Nagel quer zwischen
die Eier oder steckt ihn aufrecht in das Nest, so schadet der Donner
den Eiern nicht. Plinius sagt, wenn man geschmolzenes Gold mit
den Theilen einer Henne vermengt, so nehmen diese das Gold in
Bich auf, sodass man die Hennen als ein Gift für das Gold be-
zeichnen kann. Nimmt man den Dotter eines im Vollmond gelegten
Eies, reibt ein beschmutztes, wollenes Tuch damit, und wäscht es
danach aus, so gehen die Flecken heraus. Aristoteles giebt an,
dass viele Vögel mit krummen Klauen nur wenige Eier legen.
Weiter sagt er, dass die männlichen Jungen aus den länglichen,
zugespitzten Eiern kommen, die weiblichen dagegen aus den runden.
Die Jungen entstehen an der spitzeren Hälfte des Eies. Weiter
bemerkt er, dass das Innere des Eies zweifarbig ist, gelb und weiss.
Das Eiweis ist das Material zur Bildung der Jungen, das Gelbe
dagegen dient ihm, so lange es im Ei steckt, zur Nahrung und ist
auch eine Speise für die Menschen. Er sagt auch, dass nur die
Scholz, Konrad von Megenberg*8 Buch der Natur. 11
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Eier befrachteter Henneu, au die das Sperma des Männchens her-
angekommen ist, zur Brut taugen, so wie, dass die Entwicklung des
Hühnchens zehn Tage in Anspruch nimmt. Das fertig gebildete £Ii
kommt mit der dickeren Hälfte zuerst zu Tage, die dünnere folgt nach.
Bemerkenswerth ist die Angabe der Naturforscher, dass alles
Geflügel zweimal geboren wird. Zunächst bilden sich die Eier und
aus diesen entstehen die Jungen, die sich im Innern des Eies durch
die mütterliche Wärme entwickeln. Während der Bebrütung haben
die Eier die Fähigkeit, Holz unverbrenulich zu machen, wenn man
ihren Inhalt darauf giesst. Sie sind so klebrig, dass man Glas-
stücke damit zusammenkitten kann. Auch bemerkt Aristoteles,
dass Eiweiss, einem trüben Getränk oder einem Syrup zugesetzt,
diese klar und dünnflüssig mache. Ebenso behandeln wir in Deutsch-
land den trüben Wein, besonders die Botzener und Traminer
Weine, unter Beobachtung des richtigen Zusatzverhältnisses. Es
giebt ein Buch, Historia Hieronymi genannt, in deutscher Sprache:
das Buch von den Thateu der Römer. In dem heisst es, dass in
Egypten die Hühnereier die Beschaffenheit haben, dass ohne Be-
brütung durch die Henne Junge aus ihnen kommen, wenn man
sie massig am Feuer erwärmt. Man kann also mit dieser Kunst
in einem Tage soviel junge Hühner bekommen, als man Eier hat.
Aristoteles erzählt von einem Forscher, der die Geheimnisse der
Natur in Erfahrung bringen wollte, er habe Hühnereier unter ein
Kissen gelegt und gesagt, er wolle sie so lange darunter halten, bis
Hühnchen aus ihnen kämen. Die Meister der Naturwissenschaft
nennen solche Wundermäuner Experimentatores. Nun heisst es in
einigen lateinischen Büchern: potator posuit ova sub pulvinari et
dixit, quod continuaret potum quousque extraherentur pulli. Das
heisst zu deutsch: Ein Trinker legte Eier unter ein Kissen und
sprach, er wolle so lange trinken, bis Junge aus den Eiern kröchen.
Diese Stellen sind aber falsch, denn ein Trinker denkt nicht an
solche Künste und ich meine, ein Trinker Hesse sich lieber die Eier
kochen oder braten, um sie beim Trinken zu verspeisen. Aristoteles
sagt, dass die Hennen immer Eier legen, ausgenommen in den zwei
Monaten der Sonnenwende, also um Sankt Veitstag und um Sankt
Lucientag. Er führt auch an, dass die Hühner, welche viel Eier
legen, bald sterben und dass die, welche nicht brüten, siech und
krank werden. Hühner, die mit halbgekochter Gerste gefüttert
werden, legen mehr und grössere Eier wie andere. Bei zunehmendem
Mond soll man den Hennen die Eier unterlegen.
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37. Tom Kappaun.
Gallus gallinaceus heisst ein Kappaun. In den Schriften findet
sich auch die Bezeichnung Pepo häufig. Es ist ein kastrirter
Hahn, und es heisst, dass er schnell fett wird, weil ihn das Be-
gattungsgeschäft nicht ausdörrt und abiaagern lässt. Ein Natur-
forscher hat gesagt: Der Kappaun wird mit den Hennen fett, aber
er befruchtet sie nicht; er wird mit ihnen gefüttert, aber er beschützt
sie nicht; er kräht nicht und kennt die Tages- und Nachtzeiten nicht.
Die Kappaunen sind zu Nichts nütze als nur für die Küche. Ihr
Fleisch ist besser wie das von anderem Geflügel, denn das
Kappaunenfleisch macht gutes Blut und nährt sehr. Davon sprach
der Meister Jordan vom Predigerorden (Gott möge seiner im Guten
gedenken) in einer Predigt für Geistliche vor versammelten Chor-
herrn und anderen Clerikern: Der Schreiber Sobna wird davon-
geführt wie ein Kappaun. Eia, wohin? Traun nirgends andershin,
als in des Teufels Küche. Eia, warum? Traun, da singt er nicht,
zeugt nicht und ist uawehrhaft. Unter diesem Schreiber verstehen
wir unsere Prälaten und anderen Geistlichen, die unfruchtbar sind
in geistlichen Werken, da sie keine geistigen Kinder zeugen.
Wollte Gott, dass sie auch keine leiblichen zeugten. Sie künden
die Tageszeit nicht: wollte Gott, sie redeten mit Andacht und sängen
keine weltlichen Lieder. Aber da singt der Eine ein Lied des
Meister Prauenlob, der Andere eins vom Mamer, der Dritte eins vom
starken Boppen. Es sind der Boppen so viele geworden, dass sie
der Gotteshäuser Gut und Ehre verboppeln. Sie sind auch nicht
wehrhaft, denn sie behüten ihre Heerde weder mit Gebet und
Predigt noch durch geistliche Strafen. Wehe den verfluchten Hirten,
sie sind Miethsknechte ! Haben sie ihre Miethe und ihren Sold er-
halten, so fliehen sie, wenn ein Wolf unter ihre Schafe kommt und
lassen die Schafe in Angst und Noth allein. Desshalb sind sie
nirgends zu brauchen als nur in des Teufels Küche. Solcher feisten
Kappaunen kenne ich leider viele. Mit den Kappaunen trägt der
böse Geist das kleine Geflügel, die Chorherren, Pfarrer, Mönche und
andere fleischlich gesinnte Geistliche, die ihre Pfründe ohne Frucht
zu bringen verzehren, gemeinsam in das ewige Leiden. Nun wollen
wir Dies aber auf sich beruhen lassen, es ist genug nach dem einen
Ziel geschossen. Wir wollen weiter vom Kappaun reden. Jakobus
and Lapidarius (das ist der, welcher über die Edelsteine ein
Buch geschrieben hat) sagen, dass man meist die Hähne im dritten
11*
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Jahr kastrirt. Lässt man sie dann noch fünf bis sechs Jahre
leben, so findet man in der Leber des Kappauns einen edelen
Stein, Älektorius genannt^) Deutsch könnte man ihn wohl den
Minuezieher oder Minnezähmer nennen, da er die Frauen ihren
Männern liebeuswerth macht. Wenn dieser Stein in der Leber des
Kappauns sich gebildet hat, so empfindet dieser keinen Durst mehr,
trinkt auch nicht mehr, und desshalb vergeht einem Menschen, der
diesen Stein im Munde hält, der Durst gleichfalls.
88. Tom Fasan.
Gallus Silvester heisst ein Waldhahn oder auch ein Fasan, *^
wie Plinius sagt. Es ist ein sehr schöner Vogel, der aber weder
einen Kamm auf dem Kopfe, noch auch die starken Sporen au den
Beinen hat, wie die zahmen Hähne. Gleichwohl ist er ein sehr
muthiger Vogel. Die Vogelsteller kennen diese seine Eigenschaft
recht gut. Sie verfertigen sich ein Schild aus weisser Leinwand
und setzen mitten drin einen kleineu Flecken rothes Tuch. Der
Fasan besieht sich das sehr genau und wundert sich darüber.
Während dessen treibt der Vogelsteller ihn mit dem Schild rück-
wärts in ein bereit gestelltes Netz. So fängt man den Fasan. Der
Vogel ist ein Sinnbild der Menschen, die ihre Augen auf die Lüste
dieser Welt richten und dem bösen Geist in's Netz fallen. Wehe
dir, Auge, welch schlechter Bote bist Du für die menschliche
Vernunft: Du zeigst uns Gold und Seide, leuchtende Sterne in
weissen, krausen Wolken und lohnst uns zum Schluss leider übel
mit deiner Botschaft! Wer fällte David, wer Salomo und die
Weisesten und Stärksten hier auf Erden? Eia, Auge, die Veran-
lassung warst Du, wie Du es auch heute noch so oft bist. Der
gelehrte Alexander sagt, wenn man einen Fasan fangen wolle,
solle man sich mit einem Tuch bedecken, worauf ein Fasan ab-
gebildet ist und sich so dem Vogel zeigen. Der Vogel folgt dann
bis an das Netz. In diesem Augenblick schreit der Vogelsteller
oder schlägt die Hände zusammen und erschreckt den Fasan so»
dass er in das Netz fällt. Der Fasan hat die Angewohnheit, seinen
Kopf in einen Strauch zu verstecken, und glaubt dann, er sei völlig
verborgen. So fängt man ihn auch oft. Wehe, mein Herz, wie
Vergl. VI 6.
^) Phasianus colchicus L.
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oft geschieht es, dass wir unsere Vernunft, das Haupt unserer Seele,
verbergen und Niemand sehen, während uns doch Der wohl sieht,
dem Alles offenbar ist. Bei trübem Wetter ist der Fasan traurig
und verbirgt sich im Wald und Gebüsch. Morgens und Abends
kommt er aus dem Wald heraus, dann kann man ihn leicht fangen.
Wenn er fett wird, wechselt er das Gefieder und verjüngt sich auf
diese Weise. Sein Fleisch ist schmackhafter und zarter wie das
anderer Waldvögel, desshalb ist er ein gutes Wildpret.
39. Tom Hfiher.
Garrulus heisst ein Häher i), was lateinisch so viel bedeutet
wie ein Kläffer, wie Isidorus sagt, denn er schreit mehr wie alle
anderen Vögel und hat eine sehr laute Stimme. Er fliegt von einem
Vogel zum andern und schreit dabei unausgesetzt. Selten sieht er
einen Vogel vor sich fliegen oder hüpfen, den er nicht anschreit.
Aller andern Vögel Stimme ahmt er nach, so dass seine Stimme
der anderer Vögel gleicht, grade als wenn er sie verspottet. Fängt
man den Vogel jung und zieht ihn im Bauer auf, so lernt er
sprechen und schwätzt den ganzen Tag. Wegen seines Geschreis
wird er oft vom Sperber geholt. Die Federn dieses Vogels sind so
bunt, dass er die Färbung aller Vögel an sich vereinigt. Er wird
oft wüthend, wie die Naturforscher berichten, und dabei so unsinnig,
dass er sich in den Astgabeln auf den Bäumen erhängt So wird
uns der Vogel ein Sinnbild der Nachkläffer, die jedem Menschen
nachreden und doch oft von ehrbaren Leuten über ihrem falschen
Gekläff erwischt werden.
40, Ton der Saatkrähe.
Graculus heisst eine Saatkrähe 2). Der Vogel gehört zur
Familie der Krähen, ist aber kleiner wie diese. Er nistet gerne
auf recht hohen Bäumen, zum Beispiel auf hohen Tannen, uu.d stets
in solcher Anzahl, dass man oft sieben und mehr Nester auf einem
Garrulus glandarius Vieill. Eichelhäher, Markolf.
^ Nach der kurzen Schilderung ist höchst wahrscheinlich Corvus
frugilegus L., Saatkrähe, Feldkrälie, gemeint. Es stimmt dazu die Angabe
über den Nesterbau und über das Verspeisen der Jungen, die von Kennern
heute noch als schmackhaft gerühmt werden. Im Text heisst der Vogel
ruoch, das lateinische Graculus bedeutet Dohle, die aber für sich von K.
besprochen wird und hier nicht gemeint sein kann.
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Baum sieht. Die Vögel sind sehr rerträglich untereinander, desshalb
hausen sie zusammen. Der Vogel schreit yiel, besonders zur Brunst-
zeit im Frühling. In dieser Zeit füttert das Männchen das Weibehen
aus lauter Liebe. Das Fleisch der jungen Saatkrähen ist gut zu
essen, besonders wenn man vorher die Haut abzieht. Diesem Vogel
gleichen die guten Geistlichen, die friedlich mit einander leben und
einander speisen, geistlich mit guter Lehre und leiblich zur Elhre
Gottes. Das geschieht zumeist zur Zeit der göttlichen Liebe.
41. Von der Schwalbe.
Hirundo heisst eine Schwalbe^). Dieser Vogel nährt sich im
Fluge von den Schnaken, Mücken und Fliegen in der Luft. Isi-
dorus sagt, die Raubvögel verschonten die Schwalbe stets, grade
als ob sie heilig sei. Wenn den jungen Schwalben die Augen weh
thun, holt die Alte ihnen ein Kraut, Chelidouia oder Schöllkraut
genannt, denn das ist gut für die Augen 2). Plinius sagt, die
Schwalbe sei der einzige Fleischfresser unter den Vögeln, die keine
Krallen an den Zehen haben. Ich verstehe darunter die Vögel, die
überhaupt keine Nägel oder Klauen haben. Die Schwalben fliegen
über das Meer und bleiben im Winter dort, wie Einige behaupten.
Sie haben nur wenig, schwarz gefärbtes Fleisch, dagegen viele
Federn und grosse Flügel, desshalb ist auch ihr Flug so hurtig.
Schwalbenblut unter dem rechten Flügel her genommen, ist für
kranke Augen gut. Solinus giebt an, dass die Schwalbe von Natur
voraus wisse, wenn ein Haus oder Dach einstürzen will und dasselbe
fliehe. Sie nistet auch nicht gern besonders hoch. Einige Schwalben
tragen einen Edelstein im Leibe, der bei den einen roth, bei den
andern schwarz gefärbt ist und Chelidonius ^) heisst. Die Kraft
dieses Steines soll späterhin noch erörtert werden. Er ist den
Mondsüchtigen, die lateinisch Lunatici genannt werden, heilsam und
vertreibt die schädliche Feuchtigkeit im Menschen. Das Wasser,
mit dem er gewaschen ist, kräftigt die kranken Augen. Die jungen
Schwalben, welche den Stein haben, erkennt man daran, dass sie
im Nest, als Zeichen ihrer friedlichen Gesinnung untereinander, die
Schnäbel gegen einander gekehrt haben. Die andern nemlich, die
*) Chelidon urbica Boie, Hausschwalbe. Hirundo rustica L., Rauchschwalbe,
Cotyle riparia Boie, Uferscliwalbe und Cypselus apus L. Thurmschwalbe.
«) Vergl. V. 19.
3) Vergl. VI. 17.
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keinen Stein haben, kehren die Köpfe von einander ab. Der
Schwalbenkoth ist für die Augen 'sehr schädlich, wenn er in sie
herein geräth, wie man vom alten Tobias liest, der dadurch er-
blindete. Die jungen Schwalben sind zuerst blind. Die Weibchen
werden durch ihre starke Brunst allein befruchtet. Aristoteles,
Plinius und Adelinus berichten, dass wenn man junge Schwalben
blendet, sie ihre Augen wieder bekommen. Die Schwalben werden
ebenso wenig zahm, wie die Mäuse. Das ist wunderbar, da doch
der Löwe und der Elephant sich zähmen lassen, obwohl sie viel grösser
sind. Aristoteles sagt, dass die Schwalben zwei Brüten in einem
Jahr machen, von denen die Winterbrut allerdings durch den Frost
zu Grunde geht. Ich glaube aber, dass dies nur für die Länder
jenseits des Meeres zutriift, denn bei uns brüten sie niir einmal.
42. Vom Ibis.
Ibis heisst ein Ibis^). Dieser Vogel frisst Schlangen und
Schlangeneier. Desshalb zieht er den fliegenden Schlangen ent-
gegen, die aus dem Laude Arabien herkommen und frisst sie, ehe
sie die benachbarten Länder erreichen. Einige Grammatici, das sind
die Sprachforscher, glauben desshalb, Ibis heisse ein Storch, weil
dieser auch Schlangen frisst. Ich denke aber, es ist ein anderer,
dem Storch nur äusserlich ähnlicher Vogel 2), weil die Njiturforscher
von beiden gesondert schreiben. Das Gift der fliegenden Schlangen
wirkt so schnell, dass der Mensch davon stirbt, ehe er einen
Schmerz verspürt. Solinus sagt, der Vogel lege seine Eier mit
dem Schnabel und wer seine Eier isst, muss sterben. Isidorus
berichtet, der Vogel purgire sich selber mit seinem Schnabel, indem
er sich mit dem Schnabel Meerwasser in den After giesst und sich
auf diese Weise selbst klystiert. Tag und Nacht bringt er am Meer
oder anderen Gewässern zu, geht aber nicht hinein, da er nur das
Aas von Fischen und anderen Thiereu frisst, was vom Wasser
ausgeworfen wird. Diese Vögel mögen uns ein Sinnbild der
energischen Richter sein, die durch ihr kräftiges Gericht die bösen
Leute vertreiben und verderben.
Ibis religiosa Sav.
') Ibis falcinellus L. (Falcinellus igneus Gray), der schwarze Ibis?
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43. Tom ElsTOgel.
Isida heisst ein EisvogeP). Den Namen hat er von seiner
Stimme, denn er schreit: ysi, ysi. Der Vogel hat an jedem Puss
zwei Zehen mit krummen Nägeln oder Klauen, sein Schnabel ist
dagegen klein und schwach. Es ist ein kleiner, aber sehr schön
gefiederter Vogel. Das Volk glaubt, wenn man einem todten Eis-
vogel die Haut sammt den Federn abzieht und sie an einer Wand
ausspannt, so mausere sich die Haut alljährlich, grade wie bei dem
lebendigen Thier. Diesem Vogel gleichen die Menschen, die bei
Lebzeiten nicht von ihren alten, bösen Gewohnheiten lassen wollen,
was sie doch im Tode müssen. Für ihre Wollust hier auf Erden
müssen sie in jenem Leben Leid und Qual ausstehen und für die
kurze Freude, die sie hier haben, wird ihnen dort Schmerz und
ewige Trauer. Oh, welch ein Wechsel! Hilf uns, barmherzige
Mutter aus diesem Handel bei unserem letzten Ende, wenn unser
schier von der ganzen Welt vergessen wird!
44. Tom Kelch.
Kiches heisst ein Reich ''^). Der Vogel besitzt verschiedene
Stimmen und wechselt diese fast alltäglich. Wenn die Jungen
dieses Vogels flügge sind und so kräftig, dass sie fliegen können,
ernähren sie ihren Vater und ihre Mutter und fristen ihr Leben in
dem Nest, ohne dass die Alten etwas zu thun brauchen. Ach Gott,
wie viel Lehren hast Du uns durch die unvernünftigen Kreaturen
gegeben, durch die wir zu tugendhaften Werken ermahnt werden!
Dieser Vogel dankt Vater und Mutter für die Mühe, die sie mit
ihm hatten, als er sich noch nicht helfen konnte. Ich habe einmal
einen Priester gesehen, dem es gut erging, und der seinen Vater
von Haus zu Haus betteln gehen Hess. weh, mit wie wenig
Recht konnte der einem Fremden, mir oder einem anderen Armen
sein Almosen geben, der doch selbst der Almosen zuviel hatte!
Pfui über Dich, Du Bibel Schänder, wo hast Du Deinen Verstand?
45. Vom Lauren.
Laurus heisst ein Laur*''). Er hat zweierlei Natur, denn er
lebt sowohl im Wasser wie in der Luft. Er schwimmt im Wasser
*) Alcedo ispida L.
') Der von Aristoteles Kitta genannte Vogel wird als GaiTulus glan-
darius, Eichelliäher, gedeutet, der in Griechenland heute noch Kiza heisst.
^) Larus, Möve?
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und fliegt in der Luft und beliagt sich in beiden Elementen.
Dieser Vogel gleicht dem geduldigen Menschen, der seine guten
Eigenschaften im Glück und im Unglück bewahrt. Im Glücke
fliegt er und breitet die Flügel seiner Barmherzigkeit aus über die
Armen. Im Unglück aber schwimmt er und watet in mancherlei
Ungemach. Er trägt sein Leid guten Muthes, im Gedenken der
Leiden, die Christus um ihn gelitten hat, und mit der Ueberleguug,
dass Unglück und Glück ungewiss und wandelbar sind.
46. Tom Leuz.
Lucinia heisst ein Leuz.^) In seinem Buche Hexameron
sagt Ambrosius von diesem Vogel, dass er bei der Brut die lange
^Nacht hindurch seinen lieblichen Gesang ertönen lässt und glaubt,
er könne die Eier durch Gesaug und seine Körperwärme beleben.
So macht auch der Löwe seine Jungen durch sein Gebrüll lebendig, wie
Augustinus und andere Lehrer schreiben (s. S. 118). Wie dieser Vogel
handeln die Lehrer, die mit Wort und That ihre Jünger lebendig
und zum ewigen Leben bereit machen. Unsere Lehrer aber lehren
uns leider weiss und handeln schwarz.
47. Von der Weihe.
Milvus heisst eine Weihe. *^) Der Vogel fliegt langsam und
schwebt in der Luft mit kaum merklichem Flügelschlag. Die W'eihe
ist ein arger Dieb und Räuber und besonders hinter dem Haus-
geflügel her. Dem Habicht gleicht sie an den Krallen, Ständern
und im Schnabel, aber ihre Flügel sind gebogen und nicht grade,
wie beim Habicht. Ein Forscher giebt an, dass die Weihe kleinem
Gethier gegenüber sehr muthig sei, vor grossen Thieren dagegen
bange. Der Sperber jagt die Weihe, trotzdem sie dreimal grösser
ist, wie der Sperber. Die W^eihe kann die Federn nicht wechseln,
wenn sie nicht nach Süden an das Meer fliegt und dort das salzige
Meerwasser trinkt. Wenn daher die Mauserzeit gekommen ist, fliegt
sie dorthin und verlässt ihren bisherigen Aufenthaltsort. Das meint
auch Hieronymus mit den Worten: Die Weihe hat ihre Zeit am
Himmel ersehen. Die Weihe ist für mich ein Bild des Sünders,
*) K. unterscheidet den Leuz und die Nachtigall, Lucinia u. Phylomena.
Der hier besprochene Vogel würde demnach Motacilla Aedon, Pallas oder
Lusciola philomela Bechst., Sprosser, polnische oder Bastardnachtigall sein.
^) Ob eine Milvus- oder eine Buteospecies gemeint ist, ist aus den
kurzen Angaben nicht ersichtlich.
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der auch kühn ist in allen schlechten Dingen, das sind die Lüste
dieser Welt, und muthlos bei den grossen Werken, die zu der ewigen
Freude führen. Der Sünder trachtet auch zumeist nach dem Alltag-
lichen, das sind die leiblichen Gelüste. Er hat krumme Flügel, um
auf' allen krummen Wegen zu fliegen. Seine alten Federn wird der
Sünder nicht los, es sei denn, er wende sich nach Süden, wo die
Sonne am stärksten brennt, das heisst Gottes Barmherzigkeit, denn
Gott ist die wahre Sonne. Dort soll er gesalzenes Wasser trinken,
das ist die wahre Beichte und vollkommene Reue.
Mein Herz bittet mich und meine Seele mahnt mich, dieses
Buch mit solchen Zugaben zu rersehen. Ich bin wahrlich nicht im
Stande, anders zu handeln, denn ich habe viel Arbeit durch die Be-
schäftigung mit wissenschaftlichen Dingen, die mir bis dahin fremd
waren, wie auch durch andere Sachen, die mich anfechten.
48. Ton der Meergans.
Meauca heisst eine Meergans. ^) Dieser Vogel lebt auf dem
Meer, ist grösser wie eine Ente und kleiner wie eine gewöhnliche
Gans. Der Vogel ist besonders gierig nach Menschenfleisch, desshalb
schreit er, wenn ein Unwetter auf dem Meere herrscht, ununterbrochen
meauce, meauce, grade als ob er sich auf die Leute, die im Meere
ertrinken, freute. Nach diesem Ruf wird er auch Meauca genannt.
Zuerst frisst er die Augen der menschlichen Leichen. Auch stellt
die Meergans kleinen Thieren, die sich in einer Schaar versammelt
haben, viel nach. Wie mit der Meergans oder Meauca verhält es
sich mit dem bösen Geist, der auf diesem elenden Meere der unstaten
Welt unser wartet und sich des Krieges und Ungewitters freut, durch
die wir in Todsünde verfallen. Er greift auch zunächst nach unsern
Augen, das heisst dem Licht und der Kraft unseres Verstandes: hat
er uns da geblendet, so fängt er uns leicht.
49. Von der Amsel.
Morula heisst eine Amsel,-) ehedem wurde sie lateinisch auch
Modula genannt, was auf deutsch ein guter Sänger heisst. Der
Vogel singt nemlich lieblich und besonders im Frühling. Im Winter
schweigt er, wie wenn er stumm wäre. Gezähmt frisst die Amsel,
*) Vielleicht Procellaria glacialis L., Eis-Sturmvogel, Fulmar? Die
Grössenangabe würde damit stimmen.
') Turdus raerula L. Schwarzdrossel, Merle.
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ihrer sonstigen Gewohnheit zuwider, Fleisch, singt auch schöner,
wie die wilden Amseln. Im Winter ist sie so fett, dass sie kaum
fliegen kann. Sie badet sich gern und putzt sich mit dem Schnabel
trotz ihrer schwarzen Farbe. Am Schnabel und den Füssen ist sie
dunkelroth gefärbt. Die Farbe ihres Schnabels wechselt sie alljährlich.
Einmal habe ich aber eine weisse Amsel gesehen, im Besitz des
Herrn von Hainberg, Domprobstes zu Regensburg. Dieser Vogel
war entweder aus kaltem Samen entstanden, oder sein Vater hatte
irgend etwas Kaltes gefressen, vielleicht Bilsenkrautsamen, oder
etwas anderes. Vielleicht war auch beim Bebrüten irgend etwas
Kaltes an die Eier gekommen, denn in demselbem Nest befanden
sich zwei schwarze und zwei weisse Amseln, sowie eine schwarze
mit weissem Schwanz. Dass die Kälte einen Grund für die weisse
Färbung der Thiere abgiebt, erkennt man bei allen in Norwegen
heimischen Thieren. Dies Land ist sehr kalt, und man findet dort
weisse Bären, weisse Amseln, weisse Raben und graue Eichhörnchen,
die in warmen Ländern grau oder schwarz gefärbt sind. Wissenswerth
ist, dass es eine Art Amseln giebt, die die gewöhnliche an Grösse
weit übertriift und etwa die einer Dohle hat. Sie haben rothe
Schnäbel und Füsse und heissen lateinisch Caprimulgi, zu deutsch
Ziegenmelker. ^) Sie fliegen nemlich den Hirten in die Ställe, setzen
sich den Ziegen an das Euter und saugen die Milch heraus. Hier-
durch nimmt das Euter ab und die Ziegen werden blind. Es heisst,
dass diese Vögel zu bestimmten Zeiten nicht sehen können.
50. Ton der Dohle.
Mouedula heisst eine Dohle. 2) Im Lateinischen bedeutet das
soviel wie ein Münzensammler, wie Jacobus sagt, weil die Dohle
gern Pfennige aufhebt und überhaupt das Geld gern mag. Findet
die Dohle Gold oder Silber, so stiehlt und versteckt sie es. Ihr
Fleisch hat die Eigenschaft, dass es der Dohle Kopfjucken macht.
Desshalb mag sie sich gern den Kopf streicheln lassen. Die Dohle
ist ein Sinnbild der gierigen Wucherer, die Tag und Nacht ihre
Mühe und ihre Gedanken nur auf das Geld richten und es ver-
stecken, so dass es oft genug weder ihnen noch anderen Leuten
zu Nutzen wird. Vom Wucherer sagt David: Er sammelt Schätze
und weiss nicht, für wen er sammelt.
^) Caprimulgus europaeus L.
') Corvus monedula L, Monedula turrium Brehm.
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51. Tom Taaeher«
Mergus heisst ein Taucher,^) weil er häufig im Wasser
untertaucht. Ambrosius sagt, es bedeute Unwetter, wenn die
Taucher viel auf den Grund gehen. Sie erkennen nemlich die Ver-
änderlichkeit des Wetters an der Beschaffenheit des Grundes, und
fliegen mit Geschrei ans Ufer, wenn sie sehen, dass das Meer sehr
stürmisch werden will. Wenn man den Taucher auf dem Wasser
schlagen will, taucht er unter, grade wie es die jungen Leute
macheu, die sich mit Redensarten entschuldigen und entwischen,
wenn man sie strafen will. Ein Naturforscher behauptet auch, die
Taucher seien im Winter fetter wie im Sommer, weil sie sich dann
weniger bewegen und mehr ruhen wie im Sommer. Ein jedes Thier
freut sich ja der hellen, klaren Luft mehr, wie des trüben Wetters.
52. Vom Sperber.
Nisus heisst ein Sperber.*-^) Es ist ein edeler Vogel, kleiner und
schwächer wie der Greiffalke, der Herodius heisst, trotzdem beide
dieselbe Färbung haben, wie einige angeben. Die aber so sprechen,
glauben, dass Herodius den gewöhnlichen Falken bedeute, was, wie
wir oben beim Greiffalkeu gesagt haben, ein Irrthum ist. Der
Sperber fliegt mit dem Falken, weil beide einander ähnlich gefiedert
sind. Er ist ein zänkischer, stolzer Vogel. Desshalb verachtet er
seines Gleichen und verfolgt seine Art grade so, wie die fremden
Vögel. Das ist, nach Aristoteles, wider aller anderen Vögel
Gewohnheit. Ein jeder Raubvogel verträgt sich mit seiner Art,
ein Habicht mit dem andern und ein Falke mit dem andern. Diese
adlige Gesinnung geht dem Sperber ab. So bandelt auch der Böse-
wicht, der seinen Nächsten verfolgt und tödtet. Eine gute Eigen-
schaft besitzt der Sperber aber doch. Wenn er nemlich im Winter
einen Vogel fängt, so hält er ihn die ganze Nacht unter seinen
Fängen, damit er es desto wärmer habe, und lässt ihn am Morgen
fliegen. So gedenkt er, wie Fulgentius spricht, der Wohlthat,
die er von dem gefangenen Vogel erhalten hat. Welch schönes
Ebenbild der sanftmüthigen und barmherzigen Gemüther ist das!
Aber wehe Denen, die empfangener Wohlthat nicht gedenken,
sondern Gutes mit Bösem vergelten! Solcher giebt es leider viele
auf Erden.
1) Welche Taucher- Art gemeint ist, lässt sich nicht entscheiden.
3) Falco nisus L.
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53. Von der Eale.
Nocticorax heisst eine Eule^) und bedeutet im Lateinischen,
wie Adelinus sagt, ein Nachtrabe. Der Vogel heisst lateinisch
auch Noctua; er liebt die finstere Nacht, fliegt mit aufgerichteter
Brust uud schreit gar schauerlich. Er lebt von menschlichen Aus-
wurfstoffen, singt gar übel, und man könnte seinen Gesang besser
Greinen oder Weinen nennen. Er hasst das Licht und erwacht erst,
wenn andere Thiere schlafen gehen. In der Nacht sucht er seine
Nahrung. Flöge er am Tage, so würden ihn alle anderen Vögel
anschreien und Hessen ihm keine Ruhe. Er hat einen dicken Kopf,
der in seiner Gestalt abweicht von der Kopfform anderer Vögel.
Elr besitzt einen krummen Schnabel, wie ein Sperber, uud an den
Füssen krumme und sehr scharfe Krallen. Beim Streiten mit
andern Vögeln benehmen sich die Eulen sehr klug, wie PI in ins
spricht. Greift nemlich ein Mensch oder ein Vogel eine Eule an,
so wirft sie sich auf den Rücken und wehrt sich mit Schnabel und
Klauen. Der Habicht steht ihr oftmals bei und scheidet den Streit:
eine besondere Eigenschaft von ihm. Wenn die Eule auf die Insel
kommt, die Kreta heisst, stirbt sie sofort. Ihr Fleisch ist gut für
die schwachen, von der Paralyse getroffenen Glieder. Wie die
Eule verhalten sich alle bösen üebelthäter, die Diebe, Schacher,
Ehebrecher. Sie hassen das Licht der Wahrheit, wie unser Herr
spricht: Wer Böses thut, hasst das Licht.
54. Vom AnkrateL
Onocratulus mag auf deutsch ein Ankrätel^) heisseu. Es ist
ein Vogel mit langem Schnabel, der im Morgenlande lebt. Wenn
der Vogel schreien will, steckt er den Kopf ins Wasser und brüllt
aus dem Wasser heraus. Es giebt zwei Arten dieses Vogels, die
eine lebt am Wasser, die andere zieht den Aufenthalt in der Wüste
vor. Aristoteles sagt, dieser Vogel sei der einzige,, der keine
Milz habe.^ Isidorus giebt au, dass dieser Vogel sehr viel
Nahrung in sich aufnehme. Man erkennt daraus seine Grier, er
*) Welche Art, ist nicht zu entscheiden.
*) Pelecanus onocratulus L. ist der Pelikan. Derselbe wird aber im
folgenden Abschnitt für sich besprochen. Der häutige Sack am Schnabel
deutet allerdings auf den Pelikan hin, aber die Art seines Schreies wird
der bei uns heimischen Rohrdommel, Ardea (Botaurus Steph.) stellaris L.,
nacherzählt.
3) Aristoteles berichtet dies von dem unbekannten Vogel Aegokephalos.
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ähnelt darin begierigen Menschen. Von diesen sagt Hiob: Die
Beicbthflmer, die sie verschlungen haben, haben sie verdaut.
Empfindet der Vogel Hunger, so holt er sein Futter aus dem Schlund
wieder hervor und verzehrt es nochmals. Er muss desshalb in der
Nähe des Schnabels einige Hohlräume haben, in die er beim
ersten Mal das Futter hineinschieben kann, um es nachher erst in
den richtigen Magen gelangen zu lassen. Er hat auch in der That
zwei häutige Säcke, einen am Schnabel und den andern im Leibe,
wo er seine Nahrung verarbeitet und verdaut. Andere Vögel
haben Das nicht.
55. Vom Pelikan.
Pellicanus bedeutet im Lateinischen ein Thier mit grauer Haut
Es hat nemlich der Pelikan,^) nach Augustinus und Isidorus
Angabe, graue Federn. Er wohnt besonders gern in Egypten an
dem Wasser, welches Nil genannt wird. Der Vogel spielt mit seinen
Jungen sehr gern, weil er sie so lieb hat, und im Spiel stossen die
Jungen ihm nach den Augen. Dadurch wird er zornig und todt^t
sie. Nach der That reisst er sich die Federn aus, trauert nicht
wenig um seine Jungen und schlägt Brust und Seiten mit seinem
Schnabel, bis das rothe Blut herauskommt. Mit dem Blut besprengt
er die Jungen und macht sie so wieder lebendig. Andere Meister
berichten dagegen, der Vogel vergiesse sein Blut für seine Brut,
wenn diese von einer Schlange, die ihr nachstellt, geschädigt
worden sei. Es giebt der Pelikane zwei Arten. Die eine Art sind
Wasservögel und lebt von Fischen, die andere sind Landvögel,
haust auf dem Lande und frisst Schlangen. Der Pelikan lebt und nährt
sich von der Milch des Krokodils. Was ein Krokodil ist, soll nachher ge-
sagt werden, wenn wir an die Meerwunder kommen. Das Krokodil hat
soviel Milch, das es sie an sumpfigen und morastigen Orten aus-
wirft. Desshalb folgt ihm der Pelikan unausgesetzt nach. Einige
Gelehrte sagen auch, er heisse lateinisch desshalb Pelikan, weil
seine Haut, wenn sie vom Körper abgezogen wird, einen Ton von
sich geben soll, als ob sie sänge. Dieser Eigenschaft entsprechend
könnte der Vogel zu deutsch auch der Fellsinger heissen. Der
Pelikan ist mager, da, wie die Gelehrten berichten, alle vom Darm
*) Pelecanus onocratulus L.
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aufgenommene Nahrung unverdaut wieder ausgeschieden wird. Er
hat desshalb nur wenig Fett und ernährt sich nur durch ein ge-
ringes Quantum der, der Nahrung entstammenden Flüssigkeit.
Der Pelikan ist das Bild unseres Herrn Jesus Christus. Er
kam vom obersten Throne des Himmels herab in unser Elend, um
sich mit uns zu freuen. Wie denn? Traun, mit grossen Zeichen,
die er in Moses Person in Egypten am rothen Meere und in der
Wüste verrichtete, wie auch mit andern weisen Thaten. Bei der
Ausübung der göttlichen Werke, der übernatürlichen Thaten, die
Gott allein vollbringen kann, stiessen ihn aber unsere VorvÄter in
die Augen. Wie denn? Nun, sie verachteten seine grossen Werke,
beteten ein aus Silber gemachtes Kalb an und begingen auch andere
grosse Sünden vor- und nachher, bis zu der Zeit, wo Gott Mensch
wurde. Zur selben Zeit waren die Kinder des edelen Pelikans,
das heisst Gottes, von ihm zu Tode getroffen, so dass sie immerdar
im Fegefeuer leiden mussten, wenn sie ihre Sünde auch noch so
sehr bereuten. Dies währte so lange, bis der Pelikan, Christus,
Gottes eingeborener Sohn, Mensch wurde aus dem reinen, keuschen
Thau der zarten Rose Maria, und sein Körper geöffnet wurde beim
Vergiessen seines rosenrothen Blutes in seinem Martyrium. Dies
dauerte einen und den andern bis zum dritten Tage, wo er vom
menschlichen Tode auferstand. So erlöste er seine Kinder vom
ewigen Tode. Der Pelikan ist zweierlei Art. Die eine ist ein
Wasservogel und lebt nur vom Wasser der Weisheit, das heisst von
der Gnade, die dem allmächtigen Quell der Gottheit entströmt, und
von den Fischen, die im Wasser schwimmen, das heisst den heiligen
Lehren der Bibel. Solche Wasservögel sind die heiligen Lehrer,
die vom heiligen Geist und den göttlichen Schriften erleuchtet
werden, die Gott auf Erden vertreten und seine rechten Statthalter
sind, zu binden und zu lösen, grade wie die Geistlichen, die löbliche
Priester sind. Die andere Art des Pelikans bilden die Landvögel,
die von Schlangen leben. Das ist die weltliche Ritterschaft, die
auf dem Lande des weltlichen Treibens lebt und sich von Schlangen,
das heisst den Schätzen und Einkünften der weltlichen Herrlichkeit
ernährt. Die beiden Pelikanarten bedeuten für uns die zwei
Schwerter der heiligen Christenheit, das göttliche und das weltliche.
Aber das geistliche Schwert ist über das weltliche erhaben, grade
so, wie die Seele des Menschen über den Leib und die Sonne über
den Mond.
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56. Tom Porphiri.
Porphirio ist ein Porphiri.^) Dieser Vogel weicht in seiner
Art und Gewohnheit völlig von den andern Vögeln ab, wie der
Meister Johannes sagt. Er hat nemlich einen breiten Fuss zum
Schwimmen und einen gespaltenen Fuss, um auf dem Lande zu
laufen. Wir müssen das so verstehen, dass der Vogel in beiden
Elementen, auf der Erde und im Wasser sich gleich wohl befindet,
denn er schwimmt im Wasser wie die Enten und läuft auf dem
Laude, wie die Rephühner. Von allen anderen Vögeln unterscheidet
er sich auch dadurch, dass er mit seinem breiten Fuss Wasser
schöpft und trinkt, grade wie ein Mensch, der sich mit der Hand
tränkt. Er frisst auch mit demselben Fuss wie ein Mensch. Unter
diesem Vogel verstehe ich einen Geistlichen. Der hat in seiner
Vernunft einen breiten Fuss, denn die Vernunft begreift alle Dinge
Gottes und aller Kreatur. Mit diesem Fusse tränkt sich der Geist-
liche mit dem Wasser aller geistlichen Werke. Dem gespaltenen
Fusse aber gleicht der Wandel der Geistlichen in dieser Welt. Der
ist auch zwiespältig und hat seine Wegscheide bei den beiden
Worten: Es ist so! und: Es ist nicht so! Der Zweifel läuft allen
Dingen dieser Welt mit unter. Davon sagt Sankt Paulus: Ich
bin oft verrathen von den falschen Brüdern.
57. Yoin Pfau.
Pavo heisst ein Pfau.^ Es ist, wie Aristoteles angiebt, ein
sehr schöner Vogel, der auch selbst Schönheit und Reinlichkeit
liebt. Der Vogel hat einen langen, mit Augen besetzten Schwanz
und eine saphirfarbene Brust. Die Brustfedem sind nämlich blau
gefärbt und leuchten am Halse besonders stark, grade wie ein
orientalischer Saphir. Der Pfau hat die Eigenschaft, dass er mit
seinem Geschrei alle giftigen Thiere vertreibt, denn diese getrauen
sich nicht, da zu bleiben, wo sie seine Stimme hören. Seine Stimme
ist schreckenerregend, sein Gang einfach und etwas schleichend.
Augustinus sagt in seinem Buche vom Staate Gottes, das Fleisch
des todten Pfaus halte sich ein ganzes Jahr lang frisch und faule
nicht. Er sagt auch, dass das Pfauenfleisch überhaupt nicht faule.
Jacobus sagt, wenn man einen Pfau betrachte und ihn dabei lobe.
*) Porphyrie veterum Gm., Purpurhulin, Sultanshulm.
'-) Pavo cristatus L.
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so schlage er seinen Schwanz im Halbkreis auseinander und lasse
die Schönheit desselben, besonders bei auffallendem Sonnenlicht,
betrachten, weil sich da die Farben in ihrer grössten Schönheit
zeigen. Wenn der Pfau seinen Schweif der Sonne entgegen aus-
gebreitet hat und dann seine ungestalteten Füsse sieht, so senkt er
ihn wieder zu Boden. So heisst es in dem Buche von den Eigen-
schaften der Dinge. Der Pfau verliert alljährlich in der Mauserung
seinen Schwanz. Während dieser Zeit sitzt er sehr verschämt unter
einem Baume oder sonst an einem schattigen Ort, bis die Federn
wieder gewachsen sind. Die zahmen Pfauen aber laufen an das
helle Licht heraus, wenn sie auch noch so sehr in der Mauser
stecken. Plinius giebt an, dass der Pfau beim Verlust seiner
Schmuckfedern traurig und danach fruchtbar werde. Erwacht der
Pfau im Finstem und kann sich selbst nicht sehen, so schreit er
laut vor Schrecken, weil er glaubt, er habe seine Schönheit ein-
gebüsst. Der Pfauhahn zerbricht in seiner starken Brunst der
Henne die Eier. Desshalb legt die Henne ihre Eier an einem ver-
borgenen Platze. Fliegt der Pfau hoch, so giebt es bald Regen.
Aristoteles sagt, der Pfau sei so von sich eingenommen, dass er
von seinen eigenen Jungen erst dann Notiz nehme, wenn sie die
Krone auf dem Kopf haben und ihm gleich geworden sind.
Der Pfau ist das Sinnbild eines jeden frommen Prälaten, der
geschmückt ist mit aller geistlichen Würde und frommen Werken.
Er hat einen langen, mit Augen gezierten Schweif, das heisst, er
hat viele kluge Untergebene, wie denn ein Bischof Pröbste, Dechanten
und andere niedere Prälaten unter sich hat, die für ihn sehen und
Alles bessern, was er selbst nicht ausführen kann. Als Bestätigung
und zum Kennzeichen dafür trägt man ihnen in Welschland das
lange Pallium nach. Die Pfauen haben saphirblaue Brüste und
Hälse, das Sinnbild festen Glaubens und der Beständigkeit. Die
blaue Farbe bedeutet nemlich in der Regel die Beständigkeit, da
sie eine rechte Himmelsfarbe ist. Der Bischof soll mit seiner
Stimme aus seinem Bisthum alle giftigen Thiere, das sind die Ketzer,
Wucherer und alle Uebelthäter weltlichen und geistlichen Standes,
vertreiben, mit Kirchenstrafen oder auch, wenn es Noth thut, mit
dem weltlichen Schwert. Er soll auch sittsam und vorsichtig, wie
ein Dieb, dahingehen, das heisst, er soll mit Mässigung und weiser
Ueberlegung erforschen, was böse und gut sei und danach richten.
Des Pfauen Fleisch verwest niemals, wie denn die Schrift sagt,
Scbulc, KoDrad von Megenberg's Bach der Natur. 1^
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dass der Schriftgelehrte, der die Leute zum rechten Wege anlernt,
am jiiugsten Tage leuchtet wie das Licht des Himmels und der
helle Glanz der Sonne in der Ewigkeit. Wenn man das Haupt
der Gerechtigkeit in seinen tadellosen Werken und dem Gehorsam
seiner Untergebenen betrachtet, so breitet es seinen Schweif (das
sind die guten Werke) aus und lockt seine Diener ohne Unterlass
zum ewigen Leben. Wenn aber der Pfau, das ist der Bischof,
seine eigenen Füsse ansieht, (das sind seine schlechten Rathgeber),
so senkt er seinen Schweif zur Erde nieder, das heisst, er ver-
schmäht seine frommen Amtsbrüder, die ihm zu allem Guten rathen.
Der Pfau mausert sich alljährlich so, dass er die Federn seiner
heiligen Lehren von Jahr zu Jahr unter seinen Clerus ausstreut
und ihn bestraft. Und wenn er seine Lehre in der Finsterniss
sieht, und sie nicht fruchtbringend scheint, so schreit er mit seinen
geistlichen Strafen. Wenn der Pfau (das ist der Bischof) in die
Höhe sich erhebt, das heisst, wenn er seine Strafe verschärft, so
deutet das auf künftigen Regen, das heisst die nahende, göttliche
Bestrafung. Denn Christus gab dem heiligen Petrus die Gewalt:
Was Du bindest auf Erden, das ist im Himmel gebunden, und was
Du lösest auf Erden, das ist im Himmel gelöst. Der Pfau (das
heisst der Bischof) hat seine Kinder nicht eher lieb, bis sie ihm
gleichen im Gehorsam und in allen guten Dingen. Ich fürchte
leider, dass aus den Pfauen oft Raben werden. Das müsse Gott
erbarmen !
58. Tom Repliuhn.
Perdix heisst ein Rephuhn^ und kommt der Name von
seiner Stimme her. Jacobus, Ambrosius und Isidorus erzählen,
das Rephuhn sei sehr schlecht und treulos, so dass es anderer
Vögel Eier stehle und sie ausbrüte. Diese Schlechtigkeit bringt
ihm aber wenig Nutzen, denn wenn die jungen Vögel auskriechen
und die Stimme ihrer rechten Mutter hören, verlassen sie die
Bruthenne und folgen ihrer rechten Mutter. Das Gehirn des Rep-
huhns ist trockener wie das der anderen Vögel. Desshalb ist das
Rephuhn vergesslich und von kurzem Gedächtniss. Es vergisst gar
leicht die Stelle, wo es sein Nest hat und verliert auf diese Weise
seine Eier, die dann ein anderes Rephuhn an sich nimmt und aus-
brütet. Nähert sich ein Mensch dem Neste, so läuft die Henne
*) Perdix cinerea Briss., Feld- oder Rephulin.
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absichtlich dem Menscheu entgegen und stellt sich an einem Fasse
oder Flügel krank, so dass es scheint, als könne man sie ohne
Weiteres fangen. Wenn die jungen Rephühner fürchten, man wolle
sie fangen, so heben sie mit ihren Füssen Erdschollen auf und
verbergen sich darunter. Wenn die Hähne untereinander um die
Hennen kämpfen, treten die Sieger die Besiegten und begatten
sie, wie wenn sie die Henne vor sich hätten; in ihrer hitzigen Brunst
vergessen sie den Unterschied der Geschlechter. Wenn der Vogel-
steller Rephühner fangen will, so laufen, ist erst eins im Garn, die
andern alle hinterher; die nachfolgenden sichern sich nicht bei dem
Fall des Vorgängers und werden so alle zusammen betrogen. So
ergeht es auch den Thoren auf dieser Welt, die oft genug durch
böse Gesellschaft in den ewigen Tod verleitet werden und ebenso
oft auch schon in ihrem kurzen Leben hier auf Erden. Davon
spricht der König David: Du wirst heilig mit den Heiligen und
verkehrt mit den Verkehrten! Die Rephühner sind in der Brunst-
zeit so hitzig, dass sie schon von dem Geruch der Hähne allein
befruchtet werden. Denn wenn zur Brunstzeit der Wind von den
Hähnen nach den Hennen hinweht, so werden sie befruchtet.
Während der Brunst bringen sie ihre Zungen zusammen und er-
hitzen sich so noch mehr. Man beachte, dass das, was vom Rep-
huhn gesagt ist, nemlich, dass es vom Winde befruchtet wird, auch
von den Tauben, Gänsen, Pfauen und Hühnern gilt. Auch diese
sind nicht immer richtig begattet, wenn sie fruchtbare Eier haben.
Beim Rephuhn schmeckt die Brust und der Vorderkörper am besten,
der Hinterleib ist nicht so gut. Plinius lehrt, dass Rephuhngalle,
mit viel Honig gemischt, die Augen des Menschen sehr hell macht.
59. Vom FIroL
Plumalis heisst im Lateinischen eigentlich ein Vogel mit schönen
Federn, weU unser Vogel sehr schönes Gefieder hat, gelb, weiss und
schwarz gemischt. ^) Der Vogel ist so gross wie ein Rephuhn. Zu
deutsch aber nennen wir ihn nach seinem Ruf: Bruder Piro, denn
er ruft mit seiner Stimme, wie wenn er die Worte „Bruder Piro"
ausspräche. Einige erzählen von diesem Vogel, er lebe nur von
Liuft, trotzdem er fett ist. Allerdings findet man seinen Darm leer.
Wie dieser Vogel verhalten sich die rechten Christenleute, die nur
Oriolus galbula L., Golddrossel, Pfingstvogel, Vogel Bülow.
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Toii der Luft des rechteo Gehorsams und der I^ehre des heiligen
römischen Stuhles leben, und nicht irrglfiubige Auswege suchen, wie
einige Ketzer thun. Der richtige und treue Christ schreit ohne
ünterlass: Bruder Piro, Bnider Piro! Was bedeutet Das? Traun,
ich will es Dir sagen. Piro heisst in welscher Sprache Peter, und
Sankt Petrus war der erste Pabst und eine Grundveste des heiligen
römischen Stuhles, wie Christus selber zu ihm sprach. Diesen
Stuhl sollen wir alle anrufen. Wohlauf denn, Bruder, hier ist Piro,
das heisst Sankt Peter und ein jeder Pabst oder Priester, der dazu
geweiht ist, den Sünder zu lösen aus allen seineu Banden!
Diesen Glauben haben einige Ketzer verlassen, die sich in
Laieuweise, ohne jede Weihe, erkühnen, die Beichte zu hören und
den Leuten Absolution zu ertheilen. So ist es in unseren Tagen
geschehen, im Jahre dreizehnhundert und neunundvierzig nach Christi
Geburt, wo ein Volk auftrat, das man Geissler nannte. Sie schlugen
sich nackend mit Geissein, fielen beim Gebet auf ihr Gesicht nieder
und nahmen sich zu hundert, zweihundert oder mehr oder weniger
einen gemeinsamen Führer, der ein reiner Laie war. Dieser hörte
ihnen die Beichte ab und bestimmte die Bussen. Gegen diese
Ketzer schrieb der Pabst Clemens, der Sechste seines Namens, dem
Bischof von Augsburg und der ganzen Christenheit eiuen Brief.
Den Inhalt dieses Briefes will ich hier in Kürze mittheilen:
Es giebt ein Volk, das sich geisselt und zur Erde wirft und
seine Sünden öflFeutlich vor allen Leuten bekennt. Dies Volk er-
wählt sich selbst einen Führer in seinem Irrglauben, von dem es
den Ablass für seine Sünden annimmt. Diese Irrlehrer stehen auf
und predigen gegen die, den heiligen zwölf Aposteln verliehene
Macht. Denn Gott gab den zwölf Aposteln und der Geistlichkeit
allein die Macht, sein Wort zu predigen und die rechte Lehre den
anderen Leuten vorzutragen. Nun thuen die Fälscher so, als-
handelten sie im Auftrage Gottes, der sie doch nicht gesandt hat.
So führt ein Blinder den andern, und beide fallen in die Grube der
ewigen Verdammniss. Diese NachäflFer legen ihre Hand an den
Schrein der Heiligkeit, wie Usa that, den Gott desshalb tödtete.
Sie handeln wie Dathan und Abiram, die das Gott geweihte Opfer
und die Räuchergefässe angriffen, was nur den Priestern Gottes
gebührt. Desshalb that sich die Erde auf und verschlang sie lebendig.
Wisse, dass diese Fälscher dem Teufel opfern und nicht Gott dienen*
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Sie wollen das Kleid unseres Herrn theilen, das nie gestückt noch
genäht war, so lange Gott es trug, denn sie wollen den christlichen
Glauben verändern und umkehren. Darum verachten diese Ketzer
die Lehre der Apostel, die da spricht, dass Niemand ausserhalb des
Kleides, das heisst ausserhalb der vereinigten heiligen Christenheit,
solle behalten werden. Wer aber, wie Hieronymus sagt, ausser-
halb dieser befunden wird, der verdirbt in der Sündfluth, das heisst:
beim letzten Gericht unseres Herrn. Diese Nachäffer sind die
Füchse, die den Weinberg unseres Herrn Jesu Christi durchhöhlen
und durchgraben, von denen König David in seinem Psalter sagt:
Ein sonderliches Wild hat den Weinberg abgeweidet. Diese Ketzer
sind die Füchse, die da wohnen in dem trockenen Thiergarten, in
dem kein Wasser, das heisst, keine Weisheit noch rechte Lehre, ist.
Sie handeln wider die Lehre des Propheten Samuel, der da spricht:
Gehorsam ist besser denn leibliches Opfer! Denn sie sind unge-
horsam gegen den römischen Stuhl und gegen Gott. Die Nachäffer
salzen mit verworfenem Salz, das zu Nichts nütze ist als dass man
es hinwirft, und die Leute es unter die Füsse treten. Denn es ist
kein Salz der Weisheit, es ist ein Salz der Irrung und der ewigen
Verdammniss. Die Ketzer wollten Sankt Peters Ketten zerbrechen,
das heisst, sie wollten den wahren Glauben vertilgen. Sie sind die
wahren Gleissner, die von anderen Leuten geehrt werden wollen,
als ob sie das Wissen, die Macht und die Heiligkeit besässen, und
sind doch rohe, ungelehrte, ungeweihte, schmutzige Bauern. Sie
handeln wider die offenbare Lehre unseres Herrn Jesu Christi, der
da spricht durch den Mund des Propheten: Ihr sollt bereuen in
Eurer Buhekamnier! und spricht im Evangelium: Wenn Du Deinen
Vater anrufen willst, so gehe in Dein Kämmerlein und rufe ihn an
bei verschlossener Thüre! Und als er zehn Aussätzige gesund ge-
macht hatte, sprach er: Geht und zeiget Euch den Priestern! Er
sagte nicht: Geht und zeiget Euch den rohen Bauern und den
Ketzern. Gegen diese Nachäffer hat der Prophet Amos unter
göttlichem Einflnss gesprochen: Ich habe gehasst und verschmäht
Eure hochzeitlichen Tage und will Euer Opfer nicht! Von ihnen
sagt auch Beda über das Evangelium Matthei: Wer sich scheidet
von der Einigung und von der Gemeinde des heiligen Herrn Sankt
Petrus, der kann von seinen Sünden nicht entbunden werden und
nimmer zur himmlischen Freude eingehen! Desshalb hat der oben
genannte Pabst geboten, dass da, wo die Nachäffer hinkommen und
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ihr Wesen treibeu, drei Tage lang keine Messe gelesen werden soll.
Nun wollen wir aber mit den Geisslern ein Ende machen.
60. Von der Elster«
Pica heisst eine Aglaster oder eine Elster.^) Plinius sagt,
es sei ein sehr schlauer Vogel. Die jungen Elstern verspeist mau
gern, um klare Augen zu bekommen. Sie kochen sich aber schlecht,
wenn man ihnen nicht vorher die Haut abzieht. Die Elstern haben
kurze Flügel imd einen langen Schwanz. Die Elster deckt ihr Nest
oben zu und lässt zwei Fenster daran, durch das eine fliegt sie ein,
aus dem andern steckt sie ihren Schwanz heraus. Plinius sagt.,
der Vogel werde im August tobsüchtig, so dass er sich zuweilen
selbst in den Dombüschen erhänge. In dem Gehege oder Garten,
wo die Elster nistet, meldet sie die Bewohner mit grossem Geschrei
an. Jung gefangen lernt sie menschliche Worte sprechen, und
manche stirbt an der Schwierigkeit, einzelne Worte herauszubringen.
Dieser Vogel ist zu vergleichen mit den Leuten, die sich mehr vor-
nehmen, als sie vollbringen können und sich beschweren mit fremder
Bürde, die sie Nichts angeht. Von ihnen sieht man Manchen einen
schweren Fall thun.
61. Tom Sperling.
Passer heisst ein Sperling. 2) Wenn dieser Vogel auf der Erde
sitzt und fliegen will, hat er die Gewohnheit, sich mit den Füssen
von der Erde abzustossen und so aufzufliegen. Er wird leicht böse,
aber sein Zorn dauert nicht lange, wie ein Forscher spricht. Die
Sperlinge sind von hitzigerer Art wie alle anderen Vögel, desshalb
erhitzen sie ihr Blut und machen es aufbrausend. Aus diesem
Grund sind sie auch sehr unkeusch. Desshalb heissen sie auch im
Lateinischen: Passer, das heisst: ein Dulder, weil ein Thier, das oft
von unkeuscher Brunst ergriflFen wird, viel zu leiden hat. Darum
sagen die Gelehrten: Ein Liebhaber — ein Märtyrer. Der Koth
des Vogels ist frisch sehr hitzig, wird aber schnell kalt und ver-
gleicht sich den Leuten, die eine kurze Zeit glauben und danu
wieder rückfallig werden, wie die bekehrten Juden. Ebenso geht
es auch mit den Leuten, deren Reue nur kurz währt, die bei einer
Predigt heiss weinen und gleich darauf wieder fallen. Der Sperling
^) Corvus pica L.
2) Passer domesticus L.
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verdaut sein Futter im Magen sehr gründlich und wird desshalb
selten fett. In einigen Gegenden leiden die Sperlinge auch an der
Epilepsie. Dies rührt meist davon her, dass sie dort den Samen
des Hyoscyaraus, des Bilsenkrautes, fressen. Sie rauben den Tauben
ihr Nest. Wenn die jungen Spatzen zum ersten Male ausfliegen,
helfen ihnen die andern alten Spatzen, die in der Nähe nisten,
folgen ihren Vätern und Müttern nach, grade wie getreue Nachbarn,
die sich Einer des Andern Ehre und Nutzen freuen, und helfen die
jungen Sperlinge führen, damit sie nicht fallen.
63. Von der Nachtigall.
Phylomena heisst eine Nachtigall. ^) Sie freut sich so über ihren
Gesang, dass sie nur selten frisst. Frisst sie aber einmal, so hat
sie grosse Eile dabei und macht sich bald wieder an's Singen.
Sie singt nur zur Lenzeszeit, also in der Zeit vom Tage Sankt
Petri Stuhlfeier bis zu Sankt Urbans Tag und darauf den eigent-
lichen Sommer hindurch. Im Winter singt sie nie. Sie singt so
emsig und in der Freude über ihre Kunst so stark, dass sie zu
Tode krank davon wird und lieber den Tod wählt, als von ihrem
(xesang ablässt. Desshalb heisst sie in griechischer Sprache
Phylomena, das heisst soviel wie eine, die vor Liebe dahin schwindet,
denn sie nimmt in Folge der grossen Liebe zu ihrem eigenen
Gesang ab bis zum Tode. Wissenswerth ist, dass die Nachtigall,
wie Plinius berichtet, gleich nach der Begattung ihre klare Stimme
verliert und mit der Stimme auch ihre Farbe verändert.^ Die
Nachtigall paart sich zuweilen mit dem Spatz und lässt sich von
ihm begatten. Ach, wollte Gott, dass ich Das von dem zarten Vogel
nicht wüsste! Die Nachtigall hat eine sehr dünne Zunge, dünner
wie jeder andere Vogel. Der Nachtigall gleichen die rechten
Meister der Schrift, die Tag und Nacht mit übergrossem Eifer in
der Schrift lesen und so emsig auf neue Lehren sinnen, dass ihres
Leibes Kraft abnimmt und ihr Antlitz bleich wird. Wenn sie der
Unkeuschheit sich ergeben und mit den Sperlingen dieser Welt, das
sind die unkeuschen Weiber, sich begatten, so verändert sich ihre
Stimme der guten Lehre und sie verfärben sich, leiblich
und geistig.
Luscinia philomela Bp. Vergl. 4H.
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63. Tom Papagel.
Psitacii8 hei88t ein Sittich. i) Dieser Vogel lebt, nach Jacobus
und Solinus, in Indien, ist grün von Farbe, am Halse aber roth
und goldig gefärbt. Seine Zunge ist gross und breit, desshalb
kann er auch, wie ein Mensch, artikulirte Worte aussprechen, und
zwar so schön, dass man glauben könnte, wenn man ihn nicht sieht,
es rede ein Mensch. Er begrilsst den Menschen uud sagt: Ave
chere, das heisst in welscher Sprache: Gott grüsse Dich, Lieber!
oder er grüsst auch mit anderen Worten, die er gelernt hat. Das
Meiste lernt er im ersten oder zweiten Jahre und behält die dann
gelernten Worte am längsten. Sein Schnabel ist so hart, dass er
sich mit ihm gegen einen harten Stein stemmen kann, wenn man
ihn darauf wirft. Sein Kopf ist gleichfalls so dick, dass die Leute
ihn mit einem eisernen Stäbchen schlagen müssen, wenn er die
menschliche Sprache erlernen soll. Beim Fressen bedient er sich
seines Fusses, wie ein Mensch seiner Hand. Er nistet auf dem
Berge Grelboe, weil es auf diesem niemals regnet. Er kann nemlich
keinen Regen vertragen. Anderes Wasser ist ihm allerdings nicht
zuwider, von Regenwasser aber stirbt er. Seinen Schwanz nimmt
er sorgfältig in Acht, putzt auch seine Federn mit dem Schnabel
sehr fleissig. Die edelsten Papageien haben fünf Zehen an den
Füssen, die anderen nur drei. Aristoteles sagt, der Sittich trinke
gern Wein und sei ein sehr unkeuscher Vogel. Das ist kein
Wunder, denn der Wein ist eine Ursache der Unkeuschheit. Weiter
berichtet Aristoteles, dass der Vogel, wenn er vom Wein be-
rauscht sei, gern Jungfrauen ansehe und sich ihres Anblickes sehr
erfreue.
64. Vom Strauas.
. Strucio heisst ein Strauss.^) Griechisch führt er den Namen:
Assida oder auch Kameion, weil er gespaltene Füsse hat, wie ein
Kamel. Dieser Vogel hat eine besondere Eigenschaft. Wenn die
Zeit kommt, wo er Eier legt, so hebt er seine Augen zum Himmel
auf und sieht nach, ob der Stern schon aufgegangen ist, der
Virgilia heisst. Bevor dieser Stern aufgegangen ist, legt er
seine Eier nicht, weil dies Gestirn zur Sommerzeit im Heumond,
der lateinisch Julius heisst, sichtbar wird und dann die Erde wami
^) Welche Art gemeint ist, lässt sich nicht feststellen.
*) Struthio caraelus L.
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ist Um diese Zeit also legt der Strauss seine Eier, verscharrt sie
in dem warmen Sande, geht davon und vergisst die Stelle des
Nestes. Er kommt auch nicht wieder zu dem Gelege zurück, weil
er von Natur ein sehr vergesslicher Vogel ist. Aus demselben
Grunde legt er auch seine Eier in der warmen Jahreszeit, damit
das warme, milde Wetter Das leistet und zu Stande bringt, was er
selber auf den Eiern sitzend erbrüten sollte. Wenn die Eier in
dem Sande von der Sonne erwärmt werden, kriechen die jungen
Strausse aus und die alten füttern sie dann. Die Farbe der
Straussenfedern ist der der Habichte oder Falken ähnlich, zum
Fliegen aber ist der Sti*auss träge. Er frisst und verdaut sogar
Eisen, denn er ist sehr heisser Natur. Die Pferde mag er nicht
leiden und schädigt sie, wo er kann. Desshalb fürchten ihn die
Pferde und verabscheuen ihn so, dass sie nicht wagen, ihn anzu-
sehen. Auf der Erde läuft der Strauss so schnell, dass er ein
Pferd überrennt, und beim Gehen hebt er die Flügel hoch. Plinius
bemerkt, dass die Straussfedem sehr dünn seien. Der Strauss hat
auch Augenbrauen an den Augen. An den Füssen hat er gespaltene
Klauen. Wird er gejagt, so fasst er Steine damit und wirft nach
den Jägern. Die Strausse sind so dumm, dass sie nur ihren Kopf
in einen Busch verstecken und meinen, sie hätten sich ganz ver-
borgen, grade wie der Fasan es macht. Man erzählt auch, der
Strauss sehe mit dem einen Auge gen Himmel, mit dem anderen
zur Erde. In der Brust hat er einen grossen, starken Knochen,
wie ein Schild geformt. Das hat ihm die Natur als Schutz für
seinen grossen Körper gegeben, denn er ist fast so gross wie ein
mittelmässiger Esel. Plinius sagt, der Strauss werde von Natur
kahl und bloss, habe aber ein so dickes Fell, dass ihn nicht friere,
wenn er seiner Federn entblösst wird.
65. Vom Wutech oder Aemrinch.
Strix heisst eigentlich, dem lateinischen Wortlaute nach, ein
Säuseier oder Zahnklapperer, und er hat, wie Isidorus sagt, diesen
Namen von seiner Stimme her. ^) Beim Singen säuselt er nemlich.
*) Welcher Vogel hier gemeint ist, ist schwer zu sagen, der AVald-
kauz, Strix aluco L., der Steinkauz, Athene iioctua Boie, vielleicht auch der,
auch am Tage fliegende Sperlingskauz, Glaucidiuni passerinum Boie?
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grade wie wenn er die Luft durch die Zähne zöge. Desshalb sagt
Lucanus, der [träge Uhu und der nächtliche Säuseier singen mit
kläglicher Stimme, und aus demselben Grunde behaupten Einige,
der Säuseier sei ein Nachtvogel. Das ist aber nicht richtig, weil
er am Tage fliegt und auch zur Sommerzeit bei Tage singt.
Luc an US nennt ihn auch desshalb einen nächtlichen Vogel, weil
seine Stimme einschläfernd wirkt, denn jedes säuselnde Geräusch
macht schläfrig. Desshalb singen auch die Ammen mit säuselnder
Stimme, wenn sie ihre Kinder wiegen. Der Vogel führt auch den
Namen Ama oder im Deutschen: ein Amer oder Aemerinch, nach
der lateinischen Bezeichnung (denn Amor heisst Liebe), weil er
seine Jungen sehr lieb hat. Wir müssen wohl annehmen, dass
Strix oder Ama der Nachtvogel ist, der in einigen deutschen Mund-
arten Wutsch oder Steineule genannt wird. Er ist einer Eule
ähnlich, nur kleiner, und wenn er schreit, so ruft er zitternd: hu,
hu, hu, als ob er fröre oder vor Frost mit den Zähnen klappere.
Dieser Vogel unterscheidet sich dadurch von allen andern, dass er
seineu Jungen eine milchähnliche Flüssigkeit einflösst, wenn er sie
ätzt, grade wie die Thiere, die ihre Jungen säugen. Auch hiesse
dieser Vogel wohl eigentlich, nach dem lateinischen Wortlaute, der
Zitterer oder Zahnklapperer nach seiner Stimme und seinem Ge-
schrei. Diese Deutung ist richtig und verträgt sich auch mit der
oben erwähnten Angabe des Lucanus. Wir müssen annehmen,
dass zwei verschiedene Vögel im Lateinischen Strix genannt werden
Der eine muss heissen: Strix diurna, dass heisst ein Aemerinch,
der andere Strix nocturna, das heisst ein Wutsch oder Steinkauz.
Da aber der Aemerinch ein kleiner Vogel ist, so mag er lateinisch
Stridula heissen und der Wutsch den Namen Strix führen.
66. Vom Staar.
Stumus heisst ein Staar. ^ Plinius sagt, die Staare seien
kleine, hurtig fliegende Vögel, schwarz und weiss gesprenkelt. Sie
fliegen in Schaaren und bilden dabei einen rundlichen Schwärm,
weil jeder bestrebt ist, in die Mitte zu kommen. Sie thuen das
wegen der Habichte, die ihnen nachstellen. Abends versammeln
sie sich und machen untereinander ein grosses Geschwätz. Bei
Nacht ruhen sie, am Morgen aber fangen sie wieder au zu lärmen,
^) Stumus vulgaris L.
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theilen sich dann in kleinere Abtheilnngen und fliegen zur Weide.
Im Herbst thun sie in den Weingärten grossen Schaden.
67. Vom Trogopel.
Trogopales heisst ein Trogopel. ^) Solinus giebt an, dass
dieser Vogel in dem, lateinisch Aethiopien genannten, Mohrenlande
heimisch sei, an Grösse den Adler übertreflFe und Hörner habe wie
ein Widder. Mit diesen Hörnern verjagt und vertreibt er alle
Vögel, die ihm zuwider sind. Die Farbe der Federn ist eisenschwarz.
Der Kopf gleicht dem des Phönix, nur mit dem Unterschiede, dass
er vorne Hörner trägt, wie wir oben sagten.
68. Von der Tarteltanbe.
Turtur heisst eine Turteltaube. '^) Dieser Vogel ist sehr keusch
und schamhaft. Das Weibchen hat seinen Gemahl lieb und hält ihm
allein die Treue, so dass es sich keinen andern sucht, wenn der
Gatte gestorben ist. Wird es Wittwe, so fliegt es nur auf die
dürren Aeste der Bäume, weint, ist traurig und singt nicht. Die
Turteltaube schädigt keinen andern Vogel und ist ganz geduldig gegen-
über den Vögeln, die ihr Schaden zufügen. Ihr Nest baut sie aus
wenigen kleinen Aestchen, darin iiiht sie und brütet ihre Eier aus.
Ambrosius berichtet, dass die Turteltaube auswendig um ihr Nest
die Blätter eines Krautes anbringt, welches lateinisch Squilla, Meer-
zwiebel, heisst, wie sich nachher ergeben wird, wenn wir von den
Kräften der Kräuter reden werden. Die Turteltaube thut das, um
ihre Jungen vor andern Thieren zu behüten, denn diese fliehen vor
den giftigen Blättern des Krautes. Nimmt man von einer Turtel-
taube Blut aus dem rechten Flügel, und bringt es einem Menschen
in sein krankes Auge, so ist es ihm hülfreich. In dem Winde, der
von Mittag her weht und Südwind oder lateinisch Auster heisst,
können die Turteltauben nicht wohl fliegen.
Die Turteltaube ist für mich das Sinnbild eines reinen, biederen
Weibes, das allein ihrem Gatten die Treue hält und geduldig ist
in aller weiblichen Zucht. Sie zankt sich mit Niemand, hört oder
sieht sie aber von anderen Leuten Unziemliches, so wird ihr Antlitz
») Solinus hat Tragopan. Heute heisst der Hornfasan oder gehörnte
Satyr Tragopan satyrus, aber es ist doch sehr fraglich, ob dieser selten«
Vogel dem Alterthum schon bekannt war.
*) Columba turtur L.
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roth, und sie schämt sich der fremden Ungebühr. Die Frau soll
ein giftiges Kraut um ihr Haus und ihre Wohnung legen, das alle
Gelegenheitsmacherinnen, bösen Kupplerinnen und Kuppler fliehen.
Ei, was ist das für ein Kraut? Traun, ein fester Charakter, kein
nachgiebiges Wesen, und die mit rechtem Ernst und züchtigem Zorn
gepaarte Abweisung allen üppigen Werbens und jedes unreinen
Scherzes. Wenn man das Blut der zarten Turteltaube (das ist ihre
weibliche Art) aus ihrem rechten Flügel (das heisst aus ihrem reinen
Sinn und ihrer weiblichen Erscheinung) nimmt und es in die
krauken Augen der verzagten Frauen bringt, so werden diese sehend,
denn sie erkennen ihre Sunde und ihr unsittliches Wesen wie in
einem fremden, fleckenlosen Spiegel. Die Frau mag nicht fliegen
im Südwind, das heisst, sie mag sich nicht bewegen in der Hitze
des unbeständigen Wesens.
69. Von der Fledermaus.
Yespertilio heisst eine Fledermaus,^) was lateinisch so viel
bedeutet wie eine Abendfliegerin, weil sie im Sommer gern Abends
fliegt. Im Winter hält sie sich verborgen. Die Fledermaus hat
weder am Leibe noch an den Flügeln Federn. Sie ist in allen
Stücken einer Maus ähnlich. Unter allen andern gebiert dieser
Vogel seine Jungen wie ein lebendgebärendes, schreitendes Thier
und säugt sie. Dabei fliegt er wüe ein Vogel, und seine Flügel be-
sitzen eine dünne Haut, die sich beim Flug spannt und ausstreckt.
Plinius nennt das Blut der Fledermäuse sehr nützlich gegen das
Gift der Schlangen oder ihren Biss, wenn man es mit Distelsamen
versetzt. Stände im Text: mit Coriander, dann wäre es etwas
Anderes, wie sich nachher bei den Kräutern zeigen wird. Plinius
behauptet ausserdem, die Fledermaus suche sich geräuschvolle Orte
oder solche Stellen aus, an denen viel geklappert und gehämmert
wird, was lateinisch Strepitus heisst. Wenn ihr Blut die behaarte
Haut trifft, fallen dort die Haare aus. Die Fledermaus hat auch
Zähne, die sonst kein anderer Vogel besitzt. Im Lande Indien
wird die Fledermaus grösser wie eine Taube und hat Zähne wie
ein Mensch. Mit diesen zerfleischt sie die Menschen im Gesicht
unter den Augen, beisst ihnen die Nase oder die Ohren und andere
^) Die folgende Beschreibung umtasst die iu Deutschland einheimischen
Arten. Der Bericht von der indischen Fledermaus ist fabelhaft, meines
Wissens sind die blutsaugenden Arten Südamerikaner.
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Glieder ab. Die Fledermaus ist uns ein Sinnbild der falschen Nach-
redner, die den Leuten im Finstern, das heisst heimlich, ihre Ehre
abbeissen uud ihnen das Antlitz ihres guten Leumundes und ehr-
lichen Namens zerstören. Wehe den verwünschten Fledermäusen,
warum fliegen sie nicht an's Licht heraus?
70. Vom ElageTogeL
Ulula heisst ein Klagevogel ^), weil er, wie Isidorus sagt,
beim Rufen und Schreien sich so hat, als ob er weine und klage.
Seine Stimme bedeutet Unglück, sein Schweigen dagegen Glück.
So behaupten die Vogeldeuter, die lateinisch Augures heissen. Das
sind Leute, die aus dem Zwitschern und Singen der Vögel die
Zukunft vorhersagen zu können behaupten. Ihre Prophezeiung ist
aber oft falsch und verfehlt. Wie dieser Vogel sind die strengen
Rüger, die bei anderen Leuten keinen Scherz oder irgend eine
That zum Guten kehren, sondern allezeit von der schlimmsten Seite
aufnehmen.
71. Vom Wldehopf.
üpupa heisst ein Widehopf^). Im alten Testament ist uns,
wie Isidorus bemerkt, dieser Vogel als Speise verboten, weil er
unrein ist. Er nistet im Schmutz und verunreinigt auch sein eigenes
Nest. Es ist aber ein schöner Vogel und hat auf dem Kopf eine
FeJerkrone, die er wie einen gekrönten Helm trägt. Im Winter
hält er sich verborgen und ist stumm, im Sommer und Frühling
dagegen macht er mit seinem Geschrei viel Lärm. Er hat nur einen
Gesang und einen Ton; er schreit neralich nur: hoz hoz hoz, wie
der Kukuk: kukuk schreit. Als ich noch ein Kind war, habe ich
zu Megenberg oftmals beobachtet, dass diese beiden Vögel bei ein-
ander sassen und im Wechsel ihre Stimme hören Hessen, der Kukuk
zuerst und dann der Widehopf. Ich glaubte, der Widehopf sei des
Kukuks Genosse^) und beide wären immer zusammen. Die alten
Widehopfe setzen sich in das Nest der flüggen Jungen und mausern
sich darin. Bis sie wieder zu Kräften kommen, werden sie von
den Jungen gefüttert. Die Gelehrten erwähnen ausserdem noch
eine andere gute Eigenschaft der jungen Widehopfe den alten
gegenüber. Wenn nemlich die Alten wegen ihres Alters nicht mehr
*) Irgend eine Eulenart?
*) Upupa epops L.
') Ira Text steht roz, das aber hier keinen Sinn hat, vielleicht statt
nöz verschrieben?
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seheü können, bringen ihnen die Jungen ein Kraut, das ihnen
von Natur bekannt ist. Damit salben sie den Alten die Augen
und so werden diese wieder sehend. Jaeobus sagt, wenn man sich
vor Schlafengehen die Schläfe mit Widehopfblut einreibe, glaube
man im Traume, die bösen Geister wollten einen tödten. Das Herz
des Widehopfs wird von den Zauberern und heimlichen Uebelthätern
vielfach benutzt. Ich will hierauf aber um Gottes Willen nicht
näher eingehen. Auch unser lateinischer Text sagt Nichts darüber.
Der Widehopf ist das Sinnbild jedes Menschen, der unter
einem guten Aeussern seine Schlechtigkeit verbirgt und ein unge-
treues Herz hat, oder mit andern Worten: im Herzen das Eine
denkt und mit dem Munde das Andere spricht. Im Sommer, wo
sie es gut haben und ihnen Niemand entgegen tritt, sind sie laut,
sollen sie aber mit den Guten kämpfen und rechten, so verstummen
sie. Pfui über Dich, Du Schandritter, Du seiest Laie oder PfafFe,
wie trägst Du die Ehrenkrone in Falschheit, ohne männlichen Sinn
und ohne alle W^ahrheit!
73. Vom Geler.
Vultur heisst ein Geier.*) Nach Plinius besitzen seine Federn
die Eigenschaft, dass die Schlangen ihren Geruch fliehen, wenn
man sie im Feuer verbrennt. Er giebt auch an, dass der Mensch,
der ein Geierherz an der Seite trage, sicher sei vor bösen Thieren,
Schlangen und anderem Gewürm. Die Geier wittern das Aas über
das Meer hin, grade wie der Adler auch. Isidorus sagt, der
Geier fresse von seiner Beute zuerst die Augen. Er folgt den
Heereszügen, damit ihm reichlich Beute zufalle, und freut sich des
Krieges und Streites. Der Geier hat die Eigenart, wenn er er-
wachsen ist und sieht, dass seine Mutter schwach und zum Fliegen
untüchtig geworden ist, sie umzubringen. Will ein anderer Vogel,
auch wohl ein stärkerer als er selbst ist, des Geiers Junge schädigen,
so wagt er sein Leben für seine Brut, schlägt mit den Flügeln
und verwundet mit den Krallen. Wenn die Jungen flügge sind,
vertreibt die Alte sie vom Nest. Sie thut es der Nahrung wegen,
weil ein Geierpaar, also ein Männchen und ein Weibchen, einen
grossen Bezirk für ihre Nahrung nothwendig haben. Der Geier
raubt nicht in der Nähe seines Nestes, damit er die Leute in der
Nachbarschaft nicht gegen sich erzürnt. Beim Rauben trägt der
^) Nach der hier gegebenen Beschreibung ist wohl an den Aasgeier,
Neophron percnopterus Gray u. verwandte Arten zu denken.
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Geier die Beute nicht gleich fort, sondern probirt erst, wie schwer
sie ist. Kann er die Beute schleppen, so nimmt er sie mit. Ba-
banus erwähnt, einige Geier seien ohne Begattung, also ohne die
Verbindung von Männchen und Weibchen, zeugungsfähig, und ihre
Nachkommen lebten hundert Jahre. Plinius sagt: Der Geier
raubt vom Mittag bis zur Nacht und ruht vom Morgen bis zum
Mittag, ohne die geringste Beute zu macheu. Im Alter wächst der
Oberschnabel über den Unterschnabel so herüber, dass er den
Sehnabel nicht öffnen kann. Er muss dann vor Hunger sterben,
weil er nicht, wie der Adler, seinen Schnabel an den Steinen wetzt
und so sich seines Ungemachs entledigt. Desshalb muss er sterben.
Einige berichten, der Geier verschlinge sein eigenes Gehirn, wenn
er den Tod herannahen fühlt, damit es den Menschen nicht zu
Nutzen komme. Es ist nemlich gut gegen Paralyse. Sieht er,
dass ein Junges fett und in Folge dessen faul geworden ist, so
hackt er ihm mit dem Schnabel die Beine unten auf, damit es
wieder mager wird. Er kämpft mit dem Greiffalken und dem ge-
meinen Falken und stösst nach ihm. Der Falke ist ihm aber zu
behende und zu schnell und entkommt dadurch dem Geier, wenn
dieser auf ihn stossen will. Der Geier kann sich dann nicht halten
uud stürzt sich zu Tode. Da der Geier auf jedes Aas und alles
Geflügel geht, scheut er sich nicht vor den Schlingen und Fang-
eisen. Ambrosius sagt, der Geier gebe durch einige Zeichen den
Tod eines Menschen zu erkennen. Will nemlich ein König mit
dem andern kämpfen, so folgen die Geier den Heeren nach, als
ob sie anzeigen wollten, dass viel Volk werde erschlagen werden.
Ich glaube aber, dass Das eine Art Gewohnheit bei ihnen ist, weil
die alten Vögel schon vorher dergleichen gesehen haben, oder aber
sie haben es durch eine besondere Einrichtung der Natur, wie viele
andere Thiere, die das Kommende vorher anzeigen. Der Geier
ist für mich das Sinnbild der habgierigen Raffer und Genuss-
süchtlinge, sie seien Laien oder Pfaffen, die sich über anderer Leute
Schaden freuen, damit sie selbst voll werden.
Damit schliesst das Kapitel von den Vögeln.
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111.
G. Ton den Meerwundem.
Jetzt ist es an der Zeit, vou den Meerwundern zu sprechen,
die auch in vielen Fällen uns ein Gleichuiss bieten für Das, was
am Menschen gut und böse ist. Von Natur ist allerdings der
Mensch erhaben über alle anderen Geschöpfe, will er aber nicht
nach menschlicher Art und Temnnftgemäss leben, so erniedrigt er
sich imter alle Thiere herab und führt in einigen Gewohnheiten ein
Ijeben wie ein Pferd, ein Hund oder ein Vogel. Desshalb brauchen
wir auch nicht ausser Landes zu gehen, wenn wir Meerwunder
schauen wollen: wir haben ihrer bei uns genug. Zunächst wollen
wir die Meerwunder besprechen, deren Name im Lateinischen mit
A anfängt, dann die mit B, wie wir es bisher gehalten haben.
1. Vom Ansfi^ger.
Abides ist ein Meerwunder, das auf deutsch ein Ausgänger
genannt werden mag.^) Es ist nemlich, wie Aristoteles angiebt,
dies Thier ein Meerthier und zwar zuerst ein Wasserthier, insofeme
es im Salzwasser aufwächst. Nachdem aber ändert es seine Natur
und auch seine Gestalt in allen Stücken, verlässt das Wasser, winl
ein Landthier und sucht auch seine Nahrung auf dem Lande.
Desshalb ändert sich dann auch sein Name, und es wird lateinisch
Astois genannt, was auf deutsch ein Beiständer heissen mag, weil
es dann bei uns auf dem Lande steht. Wahrlich, das ist wohl ein
Wunder, dass dies Thier sich in seiner Gestalt und seinen Gewohn-
heiten wie auch in seinem Namen so verändert. Wie diesem Thier
ergeht es jedem jungen Menschen, der auch in der Jugendzeit, so
lange er unter der Ruthe, im Salzwasser gerechter Zucht und weiser
^) Unbestimmbar.
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Lehre, lebt, gar tugendhaft ist. So lange heisst man ihn dann einen
Engel oder engelhaft. Ist er aber erwachsen und selbstständig ge-
worden, 80 verkehrt er all seine Tugend in Untugend und heisst
dann ein Teufel. Von einem Solchen sagt der Yolksmund: Junger
Engel, alter Teufel.
3. Tom Meerfrass*
Achime mag deutsch ein Meerfrass heissen.^) Dies Tlrier ist,
nach Aristoteles, ein Meerwunder und gefrässiger als alle anderen
Meerthiere. Es lebt im Meer vom Raub, und was es frisst wird
alles in das Fett seines Leibes verw^andelt Das Thier hat keinen
Magen, desshalb bläht sich sein Leib beim Fressen auf, und wenn
er sich nicht weiter ausdehnen kann, wirft das Thier die ver-
schlungenen Fische durch den Mund wieder aus. Das macht ihm
weiter keine Mühe, weil der Mund nahe bei der Leibeshöhle sich
befindet und der Hals fehlt. Andere Meerthiere haben auch keinen,
denn kein Fisch hat einen Hals. Aristoteles sagt, der Meerfrass
habe die Gewohnheit, sich wie ein Igel zusammenzurollen', wenn
man ihn fangen will. Merkt er, dass er nicht entfliehen kann,
wenn er sich nicht wieder auseinander rollt, so frisst er von seinem
eigenen Fleisch, wenn ihn der Hunger plagt. Es ist ihm lieber,
ein Stück seines eigenen Körpers zu verzehren, als dass ihn die
Meerthiere, die ihn fangen wollen, gemeinsam auffressen. Dies
Thier ist für mich ein Sinnbild der habgierigen Amtleute, Richter,
Sehergen und anderer Leuteschinder, die niemals satt werden, bis
ihnen die Fische aus dem Munde heraus platzen, das heisst, bis
ihre Schlechtigkeit so offenbar wird, dass sie ihre Bosheit selbst be-
kennen müssen. Wenn ihre Herren sie dann verjagen und sie
desshalb in's Verderben bringen wollen, so ziehen sie sich zusammen
und fressen ein Stück ihrer selbst, ehe sie ganz zu Grunde gehen,
das heisst, sie geben lieber ihr Vermögen oder einen Theil desselben
heraus, ehe sie den Hals daran wagen.
3. Tom HartschnabeL
Barchora heisst ein Hartschnabel.*) Aristoteles berichtet,
dies Meerthier habe einen so harten Schnabel, dass es einen Stein
damit zerbrechen kann, wenn es ihn in den Mund nimmt. Desshalb
Unbestimmbar.
') Irgend eine Octopus-Seepolyp, Tintenfisch- Art ?
Schalt, Konrad von Megenberg's Buch der Natur. 13
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sagt auch Aristoteles, Jass kein auderes Thier ein so hartes Maul
habe. Das Thier frisst nur kleine Seefische. Ich verstehe unter
diesem Thier die Leute, die ^ar hart von Verstand und so un-
vernünftig sind, dass sie nur unbedeutende Dinge zu begreifen
vermögen.
4. Tom Krokodil.
Cocodrillus heisst ein Krokodil, i) Es ist ein vierfüssiges
Thier, das auf dem Lande und im Wasser lebt, wie Jakobus,
Solinus und Plinius berichten. Bei Tage ruht es häufig auf dem
Lande und liegt so .still, dass man es für todt halten könnte, wenn
man diese seine (Jewohnheit nicht kennt. Es liegt mit oifeuem
Maule da, bis die Vögel wie zu einem Aas heranfliegen und von
ihm verschlungen werden. Nachts dagegen hält es sich im Wasser
auf. Es hat keine Zunge und ein weites, bis an die Ohren
klaffendes Maul. Es bewegt die obere Kinnlade und nicht die
untere. Auch besitzt es scharfe Krallen, mit denen es sich ver-
theidigt. Im Winter frisst das Thier nicht, und wenn es einen
Menschen getödtet hat, so beweint es ihn. Nimmt man das Herz
aus dem Leibe, so lebt es noch ziendich lange danach. Das thun
andere Thiere nicht. Das Thier ist ein Sinnbild des Wucherers,
der die armen Kaufleute zu Wechsel- und anderen Geschäften in
sein Haus lädt und sie zuletzt ganz verschlingt.
5. Tom Llnkfiiss.
Cricos mag ein Linkfuss heissen, denn nach Aristoteles
ist er ein Meerthier, das am Ende des Fusses zwei Spalten hat.*-^)
Dadurch kommen drei Zehen mit drei Klauen heraus. Der rechte
Fuss ist klein und der linke gross, d esshalb stützt das Thier beim
Gehen den Körper hauptsächlich auf dem linken ßein. Bei Un-
gewitter ist es krank, legt sich an die Steine, wenn der Wind
ungestüm weht, und rührt sich nicht. Wie dieses Thier verhalten
sich die Menschen, die sich vor ihren Beleidigem und Nachstelleru
allzu sehr fürchten und sich nicht zu rühren getrauen.
^) Crocodilus vulj<aris Cuv.
-) Krikos (^riechicli) heisst Hinji:. Dies Wort findet sich bei
Aristoteles in der Beschreibung des CJiamüleons, von dem A. auch an-
giebt, dass jeder Fuss in zwei Hälften ^etheilt sei. Ka würde sicli hier
also um eine irrtliümliche Auffassung und Verwechselung mit dem Chamäleou
handeln.
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6, Vom Kilon.
Chylon ist ein Meerthier, ^) welches die Eigeuthümlichkeit hat,
dass es kein Futter zu sich nimmt, sondern von seiner eigenen
Feuchtigkeit, die aus seinem Leibe hervorgeht, gespeist und ernährt
wird, wie Aristoteles berichtet. Die Feuchtigkeit, mit der es
sich ernährt, ist sehr zähe. Aus diesem Grunde ist das Thier zwar
allezeit nüchtern aber doch von grosser Leibesstärke und Kraft.
Dieselbe Erscheinung nehmen wir bei den Frauen wahr, die auch
das Fasten besser ertragen wie die Männer, weil sie feuchterer
Natur und reicher an überflüssigen Säften sind, wie die Männer.
Das Thier ist uns ein Sinnbild der freien, unabhängigen Geister,
die alle Dinge der Aussenwelt gering achten und, auf sich selbst
zurückgezogen, in sicherer Ruhe leben.
7. Vom Heerhund.
Canis marinus heisst ein Meerhund. 2) Das ist ein grausames
Thier, wie Plinius erzählt, und bläst die Leute gar feindlich an,
denn es ist ein Feind aller lebenden Geschöpfe, die ihm entkommen.
l>ie Meerhunde jagen die Fische im Meer, wie die wirklichen Hunde
auf dem Lande andere Thiere jagen, und fangen ihrer eine grosse
Menge. Aber die Meerhunde bellen nicht, sie fauchen nur mit den
Mäulern. Der Meerhund ist das Sinnbild des bösen Geistes, der
Tag und Nacht jagt, um uns in diesem elenden Meere zu fangen
und nicht bellt, sondern nur heimlich uns anfaucht, um uns vor
deiner Nachstellung nicht zu warnen. Ach der feige Hund, warum
hat er uns Armen die Seligkeit entrissen! Gott erbarme sich
über uns!
8. Vom Meerdraehen.
Draco maris heisst ein Meerdrache. '^) Das ist ein grausames
Meerthier, lang und so gross, wie ein wirklicher Drache, nur dass
ihm die Flügel fehlen. Der Meerdrache hat einen knotigen Schwanz
und, im Verhältniss zu seiner Grösse, einen kleinen Kopf. Sein
Biss ist für den Menschen ebenso giftig wie für die Fische im
Meer. An Stelle der Flügel führt er breite Flossen, mit denen er
') Nicht bestimmbar.
^ Phoca vitulina L., Seehund, oder eine andere Robbenart?
3) Squatina angelusC, Engelhai, Meerengel? oder, wegen des Schwanzes,
ein Roche?
13*
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im Wasser sehr hurtig und weite Strecken durchschwimmt. Diese
Schnelligkeit verdankt er aber mehr seiner grossen Körperkraft wie
den Flossen selbst. Zu Asche gebrannt sind seine Knochen gut
gegen Zahnschmerzen. Dies Thier ist uns das Ebenbild der bösen
Buben, Ven*Äther und ungetreuen Galgenstricke. Sie haben knotige
Schwänze, denn sie machen Knoten an die Mützen und die Röcke^
und überall sonst, fressen die armen Leute und werden den armen
Arbeitern niemals hold.
9. Tom Delphin.
Delphinus heisst ein Delphin.^) Im Gegensatz zu allen anderen
Wasserthieren hat dies Meergeschöpf seinen Mund nicht da, wo ihn
die anderen Thiere haben, sondern unten am Bauch. Soliuus
sagt, die Delphine hätten eine leicht bewegliche Zunge, zugespitzt,
scharf und rauh anzufassen und mit vielen Höckern versehen.
Wenn die Delphine zornig werden, wird ihre Zunge starr und
reckt sich aus dem Maule hervor. Wenn sie sich wieder besänftigen,
kehrt die Zunge wieder an ihren gehörigen Ort zurück. Das Ge-
ruchsorgan der Delphine liegt sehr versteckt, so dass man nicht er-
kennen kann, womit sie riechen, da sie keine Nase haben. Sie
wittern aber gleichwohl recht gut und sehr fein. Ein Forscher
bemerkt, der Delphin lebe, selbst wenn ihm der Schwanz abgehauen
wird, hundert und vierzig Jahre. Die Delphine hören gern schöne
Musik imd Saitenspiel. Sie sind sehr hurtig und haben keine Galle,
wie Aristoteles angiebt. Ein Forscher berichtet auch, wenn ein
Mensch Delphinfleisch esse und etwas davon in's Meer falle, so
frässen es die Delphine sofort, wenn sie es bemerken. Isst der
Mensch dagegen nicht von dem todten Delphin, so tragen die anderen
ihn an's Land und behüten ihn vor den übrigen Meerthieren. Es
ereignete sich auch einstmals, wie Albertus erzählt, dass Schiffer
auf dem Meere einen Harfenspieler angriffen und ertränken wollten,
der Arrio^) hiess. Da bat der Harfner die Schiffer, sie möchten
ihn vorher noch ein wenig spielen lassen. Das geschah. Dann
warfen sie den Harfner ins Meer. Da kamen die Delphine, einer
von ihnen nahm ihn auf den Rücken und trug ihn heraus an das
Gestade. Wird ein Delphin gefangen, so weinen die andern, wie
^) Delphinus delphis L., gemeiner Delphin. Die Angabe über die
Lage des Maules würde eher auf eine Hai-Art passen
-) Arien.
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Plinius sagt, und wenn er getödtet wird, so begraben sie ihn.
Albertus erzählt auch von einem wunderbaren Ereigniss aus der
Zeit, als der Kaiser Augustus lebte. Es war damals im Lande
Campanien, zwischen Korn und Neapel gelegen, ein kleines Kind,
4.1as jedesmal zum Meeresgestade lief, wenn ihm seine Mutter ein
Brot gegeben hatte. Damit zähmte es sich einen Delphin aus dem
Meer an das Gestade heran und fütterte ihn zuletzt aus der Hand.
Eines Tages setzte sich das Kind auf den Delphin und dieser trug
es wiederholt auf das Meer hinaus und wieder ans Ufer zurück.
Als er aber das Kind, das sein Kamerad beim Spielen gewesen
war, eines Tages todt fand, starb er vor rechtem Herzeleid, wie es
viele Leute sahen. Nun sagt mir wohl der Eine oder der Andere,
diese Wundergeschichte sei erlogen und hört dabei doch von Riesen
und Recken die grössten Lügen mit an, die ich je gehört. Und
weil sie das Wunder nicht gesehen haben, so wollen sie es nicht
glauben. Was soll ich mit Solchen? Ich schreibe, was ich weiss,
für wen ich will und für den, dem es gefällt.
10. Vom Wassei-pferd.
Equus fluminis heisst ein Wasserpferd ^). Das ist ein, im
Orient heimisches, Meerwunder, wie Aristoteles angiebt. Es hat
ein wunderbares Aeusseres und lebt im Meer so gut wie auf dem
Ijande. Das Thier hat Haare wie ein Pferd, gespaltene Klauen
und Hufe wie ein Rind. Seine Stirn ist hoch, sein Schweif oder
Schwanz wie ein Schweineschwanz gestaltet, es wiehert wie ein
Pferd. Seine Haut ist dick und hart, seine Eingeweide sind ge-
staltet wie die eines richtigen Pferdes. Es wird so gross, wie ein
Esel. Daraus mache, was Du willst.
11. Tom Meerrtnd.
Foca heisst ein Meerrind ■'^), wie der Naturkundige sagt. Es
ist ein sehr kräftiges Thier, das seinen Wohnsitz nicht gern verlässt
und sich immer gern da aufhält, wohin es die Natur geschaffen
hat. . Es ist sehr muthig und grimmig, das heisst nicht andern
Thieren gegenüber, sondern nur gegen seine Familienglieder. Es
kämpft nemlich unausgesetzt mit seinem Weibchen, bis es dasselbe
*) Hippopotamus ampJiiblus L., Fhisspferd ?
*^) Irgend eine Roblienart.
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umgebracht hat. Dann wirft es den Körper bei Seite und nimmt
sich ein neues Weibchen. Mit diesem verfährt es gradeso und treibt
das so lange weiter, bis es entweder selbst stirbt oder das Weibchen
die Ueberhand bekommt und den Ochsen tödtet. Dann fressen ihn
die eigenen Juugen und werden schliesslich auch so, wie der Alte
war. Der Meerochse ist für mich ein Sinnbild jeglichen Eiferers,
der in seinem Hause umherbrummt, wie ein Bär, und weder mit
seiner Hausfrau noch mit dem Gesinde Frieden halten kann.
13. Tom SehwertrOssel.
(iiadius heisst ein Schwertrüssen). Isidorus und Plinius
berichten, es sei ein Meerwunder, mit einem Rüssel, scharf wie ein
Schwert. Mit diesem Küssel bohrt es die Schifle an und zieht «ie
unter Wasser. Sein Schnabel ist abwärts gekrümmt. Seine Klauen
sind gabelig gespalten, sein Schwanz ist knotig, die Zähne gekrümmt
wie beim Eber. An den Beinen ist es viel leichter verwundbar
wie an sonst einer Körperstelle. Aus seiner Haut drechselt man
Schäfte. Diesem Thiere gleichen die falschen Sachwalter, die vor
Gericht mit ihrem Küssel heimlich die Schiffe der Gerechtigkeit
anbohren und die Leute versenken, die in gerechter Sache ge-
kommen sind. Ach wie wenig bedenken sie, wie man ihnen am
letzten Gericht einmal das W^ort sprechen wird.
13. Vom Kill.
Kilion oder, yne ein anderes Buch hat, Killou mag im Deutschen
ein KilP) heissen. Aristoteles sagt, es sei ein sonderbares Meer-
wunder, denn die Natur hat sich bei diesem Thier geirrt, wie man
annimmt, oder ist bei ihm von ihrer gewohnten Ordnung abgewichen.
Alle Thiere nemlich auf Erden, gross oder klein, haben die Leber
auf der rechten und die Milz auf der linken Seite, dies Thier da-
gegen hat die Leber links und die Milz rechts. Dies Thier ist ein
Beispiel für alle verkehrte Ordnung, wie wenn die Thoren die
Weisen belehren wollen, die Schemel über die Bänke ppringen und
der Adel sich zum Unadel verkehrt.
1) Xiphias gladius L., Schwertfisch? Eine grosse Robbenart?
^) Der bei Aristoteles Tilon genannte, unbekannte Fisch? Von der ver-
kehrten Lage der Eingeweide ist allerdings bei A. nicht die Rede.
Google
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14. Yoin Ladlaeher.
Ludolachra mag ein Ludlacher ^) heissen. Es ist ein, nach
Gestalt und Wesen gar sonderbares Meerwunder, wie Aristoteles
bemerkt. Es hat vier Fittiche oder Flügel, zwei am Kopf und zwei
am Eiicken. Mit den vier Flügeln fliegt es äusserst schnell von
einem Ort zum anderen, wohin es grade will. Dies Thier ist für
mich das Ebenbild jedes behenden und verständigen Menschen.
Auch er hat zwei Flügel am Kopfe oder vielmehr an der Seele,
diese zwei Flügel sind die Vernunft und der, von der Vernunft
geleitete Willen. Die andern beiden Flügel hat er am Rücken, das
sind die gewöhnlichen Seeionkräfte, die der Mensch mit den anderen
Thieren gemeinsam besitzt, das Gesicht, das Gehör und alle anderen
Sinne. Diese beiden Flügel bedeuten das Erkennen und das Be-
gehren. Mit diesen vier Flügeln fliegt der verständige Mensch in
die Ferne und die Nähe.
15, Vom MeermSnch.
Monachus marinus heisst ein Meermönch *^). Dies Meerwunder
ist unten wie ein Fisch und oben wie ein Mensch gestaltet, sein
Haupt sieht aus wie das eines eben geschorenen Mönchs. Oben
auf dem Kopf hat es eine Platte, wie Stephanus zuerst hatte,
über den Ohren geht ein schwarzer Streifen um den Kopf, grade
wie der Haarstreifen bei den wirklichen Mönchen. Dies Meerwunder
hat die Gewohnheit, die Leute am Meeresstrande an sich zu locken,
vor ihnen im Meer sich zu tummeln und nahe herbei zu kommen.
Wenn es dann bemerkt, dass die Leute sein Spielen gern sehen,
so freut es sich und spielt um so mehr im Wasser herum, bis ihm
ein Mensch so nahe kommt, dass es ihn erwischen kann. Dann
zieht es ihn unter das Wasser herab und frisst ihn auf. Sein Ge-
sicht ist dem des Menschen nicht besonders ähnlich, denn es hat
eine Nase wie ein Fisch, und Maul und Nase stehen nahe bei ein-
ander. Diesem Thiere gleichen die Gleissuer, die andere Leute
mit andächtigen Geberden an sich locken und sie in den Winkeln
zur Bosheit und zum ewigen Tode verführen. Ich fürchte, dass zu
unserer Zeit es nur Einen dieser Art giebt, von dem allerdings die
Welt leider allerorts voll ist.
*) Unbestimmbar.
^) Pelagius monachus Cuv., Mönclisrobbe, Seemonch?
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16. Vom Klager.
Xereides^) mögen Klager heissen. Es siud Meenvunder, deren
Leib ganz rauh und scharf ist, und döten Gestalt von der des
3Ienschen abweicht. Indessen gleicht ihre Art und Weise eiuiger-
niassen der menschlichen, und ihre Stimme hört sich an, als ob sie
klagten und weinten, wenn eins von ihnen sterben muss. Die
Leute, welche in der Nähe sind, hören dann ihr Wehklagen. So
zeigen sie in ihrer Trauer an, wie bitter für alle sterblichen Wesen
des Todes Angst und Noth ist. Dies Thier ist ein Sinnbild aller
bekehrten Sünder, die ihre Sünden beweinen und beklagen und
dabei betrachten, wie kurz die Freuden in dieser elenden Welt
dauern.
17. Von den Meerweibern.
Sirenen sind Meerwunder mit sehr schöner Stimme, wie
Aristoteles sagt. Deutsch mag man sie Meerweiber nennen, da sie
vom Haupt bis zum Nabel wie ein Weib gestaltet sind. Sie siud
gross und schön gewachsen, ihr Gesichtsausdruck ist sehr grausam,
auf dem Haupt haben sie langes, hartes Haar, wie Pferdehaare. Sie
werden auf dem Meer oftmals sichtbar mit ihren Jungen, die sie
auf den Armen tragen wie die Frauen ihre Kinder. Sie haben stark
entwickelte Brüste, mit denen sie ihre Jungen säugen. Der untere
Körper dieses Thieres ist, nach Adelinus, wie der Unterkörper des
Adlers gebaut. An den Füssen hat das Thier sehr scharfe Krallen,
mit denen es seine Beute zerreisst. Endlich hat es einen Schwanz
mit Schuppen, wie ein Fisch, mit dem es im Wasser schwimmt
Es singt aussergewöhnlich schön, jedoch ist seine Stimm» nicht, wie
beim Menschen, artikulirt, sondern wortlos, wie die der Vögel. Hören
die Schiffer ihren Gesang, so schlafen sie, von seiner Lieblichkeit
bezaubert, leicht ein und werden dann von den Meerweibern zer-
rissen. Desshalb verstopfen die Schiffer ihre Ohren, damit sie den
Ciesang nicht hören können und gerathen in grosse Angst, wenn sie
die Sirenen oder Meerweiber zu (Jesicht bekommen. Dies Thier
ist mir ein Sinnbild der sittenlosen Weiber, die die weibliche Zucht
verläugnet haben und manchen Mann zur Sünde verleiten.
*) AVie die Sirenen und die Scylla mythologische Gebilde.
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18. Ton den Mee]jungfi*aaen.
Scylla mag eine Meerjungfrau heissen. Das ist ein Meer-
wmider, den Schiffern und allen andern Menschen feindlich, lüstern
und gierig nach Menschenblut und Fleisch. Kopf und Brust des
Thieres sind wie bei einer Jungfrau gebaut, sein Maul ist gross
und faltig, wie das der Sirene, seine Zähne sind scharf. Der Körper,
wie ein Thierleib gestaltet, trägt einen Schweif oder Schwanz wie
der des Delphins. In dem Buche von den Dingen wird erzählt,
dass diese Geschöpfe eine wiuiderbare Stärke besitzen und im
Wasser nicht leicht zu überwältigen sind. Auf dem Lande dagegen
sind sie nicht so stark und beinahe wehrlos. Adelinus giebt an,
dass auch diese Thiere ziemlich schön singen, äusserst gierig nach
Fleisch sind und in dem Meere hausen, welches die beiden Länder
Italien und Sicilien trennt. Diesem Thiere gleichen die falschen
Jungfrauen, die mit Haarbändern geputzt wie Jungfrauen einher-
gehen, sich Jungfrauen nennen und sagen, sie hätten streng
gefastet. Dabei haben sie aber heimlich am Freitag Fleisch ge-
gessen, worauf sie sehr gierig sind'
19. Vom Stich.
Stinchus mag ein Stich ^) heissen. Dies Thier lebt, nach
Angabe des Isidorus, an dem Flusse in Egypten, der Nil genannt
wird und ähnelt dem Krokodil, das wir oben erwähnt haben. Der
Stich ist aber kleiner wie das Krokodil. Wein mit dem Fleische
dieses Thieres vermischt, vertreibt das Gift, welches der Mensch
in seinem Leibe hat. Dies Thier ist mir ein Ebenbild der heiligen
Beichtväter. Wenn ein vergifteter Sünder den Trank seiner Reue
mit dem Fleische des Beichtigers, das heisst mit seinem Rath,
vermischt und für seine Sünde die Busse auf sich nimmt und voll-
bringt, so kann das Gift seiner Sünden nicht mehr zunehmen, es
verschwindet vor der Reue und der Busse.
30. Vom Teste.
Testeura heisst ein Teste. *'^) Dies Meerwunder hat eine harte
Haut, wie eine harte Schale, und Aristoteles sagt, es werde im
arabischen Meere geboren. Wird das Thier krank, so geht es in
*) Der Beschreibung nach Monitor (Vaianus) niloticus L., Nileidechse,
AVaraer.
2) Eine Schildkrötenart?
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süsses Wasser und trinkt so lange davon, bis es wieder gesund
wird. Dann kehrt es in das Salzwasser zurück. Dass aber im
Meere süsses Wasser sich befindet, beweist man auf folgende Art.
Versenkt man einen wächsernen, überall wohl verschlossenen^
Becher in das Meer und lässt ihn Tag und Nacht darin, so findet
man nachher in seinem Innern süsses Wasser. Diesem Thiere
gleichen die rückfalligen Sünder, die zu dem süssen Wasser der
Reinigung von ihren Sünden hingehen, gesund werden, und dann
sofort wieder in das trübe, bittere Wasser der Sünde zurückeilen.
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203
III.
D. Von den Fischen.
Jetzt wollen wir die Fische besprechea und zwar zunäclist die
Fische im Allgemeinen. Aristoteles sagt, dass kein Fisch einen
Hals habe, ebensowenig äusserlich sichtbare, männliche Genitalien
noch auch Brüste oder Zitzen. Einige Meerwunder besitzen indessen
doch die ebengenannten Theile, wie vorher beschrieben wurde, da
sie ihres Gleichen gebären. Auch bin ich der Ansicht, dass auch
der Walfisch von dem eben Gesagten eine Ausnahme macht, da er
sich, wie hernach berichtet werden wird, mit seinem Weibchen be-
gattet. Alle Fische, wie auch alle Thiere mit weicher Haut,
schlafen wenig. Im Schlafe rühren sich die Fische nicht, nur den
Schwanz bewegen sie ein wenig. Einige behaupten, die Fische
flöhen, von einer inneren Mahnung getrieben, aus dem Lande, dem
ein grosses Volkssterben droht oder aus dem die Leute vertrieben
werden sollen. Die Fische haben die Eigenart, niemals mit fremden
Fischen, die nicht ihrer Art angehören, zusammen zu laichen. Ein
Hecht zum Beispiel laicht immer nur mit einem Hecht, und eine
Schleie nur mit einer Schleie. Eine Ausnahme hiervon macht die
Muräne, die mit einer Schlange zusammen laicht und, nach einigen
Angaben, der Aal, der dasselbe thun soll. Alle Fische im Meere
fressen einander, ausgenommen eine Art, die Aristoteles Fascaleon
nennt, welche kein Fleisch frisst. Kein Meerthier frisst seine
Jungen, bevor sie ausgewachsen und den Alten gleich geworden
sind. Das Fleisch der Seefische, welche sich in der Nähe der
Küste aufhalten, ist kräftiger und gesunder wie das der Fische,
welche die Tiefe aufsuchen und weicheres, weniger gutes Fleisch
haben. Alle zwischen Steinen und an steinigen Orten lebenden
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Fische sind in der Regel fett, und alle grösseren, von Fischen ge-
})ildeteu Schaaren haben einen Führer und Leiter. Jeder Fisch,
der vom Raube lebt, schwimmt gesellig, wie der Hecht und ähnliche
Fische. Alle Fische, die der Breite nach schwimmen, werden fett,
wenn der Südwind von Mittag her weht, wie zum Beispiel die
Brachsen, die Ilalbfische und die ihnen gleichen. Die frische da-
g(»gen, welche, wie der Hecht, der Längsachse des Körpers nach
ischwimmen, werden fett, wenn der Nordwind weht, der im
Lateinischen Aquilo heisst. Die weiblichen Fische sind grösser wie
die männlichen, denn die Rogener werden grösser wie die Milchner.
Der Fischfang geräth am besten Morgens, ehe clie Honne aufgeht,
weil die Fische dann am wenigsten gut sehen können. Bei Nacht
sehen sie so gut wie am Tage. Wenn sie Oel trinken sterben sie.
Der grösste Theil der Fischeier geht zu (irunde, wenn der Rogner
jsie beim Hin- und Herschwimmen auslässt. Einige Fische gebären
aus sich selbst Junge, ohne alles vorhergegangene Laichen, einige
werden von der Erde befruchtet, auf der andere Fische gelegen
liaben, noch andere von gewöhnlicher Erde, wie auch einige von
der fauligen, hier und da zerstreuten Feuchtigkeit, die man auf
dem Wasser wie Oel schwimmen sieht. Die Fische haben die
< Gewohnheit, hin und her zu schwimmen und häufig den Ort zu
wechseln, ehe sie gebären o<ler mit einander laichen. Einige Fische
wenlen krank, wenn sie gebären oder den Rogen auslassen, dess-
halb fangen sie sich dann leichter, wie zu anderer Zeit. Dürre
schadet den Fischen sehr, in der Regel werden sie fett bei Regen-
wetter. Der Regen kräftigt sie grade so wie die Pflanzen, die aus
der Erde hervorwachsen. Desshalb auch schwimmen die Fische
an der Oberfläche des Wassers, wenn es regnet, grade so, als ob
i?ie sich über den Regen freuten. Reibt man ein Stück Holz mit
der Leber eines Seefisches, so brennt es wie Oel. Desshalb be-
hauptet auch ein Forscher, man bereite aus der Leber einiger See-
fische Oel. Einige Fischarten berühren das Gefäss, mit dem man
sie gefangen hat, nie, wenn es nicht ganz frisch ist. Die weiblichen
Fische sind länger wie die männlichen, und ihr Fleisch ist härter.
Die Fische kehren mit Vorliebe an den Ort zurück, wo sie geboren
sind, wo sie auch hin kommen, nach oben oder nach unten, und
gerathen dadurch leicht in Schaden. Der grosse Gelehrte Basilius
sagt: Schau, wie ein jedes Geschlecht der Fische sein besonderes
Land hat und seine (iegend. Keiner nimmt dem Anderen seine
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Wohnstätte weg, eiu jedes Geschlecht der Fische lässt sich an
seinem Wohnplatze genügen!
1. Vom Aal.
Anguilla heisst ein Aal.^) Der Fisch gleicht einer Schlange
und hat davon auch seinen lateinischen Namen. Anguis heisst
nemlich eine Schlange und das Woii; Anguilla kommt davon her.
Je fester man den Fisch zwischen den Händen drückt, um so
leichter entschlüpft er. Er lässt sich schlecht abziehen. Plinius
behauptet, unter den Aalen seien entweder keine männlichen oder
keine weiblichen Individuen. Tödtet man einen Aal in Wein und trinkt
hernach von dem Weine, so wird einem der Weingenuss zuwider,
wie Isidorus angiebt. Aalfett ist eine Arznei für kranke Ohren.
Der Aal hat einen schweren Tod, er lebt noch, wenn man ihm
schon die Haut abgezogen hat. Man muss ihn stärker auf dem
Feuer kochen wie einen anderen Fisch, weil er sonst schädlich und
uugesund zu essen ist. Desshalb soll man ihn braten, weil dabei
die schädlichen, feuchten Dünste aus ihm heraus ziehen, und er
dann gesunder zu essen ist, wie wenn man ihn kocht. Beim
Braten verfahre so: Ziehe ihm die Haut ab, zerschneide ihn der
Länge nach in grössere Stücke, bestreue diese mit gepulvertem,,
gutem Gewürz, ziehe darauf die Haut wieder der Länge nach über
die Stücke und steche mit einem scharfen Messer die Haut allerorts
an, damit das ausbratende Fett herauskann. Dann befestigt man
die Stücke an einem gespaltenen Bratspiess. Das ist ein kleiner
eiserner Spiess, gespalten, so dass an beiden Enden eine Klammer
sich findet, die mit einem Ring geschlossen werden kann. Dann
brate ihn schön langsam, und es wird ein Herrenessen. Albertus
berichtet, dass in dem Flusse, welcher Ganges genannt wird, Aale
vorkommen, die dreissig Ellen lang sind.
2. Vom Häring.
Alec heisst ein Häring. 2) Dieser Fisch unterscheidet sich fast
von allen anderen Fischen dadurch, dass er nur im Wasser zu leben
vermag, ausser demselben aber keinen Augenblick existiren kann,
da er sofort stirbt, wenn er über Wasser kommt. Seine Augen
leuchten des Nachts im Meer wie ein Licht. Diese Leuchtkraft
*) Anguilla vulgaris Flera.
') Glupea harengus L.
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der Augen erlischt aber mit dem Leben des Fisches. Wenn die
Häringe im Meer über dem Wasser ein Licht wahrnehmen, ver-
sammeln sie sich dort in grossen Schaaren und werden so mit List
gefangen. Die besten Häringe finden sich an der schottischen, die
wenigst guten an der deutschen Küste.
3. Von der Goldwolle.
Aureum vellus heisst Goldwolle. ^) Sie wird vom Meer erzeugt
und genährt, wie Ambrosins sagt, und zwar gebiert das Seegestade
diese Wolle. Sie hat einige Aehnlichkeit mit dem Golde und heisst
desshalb auch Goldwolle. Die Farbe dieser Wolle konnte bisher
noch kein Meister auf anderer Wolle hen^orrufen oder künstlich
herstellen, wenn er die Färberkunst auch noch so gut verstand.
Einige erzählen auch, die Wolle, wegen derer viel^ und viele tausend
Menschen ehedem im Lande der Troer erschlagen wurden, sei der-
selben Art gewesen.
Diese Goldwolle ist für mich ein Sinnbild der himmlischen
Goldblume, ich meine die Mutter der Barmherzigkeit, Maria, die
Mutter Gottes. In ihren Schoos ist der göttliche Himmelsthau mit
den Gaben des heiligen Geistes herabgethaut und brachte uns so
Gottes eingeborenen Sohn in den keuschen Schoos Mariens. Ihre
Farbe (das heisst ihre Tugend und ihre Heiligkeit) hat noch kein
Meister in Schrift und Gedicht wiedergeben können. Ach, höchste
Herrscherinn, voll der Gnade, neige Dich nur ein wenig herab, die
Zeit ist gekommen! Gedenke, dass Du aller Sünder Hoffnung und
Zuflucht bist!
4. Ton dem kleinen FIsehehen.
Afforus mag ein kleines Fischchen heissen.^) Isidorus be-
richtet nemlich, dieser Fisch sei so klein, dass man ihn mit keiner
Angel fangen könne. So ist es auch mit der Demuth unserer lieben
Frau, denn Demuth kann nicht zu Grunde gehen, Demuth ist der
Ursprung aller Tugend.
Aplu'odite aculeata L., Goldraupe, Seeraupe?
^) Aphros bei Aristoteles bedeutet junge Fischbrut.
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5« Ton der Meerspinne.
Äranea maris heisst eine Meerspiiine. ^) Das ist, nach Isidorus
Angabe, ein Meerfisch, der an den Ohren Stacheln trägt, mit denen
er seine Angreifer sticht. Gleichwohl ist er sehr gut zu essen. Wie
mit diesem Fische steht es auch mit den Menschen, die ihre Ohren
leicht zu böser Nachrede über ihren Nächsten wenden, und ihn
oftmals durch schlechte Nachrede schädigen und verwunden bei
aller Unschuld. Das ist Unrecht. Man soll nicht eher nachreden,
bis man die Wahrheit erfahren hat. Desshalb sagt auch die Schrift:
Du sollst Deine Ohren mit Dornen umzäunen, das heisst: Du sollst
nicht leichtfertig aller Rede und allem Geschwätz glauben.
6. Vom Begenflsch.
Bocha heisst lateinisch auch Piscis pluvialis,^) auf deutsch:
Regenfisch, w^eil dieser Fisch bei Regenwetter in wunderbarer Weise
wächst. Diese Fische schwimmen nur der Breite nach, weil sie
sehr dünn und breit gebaut sind. Sie haben auch der Breite nach
Flossen um den ganzen Körper herum. Wollen die Fischer diesen
Fisch fangen, so geht er auf den Grund herab und macht das
Wasser über sich trübe, damit man ihn nicht sehen kann. Wenn
er sich nemlich mit der Breitseite an den Erdboden andrückt, ist
er auf dem Rücken erdfarben.
7. Vom Walflseh.
Cete heisst ein Walfisch.-^) Er ist der grösste unter allen
Fischen, wie Isidorus angiebt. In der Jugend hat er schwarze
Zähne, die im Alter weiss werden und an der Stirn trägt er einen
knöchernen Auswuchs. Einige Walfische sind so gross, dass sie,
von ferne gesehen, Inseln oder Wäldern gleichen oder wie grosse
Berge erscheinen. Die Walfische packen sich grosse Mengen
Sand auf den Rücken, und wenn die Schiffer durch Unwetter in
Noth kommen und auf den Sand getrieben werden, so glauben sie,
es sei eine Insel, und sie hätten Land gefunden. In ihrer Freude
darüber lassen sie die Segel nieder, senken den Anker in's Meer,
machen auf dem Sande Feuer an und wollen ruhen. Spürt dann
der Walfisch das Feuer, so wird er sehr böse, taucht unter das
^) Wohl Maja squinado Latr., gemeine Meerspiuue, Teufelskrabbe.
'^ Der Beschreibung nach eine Art Flunder oder Scliolle.
^) Cetus ist der alte Sammelname für jedes grosse Meerthler.
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Wasser und reisst beide, Schiff und Maimschaft, unter das Wasser
auf den Giiind herab. Trotzdem er aber der grösste unter allen
Fischen ist, hat er doch nur einen engen Schlund und kann dess-
halb nur kleine Fische verschlingen. Diese lockt er durch den
süssen Athem, der aus seinem Halse kommt, an sich, bis er sie
verschlingen kann. Wenn man mehrere Walfische bei einander
schwimmen sieht, so sieht es in der Entfeniung so aus, als flösse
dort ein grosser Wasserstrom mit beträchtlicher Geschwindigkeit,
Isidorus sagt: Ich nahe Das selbst gesehen und dabei die Weisheit
Gottes bewundert. Wird der Walfisch über drei Jahre alt, so be-
gattet er sich mit seinem Weibchen, das lateinisch Balena^) genannt
wird. Die Begattung dauert ununterbrochen fast eine Stunde lang.
Durch die Begattung verliert er die Fähigkeit, weiterhin zu zeugen,
so dass sein Genitale unnütz wird. Desshalb geht er dann in die
Tiefe des Meeres herab und erreicht eine solche Grösse, dass er
mit menschlicher Kunst und List nicht gefangen werden kann. Er
scheint so gross zu sein, dass man bei seinem Anblick denken
könnte, es sei ein grosser Berg, und so erhebt er sich oftmals in
seiner unmässigen Grösse über den Wasserspiegel. Man kann ihn
desshalb auch nur fangen, so lange er noch nicht drei Jahre alt
ist. Wenn er Schalmeientöne oder sonst anmuthige Musik hört,
nähert er sich dem Menschen und wird auf diese Weise gefangen.
Der Samen des Fisches wird aus dem Wasser aufgefischt, w^eil er
nach der Begattung oben schwimmt. Man sammelt ihn und bringt
ihn in kleine Fläschchen, wie die Theriaksfläschchen sind. Den
Walrath^) trinkt man nüchtern, weil er in hohem Grade stärkt und
kräftigt. ^ Desshalb ist er auch sehr schätzbar und theuer.
8. Vom Krebs.
Cancer heisst ein Krebs. ^) Er hat einen harten Rücken, grade
wie die Krokodile haben. Der Krebs hat acht Füsse und Anne
und statt der Hände Scheeren. Er geht rückwärts, und Adelinu
sagt, er gehe niemals seinem Gesicht nach. Ich habe aber beob-
Balaena ist die heutige zoologische Benennung des grönländischen
Walfisches.
2) Walrath, Cetaceum, Sperma ceti, ist die in den Höhlen der Schädel-
knochen vom Pottwal befindliche, ölige, in der Killte erstarrende, fett&hnliche
Masse.
8) Ästacus fluviatilis F., Flusskrebs.
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achtet, dass der Krebs doch vorwärts geht, wenn auch langsam und
träge. Wird er alt, so findet man in seinem Kopfe zwei weisse,
etwas röthlich gefärbte Steine. Einige behaupten, diese Steine be-
sässen eine solche Kraft, dass sie das Herzstechen vertreiben könnten,
wenn man sie in einem Getränk einnimmt. Glaublich ist das wohl,
denn Galen us berichtet, dass das Herz von harten Steinen, zum
Beispiel dem Saphir, den Margariteu oder echten Perlen, dem
Hyacinth und ähnlichen, sehr gekräftigt werde. Die Krebse leben
lange. Beim weiblichen Krebs ist der erste Fuss gespalten, beim
männlichen ist er einfach und ungetheilt. Die rechte Scheere ist
fast bei allen Krebsen grösser wie die linke. Beim Männchen finden
sich zwischen Rumpf uud Schwanz zwei dornige Spitzen, die den
Weibchen fehlen. Eiertragende Krebse sind ein Heilmittel gegen
den Biss der Schlangen. Mit Milch und Wasser getränkt kann der
Krebs viele Tage lang aushalten. Der Darm des Krebses reicht
vom Leibe bis an das Ende des Schwanzes. Ist er schwarzgefärbt
und gefüllt, so ist der Krebs gut, ist er dagegen w^eiss und leer, so
ist der Krebs verhungert und schädlich zu essen.
9. Ton der Xnsehel.
Concha oder Coclea heisst eine Muschel. ^) Im Deutschen be-
deutet das etwa so viel wie ein Flächliug oder ein Leerling. Mit
abnehmendem Monde werden nemlich ihre Schalen flach oder hohl
und leer. Wenigstens sagt Rabanus, dass alle, in Schalen einge-
schlossenen Meerthiere zunehmen, wenn der Mond wächst imd kleiner
werden, wenn er abnimmt. Auch bemerkt Rabanus, dass diese
Art von Fischen Margariteu, das sind echte Perlen, erzeugen. Die
Meerschnecken haben nemlich die Gewohnheit, Nachts an den Strand
zu gehen, wo sie von dem vom Himmel fallenden Thau geschwängert
werden. Dadurch entstehen dann in ihrem Fleische die Margariteu.
S diu US giebt an, dass die Meerschnecken zu einer bestimmten
Jahreszeit sich begatten und trächtig werden. Sie begehren des
Himmelsthaues grade so, wie eine Frau ihres Geliebten, sperren ihre
Schalen auf und klaffen dem Thau entgegen. Wenn nun die Mond-
feuchtigkeit, das ist nemlich der Thau, in grösster Menge herabfällt,
uehmen sie den begehrten Thau in sich auf uud werden von
ihm befruchtet und schwer. Je nach der Beschaffenheit des Thaues
gestalten sich auch die aus ihm entstehenden Perlen. Ist der Thau
Die Perlmuschel, Meleagrina margaritilera Lam., ist gemeint.
Schatz, Konrad 700 Megenberg's Buch der Natur. 1-4
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klar und rein, so werden die Perlen auch sehr rein und glänzend,
ist er dagegen trübe, so werden die Perlen bleich oder röthlich ge-
färbt. Auf diese Weise zeugen die Muscheln mithin mehr durch
den Hinnnelsthau wie durch das Meerwasser.
10. Vom Meerraben.
Corvi niaris sind die Meerraben.^) Ihren Namen führen sie
von ihrer Stinnne. Isidorus berichtet nemlich, dass sie aus ihrer
Brust einen krächzenden Ton liervorbringen, dem Rabenschrei ähnlich.
Wenn sie sich durch ihre Stimme verrathen, werden sie gefangen.
Der Fisch ist ein Sinnbild der Menschen, die äusserlich schweigen,
als ob sie sehr geduldiger (lemüthsart wären, innerlich aber und in
ihrem Heraen murmeln und <lesshalb oft in die Stricke des Teufels
gerathen.
IL Vom Claaren.
Claurius heisst ein Claur oder auch ülaius.'^) Dieser Fisch
beisst die besetzten Hamen an, schluckt aber die Angel selbst nicht.
Es frisst nur den Köder auf und wird auf diese Art fett. So sind
die Menschen, die zwar äusserlich das unkeusche Wesen fliehen,
damit die künftigen Kinder nicht gegen sie zeugen können, inwendig
aber voll unkeuscher Begierde sind. Sie treiben ihr lästerliches
Wesen mit Küssen, unziemlichen Redensarten und Erzählungen und
beflecken sich lästerlich und süudlich, davon denn weiter nicht zu
reden ist.
12. Tom Delphin.
Delphinus ist ein Fisch, der zu deutsch auch Delphin •'^) heisst.
Er ist aber nicht zu verwechseln mit dem Meerwunder gleichen
Namens, von dem wir vorher schon gesprochen haben. Der Fisch
ist, nach Isidorus, kleiner wie das Meerwunder. Wenn ein Un-
wetter droht, pflegen diese Fische aus dem Wasser herauszuspringen
und umherzuspielen. Daraus merken die Schiffer, dass ein Un-
gewitter im Anzüge ist. Solinus berichtet, dass diese Fische so
^} Cliromis vulgaris C, schwarzer Ral)entisch.
2) Vielleicht verschrieben statt Gianis? Silurus glanis L. ist der ge-
meine AVels.
') Hier ist wohl Phocaena communis C, der Brauntisch, Meerscliwein.
gemeint.
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hurtig spriugen, dass sie oft über die Schififssegel herüberspringen.
Die Fischer versammehi sich und legen eiserne Rechen aus, auf
welche die Delphine aufschlagen. Sie scheuern sich an dem
sandigen Grunde des Meeres an den Bechen, diese drücken sich in
ihr Fleisch ein, und so werden sie dann vom Meer an's Land ge-
worfen.
13. Vom Schiffshalter.
Echinus heisst ein Schiffshalter. ^) Der Fisch ist, nach den
Angaben des Jacobus und Isidorus, einen halben Fuss lang und
so stark, dass er ein Schiff festhalten kann. Es vermag sich dann
nicht mehr zu bewegen, mag es nun vom Winde oder den Wellen
in das Meer hinaus getrieben werden. Wie sehr auch das Wasser
strömt, das Schiff kann weder vor- noch rückwärts, grade als wenn
es am Grunde festsitze und angewurzelt sei, nicht desshalb, weil
das Fischchen es zurückzieht, sondern nur, weil es an dem Schiffe
hängt. Das bestätigen auch Ambrosius, Jacobus Aquensis,
Aristoteles, Isidorus und der grosse Basilius. Nun sagt
Albertus, es gebe für dieses grosse Wunder bei dem kleinen Fisch
keine andere Erklärung als die, dass Gott in seinen Kreaturen seine
Wunderwerke zu erkennen giebt und seine Wunder sehen lässt,
damit die Ketzer zu Schanden werden, die Nichts glauben wollen,
was dem gewohnten Gang der Natur nicht entspricht. Die Schiffs-
halter gehören nach Plinius zu den Krebsen, weil sie auch statt
der Füssc Stacheln haben. Man soll den Fisch nicht essen oder
man isst sich den Tod daran. Er bringt nemlich, wenn er gegessen
wird, den Menschen völlig aus seinem natürlichen Verhalten und
Wesen heraus. Der Schiffshalter hält die Schiffe mitten im Meer
fest, kann sich aber selbst nicht festhalten, sondern muss die Hülfe
eines kleinen Steines in Anspruch nehmen. Damit beweist er
seinerseits wieder den Schiffen eine Wohlthat. Merkt er nemlich,
dass ein Unwetter heranzieht, so umfasst er einen kleinen Stein,
damit ihn die (iewalt der Wogen nicht an's Land spult, und trotz-
fleni kann er, wie eben gesagt, ein grosses Schiff festhalten. Diese
Fische haben ihren Mund mitten am Körper und ihr Leib sieht fast
so aus, als ob er von Glas wäre. In ihrer Gestalt gleichen sie den
Skorpionen. Sie führen auch an Stelle der Zähne starke und
3) Echeueis remora L. Die Besclireil)uug die K. von der äusseren Ge-
stalt des Fisches giebt, ist allerdings falsrh.
14*
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scharfe Stacheln im Munde. Ihre Eier schmecken bitter, es sind
allemal fünf au der Zahl, wie Ambrosius und Aristoteles an^
geben. Ich bitte Dich, mache es wie der Fisch beim Unwetter, uud
wenn Du in Noth kommst, so ergreife einen Stein, das heisst, rufe
einen Heiligen an, der Dich in Deiner Noth beschütze. Ich rathe
Dir aber allermeist zu unserer lieben Frau, die gewährt Deine
Bitte schnell.
14. Tom Hansen.
Esox heisst ein Hausen.^) Dieser Fisch lebt in der Donau,
und der Stör gesellt sich sehr gern zu ihm, um mit ihm zu spielen.
Wenn der Hausen ihn aber bemerkt, so flieht er schleunigst. Der
Stör folgt ihm nach, und da beides grosse Thiere sind, können sie
sich in dem Fluss nicht verbergen. Wenn sie sich dann so jagen
und das Wasser vor sich her treiben, fiiugt man sie oft beide mit
einander. Wenn man den gefangenen Hausen mit recht starkem
Wein oder mit Milch bis zur Betrunkenheit füttert, lebt er \ie\e
Tage lang. Er trinkt aber wohl vier Sechstel Wein, ehe er be-
trunken wird, also vier recht grosse Krüge voll. Er hat nur einen
Darm und im Leibe nur wenig kleine Knochen. Diese Knochen
sind weich wie Knorpel, im Kopf dagegen hat er viele und harte
Knochen. Der Hausen ist das Ebenbild der 3Ienschen, die gar
gerne wollen und grosse Vorsätze zur Tugend fassen, im Voll-
bringen aber unkräftig sich zeigen.
15. Vom Oran.
Granus heisst ein Gran. 2) Das ist ein Seefisch, wie Aristoteles
sagt. Der Fisch hat, im Gegensatz zu allen anderen Thieren, eiu
Auge oben auf dem Kopf. Mit dem Auge sieht er immerfort über
sich und hütet sich vor Schaden. Dieser Fisch gleicht einem jeden
Beobachter der Natur, der Tag und Nacht alle Dinge im Spiegel
seiner Vernunft betrachtet und Gott in seinen Werken und in der
Kreatur Gottes Güte erkennt. Der kann wohl von sich selber
sagen: Meine Augen sehen allezeit auf den Herrn, das heisst: auf
Gott sollen unsere Augen sehen ohne Unterlass, denn er zieht
unsere Füsse aus den Stricken des ewigen Todes.
^) Acipenser Huso L
2) Uranoscopus scaber L., Sternseher?
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16. Von der Meersehwalbe.
Hirundo maris heisst eine Meersehwalbe. ^) Das ist, wie
Plinius sagt, ein Meerfisch, der einer Schwalbe sehr ähnlich sieht.
Dieser Fisch besitzt allein eine Eigenschaft, die allen anderen Fischen
abgeht, ausgenommen dem Seefisch Luligo 2) und noch einem anderen
Meerfisch. Die Meerschwalbe lebt nemlich bei den Fischen im
Wasser und besitzt ausserdem Flügel, mit denen sie in den Lüften
fliegt. Diesem Fische gleichen die Menschen, die zeitweilig ein
weltliches Amt haben und mit weltlichen Dingen sich befassen, dann
aber sich besinnen und des ewigen Lebens gedenken, zum göttlichen
Leben sich bekehren und recht gut werden.
17. Vom Kalos.
Kalaos heisst ein Kalos. ^) Das ist ein Meei'fisch von mancherlei
Gestalt und Art, wie Aristoteles sagt. Dieser Fisch unterscheidet
sieh von allen anderen Fischen dadurch, dass er kein Regeuwasser
vertragt, das doch allen anderen Fischen gut und heilsam ist, weil
sie davon kraftig und fett werden. Der Kalos aber wird vom
Regenwasser blind, kann dann seine Nahrung nicht mehr finden
und muss Hungers sterben. Wie dieser Fisch sind die Menschen,
die Gottes Wort nicht hören wollen, damit es ihnen nütze an Leib
und Seele.
18. Vom Hecht.
Lucius heisst ein Hecht.*) Dieser Fisch heisst, wie das Buch
von den natürlichen Dingen sagt, auch Wasserwolf. Er frisst andere
Fische, und wenn er sieht, dass ein anderer Fisch, sei er auch fast
80 gross wie er selbst, einen Frosch im Maul hat, so frisst er den
auch. Er verschlingt zunächst den Kopf. Hat er den verdaut, so
frisst er ein w^eiteres Theil, immer ein Stück nach dem andern, bis
er ihn ganz veraehrt hat. Er frisst auch andere Hechte, so grausam
und raubgierig ist er. Er verschont sogar seine eigene junge Brut
nicht. Dem Hecht gleichen alle Wütheriche, die die armen Leuten
fressen und ihre eigenen Verwandten und Freunde verderben.
*) Dactylopterus volitans L. Flughahn.
') Unbestimmbar, die heute Lollgo genannte Thierspecles kann es
nicht sein.
3) == Galeos, eine Haiart?
■*) Esox lucius L.
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19. Von der Murine.
Mureua heisst eine Muräne.') Unter diesen Fischen giebt es,
nach Isidorus, keine männlichen Individuen, es sind alles nur
Weibchen, die von den Schlangen befruchtet werden, ßasilius
berichtet darüber, dass die Schlangen die Muränen mit leisem
Zischen aus dem Wasser hervorlocken und sich dann mit ihnen
begatten. Desshalb locken auch die Fischer sie mit leisem Zischen
aus dem Wasser und fangen sie auf diese Weise. Ämbrosius
sagt, wenn eine Schlange mit einer Muräne sich begatten wolle,
so entledige sie sich vorher allen Giftes. Albertus bemerkt, mau
ersehe daraus, wie sanftmüthig und zuvorkommend der Mann seiner
Frau gegenüber sein solle, da Mann und Weib Eins werden in dem
Kinde, das von ihnen beiden gezeugt wird. Alexander erwähnt,
die Muräne habe ihre Seele im Schwänze, weil sie weiterlebe, wenn
man ihr auch den Kopf zerschlägt, aber sofort sterbe, wenn ihr der
Schwanz abgehauen wird. Der Biss der Muräne ist giftig, pulverisirt
man aber den Kopf der Muräne, so ist dies Pulver ein Gegenmittel
gegen den Biss des Fisches.
30. Tom Megar.
Megarus heisst ein Megar. -) Es ist, wie es im Buche von den
natürlichen Dingen heisst, ein Meerfisch, zwei Hände lang. Da,
wo man ihn fängt, wird er verachtet, salzt man ihn aber ein und
bringt ihn in fremde Länder, so gewinnt er dort, wegen seines
Salzgehaltes, einen gewissen Werth. Jedoch ist er frisch besser zu
essen, wie gesalzen. Der Fisch ist ein Sinnbild Derjenigen, die in
ihrem Vaterlande verachtet werden, — denn, wie Christus spricht,
Niemand ist ein genehmer Prophet in seines Vaters Land, — die
aber in fremden Landen gar werth gehalten w^erden und sich grosser
Würden und Ehren erfreuen. Solinus giebt an, dass die Megäre
mit den Muscheln zusammen Nachts an's Ufer kommen, dort
Himmelsthau trinken und mit Margariten oder echten Perlen
schwanger werden.**) Die Muscheln trinken den Thau zur Zeit der
Frühmesse, desshalb sind auch ihre Perlen feiner und schöner. Der
um die Frühmesse gesammelte Thau ist nemlich reiner, wie der
in der Nacht aufgefangene, und je mehr Thau die Muschel in sich
*) Muraena helena L.
') Nicht bestimmbar.
3) Bei Solinus konnte ich dariiber Nichts finden.
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aufnimmt, um so kostbarer und grösser werden die Perlen. Wenn
die geöffneten Muscheln ein Blitz vom Himmel überrascht, so
schliessen sie sich und schwimmen in einer Schaar miteinander, die
klügste schwimmt voraus und führt die anderen.
31. Vom Eelnflseh.
NuUus heisst ein Keinfisch.^) Er fuhrt seinen Namen daher,
weil er, wie Isidorus sagt, weichlich ist und sehr schlecht zu essen.
Er macht die Leute unlustig und die Augen trübe, und die Menschen
welche den Fisch häufig geniessen, verbreiten einen sehr üblen
Geruch. Wer den Wein trinkt, in dem der Fisch getödtet ist, dem
wird der Wein zuwider, wie Rabanus sagt. Diesem Fisch gleichen
für mich die Menschen, die weder sich selbst noch der Welt etwas
nützen und auch vor Gott nicht angenehm sind.
82. Von der luster.
Ostrea heisst eine Auster. 2) Es ist ein Meerfisch und gehört
zum Geschlechte der Muscheln, die wir vorher abgehandelt haben.
So giebt Pliuius au. Das Fleisch dieser Muscheln frisst der Krebs
sehr gern. Wenn nun bei schönem Wetter die Muscheln ihre
Schalen öffnen, so werfen die Krebse Steinchen zwischen die
Schalen, damit sie sie nicht wieder schliessen können, und fressen
dann das Fleisch der Muschelthiere. Die Schalen der Muscheln
sind weiss und rund, und die Pilger tragen sie an ihren Hüten. Das
Fleisch, mit Oel und Zwiebel geröstet, ist eine vortreffliche
Fastenspeise.
23. Vom Meersehwein.
Porcus marinus heisst ein Meerschwein'^) und ist ein essbarer
Fisch. Er hat fast ganz die Gestalt eines wirklichen Schweines.
Seine Zunge ist, wie beim gewöhnlichen Schwein, lose, es fehlt ihm
aber die Stimme, die das Schwein besitzt. Auf dem Rücken hat
er Stacheln, in denen Gift ist. Die Galle der Fische ist aber ein
Gegenmittel gegen das Gift. Die Meerschweine leiden viel Angst
und Noth, wie Plinius berichtet, sie suchen ihre Nahrung am
Grunde des Meeres und wühlen, wie die richtigen Schweine, in der
Erde, An der Kehle haben sie einen Rüssel.
*) Nicht bestimmbar.
') Ostrea edulis L.
3) Thynnus vulgaris C, Thunfisch, der nach Plinius von Sclunarotzer-
krebsen viel heimgesucht wird?
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24. Vom Stör.
Sturio heisst ein Stör.^) Er ist ein grosser Fisch, lebt im
fliessenden Wasser und frisst nur sehr wenig. Er lebt hauptsächlich
von der reinen und klaren Luft, desshalb hat er auch nur einen
kleinen Magen. Er besitzt Eingeweide, seiner Grösse entsprechend
ist aber auch dies nur sehr gering entwickelt. Seine Leber ist
gross und so süss von Geschmack, dass man sie kaum essen kann,
ohne übel danach zu werden. Die Köche reiben desshalb die Leber
mit der Galle des Störs ein, damit sie ihre überschüssige Süssigkeit
verliert. Der Stör hat keinen Mund, denn der Theil, wo andere
Thiere ihren Mund haben, ist bei ihm geschlossen. Jedoch hat er
unter der Kehle ein kleines Loch, dass er nach Gefallen öfl^net
Bei Südwind wird er fett uud schwimmt oben im Wasser, bei
Nordwind dagegen hält er sich am Grunde auf. In Milch kann er
lange ohne Wasser leben.
35. Vom Angelfresser.
Scolopendra mag ein Angelfresser 2) heissen. Wie nemlich bei
Plinius angegeben ist, gleichen diese Fische den Ijandthieren, die
auf lateinisch Centipedes, zu deutsch Hundertfüsse genannt werden.
Sie besitzen die Eigenart, dass sie die Angel, mit denen man sie
fangen will, verschlucken und nachdem alles, was sie gefressen
haben, aus dem Halse ausspeien, bis sie den Hamen mit ausgeworfen
haben. Danach verschlingen sie die ausgespieene Nahrung von
Neuem. Diesem Fische gleichen die Leute, die aus sich selber
wissen, dass ihnen die weltlichen Reichthümer an Leib und Seele
Schaden bringen. Desshalb geben sie die Welt auf und treten in
einen Orden ein. Sind sie dann eine Zeit lang im Orden gewesen,
und genügt ihnen das gewohnte Leben im Orden nicht mehr, so
sammeln sie wieder eigenes Gut und werden im Kloster schlimmer,
wie sie in der Welt waren. Sie sind wie die Hunde, die ihr Futter
ausspeien und nachher wieder verschlingen. Der Angelfresser
pflegt sich im tiefen Wasser aufzuhalten und flieht den Glanz und
die Hitze der Sonne. Auch den Hagel scheut er, denn beide, Sonne
und Hagel, schaden seiner Farbe. Legt man die Fische in Essig,
so lösen sie sich gewissermassen auf und werden ganz weich. Diese
^) Acipenser sturio L.
-) Nereis pelagica L., gemeine Nereide? Die Angabe am Schlüsse,
dass dieses Tliier Schalen liahen soll, ist ganz imldar.
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Pische werden auch Einer genannt, weil man nie zwei, und über-
haupt mehr wie einen, in einer Schale findet. In der Schale des
Thieres findet man einen Stein, der zerrieben und sorgfältig zu-
bereitet, gut gegen Magenschwäche ist. Der Stein besitzt die Kraft,
zwischen den Menschen Friede und Einigkeit hervorzurufen und
macht Den, der ihn trägt, keusch.
26. Vom Meermaulwarf.
Salpa hat das eine Buch, das andere Talpa,^) was richtiger
ist. Plinius sagt, es sei ein schlechter, stinkender Fisch, der nicht
gekocht werden kann, wenn man ihn nicht vorher mit einem Bleuel-
holz oder Stock klopft, wie man es mit dem dürren Stockfisch
macht. Er wird Meermaulwurf genannt. Diesem Fische gleichen
die Sünder, die bei Lebzeiten so böse sind, dass sie weder durch
das Feuer noch die Liebe des heiligen Geistes geläutert werden
können, dem Willen Gottes eine geziemende Speise zu werden, sie
werden denn vorher mit Krankheit geschlagen und durch Leiden
gestraft.
37. Von der Meerschnecke.
Testudo heisst eine Schnecke. 2) Isidorus sagt nemlich, dass
sie nur mit einer Schale bedeckt sei, wie wenn sie in einem Häuschen
sässe, und Testa im Lateinischen heisst deutsch eine Schale, woher
das Wort Testudo stammt. Es giebt vier Arten von Schnecken.
Die erste sind die Landschnecken, die auf dem festen Lande wohnen,
in den Gärten und Wäldern. Die zweite sind die Meerschnecken,
die im Meere wohnen und von von denen wir vorher gesprochen
haben. Die dritte Art sind die üferschneckeu, die am Ufer und
am Gestade liegen, in der fauligen Erde wie auch in den Pfuhlen
und Lachen, in denen sich faule Erde findet. Die vierte Art bilden
die Bachschnecken, die in Bächen und süssen Wassern hausen.
Einige behaupten (aber es ist nicht glaubhaft), dass die Schiffe
langsamer fahren, wenn die Schnecken an ihrer rechten Seite sitzen.
38. Tom Tribian.
Trebius heisst ein Tribian.^) Es ist ein schwarzer, fusslanger
Fisch. Plinius berichtet, wenn man ein Stück von ihm in Salz
>) Box salpa?
2) Hier ist offenbar nicht von der Schildkröte (Testudo) sondern den
verschiedenen Land- und Wasserschuecken die Rede.
') Nicht bestimmbar.
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lege und darin aufhebe, und ein Stück Gold in einen tiefen Brunnen
gefallen sei, so ziehe das Stück Fisch das Gold aus dem Brunnen
wieder heraus, wenn man es hiueiuhalte.
29. Von der Meerschlange.
Vipera marina heisst eine Meerschlange. Es ist ein ziemlich
kleiner Seefisch,^) wenig länger wie eine Elle. Ueber den Augen
trägt er am Kopfe ein spitziges Hörn, klein und todtbringend giftig.
Ein Mensch, der von dem Fische mit dem Hörn verwundet wird,
ist dadurch tödtlich vergiftet, und die Fischer hüten sich davor.
Denn wenn sie den Fisch gefangen haben, so köpfen sie ihn. Den
Rumpf benutzt man aber, denn er giebt eine sehr gute Speise.
*) Trachinus draco L., Petermänuchen ?
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III.
E. Yon den Schlangen,
zunftelist im Allgemeinen.
Wir wollen nun von den Schlangen .sprechen und zwar zunächst
von den Schlangen im Allgemeinen. Aristoteles sagt, der Schlangen
Zunge sei; leicht beweglich, lang, schwarz, gespalten und reiche
ilesshalb weit aus dem Maule hervor. Das Herz liegt bei den
Schlangen* sehr nahe am Halse und hat die Gestalt einer Niere.
Die grossen Schlangen haben ihr (üft in der Leber, die kleinen
dagegen im Eingeweide. Blendet man eine Schlange, so wird sie
doch wieder sehend. Schlägt man ihr den Schwanz ab, so wächst
er wieder, grade wie bei den Eidechsen. Die Schlange hat dreissig
Rippen. Bei der Begattung nähern sich die Schlangen einander so,
daas man glauben könnte, es sei nur ein Leib mit zwei Köpfen
vorhanden. Jede Schlange, frisst ohne Unterschied Kräuter und
auch Fleisch. Die Schlangen trinken wenig, sind aber auf Wein
sehr begierig. Desshalb locken und zähmen sie die Schlangen-
bäudiger mit Wein. Hat die Schlange einen Menschen durch ihren
Stich getödtet, so nimmt die Erde sie nicht mehr auf und ist ihres
Bleibens nicht ferner: sie muss ihre Sünde büssen, denn sie stirbt
selbst bald nachher, wie Plinius sagt. Die Schlange kann nie
mehr wie nur ein anderes Geschöpf tödten, nur einmal und nicht
wieder, zum Unterschied vom Salamander, der mehr wie eins tödten
kann. Plinius sagt, das Gift sei weiter nichts, wie die, in der
Galle vorhandene Feuchtigkeit der Schlangen. Von der Galle aus
geht diese Feuchtigkeit unter dem Rücken her durch die Gefässe
zum Munde und dem Schwänze oder Schweif, wie man es auch
bei den Skorpionen findet. Die Schlangen im Lande Syrien
schädigen Niemand und w^erdeu desshalb auch von den dortigen
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Einwohnern nicht erschlagen. Auch berichtet Aristoteles, im
Lande Lacedonia sei ein Berg, auf dem kein Skorpion den Fremden
^twas thue, die eingeborenen Leute aber schädigen sie. Die
Schlangen sind von Natur hitzig und schaden desshalb wenig oder
gar nicht, wenn sie kalt werden. Bei Nacht sind sie weniger
schädlich, wie am Tage, da sie Nachts vom Thau kalt werden.
Wer durch Schlangengift stirbt, erstarrt zuerst, wirkt aber das Gift
erhitzend ein, so tödtet es den Menschen durch Austrocknen und
Ausdörren. Doch sagt man, das Gift schade dem Menschen nicht,
wenn es nicht in's Blut komme. Es wird auch behauptet, dass die
Schlangen sich vor einem nackten Menschen fürchten, ihn fliehen,
und nicht wagen, ihn zu beschädigen. Ambrosius sagt, der
Speichel eines nüchternen Menschen sei für die Schlangen tödtlich,
denn wenn eine Schlange solchen Speichel auch nur ein wenig be-
rühre, sterbe sie sofort. Eia, Mensch, nun sieh, wie grosse Kraft
das Fasten hat, dass der nüchterne Speichel eine irdische Schlange
zu tödten vermag! Traun, so ist es billig, dass das Fasten auch
gegen die geistlichen Schlaugen, das heisst gegen die bösen Geister,
hülfreich sei. Das Gift, welches von den Schlangen herrührt, ist
ebenso verschiedener Art, wie die Schlangen selbst Es sind eben-
soviel böse Eigenschaften an ihnen bemerkbar, wie es verschiedene
Arten giebt. So bunt gefärbt sie sind, so viel Schmerzen machen
sie den Menschen. Die Milz der Schlangen ist klein und ruud.
Die Schlange birgt ihren Kopf, indem sie den ganzen Leib darum
windet und greift so ihren Feind an. Wenn sie nemlich den Kopf
beschirmt, so bleibt sie lebendig, wenn auch der übrige Theil des
Körpers zu Grunde geht. Will sie in's Wasser gehen, so entledigt
die Schlange sich vorher ihres Giftes. Kommt sie aus dem Wasser
wieder heraus, so nimmt sie das Gift wieder auf, und wenn sie es
nicht finden kann, so schlägt sie den Kopf so oft gegen die Erde,
bis sie vor Leid stirbt. Die Schlange flieht jeden guten Geruch
und stirbt oft davon. Man sagt auch, aus dem Mark des Menschen
entständen Schlangen, besonders aus dem Rückenmark. Rabanus
giebt an, das lateinische Wort für Gift bedeute so viel wie ein
Aderstoff, weil das Gift in die Aderu eindringt Ader heisst aber
lateinisch Vena, daher rührt denn das lateinische Wort Veneuum,
das heisst Gift. Wir haben ja schon vorher gesehen, dass das Gift
unschädlich ist, wenn es nicht mit dem Blut in Berührung kommt
Alles Gift ist von Natur kalt, desshalb flieht das Leben vor dem
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Gift, weil die Lebenskraft auf Feuchtigkeit und Wärme beruhte
Aristoteles sagt, es sei eine besondere Eigenschaft der Schlangen,,
dass sie den Kopf ohne den übrigen Körper bewegen können.
Rabanus berichtet, dass die Schlaugen schlecht sehen können und
desshalb selten bemerken, was ihnen schädlich ist. Die Schlangen
haben nemlich ihre Augen nicht an der Stirn, sondern an den
Schläfen und hören desshalb eher, ehe sie einen Gegenstand sehen.
Alexander sagt, die Schlange beseitige ihre Blindheit durch das
Verzehren von Fenchel. Wenn sie also bemerkt, dass ihre Augen
schwach werden, so kann sie sich selbst behandeln mit Hülfe einer
Wissenschaft, die sie nicht betrügt. Aristoteles sagt, kein anderes-
Thier vermöge seine Zunge so schnell zu bewegen, wie die Schlange.
Sie bewegt ihre Zunge so rasch, dass man glauben könnte, sie
habe drei Zungen, und hat doch nur eine. Augustinus lehrt;
Das Gift ist des Menschen Tod und der Schlaugen Leben.
1. Von der Aspissclilange.
Aspis heisst eine Aspisschlange^). Sie ist wachsfarbig oder
gelb. Beim Beissen lässt sie ihr Gift austreten und vergiftet so
durch ihren Biss. Daher rührt ihr Name, denn Aspis im Griechischen
heisst soviel wie Gift. Der Gelehrte Jakobus berichtet, durch die
Kraft bestimmter Worte werde die Schlange so wehrlos gemacht,
dass sie mit ihrem Gift keinen Schaden stiften könne. Man redet
sie desshalb mit diesen Worten an, um sie desto sicherer fangen
und aus ihrer Stirn einen Edelstein entnehmen zu können, der von
Natur sich dort bildet. Die Schlange besitzt aber gegen dieses
Ansprechen eine eigenthümliche List; sie drückt das eine Ohr gegen
den Erdboden und verstopft das andere mit dem Schwanz, um so
die Stimme dessen, der sie anredet, nicht hören zu können. Lucanus
nennt die Schlange eine Schlafbringerin, denn wer von ihr ver-
Avundet wird, schläft bis in den Tod. Solinus giebt an, dass die
Aspisschlange ihr ganzes Leben lang nur mit einer und derselben
Schlange ihrer Art gesellt bleibt. Tödtet jemand ihr den Gatten,.
80 schleicht sie dem Mörder ohne Unterlass nach, um ihr Lieb zu
rächen. Und wo sie ihn findet, sei es auch unter vielem Volk, zu
Wasser oder zu Laude, tödtet sie den Mörder ihres Liebs, und es
entgeht ihr keiner. Wie ein Forscher angiebt, schadet die Aspis-
^) Naja haje Merr.
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schlänge den EingeboreueQ von Afrika, wie auch denen von Syrien,
nicht. Desshalb legen die Leute dort ihre kleinen Kinder vor die
Schlangen hin. Beisst die Schlange das Kind, so nehmen sie an,
es sei nicht ihr eigenes, sondeni ein Bankert. Verschont aber die
Schlange das Kind, so ziehen sie es als ihr eigenes auf.
2. Von der Ansibe.
Ansibena oder Aniphisibena heisst eine Ansibe^). Diese
Schlange hat zwei Köpfe, einen an der richtigen Stolle und den
anderen hinten am Schwanz. Mit Hülfe dieses zweiten Kopfes
kann die Schlange im Kreise und vor- und rückwärts kriechen.
Solinus nennt rliese Schlange in seinem Buche: Amphis, was im
(iriechischen so viel wie ein Zweifel bedeutet. Es ist nernlich
immer zweifelhaft, mit welchem Kopf die Schlange vorwärts gehen
wird. Aristoteles dagegen spricht von Schlangen mit zwei Köpfen,
die im Orient leben und sagt, die zwei Köpfe rührten von einem
Naturfehler her, der diese Schlangen schon im Mutturleibe oder bei
der Oeburt treffe. Diese Schlangen haben zwei Köpfe und einen
Leib, und beide Köpfe fressen für den einen Leib. Sie wenden
sich auch mit beiden Köpfen gegen ihren Feind. Der Gelehrte
Jorach erzählt, die Aniphisibena sei beim Brüten so wachsam,
dass inmier der eine Kopf schlafe und der andere wache.
3. Von der Unke.
Basiliscus heisst eine Unke'-^). Sie ist, nach Jacobus, der
König aller Schlangen. Basiliscus im (rriechischen heisst nenilich
auf deutsch ein kleiner König. Die Unke ist ein ganz besonderes
Uebel auf Erden. Sie wird einen halben Fuss lang und ist auf dem
Kopfe weiss gefleckt, grade als ob sie mit einer Krone geziert sei.
Alle anderen Schlangen fliehen vor der Unke und fürchten sie,
denn sie tödtet sie nur durch ihren Hauch. Die Menschen dagegen
tödtet sie allein durch ihren giftigen Blick. Jacobus sagt,
wenn der Basilisk den Menschen zuerst ansehe, so müsse er
M AiuphisbaeDa ist der lieutige Gattungsname der sogenannten
Doppelschleiche.
^) Der erste Theil der Beschreibung des Basilisken (Unke) erinnert sehr an
die gemeine Ringelnatter, Unke, Tropidonotus natrix Boie, deren l)eiderseits
hinter den Schläfen betindlicher weisser oder gelber Mondfleck im Volke
Krone genannt wird.
Google
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sterben, erblicke aber dieser die Unke zuerst, so sei sie dem Tode
verfallen. Kein Vogel kann ohne Schaden in der Nähe einer Unke
verweilen. Denn wo die Unke haust, vergiftet sie die Luft weit
umher, verdirbt die Kräuter und vergiftet und verwüstet die Bäume.
Auch die jungen Schösslinge ruinirt sie und vergiftet die Luft der-
massen, dass kein Vogel ohne Schaden hindurchfliegen kann.
Harte Steine zerbricht sie einfach durch den Atheni, der aus ihrem
Halse komnit. Beim Vorwärtsbewegen hebt sie sich mit dem
mittleren Thejl des Leibes allein, macht dort einen Buckel und
verschlingt so alles, was sie mit ihrem Biss erreichen kann. Davor
fliehen alle Thiere und alles Geflügel. Das Zischen der Unke
fürchten alle anderen Schlangen, denn sie tödtet andere Thiere mit
ihrem Gezisch. Das Wiesel aber meistert sie, und kluge Leute
lassen desshalb Wiesel in die von der Unke bewohnten Höhlen
hinein. Wenn die Unke todt ist, sterben auch die Wiesel,, wie
Pliuius sagt. Aber auch der tod:e Basilisk hat noch seine Kraft,
denn wo man die aus einer Unke gebrannte Asche hinklebt, kann
keine Spinne ihr Netz bauen, kein giftiges Thier aushalten, und die
Vögel können einen solchen Ort nicht besudeln. Das ist richtig:
Wo im Hause sich ein Stück von einem Basilisken befindet, kann
kein giftiges Thier hinkommen. Es wird auch erzählt, die aus der
Unke gebrannte Asche besitze die Fähigkeit, mit ihr eingeriebenem
und gebeiztem Silber eine goldige Färbung zu verleihen. Eine Art
<ler Basilisken kann fliegen, verlässt aber ihr Geburtsland nicht.
Eine Art für sich bilden die Unken, die aus dem Ei entstehen,
welches von einem 9 Jahre alten Hahn gelegt wird, wie die alten
Weisen berichten. Ich habe auch einen guten Freund, der mit
eigenen Augen sah, wie ein gelehrter Mann einen Basilisken aus
reinen Eidottern verfertigte, die er in einer Kammer in einem
Becken hinstellte. Als er ihn bis zur Grösse eines kleinen Hühnchens
aufgezogen hatte, liess er von oben in das Glas, in dem er den
Basilisken hielt. Spinnen und Rautenkraut hinein, wovon das Thier
starb. Dann pulverisirte er es und machte nachher mit dem Pulver,
was er wollte.
4. Von der Boa.
Boa ist eine Schlange, welche nach Solin us Angabe im Lande
Calabria lebt. ^) Diese Schlange erreicht eine unmässige Grösse
^) Python bivittatus Kiihl., zweistreifige Riesenschlange?
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und zwar auf folgende Weise: Zunächst schädigt sie die wilden wie
auch die zahmen Rinder dadurch, dass sie sich au die Euter stark
milchender Kühe legt und ohne Unterlass die fette Milch aussaugt.
Das treibt sie so lange, bis ihre Kraft derartig geworden ist, dass
ihrer Gewalt keine andere Kraft und Stärke zu widerstehen vermag.
Schliesslich verödet sie dann ein ganzes Land und macht es wüste
von Menschen und Früchten. Darüber schreibt Hieronymus und
berichtet, dass der heilige Herr Hylarion einmal von Leuteu ge-
beten sei, das Unthier in ihrem Lande zu tödten. Das that er und
gebot der Schlange, oben auf einen Holzhaufen zu steigen. Die
Schlange gehorchte, bezwungen von der Kraft Gottes. Danu legte
er Feuer an den Holzhaufeu und verbrannte das grausame Thier.
Plinius berichtet von diesem Thier, dass es so gross werde, dass
es Hirsche und Rinder verschlingen könne, und dasselbe sagt auch
die Schrift der heiligen Väter. Einige erzählen auch, die Schlange,
die vor Zeiten der Rönierherzog Regulus erlegte, sei eine Boa ge-
wesen. So steht es in der Geschichte und Chronik der Römer
geschrieben, das heisst in der Schrift, die von den Ereignissen iu
den verschiedenen Zeiten und Ländern berichtet. Regulus erlegte
die Schlange im Lande Afrika, sie war hundert und zwanzig Fuss
lang. Man zog ihr die Haut ab und brachte sie nach Rom zur
öffentlichen Schaustellung, wo sie denn alle Leute besahen. Die
Kinnbacken des Thieres hingen die Römer zu einem Wunderzeichen
auf. Plinius schreibt über diese Schlange, mau müsse sie mit
Armbrüsten und anderen schweren Waffen angreifen wie eine
Festung, wenn man sie fangen wolle.
5. Von der Ber.
Berus heisst ein Ber.^) Wie ein Naturforscher angiebt, ist
es die hinterlistigste von allen Schlangen und klüger wie keine
andere. Diese Schlange lockt mit ihrem Zischen den Fisch Murena
aus dem Wasser an das Gestade und spielt dann mit ihm, um ihn
zur Begattung zu reizen. Die Muraene ist leicht zu beeinflussen
und lässt sich leicht zur Begattung reizen. Das bringt ihr dann
oft den Tod, denn die Fischer lauern der Muraene auf, erwischen
sie, ehe sie wieder ins Wasser gegangen ist und, tödten sie. Se
Tropidoaotns natrix L., Ringelnatter?
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muss sie ihrer Schuld wegen den Tod erleiden. Wie die Muraene
sind die Frauen, die sich aus ihren Häusern mit Schalmeien,
Fidehi und anderem Treiben herauslocken lassen. Haben sie ihröm
Leichtsinn nachgegeben, so tödtet sie der böse Geist an ihrer Seele
6. Von der Ceraste.
Cerastes heisst eine Ceraste. ^) Das ist eine Schlange mi
neun oder acht Hörnern auf dem Kopfe, die denen des Widders
gleichen. Diese Schlange pflegt sich völlig unter der Erde zu ver-
stecken, bis auf die Hörner. Diese lässt sie aus der Erde hervor-
ragen. Setzen sich dann Sperlinge oder andere Vögel auf die
Hörner, um auszuruhen, so ergreift und verschlingt sie die Schlange.
Diese Schlange kann sich leichter biegen, wie die anderes, und
weil ihr Alles fehlt, was sie irgendwo unbeweglich machen könnte,
vermag sie auch besser zu schlingen, wie die anderen Schlangen.
Setzt man das Hom einer solchen Schlange auf reicher Leute
Tisch, so schwitzt es, wenn eine vergiftete Speise auf dem Tische
steht. Man macht auch Messerhefte aus den Hörnern. In früherer
Zeit legte man zuerst diese Messer auf die Tafel der Kaiser, um
aus ihrem Schwitzen zu ersehen, ob auch keine Speise oder Getränk
vergiftet sei.
7. Von der CUider.
Cilydros heisst ein Cilider.^) Isidorus sagt, diese Schlange
lebe sowohl auf dem Lande wie auch im Wasser und habe daher
ihren Namen. Cilydros heisst im Griechischen soviel wie: Erd-
wasser. Im Griechischen bedeutet nemlich Citren Erde und Hydros
Wasser. Aus diesen zwei Worten ist dann der Gesammtname
Cilydros gebildet. Wo diese Schlange auf der Erde sich bewegt,
fangt der Boden an zu rauchen. Sie geht immer aufrecht, denn
wenn sie beim schnellen Vorwärtsbewegen irgendwo anstiesse, würde
sie sich auseinanderspalten.
8. Von der Cenker.
Cencris heisst eine Cenker.^) Die Schlange ist unfähig, sich
zu biegen, da sie so starr ist, dass sie keine Biegung ausführen
^) Cerastes cornutus Wagl., Homviper, ist gemeint.
^ Statt Coluber, dem alten üniversalnamen für die verschiedenen
Schlangenarten ?
5) Unbestimmbar.
Scholz, Konrad vod Megenberg'a Buch der Natar. 15
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kann, wie Isidorus angiebt. Sie geht in Folge dessen immer
grade aus und irrt nie vom graden Wege ab. Darum sagt Lueanus^
Die Cenker kriecht immer auf dem graden Wege. Centipeda aber
heisst ein Hundertfuss, desshalb, weil diese Schlange nach Isidorus
sehr viele Füsse hat.^)
9. Von der Dtspe.
Dipsas heisst eine Dispe.^) Diese Schlange bewegt sich, nach
des Jacob US und Solin us Bericht, so geschwind, dass sie die
Leute ungesehen sticht, und wenn man auf sie tritt, sieht man sie
nicht. Diese Schlange tödtet durch Durst Wie Solinus angiebt
bläht ihr Gift den Menschen auf, lässt ihn anschwollen und tödtet
ihn auf diese Weise. Diesem Gifte gleicht die Hoffart, denn die
bläht auch auf. Ein Naturforscher behauptet, dass die Schlange
die Menschen so umbringe, dass dem Antlitz des Todten der traurige
Ausdruck gänzlich fehle, den mau sonst in der Regel an den Ge-
sichtszügen einer I^eiche wahrnimmt, und der ihnen den weinerlichen
und trübseligen Character giebt. So schnell tritt bei den, durch diese
Schlange vergifteten Menschen der Tod ein. Ebenso verhält es
sich bei den Hoffärtigen, die auch nur selten oder auch wohl nie
um ihrer Schuld willen ein trauriges oder betrübtes Gesicht zeigen.
Grade so ist es bei dem bösen Geist der Fall, der lediglich seiner
Hoffart wegen gefallen ist und niemals Gott um Vergebung seiner
Sünden gebeten hat, sich auch nie seiner Sünde schuldig bekennt
Jacobus sagt, es seien dreierlei Schlangenarten gewesen, die za
Moses Zeiten das gläubige Volk in der Wüste gepeinigt hätten, und
gegen die Moses nach Gottes Gebot eine eherne Schlange auf einer
Stange aufrichtete. Die eherne oder bronzene Schlange half g^n
die drei verschiedenen lebendigen Schlangen. Die erste Art waren
die Dispen, die andere die Durstschlangen und die dritte die
Skorpione.
10. Vom Drachen.
Draco ist eins der grössten Thiere in der Welt, wie Jacobus
und Augustinus lehren. Dies Thier hat kein Gift Auf dem
Kopfe hat es eine, der Grösse seines Körpers entsprechende Krone,
^) Eine Skolopenderart?
') Unbestimmbar.
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grade wie wenn es einen grossen Kamm trüge. Sein Schlund ist
eng und die Halsgefässe sind klein. Beim Gehen streckt es die
Zunge aus dem Maule hervor. Es reisst das Maul weit auf und
giebt knurrende Töne von sich, schadet aber mit seinen Zähneu
nicht viel. Jedoch ist sein Biss schädlich, obwohl er nur gering-
fügig ist, wie ein Forscher behauptet. Der Hauptschaden kommt
nicht von den Zähnen als solchen, er rührt vielmehr daher, dass
der Drache giftige Dinge frisst Wen der Drache mit seinem
Schweife umschlingt, der muss sterben, davor ist selbst der grosse
Elephant nicht sicher. Im Frühjahr leidet der Drache an Unver-
daulichkeit und erbricht sich. Dies Uebel beseitigt er durch Lattich-
saft, wie Plinius erzählt Der Drache haust meist in hohlen
Bergen und besonders zwischen Steinklippen. Er thut dies wegen
der überschüssigen Wärme seines Körpers und seiner Constitution.
Besonders gern sucht er solche Orte auf, wenn er geflogen hat,
aber auch wegen der grossen Hitze, die die Sonne im Sommer aus-
strahlt. In den Ländern nach Sonnenaufgang, wo der Drache lebt,
ist es nemlich sehr heiss. Seine Stimme und sein Geschrei erschrecken
die Menschen. Sein Anblick ist so furchtbar, dass Menschen ihn
nicht ertragen können und sogar zuweilen davon sterben. Wenn
der Drache ausgewachsen ist, lebt er, nach Aristoteles, lange ohne
zu essen, und wenn er einmal isst, so wird er nicht leicht satt.
Augustinus sagt, der Drache hause gern in den tiefen Abgründen
der Erde. Wenn er dann merkt, dass ein Unwetter im Anzüge ist,
kommt er hervor und fliegt hoch in die Luft hinauf. Mit seinen
grossen Flügeln theilt er die Luft und treibt sie hin und her. Seine
Flügel sind häutig. Die Haut ist ausgespannt, wie bei den Fleder-
mäusen, natürlich im Verhältniss zu ihrer Grösse, denn die Flügel
d^B Drachen sind, entsprechend seiner Körpergrösse^ sehr gross.
Wo er haust, verunreinigt er die Luft mit dem Athem, der au^
seinem Halse kommt. Sein Athem und der Hauch aus seinem
Halse sind todbringend oder führen tödtliches Siechthum herbei.
Eine Art der Drachen hat keine Füsse und kriecht nur auf dem
Bauch auf der Erde, die andere, aber seltener vorkonmiende, hat
Füsse. Adelinus sagt, man schneide aus dem Gehirn des Drachen
einen Stein, der Draconica oder Draconcides, deutsch Drachenstein ^)
genannt wird. Wir werden ihn später bei Besprechung der Edel-
*) Vergl. VI. 29.
15*
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steine noch näher kennen lernen. Der Stein besitzt seine hervor-
ragenden Eigenschaften aber nur dann, wenn man ihn aus dem Ge-
hirn eines lebendigen Drachen herausschneidet Zur Sommerszeit
erlegt man den Drachen, wenn er an der Sonne schläft, mit einem
unvorhergesehenen Schlag, zerspellt ihm den Schädel und holt den
Stein heraus, während der Drache noch kräftig zappelt. Die Zunge
und Galle des Drachen, in Wein gekocht, sind eine Arznei für Die,
welche von bösen Geistern geplagt werden. Sie müssen ihren
Körper damit einreiben. Das Drachenfleisch sieht glasig aus und
sein Genuss wirkt kühlend. Desshalb essen es die Mohren
wegen der grossen Hitze, die in ihrem Lande herrscht, denn das
Drachenfleisch ist kalter Natur. Beim Flug erhitzt sich der Drache
sehr bedeutend und hat nachdem das Bestreben, sich mit Elephanten-
blut wieder abzukühlen. Dies Blut wirkt nemlich sehr stark kühlend.
Das Rollen des Donners und das Blitzen am Himmel fürchtet er mehr,
wie sonst irgend ein Thier und flieht desshalb in seine Höhle, wenn er
den Donner hört. Das ist auch sehr richtig, denn für kein Thier
ist, nach Plinius, der Donner so gefährlich, wie für den Drachen.
Am wenigsten schadet der Donner dem Adler und dem Lorbeer-
baum, i) Der Drache erreicht eine Länge von zwanzig Ellen und
darüber und wird so gross, dass er einen Menschen, der auf ihm
sitzt, weit wegtragen kann. Wird er müde, so senkt er sich und
seine Bürde in's Meer herab. Will man ihn verjagen oder in Furcht
versetzen, so nimmt man eine aufgeblasene Thierblase und schlägt
mit einem Korallenzweige darauf. Den klappernden Ton, der dabei
entsteht, fürchtet er, macht sich davon und wird zahm.
11. Tom Drachenkopf.
Draconcopes heisst ein Drachenkopf und ist eine in Griechenland
einheimische, sehr grosse und gewaltige Schlange, wie Adelinus berichtet.
Die Schlange hat ein Gesicht wie eine menschliche Jungfrau, der librige
Leib gleicht dagegen dem eines Drachen. Nun sagen die Gelehrten^
diese Schlange gehöre zu der Art, die Eva im Paradise betrog.
Beda bemerkt nemlich, dass die Schlange des Paradises ein Jung-
frauenantlitz gehabt habe, um unter der Maske der Menschenähnlichkeit
Eva vertraulich zu machen und anzulocken, denn Mensch und Thier
neigt zu Seinesgleichen und ist ihm wohlgeneigt. Als die Schlange
Eva betrog, zeigte sie ihr nur ihr Haupt und verbarg den übrigen
1) Vergl. S. 75.
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Körper unter den Blättern und Zweigen des Baumes. Wie der Teufel
es aber fertig gebracht hat, dass die Schlange wie ein Mensch
sprechen konnte, ist uns verborgen. Wir müssten vielleicht annehmen,
die Schlange habe in ihrem Halse eine Luftröhre besessen und
ausserdem in Kopf und Hals dieselben Organe wie ein
Mensch, um befähigt zu sein, mit menschlicher Stimme reden zu
können. Wir sehen etwas Aehnliches bei einigen Vögeln, die mensch-
liche Worte hervorbringen, wenn man sie ihnen vorher eingeübt hat.
Ich aber denke, und Das scheint mir auch durchaus glaublich, dass der
Teufel sich selbst in eine Schlange verwandelt hatte und mit mensch-
licher Stimme zu Eva gesprochen hat. Der Teufel kann ja jeden
Thieres Gestalt annehmen. Nun sieh, wie der Teufel sich mit
menschlichem Haupt und dem Leibe des Drachen, dem schönsten
und dem schlimmsten aller lebenden Dinge, gezeigt hat. Der erste
Eindruck war gut und keusch, das Ende aber vergiftet und tod-
bringend. Weh, ach und o weh! Gott Vater lass Dich erbarmen,
dass zu meiner Zeit die Welt von Drachenköpfen so voll geworden
ist, die den Menschen vor Augen nur Gutes erweisen, und das
Ende ihres Thuns ist falsch und vergiftet! Verborgene Bosheit mag
wohl mit dem Worte: Drachenkopf bezeichnet, verborgene Güte
und Tugend aber Almagalan genannt werden. Dies Wort bedeutet
nemlich soviel wie die, in der Menge und dem grossen Haufen
des Volkes verborgene Züchtigkeit. Das Wort stammt aus dem
Hebräischen, Alma heisst die Zucht im Verborgenen, Gal ein Haufen
• und An ein Volk. Nun merke, wer Almagalan ist: Wahrlich,
unsere Frau, die reine, keusche Magd voller Gnade, ist mit ihrer
Gnade allezeit verborgen unter der Menge des sündigen Volkes,
behütet die Sünder, die ihren Namen ehren, und sichert sie vor
allen Drachenköpfen. Wisse auch, dass das Wort kein Mensch ge-
bildet hat. Einem grossen Sünder erschien es im Schlaf mit schön
gezierten Buchstaben geschrieben. Diesem Sünder hatte unsere Frau
aus schweren Kriegen und Angst und Noth herausgeholfen, so dass
die Welt und auch er selbst sich wunderten, wie es möglich ge-
wesen war. Da zeigte sich unsere Frau dem Sünder in dem ge-
nannten Worte, er verstand es nicht und suchte die einzelnen Silben
aus den hebräischen Worten heraus, die in einigen Bibeln am Ende sich
geschrieben finden. Da fand er dann die oben genannte Deutung.
Oh Maria, verlass uns nicht!
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13. Ton der Ipnapp.
Ipnapis heisst eine Ipnapp. Diese Schlange stammt von der
Art, welche Aspis heisst, die wir schon besprochen haben. So sa^
Soli n US. Die Ipnapp besitzt folgende Eigenschaft: Wenn sie eineu
Menschen gebissen oder gestochen hat, so verfällt er in Schlaf und
stirbt daran. Sie senkt nemlich mit ihrem Gift den Schlaf in den
Menschen herein, und man kann das^Gift nicht wieder aus dem Menschen
herausbringen. Man liest von einer Frau mit Namen Cleopatra,
die eine solche Schlange in den linken Arm nahm und sich in ein
Grab mit ihrem todten Herrn legte, welcher Antonius hiess. Sie
wollte durch den Biss der Schlange einschlafen und schlafend ihrem
Leben durch einen ruhigen Tod ein Ende machen. So sehr Hebte
diese Frau ihren Herrn.
13. Von der Emorot.
Einige lateinische Bücher haben ein Kapitel vor dem, das jetzt
kommt. In diesem Kapitel wird von einer Schlange gesprochen, die
Emorois^) heisst, was im Deutschen eine Emoroi oder Kraftsaugerin
bedeutet. Nach Isidorus schwitzt nemlich ein Mensch, der von dieser
Schlange gebissen ist, sein eigenes Blut so lange aus, bis sich seine
sämmtlichen Adern entleeren, und was an Leben in ihm ist, geht mit
dem Blute verloren. Emach (= Haima) im Griechischen heisst nemlich
Blut, davon kommt der Name Emorois. Ebendaher rührt auch das
Wort Emoroides. Das sind die Gefässe, die beim Menschen am
After endigen, und aus denen bei den Juden der rothe Fluss austritt,
wie auch bei einigen Christen, wenn der Mond wechselt.
14. Von der Ifasserschlange.
Hydros heisst eine Wasserschlange, 2) weil das Wort Hydor im
Griechischen Wasser bedeutet und das Wort Hydros sich hiervon
ableitet. Isidorus giebt an, dass diese Schlange häufig in dem
Gewässer vorkomme, welches der Nil genannt wird und ein grosser
Fluss in Egypten ist. Wenn die Schlange am Gestade dieses Flusses
das Thier mit offenem Rachen schlafen sieht, welches Krokodil heisst
und vorher schon beschrieben worden ist, so wälzt sie sich in
schlüpfrigem Lehm, um desto leichter durch den Rachen des Kro-
1) Haeraorrhois, bei Solin us als eine Aspisart aufgeführt, die die
Blutgefässe durchbeisst.
2) Nicht bestimmbar.
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kodils gleiten zu können. Erwacht nun das £j*okodil^ so schluckt
es die Schlänge herunter. Diese zerreisst dann sein Eingeweide und
kommt lebendig wieder zum Vorschein. Plinius behauptet, diese
Schlange sei die schönste von allen. Die Leber der Schlange sammelt
man als Arznei für solche, die tou den Schlangen gebissen werden.
Werden Menschen von solcherlei Schlangen gebissen, so schwellen
sie auf, und diese Krankheit nennt man lateinisch: Boa. Im Deutschen
bedeutet dies Wort: Rindersucht, weil mau das Leiden mit Rindermist
vertreibt. Einige behaupten auch, Hydra sei ein Drache mit vielen
Köpfen, und der Art habe einer in dem Pfuhl oder Sumpfe von
Lema in Arkadien gelebt. Dieser Drache heisst lateinisch Excedra,
deutsch: ein Auswachser, weil, wie die Geschichtenerzähler sagen,
drei Köpfe hervorwachsen, wo man ihm einen abschlägt. Das ist
aber nicht wahr. Es handelte sich vielmehr um einen Landstrich,
Hydra, das heisst Wasserland, genannt. Diese Gegend war sehr
reich an fliessendem Gewässer, und die Gewässer waren so stark und
wild, dass die dort gelegene Stadt von ihnen verwüstet wurde.
Stopfte man eine Quelle zu, so entsprangen drei oder vier an einer
anderen Stelle. Das sah der Held Herkules, grub allenthalben das
Erdreich ab, schleppte neue Erde und Steine heran, schüttete den
ganzen Sumpf zu, und legte dadurch das Land trocken. Grade so
wie die Hydra handelt der böse Mensch: Verbietet man ihm eine
Schlechtigkeit und bestraft ihn dafür, so verübt er vier Bosheiten
für eine.
15. Von der Sehiessschlange.
Jaculus heisst eine Schiessschlange. ^) Isidorus sagt, sie
könne fliegen. Lukanus berichtet von ihr: Diese behenden Schiess-
sehlangen schwingen sich auf die Bäume, und wenn sie auf ein
anderes Thier treffen, so stürzen sie sich darauf so hurtig wie ein
Geschoss, das von einer Armbrust oder aus einer Büchse kommt,
und bringen das Thier um. Daher hat die Schlange ihren Namen.
Ebenso machen es einige Leute, die mit ihrem Urtheil schnell bei
der Hand sind, den Anderen sofort verurtheilen und sagen, er habe
Unrecht, ehe sie die Wahrheit gehört haben.
16. Von der Eidechse.
Lacerta heisst eine Eidechse, und Solinus behauptet, es sei
eher ein Wurm wie eine Schlange. Sie zischt zwar wie eine
*) Unbestimmbar.
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Schlange, aber leiser, und hat auch einen Schwanz wie eine Schlange.
Sie besitzt eine gespaltene, rauhe Zunge und nährt sich von Feld-
spinnen. Plinius giebt an, dass die Eidechse nicht auf ihren
Eiern oder ihren Jungen brüte, und wenn sie den Ort, wo sie ihre
Eier oder Brut abgelegt hat, vergisst, (sie ist nemlich sehr vergess-
lich), so kriechen die Jungen von selbst aus. In der Regel sind
der Jungen elf an der Zahl. Man erzählt, wenn die Alte über ihre
Jungen komme, so fresse sie sie sämmtlich bis auf eins, welches
das klügste von allen sei. Dies nehme dann die Behau«ung der
Mutter iu Besitz und räche, wenn es erwachsen sei, seine Geschwister,
indem es Yater und Mutter umbringe. In Indien giebt es Eidechsen,
die, der Länge ihres Körpers entsprechend, vieruudzwanzig Beine
haben und sehr lebhaft gefärbt sind. Isidorus sagt, der lateinische
Name Lacerta für Eidechse komme von dem Wort« Lacertus, der
Arm, her, weil sie nemlich Arme habe. Er erwähnt auch ver-
schiedene Arten von Eidechsen, z. B. Borax, Salamandra und
Stellio, von denen noch die Rede sein wird.
17. Von der Natter.
Natrix heisst eine Natter.^) Isidorus sagt, es sei eine
Schlange, die durch ihr Gift das Wasser verderbe, denn sie bringe
ihr Gift in das Wasser ihres jeweiligen Aufenthaltes. Desshalb
sagt auch Lukanus: Die Natter zerstört das Wasser. Dieser
Schlange gleichen die Fälscher, die mit falscher Lehre das Wasser
der Weisheit und ewigen Wahrheit vergiften.
18. Ton der Oiftnatter.
Na deros " ist eine Giftnatter. Diese Schlange findet sich in
Deutschland, ist so gross wie ein Menschenarm, am Bauche gold-
farbig, auf dem Rücken grün. 2) Der Athem dieser Schlange ist
so giftig, das er die Rinde einer frisch geschnittenen Gerte, die
man ihr vor das Maul hält, in kleinen Blasen auftreibt, die sehr
bitter und giftig sind. Hält man ihr ein blosses Schwert vor, und
rührt sie auch nur mit der Zungenspitze daran, so vergiftet sie das
*) Tropidonotus natrix L.?
^) T. natrix ist zuweilen grün gefärbt, hat aber keinen gelben Bauch.
Nähere Bestimmung, welche Schlange gemeint ist, ist nicht möglich. Für
die Kreuzotter passen die Angaben nirgend, Golulier tlavescens Gm., die
Aeskulapschlange, gelbliche Natter, ist auf dem Kücken bräunlich-graugelb
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Schwert dermasseu, als ob es durch zu grosse Hitze zerstört wäre.
Ein von ihrem Gift getroffener Mensch muss sterben, wenn man
ihm nicht frühzeitig mit Theriak hilft. Das Gift hat die Eigen-
thümlichkeit, in die Höhe zu wirkeu. Erhält ein Mensch das Gift
in den Fuss, so kriecht es allmählig weiter in die anderen Glieder
hinein, vermöge der grossen Hitze die ihm innewohnt. Desshalb
kriecht es in die Höhe wie das Feuer, so lange, bis es an das Herz
kommt, dann bricht der Mensch zusammen und stirbt. Es giebt
aber ein Mittel dagegen. Ist nemlich ein Mensch am Fusse ver-
giftet, so soll man ihn an den Beinen aufhängen, den Kopf nach
unten. Das Gift kann dann nicht an das Herz gelangen, sondern
bleibt oben in dem Fusse und kommt nicht weiter, Dann muss
man die vergiftete Stelle ausschneiden und mit einer geeigneten
Arznei zur Heilung bringen. Will man ohne Schaden die Gegend
betreten, in welcher die Schlangen hausen, so soll man die Füsse,
Hände und sonstigen, ungeschützten Körpertheile mit Raute und
Wermuth einreiben. Die Schlangen fliehen vor der Kraft dieser
Kräuter und wagen es nicht, die mit ihrem Saft eingeriebenen
Gliedmassen anzurühren.
19. Von der Schelmschlange.
Pester mag eine Schelmschlange heissen, denn Pestis bedeutet
einen Schelm. ^) Diese Schlange kriecht immer mit offenem Maule,
wie Jakobus und Solinus berichten, und aus ihrem Maule strömt
stets ein giftiger Dunst. Wer von dieser Schlange gebissen wird,
schwillt unmässig an, wie wenn er wassersüchtig wäre, und geht so
zu Grunde.
20. Von der Pari.
Parias heisst ein Pari. 2) Diese Schlange geht auf ihrem
Schwanz und macht beim Kriechen in weichem Boden eine Furche
in denselben. Lukanus sagt von ihr: Wo die Parias kriecht,
macht sie eine Furche in ihrem Wege.
^) Solinus sagt von dieser Schlange: Wer von ilir gebissen wird,
schwillt an nnd stirbt, zu enormem Umfang aufgebläht. Sie heisst bei S.:
Prester.
') Nicht bestimmbar.
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21. Von der RuteL
Rutela heisst eine Rutel. *) Diese Schlange lebt im Orient und
ist zu vielen Dingen, wie auch zur Aranei, nützlich, wie Aristoteles
berichtet. Aerzte und Apotheker fangen diese Schlangen und be-
wahren sie in Büchsen auf. Dabei kaun mau beobachten, dass
diese Schlangen lange ohne Nahrung aushalten können. Es besitzen
diese Eigenschaft zwar alle Schlangen, besonders ausgesprochen
ist sie aber bei der Rutel.
22. Vom Salamander.
Salamander heisst im Griechischen Stellio, wie Jakobus an-
giebt, oder auch Chamäleon, was nach Plinius und Adelinus
etwa Erdlöwe bedeutet. 2) Der Salamander hat vier Beine und ein
Gesicht wie eine Eidechse. Aristoteles sagt dagegen, sein
Gesicht zeige in der einen Hälfte die Züge eines Schweines,
in der andern die eines Affen. Plinius giebt an, dass die
hinteren Beine aufrecht stehen und länger seien, wie die vor-
deren. Sie sind nach dem Bauche hin gekinimmt. Der Salamander
hat einen langen, gewundenen, und am Ende ganz dünnen Schwanz.
Die Klauen au den Füssen sind krumm und sehr leicht beweglich.
Der Leib ist rauh und die Haut gleicht der des Krokodils. Der
Salamander lebt im Feuer, stirbt nicht in ihm und löscht es sogar
aus, wie Augustinus, Adelinus und Isidorus augeben. Sein
Gang ist träge, wie der der Schnecke, sagt Solinus. Die Augen
liegen tief und sind immer offen. Plinius sagt, die Augen könnten
sich ganz umdrehen. Im Gegensatz zu anderen Thieren liegt
beim Salamander die Leber links. Das Maul ist immer geöffnet,
weil der Salamander es zum Essen und Trinken nicht benutzt. Er
nährt sich nemlich, nach Aristoteles, lediglich vom Thau des Himmels
und der Luft. Der Salamander ist sehr mager, weil er nur wenig
Blut hat, und ist desshalb auch und weil seine Körperwärme nur
gering ist, ein furchtsames Thier. Die Körperwärme aber ist die
Quelle des Muthes und der Kühnheit. Die Furchtsamkeit des
Salamanders ist die Ursache seiner wechselnden Färbung, da er
Vipera Redii L., Redische Natter, die ehemals eine grosse Rolle
bei der Bereitung des Theriaks spielte?
2) Die ganze Beschreibung ist unklar, Chamäleon, Gecko und wohl
auch die gewöhnliche Salaniandra raaculata, L, der gefleckte Erdmolch,
gehen durcheinander, neben allerlei Pliantastischem.
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aus Furcht die verschiedensten Verstecke aufsucht und die vor-
herige. Färbung in kurzer Zeit wechselt. Das ist seine besondere
Eigenschaft, und aus diesem Grunde nimmt er, wie Ambrosius
sagt, die Färbung seiner jeweiligen Umgebung an. Zwei Farben
kaun er indess nicht dauernd annehmen, die weisse und die rothe.
Der Körper ist beinahe fleischlos, und im Herzen findet man nur
wenig Blut. Die Milz fehlt. Im Winter verkriecht sich der
Salamander und hält sich versteckt, im Frühjahr kommt er wieder
hervor. Isidorus behauptet, kein Thier wirke durch sein Gift so
schädlich^ wie der Salamander, weil andere giftige Thiere doch
immer nur einen Menschen nach dem andeni umbrächten. Der
Salamander aber tödte ihrer viele auf einmal. Kommt er nemlich
auf einen Obstbaum, so vergiftet er alle Früchte zugleich, und
wer von ihnen isst, muss sterben. Fällt er in einen Brunnen, so
wirkt dessen Wasser beim Genuss tödtlich. Besonders viel
Salamander giebt es in Asien. Es giebt unter ihnen keine ge-
trennten Geschlechter. Jeder legt seine Eier, wo er will, grade
wie die Hennen, und aus ihnen entstehen die jungen Salamander.
Man erzählt, ein Pabst, Alexander, habe ein, aus der Wolle dieses
Thieres gefertigtes Gewand besessen.^) Wollte man es reinigen,
so wusch man es nicht mit Wasser, sondern warf es in's Feuer.
Dadurch wurde es wieder weiss. Albertus berichtet, er habe mit
eigener Hand eine, aus der Wolle des Thieres verfertigte Schnur
in ein gewaltiges Feuer geworfen und darin gelassen, bis sie wie
Eisen glühte. Dann zog er sie wieder heraus, besah sie nach dem
Erkalten in seiner Hand sorgfältig und fand kein Haar daran ver-
brannt. Auch Isidorus berichtet von solch einer Schnur, die
gleichfalls im Feuer unzerstörbar war. Dem Salamander gleicht die
brennende Seele, die so stark in der Flamme und Inbrunst der
göttlichen Liebe glüht, dass keinerlei unreine, fleischHche Begier
an ihr sich findet. Die Seele lebt einzig vom Thau der göttlichen
Gnade und der Luft, das heisst den Gaben des heiligen Geistes.
Im Feuer wird sie so rein und klar, dass der göttliche Schein aus
ihr leuchtet wie aus einem reinen Spiegel, den Gott sich selbst als
kostbaren Schatz erwählt hat, nicht etwa zu einem geringen, denn
Gott schätzt die Seele nicht gering, sondern als einen werthvoUen
Gegenstand seiner Liebe, nach ihm selbst gebildet. Nun wisse, dass
Verwechslung mit Asbest, der zu ähnlichen Spielereien vielfach
benutzt* wurde.
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der Mensch auf Erden, der auch nur einen Theil dieser Flamme
erwirbt und sich fleissig darin übt, zur Stunde so glücklich wird,
dass alle seine Sinne verschlossen werden, und er in eine so zarte
und süsse Entzückung verfällt, dass ich Hund sie Dir nicht
schildern kann. Aber ich habe an einer anderen Stelle einen
kleinen Anfang gemacht, von dieser Liebe zu spinnen und denke,
ich will eine goldene Kette daraus flechten, wenn mir die Keine
beisteht, der ich mich mit Leib und Seele ergeben habe. Die Liebe
aber, die man in dieser Welt zu vergänglichen Dingen hegt, krankt
Leib und Seele, und eine Seele, die so liebt, gleicht einem dürren
Bund Stroh, dass sofort in der Flamme verschwindet.
23. Von der Serpe.
Serps bedeutet eine Serpe. ^) Isidorus sagt, es sei eine sehr
kleine Schlangenart. Sie verzehrt mit ihrem Gift Fleisch und Bein.
Ihr gleicht ein hasserfülltes Herz, das des Menschen Kraft und
Körper veraehrt.
24. Von der Seure.
Saura heisst eine Seure, in einem anderen Buche findet sich
das lateinische Wort Salburra. ^) Beides bedeutet dieselbe Eidechsen-
art, wie Isidorus sagt. Mit zunehmendem Alter wird dies Thier
blind, kriecht desshalb in eine, mit der OeflPnung nach Osten
schauende Höhle und kehrt sich so lange der Sonne zu, bis es
wieder sehend wird. Der Seure gleicht der Mensch, den die Gemein-
schaft dieser Welt au seinem Verstände geblendet hat, so dass er
in jungen Jahren Gott nur wenig gedient hat, im Alter aber in
einsiedlerischem Leben sich der wahren Sonne, Christus, zuwendet.
Dann sieht er mit seinem Verstände ein, dass die falsche Lust
dieser elenden Welt täuscht und vergänglich ist gegenüber dem
ewigen Leben.
25. Von der Wispersehlange.
Sibula ist eine Wisperschlange, mit anderer Bezeichnung auch
Regulus genannt, wie Isidorus angiebt.^) Diese Schlange besitzt
1) Solinus sagt von ihr: Auf den Biss der Sepen (Sepium) folgt
Fäiilniss.
'^) Irgend eine Eidechsenart.
3) Wie die beiden folgenden Arten nicht })estimmbar.
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die Eigenart^ den Menschen mit ihrem Zischen zu yergiften, ehe sie
ihn beisst oder sticht. Ihr gleichen die bösen Rathgeber, die andere
Leute mit heimlichem Kannen vergiften. Offen aber schädigen sie
sie nicht und reden auch vor ihren Augen nichts Schlechtes von
ihnen. Wollte Gott, dass es solcher Leute in unseren Tagen
keine gebe!
26. Von der Spetwlft.
Spectabificus heisst eine Spetwift. Isidorus berichtet von
dieser Schteuge, sie fresse den Menschen, den sie gebissen hat,
sofort auf, so dass er ohne weiteres in ihrem Rachen vergehe und
verschwinde.
27. Von der Salpe.
Salpiga heisst eine Salpe. Diese Schlange ist so klein, dass
man sie nicht leicht zu Gesicht bekommt, gleichwohl aber sehr
schädlich. Ihr gleicht der verborgene Neid im Herzen, den ein
Mensch gegen den andern hegt und Niemand offenbart, dem Andern
aber heimlich schadet, wo er kann.
28. Ton der Stemselüange.
Stellio heisst eine Stemschlange. i) Sie hat ihren Namen,
nach Isidorus, von ihrer Färbung. Sie hat nemlich auf dem
Rücken helle Flecken, wie Sterne. Diese Stellio-Art ist hierdurch
unterschieden von dem Salamander, der, nach Jakobus, griechisch
Stellio genannt wird. Die Stemschlage ist dem Skorpion so zu-
wider und feindlich, dass die Skorpione sehr erschrecken, wenn sie
sie zu sehen bekommen. Dieser Schlange gleichen die Leute, die
mit natürlichem Adel und göttlicher Gnade in gleicher Weise ge-
ziert sind, so dass sie schön und wohlgeschaffen am Leibe, tugend-
haft und vernünftig am Geiste sind. Sie sind ein Schrecken der
Bösen und Uebelthäter. Plinius sagt, dass das Gift der Stern-
schlange tödtlich sei. Es giebt aber ein Mittel dagegen: Skorpionen-
fleisch wird zerquetscht und die vergiftete Stelle damit gesalbt.
Ertränkt man eine Sternschlange in Wein und lässt sie darin
sterben, so benimmt der Wein dem Gesicht die Sommersprossen
Platydactylus murorum C, der gemeine Gecko, und PI. guttatus
Daud., der gefleckte Gecko, sind gemeint.
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wenn man es] damit wäscht In Wasser zerstosseue Stemschlangen-
galle lässt alle Wiesel von überallher, in Folge einer heimlichen
Anziehungskraft, zusammen kommen.
39. Ton der g^emeinen Schlange.
Serpens vulgaris ist die gemeine Schlange, i) die man häufig
sieht. Alexander sagt, sie pflege einem schlafenden Menschen
nichts zu thun, beim Erwachen aber steche sie ihn. So handeln
die bösen Menschen nicht, die dem Abwesenden schaden und ihn
mit ihrer Nachrede stechen, wenn er schläft und ihre Bosheit weder
hört noch sieht. Desshalb sind die Winkelschlangen viel gefahr-
licher, wie die rechten Schlangen.
30. Ton der Dorstechlaiige.
Situla heisst eine Durstschlange. *-^) Sie ist sehr böse und
schädlich und tödtet den Menschen durch Hitze und Durst, wie
Jakobus und Solinus berichten. Diese Schlange ist so bunt ge-
zeichnet, dass sie durch ihre Schönheit die Leute fesselt und gern
besehen wird. Die äusserliche Schönheit hat ihr die Natur ver-
liehen als Gegenstück zu ihrer Trägheit Sie ist nemlich sehr
träge in ihrer Bewegung von einem Ort zum andern, und fesselt
die Leute, welchen sie nicht zu folgen vermag, durch ihre Schönheit
Sie ist so hitzig, dass sie sich im Winter häutet und ihre eigene
Haut abzieht. Wer von der Schlange gebissen wird, verfallt in eine
feurige Hitze und vergeht und verbrennt in sich selbst.
31. Ton der Sirene.
Sirena heisst eine Sirene,^) ist aber nicht mit der Sirene zu
verwechseln, die wir oben unter den Meerwundern besprochen haben.
Diese Schlange findet sich, nach Angabe eines Forschers, zahlreich
im Königreich Arabien und ist schneller, wie ein Pferd. Einige
dieser Schlangen haben auch Flügel, mit denen sie fliegen können.
Das Gift dieser Schlangen wirkt so heftig, dass der Biss derselben
den Tod bringt, ehe der Schmerz gefühlt wird, so dass der
Mensch schmerzlos stirbt.
*) Nicht bestinambar, Blindschleiche, Kreuzotter?
^) Ist wolil dieselbe, wie die unter 9 beschriebene Dispe.
^) Nicht bestimmbar.
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32. Tom Skorpion.
Scorpio heisst ein Skorpion i). Das ist eine Schlangenart,
welche ein gar zartes Gesicht hat, dem Antlitz einer keuschen Jung-
frau zu rergleichen. An seinem gewundenen Schwanz aber führt
der Skorpion einen scharfen Stachel, roll von Gift, mit dem er die
Menschen und anderen Thiere sticht. Wenn der Skorpion stechen
will, krümmt er den Schwanz. Ohne Unterlass trachtet er danach,
wie er Menschen und andere Thiere mit seinem giftigen Schwanz
stechen oder schlagen könne. Wer vom Skorpion ■* vergiftet wird,
hat noch drei Tage Zeit, ehe er sterben muss. Man sagt, in "Wein
getrunkene Skorpionenasche sei ein Mittel gegen seinen Stich. Es
wird auch erzählt, dass es Skorpione mit zwei Spitzen am Schwanz
gebe. Die Männchen sind gefährlicher, wie die Weibchen, die man
an der verschiedenen Grösse erkennt. Ein Forscher behauptet auch,
der Skorpion lebe von Erde. Aristoteles giebt an, der Skorpion
habe zwei Haken an seinem Schwanz. Wenn der Skorpion ein
schwarzes Schwein gestochen hat, so stirbt es, und um so schneller,
wenn es in's Wasser geht. Schweine dagegen, die nicht schwarz
gefärbt sind, sterben nicht immer am Skorpionenstich. Der Skorpion
hat die Eigenthümlichkeit, dass er nie in die Hohlhand eines
Menschen sticht, er mag nur solche Körperstellen, die behaart und
rauh sind, angreifen. Skorpionenöl ist gut gegen ihren Stich,
desshalb reibt man die Wunden damit ein. Wenn man einen
Skorpion in Oel ertränkt und bei Sonnenlicht Essig auf ihn giesst,
wird er sofort wieder lebendig. Das Oel verstopft nemlich die
kleinen Oefifnungen an seinem Leibe, die beim Menschen Schweiss-
löcher und lateinisch Pori heissen. Der Essig dagegen öffnet beim
Skorpion die Poren wieder, Hieronymus sagt, der Skorpion
mache eine un regelmässige, dreieckige Wunde. Man beachte, dass
die Tarantel und der Skorpion zwei verschiedene Thiere sind.
Darüber nachher mehr.
33. Ton der ScUldkrOte.
Tortuca heisst eine Tortuk^, sie wird auch zuweilen als Skorpion
bezeichnet. Man sagt^ die Tortuk gehöre zum Geschlechte der
Schlangen, und sei mit ihnen einerlei Art. Dies Thier hat vier
*) Die verschiedenen Arten der Gattung Scorpio.
^ Die ganze Beschreibung passt auf eine Schildkrötenart.
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Füsse, ¥rie eine Kröte, und weil es zwei harte Schilder auf seinem
Leibe trägt, nennt man es in einigen Gegenden Deatschlands Schild-
kröte. Durch die Schilder ist es so geschützt, dass man es nur
mit Mühe und gewaltigen Schlägen tödten kann. Sein Kopf ist ge-
formt wie der einer Kröte, seine Stimme ist schwach, es legt Eier
wie ein Huhn. Der Genuss der Eier ist aber schädlich. Lebendig
ist die Schildkröte ohne Gift, nach dem Tode aber wird sie giftig.
Es berichtet wenigstens Ambrosius, dass, wenn Jemand mit blossen
Füssen auf die Jfieren einer todten Schildkröte tritt, er sofort Ter-
giftet wird. Aristoteles sagt, die weibliche Schildkröte habe nur
eine Oeffnung am After, trotzdem sie eine Blase besitze. Hierdurch
unterscheidet sie sich von allen anderen Thieren, die Federn,
Schuppen oder Schalen tragen, da bei diesen allen die Blase fehlt.
34. Ton der TaraiiteL
Tarans heisst eine Tarantel^). Es ist ein kleines, schlangen-
ähnliches Thier, zum Geschlecht der Skorpione gehörend, wie
Plinius sagt. Es hat Flügel, und eine Art der Taranteln kann
auch fliegen, aber nicht alle. Dies Thier ist sehr schädlich, wer
von ihm gestochen wird, muss sterben, w^enn man ihm nicht mit
Theriak oder anderer Arznei zu Hülfe kommt. Es findet sich häufig
in der Lombardei und auch sonst in Italien, aber diese Art ist
meist unschädlich. Sehr verbreitet kommt es auch in den Ländern
des Orients vor, die dort lebenden Arten sind sämmtlich sehr giftig
und schädlich. Die Tarantel kann leicht zwanzig Tage und länger
ohne Nahrung aushalten. Das Oel, in dem eine Tarantel getödtet
und ausgezogen ist, ist gut gegen ihren Biss und Stich.
35. Ton der Thierschlaiige.
Tirus heisst eine Thierschlange^). Sie findet sich in der
Gegend von Jericho in den Wüsten am Jordan. Sie stellt anderen
Thieren und namentlich den Vögeln eifrig nach. Besonders ist sie
hinter den Eiern her und frisst die Vögel sammt ihrem Gelege.
Bereitet man das Fleisch dieser Schlange mit den anderen, i dazu
gehörenden Dingen zu, so erhält man daraus ein Electuarium oder
eine Confectio, das heisst eine so auserwählte und edele Arznei?
^) Hier ist offenbar nicht von der Tarantelspinne die Rede, sondern die
kleinen, in Tirol und Oberitalien heimischen, allerdings, wie die übrigen,
flügellosen Skorpion arten sind wohl gemeint.
^ Wohl Vipera Redii. Vergl. die Beschreibung der Rutel.
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dass sie beim Menschen Vergiftungen von Grund aus herausholt und
vertreibt. Diese Confectio heisst Thriaker oder Theriak und hat
ihren Namen von der Schlange. Man erzählt, diese Schlange sei
vor der Geburt unseres Herrn Jesus Christus so gefährlich und
giftig gewesen, dass man keinerlei Mittel hatte, wenn ein Mensch
von ihr gebissen war. An dem Tage aber, da unser Herr an das
Kreuz geschlagen wurde, habe man ein sehr bdses Exemplar bei
Jerusalem gefangen und neben unseren Herrn an das Kreuz ge-
hängt. Yon dem Augenblick an habe die gesammte Art dieser
Schlange aus dem Blute unseres Herrn Jesu Christi die besondere
Kraft in sich aufgenommen, gegen jedes Gift in hervorragender
Weise heilsam zu sein. Wenn nun auch der Theriak gegen alle
anderen Gifte hilft, so leistet er doch Nichts gegen das Gift der
Thierschlange selbst, welches Tichycon genannt wird.
86. Von der Tlse.
Tisus heisst eine Tise^). Diese Schlange haust in den Ge-
birgen bei der Stadt Padua, ist sechs bis sieben Fuss lang, aber
sehr dünn. Das hintere Theil ist dicker wie das vordere. Die
Schlange schadet Niemandem, wenn sie nicht sehr gereizt wird.
Das verfaulte und gedörrte Fleisch dieser Schlangenart giebt man
im Getränk und im Essen gegen den Aussatz, wobei es sich wieder-
holt sehr bewährt hat.
37. Von der Viper.
Vippera heisst eine Viper. 2) Jakobus und Isidorus er-
zählen von dieser Schlange, dass sie in Leid und Schmerzen ihre
Jungen zeugt. Die männliche Schlange stirbt riemlich schon bei
der Begattung, das von ihr befruchtete Weibchen geht in der Ge-
burt zu Grunde. Dies geschieht folgendermassen. Während der
Begattung ist das Weibchen so wollüstig, dass es dem Männchen
vor Liebe den Kopf abbeisst. Und wenn die Jungen im Mutter-
leibe sich völlig entwickelt haben, so warten sie die Geburt nicht
ab, sondern scharren im Leibe der Mutter umher, reissen ihn auf
und kommen mit Gewalt ans Tageslicht. An Stelle der Ohren haben
diese Schlangen nur grubenf örmige Vertiefungen. Sie besitzen nur
drei Zähne, ihr Biss ist unheilbar und macht Geschwülste. Das
^) Dieselbe wie die Vorige?
^} Wahrscheinlich Pelias berus L., Kreuzotter.
Schulz, Konrad von Megenberg's Buch der Natur. 10
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wussten die Leute wohl, die mit Sankt Paulus nach ihrer Meerfahrt
ans Land stiegen. Denn als Sankt Paulus bei dieser Gelegenheit
eine solche Schlange mit der Hand ergnff und von ihr gebissen
wurde, glaubten seine Begleiter, er würde anschwellen und in
Kurzem sterben. Das geschah aber nicht. Plinius sagt, das Ein-
geweide dieser Schlange sei ein Gegengift gegen Biss und Stich
aller Schlangen. Ein Forscher giebt an, die von der Schlange in
ihrem Alter abgestreifte Haut, in Wein gesotten, sei eine Arznei
gegen Augen- und Zahnschmerzen. Ihr Fett entfernt die Ver-
dunkelung der Augen und macht trübe Augen wieder klar.
Aristoteles sagt, die Viper gleiche bis zum Nabel einem Menschen,
von da ab bis zum Schwanz einem Krokodil. Ihre Afteröflfnung
ist so eng wie ein Nadelöhr, sie kann desshalb nicht, wie andere
Thiere, von da aus begattet werden. Sie wird durch das Maul be-
fruchtet. Viel glaublicher spricht Plinius über die Viper sich aus.
Nach ihm bringt das trächtige Thier, wenn die Zeit der Geburt ge-
kommen ist, an einem Tage immer nur ein Junges zur Welt und
nicht mehr. Da nun der Jungen immer eine grössere Anzahl vor-
handen ist, (sie trägt nemlich wohl zwanzig und mehr Junge auf
einmal), so werden die übrigen sehr ungeduldig, weil sie über die
rechte Zeit hinaus auf ihre Geburt warten müssen, zerreissen den
Leib der Mutter und kriechen heraus. Diese Schlange hat die
Eigenart, trotzdem sie wilder ist als alle anderen Schlangen, gleich-
wohl gegen das Weibchen sehr sanft zu sein. Der grosse Basilius
und Ambrosius berichten, dass das Männchen das entfernte
Weibchen aufsucht und mit leisem Zischen heranlockt. Sieht es
das Weibchen kommen, so entleert es sich von seinem Gift und
ehrt auf diese Weise das Weibchen, indem es nun ohne Gift seine
Hochzeit mit ihm feiern will. Merke, Du Eiferer, wie lieb Du
Dein Weib hast, die weder in ihrem Benehmen noch in ihrem
Thun Dir je zu Dank handelt Sieht sie frei heraus um sich, so
ist sie eine Gafferin, blickt sie vor sich, so schmollt sie, schweigt
sie, so heisst Du sie stumm, redet sie, nennst Du sie Schwätzerin.
Du schiltst sie mit Worten und Werken lieber, ehe Du die Wahr-
heit zu finden suchst. Nimm Dir Zeit: ein vorschneller Mann soll
auf dem Esel reiten!
Damit haben die Schlangen ein Ende.
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IIL
F. Von den Würmern im Allgemeüiea.
Es giebt nun noch eine Art von Thieren, Würmer genannt
Diese wollen wir jetzt besprechen und zwar zunächst im Allgemeinen.
Isidorus sagt, ein Wurm sei ein Thier, das meistens aus Fleisch,
Holz oder anderen irdischen Dingen ohne geschlechtliche Zeugung
entsteht. Es ist zu beachten, dass die Gelehrten hier und da auch
die Schlangen Würnier nennen. Dieser Auffassung entsprechend
•entstehen einige Wurmarten aus der Begattung der männlichen und
weiblichen Schlangen, wie oben schon auseinandergesetzt ist, andere
aus Eiern, wie z. B. der Skorpion. Auch Plinius redet in der-
selben Weise von den Würmern und bemerkt, dass alle Würmer,
ihrer Grösse entsprechend, äusserst wenig Blut führen. Einige
W^ürmer sind fusslos, haben aber in ihrem Leibe Knochen oder
Gräten, wie die Schlangen, und schlängeln sich von einer Stelle zur
andern über den Boden hin. Diese Wurmart wollen wir hier nicht
weiter behandeln, da wir schon über sie geschrieben haben. Es
giebt aber eine andere Wurmart, die in ihrem Innern keine Knochen
oder Gräten hat, ebenso auch keine Beine. Diese Würmer runzeln
die Haut in ganz feinen Fältchen, wenn sie sich fortbewegen.
Andere wieder haben Beine und Flügel, wie die Wespen, Bienen
und diesen ähnliche Thiere. Einige besitzen zwei oder vier Füsse
und keine Flügel. Die hierhergehörenden Wesen laufen auf der
Erde und führen ziemlich viel Blut. Andere endlich haben auch
mehr wie vier Füsse, laufen gleichfalls, besitzen aber kein eigenes
Blut, weil der grösste Theil ihrer Nahrung in ihre Beine übergeht,
und 80 kein Blut sich bilden kann. Indessen hat jeder Wurm in
seinem Leibe eine Feuchtigkeit an Stelle des Blutes.
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Nunmehr wollen wir die Terschiedenen Arten der Würmer be-
sprechen und den Anfang mit der Biene machen, da sie die vor-
nehmste von allen ist.
1. Ton der Biene.
Apis heisst eine Biene. ^) Die Bienen haben, nach den An-
gaben des Aristoteles, Basilius des Grossen und des Ambrosius^
die besondere Eigenthümlichkeit, in allen Dingen einer Gemeinschaft
zu pflegen, wie man sie sonst nirgends auf Erden bei gemeinsam
lebenden Wesen vorfindet. So viele von ihnen auch zu einem
Schwärme gehören, alle haben sie dieselbe Wohnung und leben alle-
in derselben Gegend eines Landes. Aller Arbeit ist auf den ge-
meinsamen Nutzen ihrer Gesammtheit gerichtet. Was sie durch
ihre Arbeit erreichen, gehört allen gemeinschaftlich, und ihre Aus-
flüge machen sie auch gemeinsam. Was soll ich mehr davon sagen?
Ihre Brut gehört ihnen allen in gleicher Weise, denn alle betheiligea
sich an der Erzeugung eines jungen Schwarmes. Dabei sind sie
alle durchaus keusch, da sich keine mit der anderen begattet, noch
auch den Drang dazu in sich fühlt, und sie erzeugen ihre Brut ohne
Beschwerden. Gleichwohl bringen sie meist einen grossen Schwärm
hervor. Die Bienen wählen unter sich einen König, und das ganze
übrige Volk ist diesem König gehorsam. Trotzdem sie aber alle
einem König unterthan sind, ist doch jede einzelne frei. Jede besitzt
ihre eigene Würde für sich und ihre Vorrechte in ihrem Gericht
und bei ihren Üeberlegungen, und alle beseelt eiu aufrichtiges
Streben zur wahren Treue. Denn sie lieben ihren erwählten König
und ehren ihn in allen Dingen so, dass sie niemals ihm entgegen
handeln und ihn niemals erzürnen. Das ist aber auch billig, denn,
der König ist gegen sein Volk von hervorragender Milde. Desshalb
bleibt auch das Volk seinem König mit Recht gehorsam. Die
Bienen halten sich gerne zusammen und fliegen geschaart um ihre
Weisel. Sie schaden keiner Frucht noch auch den todten, das heisst
den verdorrten Blumen. Werden sie bei ihren Ausflügen von der
Nacht überrascht, so setzen sie sich hoch in den Bäumen zur Ruhe,
damit ihre Flügel nicht vom Thau oder Regen beriihrt werden. Das
Bienenweisel ist der König, und in einem Korbe ist in einem Schwärm
immer nur ein Weisel als Fürst des ganzen Schwarmes. Das Weisel
^) Apis mellifica L.
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ist schön uud aDsehiilich in seinem Aeusseren und doppelt so gross
wie die anderen Bienen. Es hat aber kürzere Flügel wie die anderen,
«eine Beine sind gestreckter, und in seinem Gang ragt es vor den
übrigen Bienen hervor. An der Stirn trägt es einen weissen Büschel,
womit die Natur es vor den andern Bienen ausgezeichnet hat. Es
wird behauptet, der Bienenkönig habe keinen Stachel, um damit zu
stechen, im Gegensatz zu den übrigen Bienen, weil er durch die
ihm eigene (rewalt hinlänglich geschützt sei. Ambrosius sagt jedoch,
dass er zwar einen Stachel führe, aber nicht mit ihm steche, weil
er von Natur so milder Art sei. Das einzelne Bienenvolk theilt sich
in drei Gruppen. Die erste bilden die Mutterbienen, die edeler und
auch grösser sind, wie die anderen. Die zweite Gruppe wird ge-
bildet von kleineren aber sehr kräftigen Bienen, die emsig schaffen,
wie ein Volk unter einem Meister. Diese Bienen sind den Müttern
untergeben und gehorsam, thun auch Nichts ohne das Geheiss der
grösseren. Die dritte Gruppe besteht aus den Bienen, die im
Ijateinischen Puci^) genannt werden. Es sind unvollkommene
Bienen, sie haben keinen Stachel, und sind die Diener der richtigen
Bienen der ersten Gruppe. So lange der Bienenkönig jung ist,
pflegen die Bienen ihm stets und emsig zu folgen, wohin er auch
fliegt oder geht. Ihre Wohnung bauen sie wie eine Burg und lassen
die obersten drei Zellen leer von Honig, damit der Honig nicht
gleich auf den ersten Blick Jemanden einlade, der ihnen schaden
könnte. Die übrigen Zellen füllen sie aber mit Honig an. Die
Bienen schlafen in ihrem Korbe bis zum Morgen um die Mettenzeit,
bis eine von . ihnen bei Sonnenaufgang zwei oder dreimal gebrummt
oder gesummt hat, grade wie ein Wächter, der mit dem Heerhorn
<len Tag anbläst. Die Bienen besitzen nemlich die Fähigkeit, vorher
zu merken, ob der Tag gelinde oder schön werden wird. Dann
fliegen sie aus und sammeln Gut und Schätze. Droht aber Eegen
und Wind, so halten sie sich in ihrem Korbe zusammen. Wenn sie
bei der Arbeit sind, sammeln sie an ihren Füssen Blüthenstaub, so
dass es aussieht, als hätten sie Hosen an. Andere sammeln das
süsse Thauwasser in ihrem Munde und in ihrem ganzen Pelz und
tragen es in ihren Bau. Ambrosius sagt: Man sieht die Bienen
immer wetteifern in der Thätigkeit für ihren Besitz. Einige sind
besonders wachsam und bemüht, Futterplätze zu suchen. Andere
So nennt Virgil die Droliueii.
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•wieder behüten ihre Behausung, ihre Burg, sorgsam. Dritte endlich
geben auf das Wetter und den Lauf der Sterne Acht. Die Jungen
fliegen zur Arbeit aus und tragen Wachs und Honig ein, die Alten
dagegen schaffen im Stock. Die Bienen, welche von Feldblumen
eintragen, beladen ihre Vorderbeine bis zu den Hüften herauf und
fliegen so, wohl bebürdet und schön beladen, nach Hause. Auch im
Inneren des Stockes sind die verschiedeneu Aemter vertheilt: Einige
bauen, Andere verzieren und richten den Bau. Einige trennen den
Honig vom Wachse, Andere vertheilen die verschiedenen Arbeiten
wie auch das herangebrachte Futter, und essen während dessen nicht
etwa für sich allein, weil weder im Essen noch iu Arbeit oder Zeit
irgend welche Ungleichheit unter ihnen existirt. Plinius bemerkt,
die Bienen seien sehr auf ihre Arbeit bedacht und gäben wohl Acht,
wenn eine von ihnen träge sei. Diese wird sofort bestraft und todt-
gebissen. Sie beobachten eine hervorragende Reinlichkeit unter-
einander, allen Koth sammeln sie in der Mitte des Stockes an, und
bei ihrer Arbeit befleissigeu sie sich der grössten Sauberkeit. Alle
Ausscheidungen der arbeitenden Bienen sammeln sie an einer be-
stimmten Stelle ihres Baues und tragen sie an ihren Feiertagen, wenn
das Wetter trüb ist und sie nicht arbeiten können, heraus. Wenn
es auf den Abend geht, summen sie im Stock, und das üesumm
wird leiser und leiser, bis eine von ihnen umherfliegt und in ähnlicher
Weise, wie Morgens beim Wecken, summt. Diese gebietet damit allen
Uebrigen Ruhe, grade wie die Wächter auf den Burgen es machen,
wenn sie die Nacht und den Tag anblasen. Hierauf schweigen dann
alle schleunigst still. Sie haben die (Jewohnheit, zunächst für das
Volk und dann erst für die Könige Wohnungen zu bauen. Hoffen
sie auf eine besondere Verbesserung ihrer Verhältnisse, mit andern
Worten, wollen sie schwärmen, so bauen sie auch grössere ge-
meinschaftliche Wohnungen und für die künftigen Könige besonders
gelegene, geräumige und weite Behausungen. Sie erwählen sich
aber keinen König aufs Gradewohl hin und ohne Ueberlegung, sondern
prüfen vorher, ob er auch stattlich, gross und milden Gemüthes ist.
Ereignet es sich einmal, dass einige Bienen die Gerechtsame ihres
Königs übertreten, so töten sie sich selbst und verwunden sich mit
ihren eigenen Stacheln. Man erzählt, dass das Volk in dem Lande
Persien dieselbe Sitte seinem Könige gegenüber beobachte. Die
Bienen fliegen in der Regel nicht eher zu ihren Futterplätzen, bis
der König selbst zuerst ausgeflogen ist und die oberste Führung bei
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dem Ausfluge übernimmt. Sie beschützen auch ihren König mit aller
Sorgfalt und rechnen es sich zum besonderen Ruhm, für ihren König
sterben zu können. Aristoteles sagt, dass der Bieneukönig niemals
ohne ein grosses Volk um sich ausserhalb des Stockes erscheine.
Der König fliegt in der Mitte seiner zahlreichen Begleitung, die andern
Bienen umgeben ihn, und wenn eine Biene im Flug die Flügel des
Königs streift, wird sie von dem ganzen übrigen Heer bestraft. Jede
einzelne Biene begehrt beim Ausfliegen möglichst in der Nähe des
Königs sich zu halten, und hält es für besonders rühmlich und
ehrenvoll, in seiner Nähe und seinem Dienst gesehen zu werden.
Wird der König einmal müde, so tragen ihn die stärksten Bienen
und helfen ihm weiter. Plinius erzählt, dass die Bienen bei Honig-
mangel im eigenen mit grossem Ungestüm über den nächsten
fremden Stock herziehen. Dessen Bewohner setzen sich dann zur
Wehre und es kommt zum Kampf. Auch um die Blumen auf dem Felde
streiten sie untereinander. Man kann aber diesen Streit dadurch
schlichten, dass man Staub auf die Kämpfenden wirft oder sie mit
Rauch anbläst. Nachher versöhnt man sie wieder mit Milch oder
Wasser. Schlechten Geruch hassen sie sehr und fliehen weit vor
ihm weg, auch unsaubere Schmiere ist ihnen sehr zuwider. Basilius
sagt: xVn den Bienen wie auch an den Wespen bemerkt man überall
am Körper kleine Oeflfnungen oder Spalten. Sie athmen nemlich
nicht, haben auch keine Lungen. Sie nehmen die Luft als Nahrung
mit ihrem ganzen Körper auf, indem sie sie überall in sich einziehen.
Sie sterben desshalb leicht, wenn man sie mit Oel bestreicht, da dies
die Oeftnungen und Spalten an ihrem Leibe verstopft. (Jiesst man
aber sofort Essig auf sie, so öffnen sich die Spalten gleich wieder,
und die Bienen werden wieder lebendig. Wenn die Bienen krank
sind, fressen sie mehr wie gewöhnlich, lediglich wegen der grossen
Vorliebe, die sie zum Honig hegen. Eine Schuietterliugsart, Papilio,
schädigt die Bienen sehr. Die Schmetterlinge setzen sich nemlich
auf den Klee und andere süsse Blumen, saugen das süsse Mark aus
und veruusaubern den kostbaren Blüthenbau durch ihre Eier, aus
welchen Würmer entstehen. Auch die Frösche stellen ihnen nach,
wenn sie zum Wasser fliegen, und es heisst, dass die Frösche von
dem Stachel der Bienen, wenn sie von- ihnen gestochen werden,
Nichts empfinden. Die Wespen und Hornissen sind ihre natürlichen
Feinde, auch die Schwalben und andere Vögel verzehren die Bienen.
Sie haben die Eigenart, ihre Todten zu beklagen, und wenn der
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König stirbt, weint das ganze Volk und rersinkt in Trauer. Alle
versammeln sich dann um den todten König, k^ine trägt mehr ein
oder fliegt aus, und wenn man ihnen nicht zu Hülfe kommt, sterben
sie vor Hunger, wie ein Naturforscher berichtet. Die Bienen
erkranken besonders, wenn die Blumen kalt werden. Auch jedes
Echo, das von der Stimme eines Menschen oder Thieres in ihrer
Nähe laut wird, ist ihnen schädlich. Nebel taugt ihnen gleichfalls
nicht. Die Spinnen beeinträchtigen sie ebenfalls sehr, wenn sie ihr
Netz in ihrer Nähe aufspannen und sie überwältijren, wodurch sie
dann gefangen und getödtet werden. Meister Michael von Schott-
land sagt einmal: Die Bienen gehen an ihrem eigenen Vortheil zu
Grunde. Kommt nemlich ein recht fruchtbares Jahr mit ^^elen
Blumen und reichlichem Futter, so sind sie dermassen darauf aus,
Honig zu sammeln, dass sie darüber die Aufzucht junger Bienen
ganz vergessen. Die Bienen sterben aus vielerlei Ursachen, be-
sonders aber, wenn zuviel Weisel vorhanden sind, und jedes eine
Schaar Bienen für sich in Anspruch nimmt und führt. Die Bienen
mögen es gern, wenn man in die Hände klatscht, und wenn man
mit Metall klimpert, kommen sie herangeflogen.
Bienen entstehen aus den Leibern frisch gefallener wilder
Rinder, die lateinisch Bubali heissen und deutsch Auerochsen genannt
werden. Man muss aber die Leiber mit Dünger bedecken, damit
Bienen daraus entstehen können. Auch aus in der Erde vergrabenen
Ochsenhäuten werden Bienen, aus Eselshäuten dagegen Wespen.
Aus Fliegenmist entstehen Würmchen, aus Mangold oder Bete,
weiche beide Kräuter identisch sind, Frösche. Aus schlechter Luft
und fauler Ausdünstung entstehen Bremsen, die lateinisch Cuüces
genannt werden. Virgil sagt dagegen, sie entwickelten sich aus dem
Leib einer todten jungen Kuh. Dass dem so ist, davon habe ich
mich selbst an einem todten, in der Sonne liegenden Kalbe über-
zeugt. Aus den Körpern todter Pferde werden Wespen und Hor-
nissen, aus Eselleibeni Fliegen, Scarabaei genannt, gelbroth, wie die
Hornissen gefärbt, aber kleiner wie die Wespen. ^ Es ist bemerkens-
werth, dass die aus Rindern hervorgegangenen Bienen sich unter-
einander begatten wie die Fliegen. Ihre Brut hat dann aber bei-
nahe die gleiche Beschaffenheit, wie die der richtigen Bienen. Den
Honig soll man bei Vollmond an einem hellen, schönen Tage aus-
nehmen. Der Honig, welcher in dünnen Tropfen fliesst, ist nicht
') Xecroj)lionis- und Silpha-Arten?
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so gut, wie der zähe, wohlriechende und ausserdem durchsichtige
Honig. Der Honig aus jungen Waben ist besser, wie der aus alten.
Honig aus alten Waben ist braun, guter Honig dagegen goldgelb,
(futer und recht heller Honig ist gegen Augenleiden heilsam und
fördert die Ausscheidungen. Den reinen Honig findet man unten
im Stock. Platearius sagt, der Honig sei warm im ersten und
trocken im zweiten Grade. Honig ist zu vielen Dingen nütze. Er
erhält den Dingen, denen er zugesetzt wird, ihre eigenthümliche
Kraft und wirkt reinigend. Den scharfen Geschmack der Gewürze,
Kräuter und anderer Dinge mildert ein Zusatz von Honig. Dess-
halb wird er vielfach Arzneien zugesetzt und bringt dann, durch
seine Süssigkeit, die Arzneistoflfe in die Tiefen der Organe. Mischt
man ihn unter Elektuarien, zu deutsch Latwergen, oder zu kost-
baren Pulvern, so hat er die Fähigkeit, diese um so länger gut
und frisch zu erhalten. Wer den Magen voll kalter Feuchtigkeit
hat, soll Honig mit warmem Wasser bekommen, weil der Honig
auflöst und abwäscht. Wer seine Gesichtshaut rein und klar haben
will, soll sich mit Honig und Wasser waschen. Stuhlzäpfchen aus
gebranntem Honig und Salz sind gut für Leute, die am Fieber
leiden. Aristoteles sagt, die alten Bienen brächten besseren
Honig ein, wie die jungen, weil sie mehr Erfahrung haben. Der
(lenuss ungeschäumten Honigs wirkt blähend. Honig ist, innerlich
genommen, gut gegen den Biss toller Hunde und überhaupt gegen
den Biss wilder Thiere. Laudonischer Honig schmeckt bitter, und
sein Genuss macht Raserei. Tritt aber danach Schweiss auf, so
w^ird der Befallene wieder vernünftig. Der Honig hat die Kraft,
die Uebelkeit und das Aufstossen, was von schlechtem Magen her-
rührt, zu beseitigen. Der Bienenkönig zeugt mehrere Söhne, und
wenn diese erwachsen sind, kommen alle Bienen zusammen und
tödten die schwächeren von ihnen, damit sie nicht Zwiespalt unter
4len Bienen hervorrufen und Krieg erregen. Die Bienen brüten ihre
Jungen aus, grade so wie die Hennen. Die junge Biene ist
beim Auskriechen weiss, das Junge des Königs aber sofort honig-
farben, weil es von ausgewählten Blumen und reichlicher Nahrung
herstammt.
Den Bienen gleicht jegliches Bisthum, in dem ein Bischof
als Weisel mit Verstand und aller Tugend die Chorherren regiert,
und die Bienen, das heisst die ChorheiTen, dem Bischof in allen
Stücken gehorchen. Sie dulden unter sich nicht njehr wie ein
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Haupt, aus Furcht, dass ihr Gemeinschaft gefährdet werden könne,
wenn sie sich mehrere Führer erwählen. Desshalb wählen sie nur
den Besten. Ach Gott, wie wenig solcher Bienen giebt es zu
unserer Zeit! Alle Bienen sind zu Wespen und Hornissen geworden.
Um seines bittereu Todes und seiner unergründlichen Barmherzigkeit
willen wolle Gott seinem Hause zu Hülfe kommen, das so sehr
verdirbt und verdorben ist. Du weisst wohl, was ich meine, barm-
herziger Gott, lass Deine Gnade erscheinen!
2. Von der Spinne.
Aranea heisst eine Spinne. ^) Dieser Wurm besitzt die be-
sondere Eigenschaft, aus seinen Därmen Fäden spinnen und Xetze
weben zu können, mit denen er die Fliegen fängt. Die Spinnen
haben nemlich in sich eine Wolle producirende Kraft, durch die sie
die Fäden hervorbringen. Es kommt häufig vor, dass die Spinne
sich bei ihrem Spinnen so ausdärmt, dass Nichts mehr in ihr bleibt
und sie zu Grunde gehen muss. Man sagt auch, die weiblichen
Spinnen spännen und webten die Netze, und die männlichen fingen
die Fliegen damit. Aus ihren Lenden bringen sie kleine Würmcheii
hervor, die aussehen wie Eier, und die sie in den Netzen absetzen.
Auch ohne Begattung können Spinnen entstehen, aus verfaulten
Gegenständen wie auch aus dem feinen Staub, der in der Sonne
fliegt, falls er gefault ist, und endlich auch aus dem Speichel, den
der Mensch nach der Mahlzeit auswirft. Die Spinne webt, w^enn
das Wetter hell ist, bei trübem nicht. Ein Naturforscher bemerkt,
dass die Spinne nicht eher neue Beute macht, bis sie die vorher
erlegte völlig aufgezehrt hat. Legt mau Spinngewebe auf eine
frische Wunde, so schwillt und fault sie nicht. Die Spinnen leben
von Säften und Feuchtigkeiten und sterben desshalb nie vor Hunger.
Ziehen die Spinnen ihre Netze in die Höhe, so deutet es auf Regen.
Die Spinne hat die Gewolniheit, sich an einem Faden über dem
Kopf einer Schlange zu schaukeln, die im Schatten eines Baumes
ihren Kopf in die Höhe streckt. Dabei beisst sie die Schlange so
gewaltig, dass sie ihr bis auf das Gehirn kommt und sie so um-
bringt. Aristoteles giebt an, man solle ein Pflaster aus Fliegen
auf die, vom Biss einer Spinne herrührende, geschwollene und
schmerzhafte Stelle legen, dann werde es besser. Meister Michael
*) Die verschiedenen, Gewebe verfertigenden Spinnenarten: Tegenaria^
Segestria, Epeira u. s. w.
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von Schottland sagt, die Spinne schlafe in der Luft, an einem
Faden hängend, den Rücken der Erde, das Gesicht dem Netze
zugekehrt.
3. Von der kleinen ErOte.
Bufo mag eine kleine Kröte ^) heissen. Die Kröte ist ein
triftiger Wurm, hat ein falsches Gesicht und ist unrein anzufassen.
Sie lebt von Erde, beobachtet aber beim Fressen das rechte Maass.
Ihre tägliche Nahrung beträgt nemlich nicht mehr, als sie mit den
Vorderbeinen fassen kann. In welschen Landen giebt es eine Kröten-
art mit einer Stimme, so stark wie eine Posaune. Bringt man sie
aus ihrer Heimath fort, so verliert sie die Stimme. Diesen Kröten
gleichen die Prediger, die nur in ihrem Heimathlande predigen
wollen. Alexander sagt, die Kröte fresse gern Salbei und ver-
gifte die Salbeiwurzeln niemals. Desshalb soll man Rauten an die
Stelle pflanzen, wo Salbei gezogen wird. Der Rautensaft ist nemlich
für die Kröte ein tödtliches Gift. Derselbe Alexander bemerkt
ferner, dass ein Krötenstein, aus dem Haupt der Kröte genommen,
seinen Besitzer von der schädlichen Wirkung genossenen Giftes
befreit. Brennt man eine Kröte zu Pulver und lässt dies liegen, so
entstehen lebendige Kröten daraus. Die Kröte besitzt die eigen-
thümliche Art, dass sie fürchtet, die Erde ginge ihr aus. Darin
gleichen ihr die Geizigen.
4r. Von der grossen KrOte.
Borax heisst eine grosse Kröte. 2) Sie hat ein Gesicht wie
ein Frosch und ist ein äusserst giftiges Thier, das von dem Ueber-
Tuaass von Gift, welches es im Leibe hat, aufgebläht wird, wenn
man es aufasst. Sie kämpft mit der Spinne und verliert dabei,
denn wenn die Spinne die Kröte wiederholt sticht, und diese sich
nicht wehren kann, so wird sie dermassen aufgebläht, dass sie
mitten auseinander platzt. Der Biss der Kröte ist so unrein, dass
man von ihm hervorgebrachte Wunden nur selten zu heilen im
Stande ist. In ihrem Kopf trägt die Kröte einen hochgeschätzten
Stein, •'^) um dessentwillen man sie tödtet. Dieser Stein ist zweierlei
Art. Die eine Sorte ist weiss und die bessere. Die andere Art
^) Bufo cinereus Sehn., gemeine Kröte?
^) Bufo cinereus Sehn.?
3) Vergl. VI. V2.
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ist braun oder schwarz. Die beste Qualität unter den braunen
Steinen besitzen die, welche in der Mitte einen, etwa waehsfarbenen.
Äugenfleck haben. Wer innerlich krank ist und diesen Stein mit
seiner Mahlzeit verschluckt, wird wieder gesund. Er durchzieht
nemlich das Eingeweide des Kranken, und nach geschehener Heilung
geht er unten wieder von dem Menschen ab. Desshalb muss man
ihn mit dem Essen ganz verschlucken. Wird der Kröte ein Auge
zerstört, so frisst sie ein besonderes Kraut, mit dessen Hülfe sie
ihr Gesicht wieder erhält. Man tödtet sie durch Raute. Das
Sonnenlicht hasst die Kröte, sie kommt desshalb gern des Nachte
hervor und hält sich mit Vorliebe da auf, wo Leute gegangen sind.
Am Tage versteckt sie sich und schläft. Den feinen Geruch der
Weingärten flieht sie. Der Stein, den sie trägt, ist ein Mittel gegen
Vergiftung, wie man sagt.
5. Vom Seidenwarm.
Bombix heisst ein Seidenwurm. ^) Dies Wurmchen findet
sich, wie Plinius berichtet, häufig im Lande Assyrien. Es spiunt
Seide, grade wie die Spinne aus ihrem eigenen Leibe Fäden spinnt
Aus der Seide verfertigt man Haarbänder und Gewänder, die be-
sonders für die zarten Frauen passen. Ein solches Gewand heisst
lateinisch Bombiciua. Meister Michael der Schotte sagt, das
Thierchen wickele sich um und um in eine Hülle von Fäden ein,
die es selbst gesponnen hat« um in dieser Hülle wiedergeboren zu
werden. Hat es allen Unrath, alle Unverdauliehkeit und allen
Schmutz aus seinem Leibe ausgeworfen und hält man es nun au
die Sonne, so ist sein Körper durchsichtig. Das Würmchen frisst
<lann so lange nicht mehr, bis es völlig verwandelt ist. Ebenso
handeln die vollkommenen Menschen, die sich ganz in die göttliche
Liebe eingezogen haben und auch alle Aeusserliehkeiten dieser AVeit
verachten.
6. Vom Gltthwttrmchen.
Cicendula gehört zu der Fliegenart, die Scarabaei genannt
werden. 2) Auf Deutsch heisst Cicendula ein (ilüh würmchen. Da-
nach kann denn auch Scarabaeus ein Glühwürmchen heissen. Das
Bombyx mori L.
') Lampyris noctiluca L. und splendidula L. Scarabaeus Ist die alte
Bezeichnung grösserer Kaeferarteu, besonders des Ateuchus sacer L.
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Würnichen besitzt die Eigenschaft, beim Fliegen oder Kriechen zu
leuchten und sieht aus, ^ie eine kleine Fliege. Es kommt in vielen
Ländern vor, besonders häufig in Italien. Wenn es Nachts umher-
fliegt, so sieht es aus, als ob Funken im Dunkeln umherflögen.
Am stärksten leuchtet das Thier am Hinterleibe. Wenn es nicht
fliegt, sieht mau das Leuchten nicht so deutlich. Dieses Würmchen
besitzt eine wunderbare Kraft: Wer drS^ davon isst, verliert jeglichea
nnkeusche Gelüst. Das hat schon mancher Mensch ausprobirt.
Wahrlich, ich wollte, dass all^ geistlichen Leute sie anstatt anderer
Pulver genössen. Diesem Würmchen gleichen alle Menschen, die
durch. ihre guten Werke leuchten und wegen ihrer Tugenden weithin
genannt werden, besonders am Ende. Denn wer ausharret bis an's
Ende, der wird selig. Und wenn man Jemanden so in der
Finstemiss dieser Welt leuchtend findet, dass die Finsterniss ihn
nicht überwältigt, wahrlich, der ist selig. Darum spricht unser
Herr: Eure Werke sollen leuchten vor den Menschen.
7« Ton der Handsfliege.
Cinomia heisst eine Hundsmücke oder Hundsfliege, ^) wie
Isidorus sagt. Es ist ein griechisches Wort, denn im Griechischen
beisst Cinos^) ein Hund. Diese Fliegen belästigen im Sommer die
Hunde sehr an ihren Ohren, und je mehr die Hunde sie sich von
ihren Ohren w^egschlagen, um so zahlreicher kommen sie wieder.
Fette Hunde beissen sie bis aufs Blut. Diesen Fliegen gleicht der
Teufel, der auch Tag und Nacht dem Menschen anhängt an den
Ohren seines Sinnens und Denkens. Versäumt der Mensch, ihn
zur rechten Zeit wegzuschlagen, so dass er tief in seine innersten
Gedanken und Gefühle sich festzuhängen vermag, so beisst ihm der
Teufel sicherlich eine Wunde. Darum, mein Herz, sollen wir es
machen, wie der heilige Vater Abraham es gemacht hat, und sollen
uns gegen die Fliegen und das Gezücht der bösen Gedanken mit
einer Gerte wehren, das heisst mit dem heiligen Kreuze, an dem
Gott seinen blutigen Schweiss vergossen hat um unserer und aller
Sünder willen. Denn David überwand den grossen Riesen Goliath
mit einem Stabe und einer Schleuder, und Jacob ging mit einem
Stabe über den Jordan, dessen W^asser so wild ist. Diesem aber
gleichen die ungestümen Gedanken, die den Menschen von Gott
scheiden.
Stomoxys calcitrans L., gemeiue Stechfliege?
3) = Kyon.
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254
8. Von den Mfieken.
Cinifes heissen Mücken.^) Das sind ganz kleine Würmchen,
die gerne der Ausdünstung des Menschen und der anderen Thiere
nachfliegen. Sie beissen barhäuptige Leute heftig und zwar be-
sonders gegen Abend zur Sommerszeit. Dann fliegen sie nenilich
in grossen Schaaren, und wenn ein Mensch im freien Felde schläft,
stechen sie ihn sehr und verwunden ihn mit den Stacheln, die sie
haben. Der Mücken giebt es im Sommer und Winter genug unter
den Menschen, die uns im Schlafe mit böser Nachrede stechen.
9. Ton den Bremsen.
Culex heisst eine Bremse. 2) Das ist ein Würmchen, grösser
wie die gemeine Fliege. Es hat im Munde einen Stachel wie eine
Pfeife gestaltet, mit dem es Menschen und Thiere sticht und ihr
Blut saugt. Daher rührt auch sein lateinischer Name, denn Aculeus
heisst ein Stachel und davon leitet sich, nach Isidorus, das Wor
Cidex ab. Derselbe Isidorus bemerkt auch, dass die Bremse
gern nach dem Licht fliege uud sich desshalb zuweilen an einem
brennenden Licht versenge. Das thut aber ein anderes fliegendes
Insekt, Lichtmotte genannt, das wie ein Schmetterling gestaltet ist
Plinius sagt, die Bremsen gingen besonders sauren Sachen nach
und flöhen die Süssigkeiten. Grade so verhält es sich mit den
Bösen, die nie von ihren Nachbaren Gutes reden. Erfahren sie
aber einmal eine übele Geschichte von ihnen, so verbreiten sie die-
selbe möglichst weit. Es giebt auch gewisse Bremsen, die denen
schaden, die ihnen nützten und denen Gutes thun, die ihnen Uebeles
erwiesen haben. So verwechseln sie allezeit Süss mit Sauer. Lass
sie fahren, dem klugen Manne schaden sie nicht!
10. Ton der spanischen Fliege«
Cantarides heissen Baumwürmer, ^) die oben auf den Aesten
von Eschen und anderen Bäumen aus Feuchtigkeit entstehen. Diese
Würmer wachsen auf den Blättern grade wie die Krautwürmer auf
dem Kohl, bekommen aber ausgebildete Flügel und fliegen über
Tage umher. Nachts dagegen sammeln sie sich zu einem Knäuel
oder einer Kugel zusammen. Diese Würmer sind grün gefärbt, im
Die verschiedenen Arten von Culex und Simulia.
2) Chry'sops caecuticus L. u. Chr. relictus Hffsg., Blindbremse?
3) Lytta vesicatoria L., spanische Fliege.
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Sonnenlicht sehen sie aber ganz goldig aus und werden desshalb
auch Goldwürmer genannt. Man sammelt diese Würmer Nachts
im Hochsommer und ertränkt sie in Essig. Sind sie todt, so be-
giesst man sie mit Wein und legt sie auf irgend ein Glied, Fuss
oder Hand oder sonstwohin unter eine kleine Decke von Wachs.
Sie ziehen dann an der betreffenden Stelle eine Blase. Durchsticht
man die Blase an einigen Stelleu mit einer goldenen Nadel oder
einem Häkchen, so fliesst alle bösartige Feuchtigkeit aus, die in dem
Gliede vorhanden ist, grade wie bei einer Fontanelle, und es leistet
diese Methode ebensoviel, wie manche Fontanelle, die ein Jahr liegt.
U. Von der Hornisse.
Crabro heisst ein Harliz oder eine Hornisse.^) Das ist ein
grosser Wurm, gezeichnet wie eine Wespe. Aber er ist grösser
wie eine Wespe. Nach Plinius Angaben wohnen die Hornissen
in hohlen Bäumen oder in Erdhöhleu. Ihre Zellen sind sechseckig,
die äusseren Wachsschichten ihres Baues sind löcherig. Ihre Brut
entwickelt sich ungleich und ohne bestimmte Ordnung, der eine
Theil fliegt schon aus, während der andere noch im Ei steckt, und
ein dritter schon bei den kleinen Würmern sitzt, von denen sie sich
nähren. Sie fressen Fleisch und wachsen bei Yollniond. Im Winter
halten sie sich versteckt. Die Gelehrten behaupten, dass ein zwei-
jähriges Kind von neun Hornissenstichen sterben müsse. Hornissen
und Wespen haben keinen König, wie die Bienen. Jede Hornisse
und jede Wespe will selber Herr sein, desshalb widerfährt ihnen
denn auch viel Nachtheil und Schaden. Ihr Honig ist dem
Menschen Nichts nütze. Sie brummen mit Grausen erregendem
Ton, besonders, wo sie in Höhlen sich befinden. Den Hornissen
gleichen die üppigen Gemeinden, in denen Keiner dem Anderen
gehorchen will, und Jeder mit dem Anderen seinen*^' Muthwillen
treibt. Wahrlich, die müssen zu Grunde gehen, seien es nun Laien
oder PfaiFeu. Das haben wir an Städten und Klöstern erfahren.
Ich nenne Keinen, weil es verboten ist, aber die Gedanken unter-
liegen keinem Verbot.
*) Vespa crabro L.
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12. Tom Kraatwarni.
Eruea heisst ein Krautwurni. ^) Das sind lange Würmer mit
zahlreichen Füssen und verschieden gefärbt Diese Würmer fressen
das Kraut ab wie auch die Blätter von den Bäumen. Es wird er-
zählt, dass dieser Wurm im Monat September seine Farbe ändere
und eine andere Gestalt annehme, wenn er vom Thau oder Regen
benetzt wird. Er bekommt dann nemlieh Flügel und kann fliegen,
wie ein Forscher behauptet hat. Wo der Wurm über die blosse
Haut eines Menschen kriecht, inficirt er dieselbe und erregt
Bläschenausschlag. Das beweist, dass er giftig ist, obwohl sein
Gift nicht grade grossen Schaden anrichtet.
13. Ton der Ameise.
Formica heisst eine Ameise. 2) Sie kann riechen wie ein
Mensch oder ein Hund, wenn auch nicht ganz so gut und ganz
so scharf, wie Aristoteles angiebt. Dass sie aber einen Geruchssinn
besitzt, kann man aus Folgendem ersehen: Nimmt man Schwefel
und Majoran, der auf dem Felde wächst (Es ist das sogenannte
Ohrenkraut, von Einigen auch Eiterkraut genannt. Es heisst aber
mit Recht Ohrenkraut, weil es gegen Ohrenleiden gut ist. Man
erkennt es an seinem rothen Stiel, den kleinen Blättern und rothen
Blumen, die Samen sind kreisförmig, wie eine Krone geordnet und
schmecken sehr scharf), wenn man also dies Kraut mit Schwefel
zusammen pulvert und das Pulver auf einen Ameisenhaufen streut,
so fliehen die Thiere sämmtlich und verlassen ihren Bau. Bei Neumond
hören sie mit jeder Arbeit auf. Unter allen Thieren besitzen allein
die Ameisen die Eigenschaft, im Alter stärker zu werden und zu
wachsen. Bei Vollmond schaiFen sie Tag und Nacht, sonst aber
nicht. Man kann ihre Steige und Wege auf dem harten Erdboden
wahrnehmen, so fleissig arbeiten sie und tragen ein. Daraus kann
jeder Mensch erkennen, dass Emsigkeit und Stätigkeit viel ver-
mögen, sei es nun in guten Werken gegen Gott oder in anderen
Dingen, guten und bösen. Die Ameisen tragen ihre Todten aus
dem Bau und begraben sie. Das thut sonst, ausser dem Menschen,,
kein anderes Geschöpf, wie Ambrosius bemerkt. Das Korn,
^) Von der Raupe und ihrer Metamorphose zum Schmetterling ist
die Rede.
^) Die verschiedenen Formica- und Myrmica-Arten.
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2:.7
welches sie eintragen, beissen sie entzwei, damit es nicht keimt
und grün wird. Die nassgewordenen Körner trocknen sie an
der Sonne, damit sie nicht faulen.^)
14. Tom Ameisenlöwen.
Formicaleon heisst ein Ameisenlöwe.'-) Er wird auch, nach
Adelinns, Mirmicaleon genannt. Mirmin (Myrmex) heisst nemlich im
(griechischen eine Ameise und Leon ein Löwe, daher kommt das zu-
sammengesetzte Wort Mirmicaleon, deutsch: Ameisenlöwe. Dieser
Wurm ist vom Geschlechte der Ameisen, aber wesentlich grösser.
So lange der Ameisenlöwe noch klein ist, ist er friedlich und behält
seinen Zorn für sich. Wird er aber kräftig und stark, so verschmäht
er seine bisherige (Tesellschaft und wendet sich zu den Grösseren.
Ist er schliesslich ganz gross und kräftig geworden, so lauert er
im Verborgenen an den Wiegen, die die Ameisen machen und stellt
diesen, wie ein richtiger Räuber, nach. Gehen die Ameisen an ihre
Arbeit und kommen mit dem, was sie eintragen wollen, zurück, so
nimmt der Ameisenlöwe es ihnen weg, erwürgt auch die Ameisen
selber und frisst sie auf. Im Winter beraubt er die Ameisen ihrer
Nahrung, die sie im Sommer eingetragen haben, weil er für sich
selbst im Sommer Nichts geschafft und erarbeitet hat. Diesem W^irm
gleichen die Müssiggänger, die den Arbeitern ihren, im sauren
Schweiss erworbeneu, Verdienst nicht lassen,
15. Von der Erdschnecke.
Limax heisst eine Erdschnecke.^) Limus ist nemlich eine
zähe Erdart, wie Lehm, aus der die Schnecke entsteht, und woher
das lateinische Wort Limax rührt. Diese Schnecke frisst Erde und
hat vier Hörner, von denen aber zwei länger und zwei kürzer sind.
Beim Kriechen streckt sie die Hörner hervor, rührt man sie aber
auch noch so leise an, so zieht sie die Hörner wieder ein und sich
in sich selbst zusammen. Im Winter hält sie sich verborgen, im
Frühling kommt sie wieder hervor. Ihr Blut besitzt die Fähigkeit^
die Schweisspoven zu verstopfen. Wenn man es auf die
Haut sti'eicht, verhindert es dort dauernd das Hervorwachsen
^) Verwechslung der Ameisenpuppen (sog. Ameiseneier) mit Getreide-
körneni.
-) Die Larve von Myrmeleon.
8) Die verschiedenen Arten von Limax und Ariou.
Schulz, Konrad von Megonberg's Buch der Natur. 17
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von Haaren. Gestosseue und zerriebene Schnecken, auf Wunden
gestrichen, verhüten in diesen das Auftreten von Geschworen.
16. Von der Heuschrecke.
Locusta heisst eine Heuschrecke oder Haferschrecke. ^) Es
ist aber nicht das Thier, von dem die Schrift berichtet, dass
Sankt Johannes in der Wüste davon gelebt habe. Dies war
nenilich ein vierfüssiges Geschöpf, das im Lateinischen auch
Locusta genannt wird, vrie wir das schon im Abschnitt von
den vierfüssigen Thieren auseinandergesetzt haben. 2) Wenn dieses
nun auch von einigen Gelehrten behauptet wird, so bin ich doch
der Ansicht, dass Sankt Johannes sich wohl nicht derartig
gütlich gethan und für seinen Leib gesorgt hat, dass er zumeist
von Fleisch in der Wüste gelebt hat. Es ist leichter, anzunehmen,
dass er dort von den Würmern (d. h. den Heuschrecken) sich genährt
hat, weil auch ein Volk, die Parther, sie gerne verspeisen. Ich weiss aber
nicht, in welcher Form sie sie essen. Die Heuschrecke hat einen Kopf,
gestaltet wie der eines Pferdes. Ein Gelehrter behauptet auch, die
Heuschrecken frässen sich untereinander auf, und die Grösseren
verzehrten die Kleineu. Ihr Maul ist viereckig, der Schwanz hat
die Form eines Stachels, und die Beine sind an den Leib heran
gekrümmt. Diese Würmer wachsen unter dem Einflüsse des Süd-
windes, der lateinisch Auster heisst, und sterben vom Nordwinde,
der lateinisch Aquilo genannt wird. Schnell fett werden sie, wenn
sie Mandelblüthen fressen. Sie haben einen Darm, der mit unver-
dauten Resten ihrer Nahrung angefüllt ist. Hungrig und nüchtern
fliegen sie viele Tage lang über weite Meere. Es ist wunderbar,
dass diese Thiere ihrer Nahrung auf so grosse Entfernungen nach-
fliegen. Wahrlich, es sollte der Mensch um der ewigen Speise, des
göttlichen Wortes willen auch in die Weite ziehen! Ach, was ist
an manchem Orte aus der Christenheit geworden, wo man einen
Strasseufiedler und Marktschreier viel lieber hören will, wie ein
Evangelium! Die Heuschrecken schnurren im Fluge mit ihren
Flügeln, dass man glauben kann, es seien wirkliche Vögel. An jedem
Schultergelenk haben sie einen scharfen, zahnf örmigen Ansatz. Die
*) Acridium u. andere Heuschreckeuarten. Die Bemerkung am Schlüsse
deutet auf A. migratorium L., die AVanderheuschrecke.
2) Vergl. III. 47.
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beiden Ansätze wetzen sie aueinander, als ob sie mit den Zähnen
klapperten. Ihre Brut sieht ans, wie Roggenkorn. Wenn du«
Jungen frisch aus den Eiern ausgekrochen sind, sind sie so klein
und schwarz wie die Ameisen. Ihrer waren gar viele zu Kaiser
Ludwigs Zeiten und richteten grossen Schaden an, wie ich an
anderer Stelle dieses Buches, in dem Kapitel vom Schopfstern mit-
getheilt habe.^)
17. Von der Fliege.
Musca heisst eine Mücke oder eine Fliege. 2) Sie fliegt überall
dreist umher und liebt das Licht, da sie im Dunkeln sich nicht
zurechtfinden kann. Sie hält sich gern in warmen Räumen auf
und sitzt mit Vorliebe auf feuchten Gegenständen. Sie ist blut-
gierig. Sie belästigt alle Thiere, besonders aber den Menschen.
Wenn sie an frischgeschlachtetes Fleisch kommt, erscheinen gleich
darauf Maden, die das Fleisch an der betroffenen Stelle ungeniess-
bar machen. Dies geschieht besonders in den heissen Augusttagen.
Stark gesalzene und scharf schmeckende Dinge vermeidet die Fliege.
Weisse und reine Gegenstände dagegen verunsaubert sie, und man
kann an manchen Dingen die Schmutzflecken in einem Jahre nicht
beseitigen. Ein Forscher berichtet, dass in Wasser versenkte Fliegen
oder Bienen nach einer Stunde wieder lebendig werden, allerdings
nicht immer. Die Fliegen entstehen aus faulem Mist. Sie gebären
Maden, aus denen sich neue Fliegen entwickeln, und diese Maden
sind hart und schwarz. Den Fliegen fehlt das Gedächtniss, In
Cypern giebt es eine vierbeinige, gefiederte Fliegenart, viel grösser
wie unsere Fliegen, welche nach Plinius Pyrallae genannt werden.
Es sind das Feuerfliegen. Wenn sie nemlich in einen brennenden
Ofen gerathen, so fliegen sie unbehelligt mitten durch das Feuer.
Das ist ein Wunder. Sie leben im Feuer, gehen aber zu Grunde,
wenn sie sich auch nur etwas davon entfernen.
18. Vom Floh.
Palex heisst ein Floh.^) Er entsteht aus angewärmtem Staub
und fauliger Feuchtigkeit. Das beste Mittel gegen Flöhe ist, sich
1) Vergl. II. 11.
*) Musca domestica L., StubeDfliege, M. vomitoria L., blaue Schraeiss-
fliege, die lebend gebärende Sarcophaga camaria L., Fleischfliege u. a.
^) Pulex irritans L.
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allabendlich den Leib mit Wermuthsaft einzureiben, oder, nach
Ambro sins: man wird von den Flöhen verschont, wenn man
Wermuthkraut mit Oel kocht und sich damit einreibt.
19. Von der Laus.
Pedikulus heisst eigentlich ein Füssling.^) Das ist eine Lau*
oder Kindsbeiss, und heisst desswegen lateinisch Füssling, weil sie
viele Füsse hat, wie es im Buche von den Dingen heisst.
Aristoteles nennt als bestes Mittel gegen dies Ungeziefer häufiges
Waschen des Körpers mit See- oder sonst stark gesalzenem Wasser,
Auch das Tragen einer Gürtelschnur, die in mit Quecksilber ge-
kochtem Baumöl getaucht ist, sowie das Einreiben der Kleider mit
einer 3Iischung von Quecksilber und Butter thun gute Dienste.
20. Vom Frosch.
ßana heisst ein Frosch.-) Er hat die Eigenart, sich vor allem
Lebendigen zu furchten und glaubt, die Menschen hassten ihn. Im
August kann er sein Maul nicht aufmachen, weder zum Fresseu
noch zum Trinken oder zum Schreien, noch auch zu irgend eiueiii
anderen Zweck, und man kann ihm das Maul dann kaum mit einem
Stock öffnen. Die Frösche begatten sich viel häufiger in der Nacht
wie bei Tage, woraus man die bei diesem Akt zu beobachtende
Schamhaftigkeit ermessen kann. Das ist für die, die bei Tag und
Nacht unkeusch sind. Sie haben wenig Nutzen von diesem Ueber-
maass, denn solcher Unfug nimmt der Stimme ihre Schönheit uii<i
den Augeu ihre Schärfe, verzehrt des Leibes Kraft und Stärke,
raubt die Ehre und verdirbt die Seele. Maasshalten ist ein Meister
alles Thuns. Legt man einem schlafenden Menschen die Zunge
des Wasserfrosches unter den Kopf, so beginnt er zu reden und
offenbart heimliche Diuge, wie die «ilte Bauernklugheit sagt, die
doch so oft irrt. Giebt man einem Hunde einen lebenden Frosch
in Brot, so kann er nicht mehr bellen. Es giebt auch eine kleine
Froschart, lateinisch Coriens und deutsch Laubfrosch genannt. Dies
Fröschchen ist grün, steigt auf die Bäume und wohnt zwischen den
Blättern. Dieser Frosch pflegt zu schreien, bevor es regnen
will; zu anderer Zeit wird er dagegen nur selten oder gar nicht
') Pediculus capitis L., Kopflaus, P. vtstimenti Nitz, Kleiderlaus, u. a.
^) Die verscJiiedeDen Arten von Rana und Hyla arborea L., Laubfrosch.
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laut. Manch Einer glaubt, wenn er einem Hunde diesen Frosch
in's Maul würfe, könne er nicht mehr bellen. Plinius berichtet
auch noch von einem kleinen Frosch, der gern im Röhricht und
Gebüsch haust. Wenn die Rinder ihn beim Saufen mit Terschlucken,
schwillt ihr Leib unmässig an.
21. Vom Egel.
Sanguisuga heisst ein Egel.^) Das ist ein Wasserwurm, der
weder Knochen in seinem Leibe noch Füsse oder Flossen hat.
Seine Eigenthümlichkeit ist die, dass er, wenn er sich an die Haut
i)ines Menschen angehängt hat, um so fester haftet, je mehr man
an ihm zieht, bis er schliesslich zerreisst. Dieser Wurm zieht das
faule Blut aus dem Menschen und saugt sich oft so voll, dass er
zerplatzt. So macht er den Menschen gesund und tödtet dabei sich
selbst. Diesem Wurm gleichen die Leute, welche oft durch Miss-
gunst und Hass geschädigt, gleichwohl den Anderen ihre Schuld
verzeihen und dabei selber zu Grunde gehen. Ein Naturforscher
sagt, man solle die Blutegel mit Dornen, Disteln oder Nesseln
stechen, bis sie das Gift von sich gegeben haben, das sie im
Wasser von den Fröschen aufgenonmien hatten. Dann erst soll
man sie sich ansetzen. Der Blutegel hat einen dreieckigen Mund,
desshalb macht er auch dreieckige Wunden.
22. Vom Wasserläufer.
Talpula mag ein Wasserläufer 2) heissen. Es ist ein vierfüssiger
Wurm mit Sohlen an den Füssen, mit denen er kühn über das
Wasser hinläuft, ohne sich vor ihm zu fürchten. Dieser Wurm
lebt sowohl im Wasser wie auf dem Lande. Er läuft auf der Erde
gar schnell, noch rascher aber auf dem Wasser und kreuzt in
kurzer Zeit ein breites Gewässer. Selbst auf ganz unruhigem
Wasser sitzt er in Menge und ruht sich auf ihm aus, wenn er müde
geworden ist. Er wird auch vom Wasser nicht nass, wie lange
man ihn auch mit den Händen untergetaucht hält, stirbt auch nicht
davon.
23. Vom SalomonsTvnrm.
Thamur^) oder Samier heisst der Salomonswurm. Ton ihm
heisst es in dem Buche: Historia scholastica, dass Salomon die
^) Hirudo medicinalis L. und H. officiualis Sav., der gemeine Blutegel.
^) Hydrometra- und Liranobates-Arten.
^ Ein ganz fabelhaftes Gesell öpf.
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Steine des Tempels mit ihm zertheilt und zerbrochen habe, auch
soll ein Strauss ein hartes Glasgefass mit ihm zerbrochen haben,
um sein Junges heraus zu bekommen. Dieser Wurm mag auf
unseren Herrn Jesum Christum hindeuten, denn das am Kreuze
vergossene Blut unseres Herrn hat so gewaltige Kraft, dass es die
steinernen Herzen erweicht zum 3Iitleid mit unseres Herren Marter-
Ich weiss Das sehr wohl, dass kein Sinnen und Denken so gewaltig
zur göttlichen Liebe entzündet, wie das Denken an das bittere
Leiden und die Menschwerdung unseres Herrn Jesu Christi, be-
sonders im Anfang solchen Wirkens der göttlichen Liebe, wenn eiu
Mensch ihrer zuerst theilhaft werden will. Nun überlege einmal^
mein Herz, ob Du nicht grosses Leid tragen würdest, wenn ein
Dir lieber Mensch um Deinetwillen soviel Schmach und Leiden bi»
zum bitteren Tode dulden würde? Ich will davon schweigen, dass
der Edelste, Schönste, Tugendsamste, Gewaltigste und Reichste
aus Liebe zu Dir so viele Marter erlitten hat, um Dich wieder heim
zu bringen in seines Vaters Reich und zur ewigen Freude. Oh kehre
zurück, meine Seele, kehre zurück zu Deinem besten Freunde!
34. Vom Räuber.
Spoliator heisst ein Räuber. ^) Dieser Wunn ist goldig gefärbt,
wie es im Buche von den Dingen heisst, und hat die Eigenart,
wenn er eine Schlange im Schatten liegend findet, zuerst auf ihren
Schwanz zu klettern und sie dort sanft zu krauen. Schliesslich
aber nagt er ihr den Schädel und das Gehirn durch und bringt
sie um. So thut auch die Sünde zuerst wohl und bringt doch
schliesslich den Sünder in den ewigen Tod.
25. Von der weissen Schneeke.
Testudo heisst eine Schnecke schlechthin, mag es nun eine
Wasser- oder eine Landschnecke sein, eine schwarze oder eine
weisse. Von ihnen allen habe ich schon berichtet, ausgenommen
von der weissen Schnecke.-) Sie entsteht aus faulem Gras bei
übermässiger Feuchtigkeit und Wärme. Dieser Wurm ist sehr
träge und fett, hat auch nach seiner Art viel Blut. Bestreut mau
ihn mit Salz, so zerfliesst er fast vollständig, so dass beinahe Nichts
^) Eine Calosoma-Puppenräuber-Art?
^) Umax maximus L., Kellerschnecke, Egelschnecke.
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von ihm übrig bleibt, und er sich ganz in seinem Blut auflöst.
Dies ist zu mancherlei Arznei nützlich. Diesem Thiere gleichen
die Menschen, die das Salz der Weisheit an sich erprobt haben,
völlig in Andacht zerfliessen und sich selbst für Nichts in dieser
Welt achten. Ich meine aber die göttliche Weisheit, denn die
menschliche Kunst macht die Gelehrten üppig, hochmüthig und auf-
«jceblasen. Darüber sagt Sankt Paulus: Scientia inflat, das heisst:
das Wissen bläht auf, und meint er das in demselben Sinne,
wie ich hier.
26. Vom Holzwurm.
Theredo heisst griechisch ein Holzwurm,^) wie Isidorus sagt.
Dieser Wurm wächst in solchem Holz, das zur unrechten Zeit ge-
schlagen ist. In trocken gehaltenem Lindenholz wachsen aber keine
Würmer, auch im Eichenholz finden sie sich nicht leicht. In allem
anderen Holz dagegen wachsen die Holzwürmer, mit ganz geringen
Ausnahmen, in den nördlichen Ländern. Desshalb beachten die
Holzhacker die Mondphasen und den Eintritt des Neumonds, w^enn
sie Holz oder Bäume fällen wollen.
37. Von der Schabe.
Tinea heisst eine Schabe.-) Das ist ein Kleiderwurm, wie
Isidorus sagt. Er entsteht aus fauler Luft und von der Feuchtigkeit,
die in der Wolle der (lewänder steckt. In diesen haust er und
zernagt sie.
28. Von der Speckmade.
Tarmus heisst eine Speckmade. •^) Das ist nemlich ein Wurm,
der im Speck w^ächst, wie Isidorus ängiebt, womit er das Fett
meint, das sich beim Schweine zwischen der Schwarte und dem
rothen Fleisch findet. Indessen kann Tarmus auch jede Fleisch-
made überhaupt bedeuten. Das Auftreten dieser Würmer verhütet
man durch ordentliches Salzen und passende Behandlung des
Fleisches.
^) Larven von Aiiobiuui-Arteii.
2) Tinea sarcitella L. Kleider motte,
3) Larve von Dermestes lardarius L., Speckkäfer, und von Pyralis
pingninalis L., Fettschabe.
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29. Von der Wespe.
Vespa heisst eine Wespe, ß) Die Wespen bauen ihr Nest au
hochgelegenen Stellen aus Koth und verweilen mit Vorliebe bei
dem Unrath, der von Thiereu oder Menschen herrührt. Sie fressen
Fleisch, wie Plinius angiebt, und entstehen zuweilen aus Pferde-
fleisch, wie der Papst Klemens bemerkt.
30. Vom Regenwurm.
Vermis heisst gewöhnlich jeder Wurm. Strenggenommen aber
bedeutet in deu wissenschaftlichen Büchern das Wort Vermis den
Regenwurm,'^) mit dem man die Angel beködert, wenn man Fische
fangen will. Dieser Wurm entsteht ohne Zeugung aus reiner Erde,
und mit ihm vergleicht sich unser Herr in dem Psalme, wo er
sagt: Ego sum vermis et uon homo! das heisst: Ich bin ein
Regenwurm oder Erdwurm und kein Mensch! So konnte er mit
Recht durch den Mund des Propheten von seiner Menschwerdung
und von seinem Leiden sprechen, denn er wurde Mensch aus dem
reinen Leibe unserer Frau ohne allen Makel, und im Gleichniss
hierzu sagt die Schrift, dass Würmer aus dem reinen Himmelsbrote
entstanden seien, das Gott den alten Vätern ehemals in der
Wüste herabwarf. '^)
31. Vom Chelldonler.
Vermis Chelidouiae heisst ein Chelidonier.^) Es ist ein Wurm,
der in einigen, von Xatur heissen Gewässern, wie die Wildbäder
sind, im Lande Chelidonien lebt. Das ist ein Königreich, aber
Chelidonia heisst lateinisch auch das Schöllkraut, wie wir später
sehen werden. In dieser Bedeutung fassen wir das Wort hier nicht.
Diese Würmer leben in dem heissen Wasser, wie die Fische im
kalten, und wenn sie aus dem siedenden Wasser in kaltes kommen,
sterben sie. So spricht und schreibt Augustinus im Buche vom
Staate Gottes.
^) Vespa vulgaris L.
^ Lumbricus terrestris L.
3) 2. Mose 1(k V. 20.
•*) Verschiedene Sclnieckeiiarten, z. B. Pahuliiia niuriatica Lam. (Turbo
Thermalis L.), die Badsclmecke, Melauopsis acicularis Fer. leben in heissen
Quellen und Bädern.
Google
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Damit hat denn der dritte Theil des Buches von allerlei
Thieren ein Ende. Aus ihrer Art und ihrem Wesen erkennt man
die wunderbaren Werke des obersten Fürsten, und auch die heilige
Schrift gedenkt ihrer an vielen Stellen. Die einfältigen PfaflPen
wissen aber nicht viel davon und könnten doch viele gute Predigten
darüber halten, wenn sie das Leben der Thiere ebenso gut kennten.
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IV.
Ä. Yon den Bäumen.
Im vierten Theile dieses Buches wollen wir von allerlei Bäumen
spreeheu und zwar zunächst von den gewöhnlicher vorkommeudeu,
dann von den wohlriechenden und besonders geschätzten Baumarteu.
Auch hier wollen wir die Reihenfolge beobachten, dass wir zunächst
die Bäume behandeln, deren Namen im Lateinischen mit einem A
anfängt, dann die mit B, grade so, wie das ABC geordnet ist?
und wir es bisher auch gehalten haben.
1. Vom Keusehlamin.^)
Agnus castus heisst das keusche Lamm. Platearius giebt
au, dass dieser Baum innerlich heisse und trockne Xatur besitze,
in Folge dessen erhitze und austrockne. Seinen Namen hat er Jä-
her, weil er den Menschen so keusch wie ein Lamm werden lässt.
Er rodet und wurzelt die unkeuschen Gelüste aus, weil er durch
die ihm eigene Hitze die unkeusche Feuchtigkeit des Menschen auf-
zehrt. Diese Wirkung übt der Baum nicht nur durch seine Blätter
oder seinen Saft aus, falls dieser getrunken wurde, sondern äussert
sie auch dann schon, wenn man einen Menschen auf seinen Blüten
oder Blättern liegen lässt. Dies bestätigt Galenus, der von den
Bürgern der griechischen Stadt Athen berichtet und dabei erwähnt,
dass früher die ehrbaren Frauen die Blätter dieses Baumes in ihren
Häusern ausstreuten, damit sie, wie auch ihre Männer, einen möglichst
keuschen Lebenswandel führen möchten. Man liest auch in den
Schriften der alten Meister, dass die alten Heiden, wenn sie durch
^) Vitex agnus castus L., Keusclilainni, Abrahams Strauch, Müllen,
Mönchspfeffer.
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ihr Opfer von ihren Abgöttern irgend eine Antwort erhalten wollten,
sich auf die Blätter des Baumes gelegt hätten, um nicht nach dem
Einschlafen von bösen Träumen und falschen Gesichten getäuscht
und beschwert zu werden. Der Baum bringt seine Blätter nicht
wie die anderen Bäume, die im Lenz ergrünen, sondern wartet da-
mit, wie auch mit den Blüten, bis tief in den Sommer hinein,
wenn die Sonne das Erdreich schon ordentlich durchgewärmt hat.
Die Blüten und Blätter sind als Arznei vorzüglich brauchbar.
Ihr Saft oder auch das mit ihnen abgekochte Wasser vertreibt die
unkeuschen Gelüste gründlich und entfernt die Hitze und Brünstig-
keit, die den Menschen plagen, besonders, wenn die Regio pubica
damit gewaschen wird. Das Tragen von Riemen, die in dem Saft
gekocht sind, ist wirksam gegen die Gonorrhoe, das heisst den un-
freiwilligen Samenverlust, wie er im Schlaf auftritt oder auch bei
einigen Leuten im wachen Zustande. Die Blätter des Baumes
gleichen denen des Oelbaums, sind aber weniger hart. Der Baum
wächst mit Vorliebe an nassen, niedrig gelegenen Stellen. Wollte
tiott, dass in der Welt weniger Weinreben und mehr solcher Bäume
wüchsen, besonders für die Leute geistlichen Standes.
2. Vom Adaiusbauni. ^)
In den Ländern gegen Sonnenaufgang wachsen, nach Angabe
des Jakobus, Bäume, die sehr schöne, äpfelartige Früchte bringen.
An diesen Aepfeln kann man ganz deutlich den Eindruck vom Bisse
eines Menschen erkennen. Desshalb nennt man sie Adamsäpfel.
Wahrlich, es ist ein grosses Wunder, dass Gott die Sünde des ersten
Menschen an diesen Früchten hat kenntlich machen wollen.
3. Vom Paradisbauin. *-)
Arbor paradisi heisst der Baum des Paradises. Bei einigen
Naturforschefli führt er noch den Beinamen: Pulcherrima, das heisst:
der AUerschönste. Er 'ist auch sehr schön, seine Blätter sind eine
Elle lang und eine halbe breit. Dieser Baum trägt längliche Früchte
von süssem Geschmack und mit einem dicklichen Saft. Die Ge-
lehrten sagen, der Baum trage über hundert Früchte an einem
Zweige. Sein Stamm ist hohl wie ein Rohr, er wächst gern an
Spielart von Citrus medica L. Citronenbaum, mit einem oder
mehreren characteristischen EiiKhn'icken in der Scliale der Fruclit.
-) Musa paradisiaca L., j^emeiner Pisang, Paradisfeige.
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feuchten Orten, die beständig nass gehalten werden, grade wie es
beim Kürbis der Fall ist. Dieser Baum ist für mich ein Sinnbild
unserer lieben Frau. Sie heisst wohl mit Recht der allerschönste
Baum, der unter eines Weibes Gestalt je Frucht getragen hat.
Sie ist so voller Gnade, dass sie an jedem Aste der Seligkeit mehr
denn hundert Früchte der Tugend trägt.
. 4. Vom Wunderbanm. ^)
Arbor mirabilis heisst der Wunderbaum. Auch sein Stamm
ist hohl wie eine Röhre, und er wächst auch, grade wie der Vorige,
besonders gern an nassen Stellen. Der Wunderbaum hat aber
breite und sehr grosse Blätter und trägt beereuartige Früchte an
langen Stengeln, wie die Weintrauben. Seine Blüthen sind ebenso
schön angeordnet, wie die Trauben, und wie Safran gefärbt. Der
Baum wächst, wie der Kürbis, mit Vorliebe im Schatten. Er ist
das Sinnbild des heiligen Kreuzes, das die gar schöne Blnme unseres
Herrn Jesus Christus getragen hat. Das heilige Kreuz heisst mit
Recht der Wunderbaum wegen der wunderbaren Werke, die Gott
in seinem Namen gewirkt hat. Von diesem Baume, wie auch über
den Vorigen, hat unser lateinisches Buch keinerlei Angaben. Ich
habe sie grösseren, naturwissenschaftlichen Werken entnommen,
wie ich das auch noch bei mehreren Bäumen und Kräutern thun
werde. Dazu zwingt mich gar guter Willen.
5. Von der Tanne.
Abies heisst eine Tanne und bedeutet im Lateinischen etwa
so viel wie ein Aufgänger. Dieser Baum wird nemlich sehr hoch
und ragt über andere Bäume empor, wie Isidorus sagt. Die
Tanne ist sehr luftiger Art. Desshalb kann man sie mit Nutzen
als Bau- und Brennholz verwenden, denn das Holz ist von gleich-
massiger Beschaffenheit und hat nicht viel Knorren, die von der
irdischen, groben Feuchtigkeit herrühren. Hält man das Holz
ständig unter Wasser oder an der Luft, so fault es fast nie. Be-
findet es sich aber bald im Wasser und dann wieder an der Luft,
und wechselt dieser Zustand häufig, so fault es leicht. Es ist zu
bemerken, dass die Naturforscher für das Tannen- und das Fichten-
holz, wie überhaupt alle Tannenarten, die gemeinsame Bezeichnung
^) Ricinus communis L., gemeiner AVunderbaura?
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Abies anwenden, dabei aber darauf hinweisen, dass die eigentliche"
Tanne unter allen den meisten Werth habe, weil sie das weisseste
und luftigste Holz besitzt. Das Fichtenholz ist etwas mehr roth
gefärbt und die Fichtennadeln sind nicht so schmal, wie die Nadehi
der Tanne. Das Föhrenholz ist kienig und wird zur Anfertigung
von Kienspähnen benutzt. Die drei Tannenarten heissen lateinisch:
Abies alba, Abies citrina und Abies resinosa.^) Yon der Fichte
werden wir aber au besonderer Stelle noch sprechen. Aus Tannen-
holz werden nur niinderwerthige Bäuche zu allerlei Saiteuinstrumenteny
Geigen, Leiern und dergleicheu, fabrizirt. Wegen seiner luftigen
Beschaffenheit ist das Holz nemlich nicht fest genug, und ausser-
dem ist es voll feiner Poren, die wir beim Menschen als Schweiss-
poren bezeichnen. Es hält desshalb die Luft, von der der Ton
herrührt, nicht fest. Zu den Böden solcher Instrumente ist das
Tannenholz dagegen vorzüglich geeignet, weil die Luft, nachdem
sie sich au den festen Wänden der Bäuche gestossen hat, langsam
durch die weichen Böden hin sich vertheilt und dadurch den weichen
Charakter der Töne bedingt.
6. Von der Erle.
Alnus heisst eine Erle.'-^) Dieser Baum wächst gern an nassen
Stelleu, hat rothes Holz und- eiue schwarze Rinde. Das verbraunte
Erlenholz liefert die w^eisseste Asche von allen uns bekannten Holz-
arten. So lange das Holz noch frisch ist, lässt es sich schwerer
spalten wie Tannenholz, nach dem Trocknen dagegen besser. So
lange die Blätter noch jung sind, enthalten sie einen zähen,
klebrigen Saft, wie die Pappelblätter. Jedoch ist der Saft der
Erleublätter nicht so wohlriechend, wie der der Pappeln. Streut
man Erlenblätter in eine Kammer, so tödten sie die Flöhe. Das
gilt aber nur für die ganz jungen Blätter, weil an ihnen die Flöhe
klebeu bleiben. Frisches Erlenholz, in Wasser gelegt, fault in
langen Jahren nicht. Desshalb schlägt man Pfähle aus dergleichen
Holz in moorigen Boden ein und baut darauf Thürme, Mauern und
anderes Bauwerk.
^) Heute: Abies alba Mill., Picea vulgaris Lk., Pinus silvestris L. —
Vergl. Nr. 37.
') Alnus glutinosa Gaert., Schwarzerie.
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7. Vom Mandel bäum.
Amygdalus heisst ein Mandelbaum. i) Isidorus sagt, es sei
-ein griechisches Wort und bedeute soviel wie eine lange Nuss.
Rabanus bemerkt, dass der Mandelbaum früher sich mit Blütheii
bekleide, wie alle anderen Bäume. Die Früchte dieses Baumes
sind zweierlei Art. Einige sind süss und gut zu verspeisen, andere
dagegen bitter und als Arznei brauchbar. Man kann aber aus
bitteren Mandeln süsse machen, wenn man sie danach kultivirt.
Umgräbt man nemlich den Baum, drei Pinger lang von der Wurzel
entfernt, mit einer Grube, in die die schädliche Feuchtigkeit hinein-
ziehen kann, so werden die Mandeln süss. Auch kann man zn
demselben Zwecke den Stamm in der Nähe der Wurzel mit einem
Nagelbohr durchbohren und einen Keil quer durch das Loch treiben,
oder einen eisernen Nagel durch den Stamm schlagen. Wäscht
man die Mandelkerne mit Meerwasser oder auch in anderem Salz-
wasser, so werden sie weiss und halten sich lange frisch. Der
Arbeit, durch die man die bitteren Mandeln süss macht, vergleiche
ich die Thätigkeit des Geistes, die alle bittere Reue und Busse in
die Süssigkeit der ewigen Seligkeit umwandelt.
8. Tom HagedorD«
Bedegar 2) heisst ein Hagedorn oder Weissdorn.-'^) Der Stamm
dieses Baumes ist besetzt mit weissen oder röthlichen Dornen, seine
Blätter gleichen denen des Rosenstrauches oder der wilden Rose.
Seine Früchte sind dagegen kleiner wie die der wilden Rose, eben-
so sind auch die Blüten kleiner. Die Blätter des Hagedoms
haben besonders im Frühjahr, wo sie noch jung sind, einen an
Wein erinnernden Geruch. Der Samen des Hagedorns wirkt er-
hitzend und beschleunigend. Er ist namentlich für Kinder gut, die
ihr Schultergelenk verletzt haben. Wenn sie eine Abkochung der
Samen trinken, werden sie wieder heil. Gegen Zahnschmerz hilft
das Ausreiben und Waschen der Mundhöhle mit dem Saft des
Baumes. Auch heisst es, die Wurzel sei gut gegen das Blutspeien
AUS Mund und Hals sowie gegen die Erkrankung des Magens und
die Fieber, die von schädlicher, wässeriger Feuchtigkeit herrühren.
*) Amygdalus communis L.
^ Bedeguare sind die sogenannten Schlaf äpfel oder Rosenschwämme,
.die moosartigeu, von Rhodites rosae L. an der wilden Rose erzeugten Gallen.
^) Crataegus oxyacantha L.
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9. Tom Bachsbanm.
Buxus heisst ein Buchsbaum. ^) Der Baum ist sehr knorrig,
sein Holz gelblieh, sehr hart, und eignet sich daher zum Schnitzen
von feinen Figuren und dergleichen. Der Baum wächst nicht sehr
hoch, er wirkt erwärmend und austrocknend. Einige behaupten,
wenn der Geruch des männlichen Samens dem des Baumes gleiche,
sei er zur Zeugung wohl geeignet. Ein gesunder Mensch riecht
am ganzen Leibe wie der Buchsbaum, nur dass bei diesem der
Geruch schärfer und herber ist. Die Blätter des Baumes sind klein,
im Sommer und Winter grün, und fühlen sich hart an. Es giebt
vom Buchsbaum zwei Arten. Die eine wächst höher wie die andere
und nicht so sehr in die Breite, wie die kleinere Art. 2) Sie trägt
kleine Früchte, die am oberen Ende scharf zugespitzt sind und
kleine Samen enthalten. Die Wurzeln des Buchsbaums sind sehr
knorrig und zeigen desshalb die schönsten Masern von allen andern
Holzarten. Von Fichtenmaser nimmt der Wein aber einen feineren
Geruch an.
10. Yen der Kastanie.
Castanea heisst ein Kastanienbaum. ^) Der Baum ist gross
und verästelt sich ähnlich wie die Buche. Jedoch wird die Buche
grösser und die Kastanienblätter sind grösser, und dicker, wie die
der Buche. Die Früchte der Kastanie sitzen in rauhen, stachlichen
Schalen, ebenso wie bei der Buche, sind aber viel grösser. An
jedem Baum finden sich in einer Schale mehrere Früchte, jede mit
eiuer besonderen, dunkel gefärbten Haut. Wenn man dem
Kastanienbaum die Krone aushaut, treibt er zahlreiche Schösse und
entwickelt sich so zu einem starken Busch. Mit Salz zerstossene
und darauf mit Honig gemengte Kastanien sind gut gegen den
Riss der Schlangen und wüthenden Hunde.
11, Von der Ceder.
Cedrus heisst eine Ceder.*) Dieser Baum zeichnet sich be-
sonders durch sein Höhenwachsthum aus. Jacobus und Isidorus
geben an, dass er bis fast in die Wolken hinein rage. Die Blätter
^) Buxus sempervirens L.
') Der zum Einfassen der Beete benutzte Zwergbuchs.
^) Castanea vesca Gaert.
*) Cedrus libanotica L. K.
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der Cecler ähnelu denen der Cypresse, der Taune und der Fichte,
riechen sehr schön und sind den Schlaugen zuwider. Auch das
Holz besitzt einen feinen Geruch, ist sehr haltbar, und wird vou
den Holzwürmern nicht angegangen. Des Baumes Harz heisst
lateinisch Kesina cedrina, was Cedernharz bedeutet. Bestreicht
man die Bücher damit, so fressen die Schaben sie nicht an, und
sie halten lange. Die Schlangen sterben vou seinem Geruch. Von
der Geder giebt es zwei Arten. Die eine blüht, ist aber unfrucht-
bar, die andere blüht nicht und bringt Früchte. Bei der frucht-
baren Art erscheinen die jungen Früchte, ehe die alten abgefallen
sind. Die fruchtbaren heisseu Meercedeni, lateinisch: Maritimae.^)
Diese wachsen in Italien, ihre Früchte werden fast kopfgross, wie
die des Kürbis. Die apfelförmigen Früchte sind gelb und besitzen
nach Jacobus dreierlei verschiedene Eigenschaften. Der äussere
Theil derselben w^irkt erwärmend, der mittlere massig erwärmend,
der innere, gewissermasseu das Herz der Frucht, kühlend.
Nun sagen die Gelehrten, dies sei die Frucht, von der unser
Herr gesagt habe: „Ihr sollt am ersten Tage von den Früchten
des allerschönsteu Baumes nehmen,'' wie es im Buche Leviticus
heisst.*^) Aber die Juden, die nur dem Buchstaben folgen, nehmeu
die Früchte vom Orangenbaum, der lateinisch Oraugus heisst, und
deren Saft man in Welschland gegen die Hitze zur Sommerszeit
trinkt. Besonders hohe und stattliche Cedern wachsen in den
Ländern gegen Sonnenaufgang auf dem Gebirge Libanon. Einige
behaupten aber, diese seien immer unfruchtbar. Diesen Cedern
gleicht unsere liebe Frau iu der Schrift, wo sie von sich selber
sagt: Ich bin erhöhet wie eine Ceder auf dem Berge Libanon.
So mochte die von Allen Begnadetste wohl sprechen, denn sie ist
erhöht über alle Engel im Himmel bis in die Wolken der göttlichen
Gnade und Liebe. Sie ist mit solcher Milde umgeben, dass Gott
ihr um ihres eingeborenen Sohnes willen Nichts versagt, sondern ihr
alles gewährt, w^as sie von ihm bittet. Frau, lass mich dessen ge-
messen um aller Deiner Würdigkeit willen!
13. Von der Cypresse.
Cypressus'^) ist gleichfalls ein sehr hoch wachsender Baum
und in vielen Stücken der Ceder gleich. Die Ceder nemlich und
Pinus martima?
3) 3. Mose 23 V. 40.
3) Cupre.ssus sempervirens L.
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<lie Cypresse, wie auch die Terebinthe i) und die Tanne haben
vieles mit einander gemeinsam und gleichen sich namentlich darin,
«lass sie sämmtlich Harz führen, dessen Geruch bei allen ziemlich
derselbe ist. Ceder und Cypresse halten aber länger aus, wie die
Tanne und die Fichte. Die Wurzeln der Cypresse breiten sich
weithin nahe der Erdoberfläche aus, die Blätter sind klein und
spitzig, wie die der Fichte oder Tanne. Das Cypressenholz dagegen
ist etwas härter wie Fichtenholz und dunkler gefärbt. Die Zapfen
<ler Tanne und Cypresse sind gleicher Gestalt, und die Samen beider
haben denselben Geruch. Die Eichhörnchen fressen die Fichten-
samen zur Winterszeit. Das Cypressenholz ist sehr geeignet zu
Balken für Kirchen und sonstige grosse Gebäude, es ist sehr fest
und kann desshalb grosse und schwere Lasten aushalten und tragen.
Diesem Baum vergleicht sich unsere liebe Frau gleichfalls in der
Schrift und sagt von sich selbst: Ich bin erhöhet wie eine Cypresse
auf dem Berge Zion. Das thut sie mit Recht, denn Zion heisst
soviel wie ein Bild des Friedens. Xun ist sie auf dem Berge des
ewigen Friedens, im Himmel, breitet ihre Gnade herab und hält
das Gebäude der heiligen Christenheit. Wäre es nicht so, wahrlich,
es wäre die Christenheit gar schwach in unserer Zeit, denn Zucht,
Tugend, Treue und Wahrheit sind aus der Welt gefahren und haben
vier schlimme (Jesellen zurück gelassen: Unzucht, Untugend, Untreue
und Falschheit.
13. Von der Quitte.
Cydonius oder Cottanus heisst ein Quittenbaum. 2) Es giebt
von ihm zw-ei Arten. Die eine wächst gross auf, wie ein Birnbaum.
Sie trägt längliche Früchte, wie Birnen gestaltet, und heisst Birn-
quitte. Ihr Geruch gleicht dem der gewöhnlichen Quitten, ebenso
auch die gelbe Färbung, aber die Blätter dieser Art sind kleiner,
wie die der gemeinen Quitte. Die zweite Art zeigt ein massigeres
Wachsthum. Sie hat grössere Blätter und bringt die gewöhnlichen
Quittenfrüchte. Diese sind ruud, nicht länglich, wie bei der erst-
genannten Art. Gräbt man den Boden um die Quittenbäume nicht
fleissig um, so vertrocknen sie, oder aber ihre Früchte werden
rainderw^erthig, klein und rauh. Die Quitten sind gebraten besser
zu verspeisen, wie gesotten. Man soll sie aber auf folgende Weise
Pistacia terel)inthus L., Terpentliin — Pistazie.
'O Cydonia vulgaris Pers.
Schulz, Konrad tod Megenberg'^ Buch der Natur. lÖ
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brateu: Entferne die Kerne aus ihnen und fülle die entstandene
Höhlung mit reinem Honig. Die Haut oder Schale wird mit einem
Messer abgeschält. Dann werden die Quitten mit Flachs oder Werg
umwickelt und in heisse Asche gelegt, wodurch sie wohlschmeckend
und gut werden. Das Wasser, mit dem die, aus den Zweigen und
Blättern gebrannte Asche abgewaschen ist, ist gut gegen den Husten.
Die süssen Quitten, nüchtern gegessen, sind gut gegen den Durch-
fall, der von der Hitze und mangelhaften Thätigkeit des Magens
herstammt. Isst man sie aber nach Tisch, so vertreiben sie die
Uebelkeit und das Aufstossen. Zu reichlich genossen machen sie
Schmerzen in den Adern. Quitten-Samen oder -Kerne sind für die
Leute gut, die an Rauhigkeit und Schärfe des Halses und der
Zunge leiden, und in Folge dessen heiser sind. Die gesottenen
Kerne sind vorzüglich gegen den Durst, wie die Quitten auch, und
desshalb geniessen sie die klugen Leute, wenn sie Wein getrunken
haben. Man kann auch Syrup aus ihnen machen, der den Appetit
wieder hervorruft, (ieschälte Quitten, in ein ausgepichtes Fass ge-
legt und mit Regenwasser begossen, geben dem Wasser einen
weinähnlichen Geschmack. Sie müssen aber zu diesem Zweck lauge
in dem Fass stehen. Den Quittenwein giebt man den Leuten, die
fiebern und Wein begehreu. Nüchtern getrunken stillt das Wasser
deu Durchfall, verursacht aber leicht Kolik tler Gebärmutter. Nach
Tisch getrunken, wirkt es dagegen eröffnend. Ebenso wirken die
mit Honig gesottenen Quitten. Der Quittenwasserwein ist auch
gut gegen Menorrhagie. Die gepulverte Asche gefaulter Quitten
ist heilsam gegen die Krankheit, welche Krebs genannt wird, sich
am After entwickelt und auch den Namen Feigwarzen führt. Aus
den Quittenblättern kann man auch ein Oel herstellen, wie das
Rosenöl, das zu vielen Dingen sehr brauchbar ist.
14. Vom Ebenholz.
Ebanus heisst ein Ebenholzbaum. ^) Er wächst bei uns nicht,
wohl aber in Indien und im Mohrenland. Haut man den Stamm
ab, so wird das Holz steinhart. Das Holz ist sehr schwer brennbar.
Legt man es in ein starkes Feuer, so verbrennt es zwar und winl
verzehrt, giebt aber keine Flamme und glüht auch nicht. Das Eben-
holz verfault nie. Die Rinde des Baumes ist leicht und dünn wie
^) Diospyros ebenura Retz.
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die des Lorbeerbaumes. Das aus Indien stammende Ebenholz ist
gefleckt oder gesprenkelt mit weissen und schwarzen Sprenkeln
und Flecken. Das im Mohrenlande wachsende ist besser und
ganz schwarz. Das sehr harte Holz ist glatt und dient zur An-
fertigung von Messerheften. Sie sind für uns aber immer etwas
Besonderes. Platearius sagt, wenn man das gepulverte Holz in
einem Tranke zu sich nehme, so zertrümmere es den Blasenstein.
Legt man schwarzes Ebenholz den Kindern in die Wiege oder bindet
es daran fest, so erschrecken sie nicht vor schwarzen Gesichten.
So sagen wenigstens die Zauberer in ihren Büchern.
15. Vom Ephen.
Edera^) heisst Epheu oder ein Erdbaum. Richtiger würde et
aber Schlingbaum genannt, weil er sich überall an Mauern oder
Wänden, in deren Nähe er steht, heraufschlingt, und sich mit zahl-
reichen Wurzeln in sie hinein verflechtet. Er trägt selten Früchte
oder Blütheu, weil er sehr kalter Natur ist und mit Vorliebe an
kalten Orten wächst. Bringt er Früchte, so gleichen diese schwarzen
Trauben, wie die Weintrauben sind. Dieser Baum verdirbt alle
anderen Bäume, an denen er wächst, weil er alle Feuchtigkeit aus
ihnen herausholt und sie verdorren lässt. Er riecht sehr übel und
ist immer grün. Es heisst auch, dass die Ziegen viel Milch geben,
wenn sie seine Blätter fressen.
16. Tom Feigenbaum.
Ficus heisst ein Feigenbaum. 2). Dieser Baum hat weit aus-
gestreckte, verbreitete Aeste mit zerstreut stehenden Blättern, wie
Isidorus sagt. Biegt man die untersteu Aeste nieder und bedeckt
sie mit Erde, so sprosst aus ihnen ein neues Geschlecht um den
Mutterstamm hervor.^) Der Schatten, den die Blätter werfen, ist
für alle Dinge schädlich. Plinius berichtet, dass die Feigen in Indien
viel süsser seien wie sonstwo.^) Sie sind aber für nicht Einheimische
sehr schädlich und benehmen ihnen Kraft und Stärke. Aus diesem
*) Hedera helix L.
') Ficus carica L.
3) Diese Angabe passt für Ficus indica, einen ostindischen Baum mit
zahlreichen, herabhängenden Luftwurzeln, die in der Erde wurzelnd neue
Stamme bilden.
*) Indische Feigen sind die Früchte des Pisangs.
18*
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Gründe untei'Fagte der gewaltige Kaiser Alexander seinem Volk dea
Genuss der Feigen, als er in Indien verweilte. Der Feigenbaum
bringt die Früchte früher wie Laub und Blätter. Isidorus sagt^
wenn alte Leute viel und häufig Feigen ässen, so vergingen ihnen
die Runzeln, weil die Feigen die überflüssige Feuchtigkeit aus dem
Körper zwischen die Haut und das Fleisch zögen, wodurch die
Runzeln ausgefüllt würden. Derselbe bemerkt auch, der Feigenbaum
besitze so gewaltige Kraft, dass ein wilder, grimmiger Ochse, an ihm
festgebunden, zahm und sanft werde. Der Saft des Baumes ist
milchig, er heilt die vergifteten Bisse der Schlangen und tollen Hunde.
Ausserdem ist er gut gegen Hautflecken und vertreibt die Trübungen
an den Augen, wie ein Forscher mittheilt. Die Feigen machen un-
gesundes Blut und erzeugen deshalb beim Menschen viel Läuse, die
ich oben, im Abschnitt von den Würmern, unter dem Namen
Füsslinge beschrieben habe. Die Feigen besitzen die Fähigkeit, die
überflüssige Feuchtigkeit im Menschen zwischen die Haut und das
Fleisch zu treiben, und erregen dadurch hitzige Schweisse. Mit
Feigenbaumasche gewaschenes oder durchgeseihtes Wasser ist gut
gegen geronnenes Blut im Leibe, weil es dasselbe verflüssigt, wenn
man es trinkt. Die Lauge aus der Asche öffnet und erweicht die
harten Abscesso und Geschwüre. Die Blätter sind gut gegen die
Geschwüre und Hautausschläge, die von grober Feuchtigkeit her-
rühren. Saft und Asche des Baumes haben eine nagende, durch-
fressende Wirkung, und sind desshalb beide gut gegen Geschwüre.
Die Lauge ist hervorragend nützlich gegen kranke Adern, wenn mau
sie trinkt. Wenn man Feigen mit Nüssen auf nüchternen Magen
isst, so eröfl*nen sie den Yerdauungskanal. Mit groben Dingen, wie
bäurischer Kost, Milch und Aehnlichem genossen, sind sie schädlich.
Wenn auch die Feigen nicht ebenso nahrhaft sind, wie Brot und
Fleisch, so nähreu sie doch besser, wie alles andere Obst. Der Saft
aus den Blättern eröff^net die zum After gehenden Gefässe, was für
Manchen, der viel faules Blut in sich hat, recht gut ist. Der
Milchsaft der Feigen ist gut gegen den Stich des Skorpions, und
(las Auflegen frischer, junger, zerquetscliter Feigenblätter auf den Biss^
eines tollen Hundes hilft recht wohl. Pliuius sagt, dass der
Milchsaft das dünne Blut zusammentreibe und eindicke, das dicke
Blut dagegen verflüssige. Wenn man Feigen vorsichtig in Honig^
einlegt, so, dass eine die andere nicht berührt, kann man sie frisch
erhalten. Die Feigenbäume haben eine sehr bittere Rinde, bringen
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Aber gleichwohl sehr süsse Früchte, aber ohue Blüthe. Der Früchte
giebt es dreierlei Sorten, die besten sind die weissen, danach kommen
-die rothen und die schlechtesten sind die schwarzen.
17. Von der Bache.
Fagus heisst eine Buche. ^) Das ist ein gar stattlicher Baum
mit dreieckigen Früchten, die bei uns Buchein und anderswo in
Deutschland Bucheckern genannt werden. Die Kerne schmecken
süss, sind aber für die Brust schädlich. Das Oel, das aus ihnen
gewonnen wird, ist sehr rein und gut zum Brennen in den Lampen.
Das Holz des Baumes ist zwar hart ^enug, wird aber sehr leicht
von Würmern angegangen, wenn es nicht unausgesetzt im Rauch
«ich befindet. Desswegen ist es als Bauholz nicht viel nutz. Die
Blätter des Baumes sind sehr weich und führen einen süssen Saft.
Desshalb bereiten die armen Leute aus den jungen Blättern ein Muss
xind kochen sie wie Kraut. Einige erzählen, dass das Holz in Stein um-
gewandelt werde, wenn es lange im Wasser liegt. Das Holz ist
Torzüglich zum Brennen geeignet und giebt gute, lange vorhaltende
Kohlen. Ist das Holz fast vermorscht, und wird es dann in seinem
-eigenen Feuer verbrannt, so wird eine sehr scharfe Asche daraus,
-die für Färber, welche Tuch und andere Dinge färben, nutzbar ist.
Die Früchte des Baumes machen bei den Schweinen nicht so fettes
Fleisch, wie die Eicheln.
18. Von der Esehe.
Fraxinus'-^) heisst in einigen Gegenden Deutschlands ein Schling-
baum. Das Holz des Baumes wird getrocknet so hart, dass die
Zwecken, die man daraus verfertigt, zum Beispiel durch ein Schild
oder durch anderes Holz durchdringen, wie Eisen. Ebenso verhält
^8 sich mit dem Holze des Ligusters, weshalb man früher gerne
Lanzenschäfto daraus machte. Das Holz hat mehrere Rinden oder
Schalen, und zwischen je zwei Rinden findet sich eine körnige Materie,
die zwar ziemlich leicht zerreiblich, trotzdem aber sehr hart ist. Das
Eschenholz ist nicht ganz weiss, mehr aschfarbig. Die Rinde ist
weder sehr rauh noch besonders glatt, hält vielmehr die Mitte
jswischen beiden. Sie ist auch nicht sehr dick. Der Baum bringt
*) Fagus süvatica L., Rothbuche.
') Fraxinus excelsior L.
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an eiuem Stengel beidei'seits zahlreiche Blätter, wie der Nussbauin,
aber die Esehenblätter sind schmaler und weicher, wne die des Nuss-
baiims. Sie sind fast gestaltet wie Weideublätter, aber bedeutend
grösser und heller gefärbt. Die Früchte des Baumes gleichen
dünnen Trauben, in der Art, dass immer viele Früchte in einer
dünnen Traube zusammenstehen. Isidorus sagt, der Baum wachse
gerne an rauhen Stelleu, zum Beispiel auf Bergen und in steinigem
Boden. Seine Asche wirkt, mit Essig gemischt, stark beizend und
wird deshalb zu Fontanellen an den Beinen oder sonstwo verwendet-
Ein Pflaster aus den mit Essig verriebenen Blättern ist gut für
räudige und krätzige Leute, auch heilt man damit die Wunden.
Wenn man die, mit warmem Wein gemischte, Asche der Rinde oder
Blätter dieses Baumes zu Umschlägen auf gebrochene Glieder
benutzt, so heilen diese glatt wieder zusammen.
19. Von der Spelsceiche.
Hex heisst eine Speiseeiche. ^) Die Früchte dieses Baume&
dienten den Menschen im Anfang, ehe das Korn wuchs, zur Nahrung.
Der Baum hat Früchte wie Eicheln, und es sagt desshalb ein Dichter-^
oder Märchenerzähler: Die sterblichen Menschen nährten sich zu-
erst von Eicheln.
20. Vom Wachholder.
Juniperus heisst ein Wachholderstrauch. '^) Es ist ein griechisches
Wort und bedeutet soviel wie Feuerbaum. Pyr heisst nemlich, nach
Isidorus und Jakobus Angabe, im Griechischen Feuer, und der
Name Juniperus rührt davon her, dass dieser Baum das Feuer
lange unterhält. Denn wenn man glühende Kohlen mit der Asche
dieses Baumes überdeckt, so halten sie ein Jahr. Von dem, in
meiner Muttersprache Wachholder, sonst auch Kranwitbaum ge-
nannten Strauche giebt es zweierlei Arten. Die eine ist gross, die
andere klein. Die Früchte wirken austrocknend und erwärmend
und w^erden im Frühjahr gesammelt. Sie besitzen die Fähigkeit,
die zähe Feuchtigkeit im Menschen zu zertheilen und zu verzehren.
^) Quercus ilex L., immergrüne Hülsen- oder Stecheiche und Q. esculus
L., Speiseeiche liefern essbare Früchte.
2) Ovid im 1. Buche der Metamorphosen, V. lOO.
^) Juuiperus communis L.
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Wer an der Ruhr oder starkem Durchfall leidet, koche die Früchte
mit Regenwasser oder Wein, so wird ihm besser. Aus dem Wach-
holder stellt man ein Oel auf folgende Weise her: Man nimmt zwei
kupferne Töpfe und stellt sie in einander. Der oben befindliche
Topf muss im Boden ein Loch haben. Den oberen Topf füllt man
dann mit Wachholderholz, das vorher getrocknet ist, und verschliesst
ihn sorgfältig, damit kein Rauch heraus ziehen kann. Dann zündet
man um die Töpfe ein tüchtiges Feuer an. Wird nun das Holz
inwendig heiss, so fliesst das Oel aus dem oberen Topfe in den
unteren. Es ist aber jedesmal nur wenig. Dies Oel ist vorzüglich
gegen das viertägige Fieber. Mit Fleisch gegessen ist das Oel
ferner gut gegen die Eingeweidesucht und gegen die fallende
Krankheit, die lateinisch Epilepsie genannt wird. In diesem Falle
muss man das Rückgrat damit einreiben. Auch für die natürliche
Melancholie ist es, mit dem Essen aufgenommen, heilsam. Die
Melancholie macht die Leute geisteskrank, so dass manche Menschen
sich selbst umbringen oder sich einbilden, sie seien von Glas oder
gestorben. Platearius empfiehlt, das Oel in die Ohren zu träufeln,
weil es für die Ohren heilsam und ein Mittel gegen die Taubheit
sei. Der Wachholder hat viel Aehnlichkeit mit der Cypresse und
wird desshalb in den Büchern häufig Feldcypresse genannt. Nacli
Avicenna wird der Baum im Orient so gross, dass man ihn zum
Bauen brauchen kann. Farbe und Geruch des Holzes wie auch
die Blätter gleichen denen der Cypresse. Es heisst auch, der Wach-
holder sei ein Mittel gegen das Müdewerden der Glieder. Desshalb
schlafen die Leute wohl, wenn sie ermüdet sind, im Schatten des
Baumes. Wachholder reiniget nnd eröff^net die Wesre und Gefässe
«1er Verdauung. Desshalb ist er dem Magen gut, benimmt ihm die
Brechneigung und stärkt ihn. Ferner sind die Wachholderbeeren
den mannbaren Mädchen nützlich, die an Uteruskolik leiden, was
Praefocatio matricis genannt wird. Werden die Weiber hiervon be-
fallen, so fallen sie wiederholt in Ohnmacht und sind bewusstlos.
Es ereignet sich bei ihnen öfter, wenn sie zu lange des männlichen
Verkehrs entbehren. Zu bemerken ist, dass die Fälscher die Kubeben
oft mit Wachholderbeeren verfälschen, weil sie einander ähnlich
sehen. Wer in Folge von übermässiger Ernährung und Feuchtig-
keit gliederkrank ist, soll den Wachholder samnit der Wurzel klein
hacken, tüchtig kochen und sich in dem abgeseihten Wasser baden.
Dann sollen die Glieder mit leinenen Tüchern f^erieben werden.
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Stammt aber das Gliederweh von einer langwierigen Krankheit
oder Exoessen in Venere her, so ist eine derartige Behandlung
schädlich.
21. Vom Lorbeerbaum.
Laurus heisst ein Lorbeerbaum.^) Nach der lateinischen Be-
zeichnung könnte man ihn auch wohl den Lobbaum nennen,
wie Isidorus bemerkt, weil das lateinische Wort Laus Lob bedeutet,
und das Wort Laurus davon abgeleitet ist. Die Alten krönten
nemlich die Streiter und Fechter mit dem Lorbeer, wenn sie ihre
Feinde besiegt hatten, und es hiess desshalb der Baum ehemals
Laudea, während man ihn heute Laurea oder Laurus nennt. BHtz
und Donner schädigen diesen Baum nicht. Er wirft auch seine
Blätter nicht ab. Diese besitzen einen feinen Geruch und wirken
durch ihn stärkend. Die Blätter müssen an einem schattigen Ort,
nicht im Rauch, getrocknet werden, dann behalten sie ein Jahr lang
ihre bedeutende arzneiliche Kraft. Platearius sagt, dass mit <len
Blättern gekochter Wein gegen Erkältung des Magens dienlieh sei.
Gegen den kalten Fluss des Kopfes nimm Lorbeer- und Rosen-
blätter, siede sie in Wasser und verschliesse das Gefäss. Wenn
dann der Dampf aufsteigt, soll sich der Kranke darüber neigen und
die Stirn wie auch die Schläfen an den Ohren mit dem Wassser
einreiben, dann wird er wieder gesund. Die Früchte des Lorbeer-
baums heissen lateinisch Baccae, sie besitzen die Fähigkeit, die
zähe Feuchtigkeit zu zertheilen und zu verzehren. Das Oel aus
den Lorbeeren ist gut für die kranken Glieder, die an der Ader-
sucht, lateinisch Arthetica (Gicht), leiden, sowie gegen alle Krauk-
lieiten, die von kalter Xatur herrühren. Man gewinnt das Oel so:
Man soll frische Lorbeeren zerstossen, dann längere Zeit mit Oel
kochen und durch ein Tuch seihen. Das nennt man dann Lorbeeröl,
Dasselbe Oel kann man auch aus den frischen Blättern herstellen.
Die frischen Blätter bekommen dem Magen schlecht und erregen
Uebelkeit, drehen auch den Magen um. Gegen Ohrenkrankheiteii
und Taubheit sind sie dagegen heilsam.
22. Vom Oleander.
Lorander heisst ein Oleander. 2) Lateinisch wird er auch
Rotnnda genannt, wie Isidorus angiebt, was auf deutsch der
^) Laurus nobilis 1..
') Neriuni Oleauder L.
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runde Baum heisst. Der Baum hat Blätter wie der Lorbeer und
Blüthen wie die Rosen. Sein Saft ist giftig und tödtet die Thiere.
<7egen einige Arten von Geisteskrankheit, die die Menschen befällt,
«lient er aber als Arznei.
23. Von der Lärche.
Laurex mag ein Hausbaum bedeuten. ^) In gewisser Beziehung
heisst nemlich Lar ein Hans, und von diesem \A'orte ist, nach
Isidorus, Laurex abgeleitet. 3Iacht man aus dem Holze des
Baumes Tafeln und hängt sie an die Häuser, so vertreiben sie die
Flammen von den Häusern, wenn in der Nachbarschaft Feuer aus-
bricht. Das Holz hat eine wunderliche Eigenschaft: es macht keine
Kohle, wenn man es in offenem Feuer verbrennt.
24. Vom Mastixbaum.
Lentiscus heisst ein Mastixbaum.-) Der Stamm des Baumes
ist weich und nachgiebig, wie Isidorus angiebt. Desshalb hat er
den lateinischen Namen Lentiscus, weil wir lateinisch Alles mit dem
Worte lentum bezeichnen, was weich und biegsam ist. Aus der
Frucht des Baumes schwitzt Oel, und die Rinde liefert ein Harz,
das wie der Baum genannt wird. Unser lateinischer Text sagt,
das Hara werde ilastix genannt. Das ist aber nicht richtig, weil
Alastix ein besonderer Baum ist und ein gleichnamiges Harz liefert,
wie späterhin noch auseinandergesetzt werden wird. Platearius
bemerkt, dass die Blätter und Früchte des Baumes zu vielerlei
Arznei brauchbar sind, und die Fähigkeit besitzen, die Katamenien
aufhören zii machen. Auch gegen andere Blutflüsse des Leibes
sowie gegen Appetitlosigkeit und Brechneigung bei Krankheiten
sind sie gut. Wer au Geschwüren der Zunge, der Lippen oder
des Mundes leidet und zu hitziger Krankheit neigt, soll die Blätter
iu Essig kochen und damit entweder gurgeln oder den Dampf
einathmen, dann wird ihm besser.
25. Vom Granatbaum.
Malus punica oder Malogranata heisst ein Granatbaum. *^) Malus
puuica heisst er desshalb, weil Malus lateinisch Apfel bedeutet und
^) Hs ist zweifellos Larix europaea L., die Lärche gemeint, die Be-
zeichnung Hausbaum resultirt aus dem Versuche, die A])stammung des
Wortes zu erklären.
^) Iu diesem Abschnitt wenleu von K. Pistacia lentiscus u. terebiutlius
mit einander verwediselt.
^) Punica grauatum L.
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Piinica ein Königreich ist, in dem der Baum häufig und üppig
wachst. Daher hat der Baum den Namen, wie Isidorus sagt.
Malogranate heisst er desshalb, weil seine Frilchte inwendig voU
von Kernen sind und Malogranata genannt werden. Eine der apfel-
förmigen Früchte allein heisst Malogranatum, denn Granum ist
lateinisch ein Korn, und die T.aien nennen sie desshalb Malgranäpfel.
Die süssen Granatäpfel wirken massig erwärmend und anfeuchtend,
ÄO dass ihr (Jenuss erwärmende und anfeuchtende Folgen hat. Die
sauren sind dagegen kalt und trocken, und desshalb den Kranken
dienlich, die in Folge der Anwesenheit hitziger Materie im Körper
leiden, und durch die Galle, an der hitzige Naturen leiden, hini-
wüthig sind. Man giebt ihnen die Granatäpfel mit den Speisen.
Wer den mit Zucker vermischten Saft der Aepfel isst, dessen
Magen verdaut die Nahrung sehr gut.
26. Vom Holzapfelbanm.
Mala maciana heissen die Holzäpfel, die im Walde und auf
tlem Felde wachsen, i) Die Aepfel haben zusammenziehende Kraft.
Desshalb sind sie gegen das wiederholte Aufstossen und anhaltendes
Erbrechen wirksam, wie auch gegen Durchfälle. Die süssen Aepfel
erzeugen dagegen, nach Platearius, Gase im Leibe und wirken
blähend. Die sauren sind gesünder, wenn man sie den Kranken
gebraten oder roh nach anderer Speise verabfolgt. Gebraten o<ier
gekocht sind sie aber besser, wie roh. Indessen sind alle Aepfel
eigentlich schädlich, faulen leicht im Menschen und machen
schlechtes Blut. Man giebt sie den Kranken aber desshalb, damit
sie wieder vergnügt werden.
37. Vom Manlbeerbaiim.
Morus bedeutet im Griechischen ein Maulbeerbaum,^) lateinisch
wird er dagegen Rubus genannt, Meil seine Früchte zuerst roth
sind, und auch der Saft derselben blutroth gefärbt ist. Rabanus
erzählt, wenn man Maulbeerblätter auf eine Schlange würfe, so
gehe sie daran zu Grunde. Der Baum bringt seine Früchte spät,
sind sie aber einmal da, so reifen sie schnell. Der Baum lebt im
Vergleich zu andern, lange. Platearius sagt: Die Früchte «les
^) Die Fnicbte von Pirus malus Mhestris Mill.
-) Morus nigra L.
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zahmen Maulbeerbaums siud kalt und feucht und eröffnen, erweichen
und kühlen desshalb den Leib. Der Saft wird Diamoron genannt,
Ausgepresst und gesotten ist er gut gegen die Halskrankheit, die
lateinisch Squinanthia (Bräune, Angina) genannt wird. Massig er-
lÄ'ärmt ist der Saft wirksam gegen Verstopfung des Leibes, mit
Honig zusammen tödtet er die Würmer im Darm, welche lateinisch
Lumbrici genannt werden. Nun könnte man wohl fragen: Welcher
Baum heisst denn der wilde Maulbeerbaum? Das sind die Mori
oder Rubi silvestres, die deutsch Brombeeren oder Kratzsträucher
genannt werden. Ihre Früchte gleichen denen des zahmen Maul-
beerbaumes und sind ebenfalls süss, wenn sie reif geworden sind.
Brombeeren oder Kratzbeeren werden sie desshalb genannt, weil
man sich kratzt oder reisst, wenn man die Pflanzen anfasst. Sie
lehnen sich gern an andere Bäume an und ranken mit ihren Aesten
an ihnen in die Höhe. Es ist wissenswerth, dass beide Maulbeer-
arten schlechtes Blut machen. Die Blätter des zahmen Maulbeer-
baumes fressen die Seidenraupen. Man kann sie allerdings auch
mit Lattichkraut füttern-, die Seide wird aber nicht so gut, wie
wenn sie Maulbeerblätter fressen. Die süssen Maulbeeren leisten
fast dasselbe, wie die Feigen, sind aber weniger nahrhaft wie diese,
machen schlechteres Blut und schaden dem Magen. Einige Maul-
beerarten sind roth und schmecken etwas bitter. Man macht au&
ihnen ein Getränk, Moretum genannt Die bitteren haben mehr
erkältende, feuchtende Wirkung, die süssen dagegen erwärmen und
feuchten an, wie Albertus sagt. Eine Abkochung von Maulbeer-
blättern mit den Blättern eines schwarzen Feigenbaumes und W^eio-
laub in Regenwasser, färbt das Haar schwara, wenn man den Kopf
damit wäscht.
28. Ton der Birke.
Myrica^) heisst eine Birke, lateinisch auch Yibex. Die äussere
Kinde des Baumes ist weiss, da sie aus einer klaren, zähen Feuchtigkeit
entsteht. In gewisser Beziehung heisst die Rinde lateinisch Liber.-)
Der Baum ist unfruchtbar, wächst gern an wüsten, unfruchtbaren
Orten, wird ziemlich hoch, und hat zahlreiche, dünne Aeste, aus
denen man Besen macht. Das Holz ist zähe, riecht schlecht und
lässt sich nicht gut spalten. Albertus sagt bei Bespreclmng eines,
^) Betula alba L. Verj^l. ilen folgenden Artikel.
2) Liber=Buch, weil die weisse Kinde zum Schreiben benutzt wurde.
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von Aristoteles verfassten Buches über die wachsenden Dinge, wie
ilie Bäume und Kräuter es sind, dass aus der Rinde des Baumes
beim Brennen derselben ein übelriechendes, zähes Wasser austrete,
mit dem die Kärrner ihre Wagen schmieren. Das habe ich aber
nie gesehen. Ich weiss wohl, dass wenn man im Mai, wo der Baum
im vollen Saft steht, einen Spahn aus ihm haut, viel Saft aus-
fliesst. Den trinken die kleinen Kinder auf dem Lande, denn er
schmeckt süss und stinkt nicht. (Wenn man Birkenholz mit sich
führt, hilft es gegen Krämpfe.)
39. Von der Gagel.
Myrtus^) heisst ein Gagelstrauch. Er wächst besonders au der
Seeküste, im Norden, nach Dänemark hin. Das Bäumchen wird
zwei bis drei Fuss hoch und hat Blätter wie eine Weide, nur ein
wenig breiter und kürzer. Das Holz ist schwärzlich grün gefärbt.
Die körnigen Samen heissen Myrtilli, sie sind gut gegen das Er-
brechen und den Durchfall. Der Baum ist stark verästelt und
blattreich, besitzt einen feinen Geruch und konservirt die Dinge,
zu denen man ihn hinzufügt. Indessen erregt der Geruch Kopf-
schmerz und ruft einen Zustand wie den der Betrunkenheit hei*vor.
Der Baum würde eigentlich besser als eine Staude wie als Baum
aufgeführt, da er nur klein ist. Er findet sich besonders an feuchten
Stellen. Die ganz eigenartig riechenden Blüthen thut man gerne
in das Bier, welches aus Wasser mit Roo;gen oder Gerste gebraut
wird. Mit diesem Baum kann man es auf zauberhafte Weise dahin
bringen, dass die Menschen sich untereinander verfeinden. Die
Xaturkundigen berichten, der Baum sei zu vielen Dingen äusserst
nützlich. Er mindert sowohl die übermässige Hitze wie auch die
Kälte im menschlichen Körper. Desshalb vergleicht man auch
unsere liebe Frau in einem Lobgesang, der mit den Worten: Salve,
mater salvatoris! beginnt, mit unserem Baume. In einem Verse
heisst es darin: Myrtus temperantiae, das ist: Mutter der Barmherzigkeit,
Du bist eine Myrthe-) der Sanftmuth! denn die zarte Mutter be-
sänftigt den Zorn des höchsten Richters. Platearius giebt au,
dass eine Abkochung: cles Holzes mit Wein Milz- und Leberver-
^) Die ganze Besohrelbiing i)asst auf Myrica Gale L., Porst, Gagel,
Hrabanter Myrthe. Die Gagel hat einige Aehnlichkeit mit einer jungen
l^irke, die K. im vorigen Artikel Myrica nennt.
-) Hier ist uatiuiich die echte Myrthe gemeint
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schoppung beseitigt", die lateinisch Epilatio^) genannt wird. Gegen
dieselben Krankheiten ist auch die Asche, bei der Mahlzeit genommen,
hülfreich. Schon das wiederholte Trinken ans Gefässen, die ans
dem Holze hergestellt sind, ist nützlich. Man verfertigt desshalb
l^'ässchen aus solchem Holz, lässt über Nacht Wein darin stehen,
und der Kranke trinkt dann am Tage davon. Die Rinde ist wirk-
samer wie die Blätter. Das Oel aus dem Baume vertreibt den
SSchweiss und alle Flüsse, seien sie blutig oder nicht. Reibt man
sieh damit im Bade ein, so kräftigt und stärkt es den Leib, und
zieht die Feuchtigkeit zw^ischen Haut und Fleisch heraus. Dasselbe
geschieht auch, wenn man sich mit dem Holze reibt. Das Oel, wie
auch der Saft des Baumes und das Wasser, mit dem das Holz ab-
gekocht ist, helfen gegen das Ausfallen der Haare, machen sie lang
und dunkel. Die Beeren mit Butter gekocht, wirken schweiss-
widrig, die trocknen Blätter des Baumes entfernen den Abelen
Uenich der Achseln und anderer Körperstelleu, stärken das Herz
und beseitigen das Herzreissen.
30. Vom Mlspclbaum.
Mespilus oder Esculus heisst ein Mispelbaum. 2) Die Blätter
des Baumes gleichen denen der Quitte, seine Rinde ist rauh und
sein Wuchs nicht besonders hoch. Pfropft man ihn auf einen
anderen Stamm, etwa einen Birnbaum, Apfelbaum, eine Kornel-
kirsche oder einen anderen, so werden die Früchte gross, und es
fehlen ihnen die harten Kerne im Inneren. Wachsen aber die
Früchte auf ihrem eigenen Stamm, so haben sie Steine, in jeder
Frucht vier. Lateinisch werden die Früchte Mespila genannt, deutsch
Mispeln. Sie wirken erwärmend und trocknend im ersten Grade
und stärken den Magen. Sie beseitigen Uebelkeit und Verdauungs-
störungen. Aus dem Holze des Baumes macht man vortreffliche
Keulen zu Kanijjf und Streit.
31. Vom Nussbaiini.
Nux heisst ein Xussbaum. ■") Das Wort kommt, nach Isidorus,
her von noceo, schaden, weil der Baum und seine Blätter benachbarten
Bäumen sehr schädlich sind. In der lateinischen Sprache heisst der
Hepatisatio?
2) Mespilus germanica L.
^) Juglaiis regia L.
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Baum Yigilans oder Yigulus. Die Nüsse, welche auf dem Baume
wachsen, heissen deutsch: welsche Nüsse, um sie von den Hasel-
nüssen und anderen Arten zu unterscheiden*. Die Nüsse sind gut
gegen Vergiftung durch Pflanzen oder Schwämme, PfiflPerliuge oder
andere Pilze. Denn die Nüsse treiben das Gift aus. Der Brust
dagegen schaden sie, erregen Uebelkeit und machen den Menschen
heiser. Mit Feigen sind sie gut zu verspeisen, auch passen sie,
nach einigen Angaben, gut nach dem Genuss von Fischen.
32. Von der Haselnuss.
Nuces avellanae heissen die Haselnüsse und der Baum selbst
im Lateinischen Corylus. ^) Die Nüsse erhitzen weniger, wie die
vorigen, wie Platearius angiebt, wirken auch nicht blähend. Sie
sind zwar nahrhaft, werden abor, wenn man sie mit der kalt, und
trocknend wirkenden, inneren Schale isst, schwer im Magen verdaut.
Spaltet man einen kleinen Zweig oder eine Gerte vom Haselbaom
der Länge nach und legt die beiden Hälften in einiger Entfernung
von einander hin, so gehen sie wieder zusammen und vereinigen
sich wieder ohne irgend welche Zauberei. Das Holz hat nenilich
eine lebendige Luft in sich, die es nach dem Spalten ausdünstet
und sich in Folge dessen wieder zusammenzieht. Wenn man dess-
halb einen kleinen Vogel an einer Haselgerte brät, so dreht sieh
der Bratspiess eine Zeit lang von selbst um, getrieben von dem
Wirbel, den die Hitze in den Geistern und den Dünsten des Holzes
erzeugt. Jedoch habe ich selbst Dies nicht gesehen.
33. Vom wilden Oelbanm.
Oleaster^) heisst ein wUder Oelbaum, wie Isidorus sagt. Der
Baum hat Blätter wie der zahme Oelbaum, nur sind sie breiter.
Der Baum wächst wild, schmeckt bitter und bringt keine Fruchte.
Wenn man einen Zweig desselben auf einen andern Baum pfropft,
80 verändert sich sofort dessen ganze Natur und er wird unfruchtbar.
34. Vom Oelbaum.
Olea oder Oliva heisst, nach Isidorus, ein Oelbaum.^) Seine
Frucht wird lateinisch Oliva, der aus den Früchten stammende
Corylus avellana L.
2) Oleaster heisst bei Plinius der wilde Oelbaum, nicht zu verwechseln
mit dem heutigen Elaeagnus.
3) Olea europaea L.
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Saft Oleum genannt, im Deutschen heisst er Baumöl. Der Oelbaum
ist ein gar freundlicher Baum. Sein Oel ist grün, mild und fott Es
macht die Augen hell und die Kranken gesund. Der zuerst ausge-
presste Saft ist sehr wohlschmeckend, der dann folgende weniger,
und der Best bitter und unschmackhaft. Das ist so zu verstehen,
dass man die Oliven drei Stunden lang gehörig presst, und der
«labei zuerst ausfliessende Saft der beste und werthvollste ist. Die
Blüthen des Oelbaums sind eigenthümlich gestaltet, da sie nicht,
wie andere Baumblüthen, viele, sondern in der Kegel nur zwei,
weiss und etwas gelblich gefärbte Blüthenblatter haben. Sie sind
für schwangere Frauen sehr schädlich. Augustinus spricht zu
seinen Mönchen: Das Oel ist unsem Leibern sehr gesund, den
vierfflssigen Thieren schadet es aber sehr. Zum Sammeln und
Ablesen der Oliven lassen die Griechen nur reine Kinder und Jung-
frauen zu. Mit anderen Bäumen zusammen kann der Oelbaum
nicht wachsen und gedeihen, er mnss für sich allein stehen. Wenn
Vieh oder Menschen viel um ihn herum verkehren und die Erde in
seiner Umgebung festtreten, wird er unfruchtbar. Ebenso ver-
kümmert er, wenn die Ziegen an ihm fressen. Er senkt seine
Wursel nicht tief in den Boden und gedeiht mehr vom Regenwasser,
wie von dem Wasser aus Bächen oder Brunnen. Wird Oel mit
erwärmenden Dingen gekocht, so wird es eine erwärmende Arznei,
umgekehrt, wenn es mit abkühlenden gekocht wird. Es besitzt die
Fähigkeit, die beizende Schärfe aus Wunden und Geschwüren zu
vertreiben. Alles, was in Oel gesotten wird, giebt seine eigene
Feuchtigkeit an dasselbe ab. Wohl gereinigtes Oel reizt weniger,
wie jede andre Arznei. Bringt man es zum Beispiel in ein Auge,
80 merkt man es kaum, trotzdem das Auge doch so sehr empfindlich
ist. Das Baumöl heilt auch das Brennen von den Nesseln und
anderen Kräutern. Wie die Speisen, mit denen man es geniesst,
erwärmt das Oel den Leib in der richtigen Weise, besser wie sonst
all© erhitzenden oder kühlenden Zusätze. Auch den müden und
kranken Gliedern ist das Oel heilsam. Es wirkt da entweder da-
durch, dass es die Haut durchdringt und die Theile im Inneren,
welche erstarrt oder verhärtet sind, erweicht, oder desshalb, weil
€8 die Feuchtigkeit entfernt und auszieht, die durch die Arbeit
unter der Haut sich angesammelt hat. Wenn die Schiffer Oel in
den Mund nehmen und es im Meer unter Wasser wieder von sich
geben, so glänzt es. Mit warmem Wasser gründlich durchgeschütteltes
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Oel ist für die ermüdeten Glieder sehr gesuud, weil die Wirkung
des wamien Wassers lange in den Gliedern vorhält. Aiistoteles
sagt, wenn man Schlaugen in den Eingang zu ihrer Höhle Oel
giesse, verwehre man ihnen das Herauskommen. Derselbe be-
hauptet auch, dass alle Dinge in der Welt oelhaltig seien. Es ist
aber nicht überall derselben Art. Das Oel lässt, wie alles andere
Fett, das Feuer besser brennen und steigert die Gluth. Desshalb
brennen die bösen Christen, die das heilige Oel und die übrigen
Sakramente unwürdig empfangen haben, gehörig in der Hölle. Der
böse Geist mag aber auch manchen Sünder ohne Oel fressen. Ein
mit Oel eingeriebenes Scheermesser schneidet besser. Will man
Jemandem zur Ader lassen und reibt den Arm vorher mit gewöhn-
lichem Oel ein, so entleert sich das Blut um so besser aus der
Ader. Wer sich mit Oel salbt, dessen Körper wird fügsamer zu
kommender Arbeit.
Dem zarten, edeln Oelbaum gleicht die schönste aller Frauen
in der heiligen Schrift. Sie sagt von sich selbst: Ich bin erhöhet^
wie ein schöner Oelbaum auf dem Felde. Oh Du Schöne und
aller Gnaden Reiche, heile die scharfen Wunden meiner siechen
Seele mit dem süssen und sanften Oele Deiner überreichen Güte^
mache meine müden Glieder hurtig zu guten Werken, so lange
ich noch auf diesem elenden Felde stehe und mit anderen Sündern,
die Deiner sich freuen, auf Deine Gnade hoffe!
35. Vom Palmbaam.
Palma heisst ein Palmbaum. ^) Der unterscheidet sich von
anderen Bäumen in sehr vieler Hinsicht. Er gedeiht nicht, wenn
er nur aus einem Kerne hervorgewachsen ist, muss vielmehr aus
vielen Kernen gleichzeitig entstehen. Desshalb bringen die Pflanzer
viele Kerne in ein Säckchen und graben dies in die Erde ein, wenn
sie den Baum ziehen wollen. Eine weitere Eigenthümlichkeit ist
die, dass sich bei diesen Bäumen getrennte Geschlechter finden.
Der männliche Baum ist stets unfruchtbar, man muss beide Arten
nahe zusammen pflanzen. Ist dann die rechte Zeit gekommen,
so neigt sich der männliche Stamm zu dem weiblichen hinüber,
verschränkt seine Aeste mit denen des weiblichen und je zwei Aeste
^) Wie sich aus dem Folgenden ergiebt, ist hier hauptsächlich voü
der Dattelpalme, Phoenix clactylifera L., die Kede.
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des weiblichen Baumes drücken sich zusammen und umfassen einen
männlichen. Dann richten sich die Stämme wieder auf, denn jetzt
hat der weibliche empfangen und ist fruchtbar geworden. Er er-
hält aber Ton dem männlichen weiter Nichts, wie eine geistige
Kraft, so wie Luft oder Dunst ist. Trägt dann der weibliche Stamm
Früchte, und überträgt der Wind den Dunst des männlichen auf
den weiblichen Baum, so werden die Früchte um so früher reif.
Lateinisch heisst die Frucht Dactylus, deutsch Dattel, weil die
Frucht länglich geformt ist und daktylon im Griechischen lang heisst.
Im Inneren hat die Frucht einen harten Kern, aussen sehr süss
schmeckendes Fleisch. Je höher der Baum wird, um so mehr
breitet er seine Krone aus. Der Stamm reicht nemlich nicht so
hoch über den Erdboden heraus, wie bei anderen Bäumen und ist
un:en dünn und knorrig, oben breitet er sich dafür um so mehr aus.
Dem Palmbaum vergleicht sich die oberste, edele Herrscherin,
der Himmel Fürstin und aller Sünder Fürsprecherin mit den Worten:
Ich bin erhöhet wie ein Palmbaum bei der Stadt Cadix, wo die
Bäume gar schön wachsen. Nun prüfe, mein Herz, wie sehr die
Eigenschaften des Baumes denen unserer lieben Frau gleichen.
Sie ist der weibliche, der heilige Geist der männliche Stamm; sie
wurde ohne allen Makel geschwängert nur dadurch, dass der heilige
Geist seine Aeste, dass heisst seine Gaben, mit ihren Aesten, das
sind die Tugenden ihrer reinen Seele, yereinigte und so die liebliche
Frucht, unseren Herrn Jesus Christus, hervorbrachte. Maria, Helferin,
bin ich an Dir betrogen, so bin ich an der Wahrheit betrogen, die
doch Niemanden betrügt noch betrügen kann. Ich verzage nicht
an Dir mit festem Hoffen, so mag Deine Gnade auch an mir nicht
verzagen.
Sii. Vom Ahornbauin.
Platanus heisst ein Ahorn. ^) Das Wort kommt von dem
griechischen piatos, breit. Der Baum hat nemlich breite, denen der
Weinrebe ähnliche Blätter, die aber sehr weich und zart sind.
Früher hielt man diese Bäume so hoch; dass man sie in den Gärten
der Könige zog und mit Wein begoss. Sie erreichen eine stattliche
(irrösse, wie die Eichen, und aus dem Holz verfertigt man treffliche
Tischplatten, Schränke, Kisten und Schreine. Aus der Maser des
^) Acer pseudo-platanus L., Bergahorn und Platanus orientalis L.,
morgenländische Platane werden liier gleichzeitig behandelt.
Schulz, Konrad von Mcgenberg's Buch der Natur. 19
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Baumes drechselt man gute Becher. Der Baum wächst gerne an
wasserreichen Orten, wo der Boden immer ziemlich feucht ist.
Diesem Baume vergleicht sich unsere liebe Frau in der Schrift mit
den Worten: Ich bin erhöhet wie ein Ahorn bei den Wassern an
den Strassen. Das sagt sie mit vollem Recht, da sie in dem
Pallaste des höchsten Herrschers, der sie erschuf, erzogen und mit
seinem Wein, dass heisst der göttlichen Gnade, getrankt wurde.
Und Gott selbst hat sich aus dem keuschen Baume einen Kaum
verfertigt, in den er sich einschloss und unseretwegen Mensch
wurde. Oh, Du auserwählter Schrein, ein Schrein der Ehre, ein
Schrein der göttlichen Gnade, ein gar schöner Schrein, ein ge-
schnitzter Schrein, von allem Unadel frei, der in der Ewigkeit ge-
baut und geschaffen wurde von der Hand der göttlichen Weisheit,
gedenke Deiner Freunde!
37. Von der Fichte.
Pinus heisst eine Fichte.^) Es ist ein allgemein bekannter
Baum, der seinen lateinischen Namen von seineu spitzen Blättern
her hat. Nach Isidorus nannten nemlich die Gelehrten in früherer
Zeit das Wort: scharf im Lateinischen: pinum. Einige nennen den
Baum auch Picea, weil Harz aus ihm scliwitzt. Pix bedeutet nemlich
im Lateinischen Pech oder Harz. Ich sage aber: Picea bedeutet
eine Föhre, Pinus die Fichte und Abies die Tanne. So findet es
sich auch in anderen Büchern. Alexander bemerkt, die Fichte
sei für alles unter ihr Wachsende nützlich, grade so, wie der Feigen-
baum Alles schädige, was unter ihm aufkommt. Die Früchte der
Fichte sind sehr schön gestaltet, ihre Samen sind reihenweise in
langen Zapfen versteckt und werden im Winter, wenn die Nüsse
mangeln, von den Eichhörnchen gefressen. Die Fichtenzapfen wirken
besänftigend und anfeuchtend, sie sind vorzüglich gegen den Blut-
fluss des Leibes. Sehr nützlich sind sie auch für die, welche an
den edelen Organen, zum Beispiel dem Herzen und der Brust
leiden, wie auch gegen innerliche, aus kalter Feuchtigkeit enstandene
Geschwüre. Gegen den trocknen Husten und das Blutspeien 8in<l
sie gleichfalls sehr heilsam. Man soll sie zunächst auf glühende
Kohlen legen und etwas anbrennen, dann die Sehale abziehen und
die blossen Kerne in Wasser werfen und ordentlich kochen. Dann
^) Picea vulgaris Lk. Vergl. Nr. ') dieses Kajutels.
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soll man sie in die Glut legen, und der am Husten leidende Kranke
den Eauch durch die Nase aufziehen.
38« Tom Pappelbauni.
Populus heisst eine Pappel oder ein Ahlbeerbaum. ^) Es giebt
zwei Arten, eine weisse und eine schwarze. Die Blätter der ersten
Art sind auf der einen Seite weiss, auf der anderen grün. Bei der
Sehwarzpappel dagegen schwitzt aus den Zweigspitzen ein sehr
wohlriechendes und arzneikräftiges Harz aus. Das beste Harz wird
im Mai gesammelt und in folgender Weise bereitet. Man nimmt
die Knoten oder Knospen, aus denen Blätter hätten werden sollen,
und siedet sie mit ungesalzener, nur aus Eindermilch gemachter
Butter, die gleichfalls im Mai bereitet ist. Das Sieden setzt man
80 lange fort, bis die ganze Masse grün ist. Man seiht sie darauf
durch ein Tuch und hebt sie in irdenen Gefässen auf. Diese Salbe
ist zu vielen Dingen gut, lateinisch heisst sie Diapopuleum. Wenn
mau die Stirne und die Schläfen damit einreibt hilft sie gegen den
Kopfschmerz, der von Erhitzung herrührt. Sie vertreibt ferner
Schwindel und Ohnmacht aus demselben Grunde, beseitigt die Ge-
schwulst der Glieder und heilt äusserliche Wunden am Körper vor-
züglich. Der aus den Blättern des Baumes gepresste Saft hilft
gegen Ohrenschmerzen. Der Samen macht mit Honig zusammen
die trüben Augen wieder klar und vertreibt die Ruhr oder den
Durchfall.
39. Vom Birnbaum.
Pirus heisst ein Birnbaum. 2) Seine Früchte wirken kalt im
ersten und feucht im zweiten Grade. Die wilden Birnen aber,
die im Felde oder Walde wachsen, sind kälter, wie die zahmen,
kühlen in Folge dessen mehr und drücken auch die Speisen im
Magen mehr herab, wenn man sie nach Tische geniesst. Kocht
man sie mit Regenwasser und legt sie auf den Mageneingang, das
heisst auf die Magengrube, so vertreiben sie Unverdaulichkeit,
Brechen und Aufstossen. Auf den Mons pubis applicirt beseitigen
sie die Durchfälle, die von der Galle, einer bitteren, beissenden
Flüssigkeit von gelber oder grüner Farbe, im Leibe hervorgerufen
werden. Der Arzt Dioskorides sagt, wenn eine Frau Birnbaum-
^) Populus alba und nigra L.
') Pirus communis L.
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Wurzel mit sich führe oder sich anbinde, so concipire sie nicht und
werde so lange nicht schwanger, wie sie die Wurzel an sich habe.
Wenn aber eine Gebärende Birnen auf sich liegen habe, werde die
(leburt sehr schwer. Trockne Holzbirnen heilen die Wunden am
Leibe des Menschen. Die Asche, die aus recht sauren und spät
reifenden Holzbirnen bereitet wird, ist gut gegen die fressenden
(lewächse, die innerlich im Menschen nagen. Kocht man Pilze mit
Birnen, etwa Buchenschwämme oder andere, die man in manchen
(legenden kocht und isst, so werden sie weniger schädlich. Die
Holzbinien, welche etwas grösser und besser sind, wie die ganz
gewöhnlichen, kräftigen den Magen, vertreiben den Husten und
trocknen die Galle aus, die im Leibe nagt. Desshalb sollen mit
derartigen Leiden behaftete Kranke sie gebraten essen. Die Ge-
lehrten sagen auch, dass alle gebratenen Birnen gesunder sind, wie
die rohen und auch wie die gekochten. Binien, die lange gelegen
haben, aber noch nicht fanl geworden sind, sind besser wie die,
welche frisch vom Baume kommen, weil von ihrer schädlichen
Feuchtigkeit schon mehr weggeduustet ist. Birnbäume soll man in
(lern, dem März vorangehenden Monate pflanzen (das heisst in
warmen Gegenden) und sie an einen schattigen Ort setzen. Dort
wachsen sie gerne, weil sie kühler Natur sind. Giesst man im
elften Monat, der November genannt wird, Ochsengalle an die
Wurzeln des Birnbaumes, die dann noch vom Sommer her warm
sind, so tödtet man dadurch die Würmer in den Birnen und ver-
hütet ihre Entwicklung.
40. Von der Haferschlehe.
Prunus heisst eine Hafersehlehe. ^) Ihre Früchte sind ver-
schieden gefärbt, einige gelb, andere schwarz, noch andere roth.
Die etwas harten, schwarzen mit leicht säuerlichem Geschmack sind
die besten, und unter ihnen wieder die vorzüglichsten die soge-
nannten welschen oder grossen Schlehen, die etwas säuerlich
schmecken. Die reifen, geernteten Früchte soll man spalten und
^) Das im Texte stehende Wort Krieclipaum entspricht unserer heutigen
Krieohenpflaume oder Haferschlelie, Prunus insititia L. Ihre Früchte sind
(l(>ppelt so gross, wie die des gewöhnlichen Schlelidorns, verschieden gefärbt
und werden eingemacht und genossen. Da die gewöhnliche Pflaume zu
K.'s Zeiten in Deutschland schon gebaut wurde, ist in diesem Artikel wohl
auch sdion von den Früchten derselben, die K. Kriechen nennt, mit die Rede.
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an die Sonne legen, bis sie trocken sind, darauf mit Essig besprengen
und in einem hölzernen Gefässe aufheben« Sie bringen den Durch-
fall wieder zum Stehen. Das Harz des Baumes zerbricht den Stein
in der Blase. In einem anderen Buche heisst es, dass die grüneu,
etwas in's Gelbe spielenden Früchte die besten seien, die schlechtesten
aber die ganz hell gefärbten. Die grossen Sorten sind besser vrie
die kleinen, am wohlschmeckendsten aber sind die spät reifenden,
grünen, welche Weinpflaumen heissen. In demselben Buche heisst
es auch, die länglichen Früchte seien besser, wie die runden und
die, ihrer Natur nach, trocknen besser, wie die saftigen. Galen us
Fäth, sie nüchtern vor anderen Speisen zu essen und Honigwa&ser
hinterher zu trinken. Die süssen Pflaumen machen die Galle, die
im Leibe nagt, flüssig und führen sie nach aussen ab. Indessen
wirken hier die saftigen Arten mehr wie die trocknen. Schlehen-
wasser wirkt als Emmenagogum. Wenn man seinen Mund mit
Schlehenblättern auswäscht und reinigt, wehrt man den Flüssen, die
Tom Kopfe in den Hals hinab ziehen.
41. Vom Pfirsichbaum.
Persicus heisst ein Pfirsichbaum.^) In der Rinde und den
Blättern gleicht er in vieler Hinsicht dem Mandelbaume, nur dass
die Pfirsichblätter länger und breiter sind. Dagegen ist der Pfirsich-
baum kleiner, wie der Mandelbaum.» Seine Blüthen sind roth, wie
die Mandelblüthen, seine Früchte sehr saftreich und kühlend, auch
zum Faulen geneigt. Wenn man daher Pfirsiche nach anderen
Speisen geniesst, so vernichten und verderben sie das vorher Ge-
nossene im Magen. Man soll sie desshalb geraume Zeit vor anderer
Kost gemessen. Einige behaupten, die Pfirsiche steigerten im
Menschen den Begattungstrieb. Das kann aber nur bei einem
trocknen Menschen der Fall sein. Wer aber in Folge seiner kalten
Natur impotent ist, für den passen erhitzende Dinge. Die Pfirsich-
keme haben die Gestalt der Mandeln, sind aber bitter, wie die
bitteren Mandeln.
43. Ton der Eiche.
Quercus heisst eine Eiche, 2) was gleichbedeutend ist mit
Quernus oder Klagebaum. Denn nach Isidorus hegten die alten
^) Amygdalus persica L.
2) Quercus sessiliflora Sm., Stein- oder Wintereiche u. Q. pedunculata
Elirh., Sommer- oder Stieleiche.
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Heiden ihre Götter in den Eichbäumen, und wenn sie ihnen ihren
Kummer klagten, so gaben die Götter ihnen aus den Bäumen Ant-
wort. Trocken gehaltenes Eichenholz fault nicht leicht Platearius
nennt die Frucht des Eichbaums Galla und bemerkt, dass sie kalt
und trocken im zweiten Grade sei. In anderen Büchern heisst es
dagegen, sie sei dies im ersten Grade. Anderswo wird gesagt, die
Frucht heisse lateinisch Glans, und die Aepfel, welche auf den
Blättern wachsen, würden Gallen genannt. In diesen entsteht ein
kleiner Wurm, und die Luft- oder Wetterpropheten sagen aus ihnen
das Wetter Torher. Finden sie das Würnichen mitten im Gallapfel,
so folgt nach ihrer Ansicht ein strenger Winter, sitzt es aber mehr
nach Aussen hin, so wird der Winter milde. Die leichten, mit
einem Löchelchen versehenen Eicheln taugen nichts, die schweren
und unversehrten dagegen sind gut. Sie wirken gegen das Er-
brechen und die Unverdaulichkeit, welche von der Galle herrühren.
Legt man ein Pflaster aus Eichelnpulver, Eiweiss und Essig auf die
Nierengegend oder den Unterleib, so hilft es gegen Ruhr oder
Durchfall. Ebenso hilft es gegen die Abzehning des Fleisches,
wenn sich dieses am Leibe auflöst und verzehrt Die Eicheln
wirken mehr kühlend, wie die Kastanien, beide Früchte starken
die Glieder und sind nahrhaft. Letzteres gilt indess hauptsächlich
für die Schweine, weniger für die Menschen, wenn man nicht die
Eicheln mit Zucker vermischt geniesst Legt man gepulverte
Eichenblätter auf Verletzungen und Wunden, so schliessen diese
sich wieder. Gebratene Eicheln sind gut gegen Blasen kranipf, und
ihr Pulver gegen den Durchfall.
43. Tom Roethelbaam«
Rubus ist ein, nach Ambrosius im Orient wachsender, ein-
heimischer Baum, in Italien wächst er nur als buschiger Strauch.^)
Der im Orient vorkommende mag Roethelbaum genannt werden,
weil er eine rothe Rinde hat. Sein Holz ist hart und safFrangelb.
Die Blätter des Baumes wirken so stark, dass eine Schlange sofort
stirbt, wenn man dieselben auf sie wirft. . Desshalb werden sie auch
mit Recht als Gegengift gegen den Schlangenbiss angesehen.
*) Welche Pflanze hier gemeint ist, lässt sich nicht feststellen.
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44. Vom Bosenstrauch.
Ro8ariu8 heisst ein Rosenbaum, i) eigentlich ist er aber mehr
ein Strauch, wie ein Baum. Rosa heisst die auf dem Strauche
wachsende Rose. Sie ist kalt im ersten und trocken im zweiten
Orade. Getrocknete und frische Rosen sind beide arzneikräftig.
Man soll die Rosen pflücken, wenn die Knospen eben aufgeblüht
sind und von den rothen Rosen die am lebhaftesten gefärbten aus-
suchen. Die blassen oder nur rosa gefärbten Blüten sind zu ver-
werfen. Trocknet man sie an der Sonne, so können sie ihre heil-
samen Eigenschaften drei Jahre lang behalten. Rosenhonig, lateinisch
Mel rosaceum genannt, wird so hergestellt: Zunächst wird Honig
sorgfältig abgeschäumt und vorsichtig durch ein Tuch geseiht.
Dann fügt man die Rosenblätter hinzu, nachdem man ihre Kelch-
blätter sammt der daran haftenden, klebrigen Materie entfernt und
sie selbst möglichst fein zerschnitten hat. Dann wird Alles so lange
gekocht, bis die Masse sich verfärbt und dick wird. Dieser Honig
wirkt reinigend in Folge der besonderen Eigenschaft des reinen
Honigs und stärkend durch den edelen Geruch der Rosen. Letzterer
wirkt nemlich sehr kräftigend. In der angegebenen Weise be-
reiteter Honig reinigt den Magen von schädlicher Feuchtigkeit.
Rosenzucker macht man so: Rosenblätter werden mit Zucker sorg-
fältig auf dem Feuer getrocknet, dann in ein Glas gefüllt, dreissig
Tage lang der Sonne ausgesetzt und täglich mit einem LöflFel sorg-
fältig umgerührt und gründlich durcheinander gemengt. Das Glas
muss während dieser Zeit oben verschlossen sein. Richtig behandelt
bleibt dies Präparat drei Jahre lang gut. Du kannst mit ihm
manchen Pfennig für die Apotheke sparen. Der Rosenzucker
kräftigt, besänftigt die blutigen Durchfälle und das Erbrechen, die
von der Galle herrühren, hilft auch gegen Schwindel und Ohnmacht,
die in einer Erkrankung der edelen Organe ihren Grund haben.
Gegen alles Dieses ist er gut, w^enn man ihn in Rosenwasser auf-
nimmt. Rosensyrup stellt man so her: Rosen werden unter Zusatz
von Zucker gesotten und so der Syrup gewonnen. Besser wird er
jedoch, wenn man nur den Saft der frischen Rosen nimmt Der
Rosensyrup eröffnet und erweicht zunächst die Verdauungswege-
dann zieht er sie wieder zusammen. Er wirkt desshalb gegen
Durchfall und Erbrechen, auch gegen Ohnmachtsanfälle. Hart-
leibigen soll man ihn nicht verabfolgen. Rosenöl wird so gewonnen:
Rosa centifolia L. u. andere.
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Frische Kosen werden gründlieh zerquetscht, mit Oel in ein Glas
gefüllt, und dieses verschlossen vierzig Tage laug an die Sonne ge-
stellt. Leidet Jemand an Erhitzung der Leber, was Calefactio he-
patis genannt wird, so reibe er die Stelle, wo die Leber liegt, mit
dem Oel ein und brauche es gleiclizeitig statt anderen Oeles an
seinen Speisen, dann wird ihm wieder besser. Gegen Kopfschmerzen
durch Erhitzung salbe man die Stirne und die Schläfen an den
Ohren damit. Das Rosenwasser kräftigt und zieht zusammen, wirkt
hitzelindernd und ist gut gegen die hitzigen Durchfälle, die durch
Galle bedingt sind. Wer schwindlig und ohnmächtig werden will,
dem flösst man Kosenwasser ein uud besprengt ihm die Stirne da-
mit. Trockne Rosen, vor die Xase gehalten, stärken das Gehirn
und das Herz uud machen die Lebensgeister wieder frisch. Ebenso
wirkt auch das massige Riechen an frischen Rosen, aber im Ueber-
mass erzeugt es Flüsse und Kopfschmerz. Das Innere der Rose,
das wie Saifran gelb gefärbt ist und Authos heisst, ist gut gegen
üebelkeit. Will man zu Weihnachten frische Rosen vom Stock
haben, so muss man den Rosenstrauch Anfang Mai von unten her-
auf und jed^n Zweig bis zur Spitze einwickeln. Dann bleibt der
Saft und die Wärme darin, und wenn man nun drei Wochen oder
einen Monat vor Weihnachten die Bandagen entfernt, schiessen schöne
Rosen hervor. Ich denke aber, dass Dies nur für warme Länder,
in denen die Luft im Winter sich nicht so stark abkühlt, gültig
ist, vielleicht auch bei uns in einem milden Winter. Denn strenge
Kälte lässt den Saft im Rosenstrauch erfrieren, so dass er keine
Rosen bringen kann.
In der heiligen Schrift vergleicht sich unsere liebe Frau mit
der Rose wenn sie sagt: Ich bin gepflanzt wie die Rosengärten in
Jericho. Nun überlege einmal dies herzliebe Gleichniss. Jericho
heisst, nach Angabe der Ausleger der heiligen Schrift, soviel wie
ein abnehmender Mond. Nun nimmt doch Alles in dieser W^elt,
was dem Sünder eigen ist, ab, Tugend, Kraft, Schönheit, Leib und
Leben. Daher heisst diese Welt mit Recht wohl Jericho. In
diese Welt ist unsere liebe Frau hineingepflanzt wie ein blüten-
reicher Rosenstock, der seinen Duft weithin von sich ausgehen lässt,
voller Milde und Gnade. Aus diesen edelen Rosen sollen wir armen
Sünder uns Rosenhouig, Rosenzucker, Rosenöl, Rosensynip und
Rosenwasser bereiten mit dem Honig unserer festen Zuversicht,
dem Zucker unserer innigen Liebe, dem Oel des christlichen Glaubens,
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dem Ausüben guter Werke uud dem Ausbrennen in rechter Beichte
und völliger Reue gegen alle die Krankheiten, Angst und Noth,
die uns Leib und Seele bedrohen. Ach, Du hell brennende Rose,
erscheine allen Denen, die Deinen Namen ehren und stärke sie in
allen ihren Nöthen. Herrin, Du weisst wohl, ob ich es ernsthaft
meine.
45. Vom Sethlm.
Der Sethim^) ist ein sehr kostbarer Baum, der im Orient
wächst, wie die Gelehrten sagen. Er gleicht dem Weissdom, ist
aber bedeutend grösser. Aus seinem Holz baute Noah seine Arche,
wie es in der Schrift heisst. Das Holz ist leicht, weiss, verbrennt
nicht und fault nicht.
46. Von der Weide.
Salix heisst eine Weide. Das Wort bedeutet so viel wie eine
Springerin und rührt daher, weil dieser Baum sehr schnell, gewisser-
massen wie im Sprunge, aufwächst. Er steht mit Vorliebe an nassen
Orten. Die alte Rinde ist hart, die junge dagegen sehr biegsam.
Der Baum blüht zwar, bringt aber keine Früchte und die Zauberer
sagen, dass die Blüten, in's Getränk gethan, unfruchtbar machen sollen.
Rinde und Blätter haben zusammenziehende und stärkende Eigen-
schaften. Giebt man einem Menschen, der ohne Hitze fiebert, den
aus den Blüten gepressten Saft, so ist ihm das gesund. Man sagt,
die Samen des Baumes, im Getränk genommen, beseitigten bei
Männern den Animus coeundi und machten die Weiber unfruchtbar.
Das wäre wohl mancher Frau und manchem Manne lieb. Durch-
bohrt man einen Kirschbaum in der Mitte und steckt einen, genau
passenden, Weidenast in das Bohrloch, so bringt der Baum Kirschen
ohne Kerne. In Haus und Kammern ausgestreute Weidenblätter
kühlen die Luft und lindern den Kranken die Hitze.
47. Vom grossen Maulbeerbaum.
Sycomorus mag der grosse Maulbeerbaum*-^) heissen, weil seine
Blätter, nach Rabanus Angabe, denen des Maulbeerbaumes gleichen.
^) Sethlm ist die Pluralform des hebräischen Sagith, Oelbaum, hier
irrthümlich als eine besondere Species angesehen. Vergl. Buch der Richter 9. V. 8.
^) Ficus sycomorus L., Maulbeer-Feigenbaum.
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Er ist aber grösser wie dieser und führt desshalb auch lateinisch
den Beinamen: celsa, hoch. Andere Gelehrte behaupten, es sei dieser
Baum mit dem wilden Feigenbäume identisch, von dem im Buche
des Propheten Amos die Rede ist.^)
48. Tom Hollander.
Sambucus heisst HoUunder^) oder, in anderem Deutsch, Holder.
Er ist trocken und warm im zweiten Grade und wird lateinisch
Lactis genannt. Die Rinde des Baumes ist vorzüglich als Arznei,
seine Früchte und Blätter säubern den Körper von der Feuchtigkeit,
welche Phlegma genannt wird. Der Saft aus den Blättern, mit Honig
genossen, tödtet die Würmer im Leibe, die lateinisch Lumbrici
heissen. Tröpfelt man ihn in die Ohren, so reinigt er bei Ohrenfluss
die Ohren von Eiter und aller Unsauberkeit. Die Blüten des
Baumes stehen im Kreise, etwa wie eine Krone, riechen sehr schön
n d stärken, als Muss zubereitet, die Kräfte des Menschen.
49. Tom Sperhag;en.
Speragus ist ein Baum und mag Sperhageu genannt werden.^
Er ist warm und trocken im dritten Grade. Seine Früchte sind
gestaltet wie die Augen oder Knospen, die an den Zweigen der
Bäume hervorkommen, ehe diese sich belauben. Die Früchte sind
gut gegen Verdunkelung der Augen und zerbrechen den Stein in
der Blase. Ein Hund, der das mit dem Baum oder seiner Frucht
abgekochte Wasser trinkt, muss sterben. Beim Menschen wirkt eine
solche Abkochung abführend.
50. Tom Thymbaum.
Thymus heisst ein Thymbaum.*) Er ist hochgeschätzt und
wächst im Orient. Aus seinem Holze liess Salomo die Pfeiler des
Einganges zum Tempel herstellen (wie es in der heiligen Schrift im
dritten. Buch der Könige und an anderen Orten heisst; die Pfeiler
nennt die Schrift Fulcra), und ebenso auch die Thüre am Saale
*) Amos 4, V. 9^.
*) Sambucus nigra L.
^) Sperhagen ist wohl identisch mit Sperberbaum, Sperber-Vogelbeere,
Sorbus domestica L.
*) CaUitris quadrivalvis Vent., Cypressen-Fichte oder Thuja orientalis
L, Citrusbaum, Lebensbaum?
Google
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seines Palastes. Für die Sänger im Tempel liess er aus demselben^
Material Harfen und Leiern anfertigen. Das Holz verfault nicht,,
wie die Gelehrten sagen, ist sehr dornig, wie der Weissdom, und
der Wuchs des ganzen Baumes dem der Fichte ähnlich. Das Holz
selbst ist weiss und hell glänzend, fast wie Elfenbein.
51. Ton der Terebinthe.
Terebinthus isij ein edeler Baum^) Er hat sehr schöne Blätter.
Er wächst hoch in die freie Luft hinaus und liefert ein Harz, welche»^
kostbarer und im Geruch viel feiner ist, wie alle anderen Harzsorten.
Platearius giebt an, man verfertige aus ihm und Gerstenmehl ein
Pflaster, welches die, Aposteme genannten, Geschwüre im Leibe zer-
theile. Das Harz wird auch zu einem wohlriechenden Weihrauch
benutzt.
53, Tom Taxas.
Taxus oder Daxus heisst ein Taxusbaum.^) Isidorus sagt,
dieser Baum, und besonders die im Lande Calabrieu wachsenden
Exemplare, seien giftig. Man stellt desshalb durch Auspressen ein
Gift aus ihm her, welches lateinisch Toxicum genannt wird. Aufr-
dem Holze verfertigten in alten Zeiten die Heiden |ihre Bogen und
Armbrüste. Das Holz ist verschieden gefärbt und hält viele Jahre-
aus, durch langes Liegen auf der Erde wird es minderwerthig. Die
Blätter sind immergrün. Platearius sagt, die Hühner würden sehr
fett, wenn sie die Samen des Baumes fressen, beim Menschen be-
fördern sie den Stuhlgang. Derselbe bemerkt ferner, in Calabrien
sei der Baum so giftig, dass ein Mensch zu Schaden komme, wenn
er unter ihm sitze und schlafe. Es heisst auch, dass eine Biene
sterben muss, wenn sie den Baum berührt.
53. Ton der Linde.
Tilia oder Dilia heisst eine Linde. •*^) Dieser Baum ist uns-
Allen gut bekannt und von sehr luftiger Beschaffenheit. Desshalb ist
sein Holz sehr leicht. Seine Blüten sind reich an Honig und
Wachs, und die Bienen halten sich desshalb gerne an ihnen auf.
Pistacia terebinthus L. Terpentin-Pistazie.
*) Taxus baccata L. Taxus, Eibe.
3) Tilia parvifolia Ehrh., AVinterlinde und T. grandiflora Ehrlu
Sommerlinde.
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Der Honig, den die Bienen von der Linde eintragen, ist besser und
wohlriechender wie jeder andere. Auch bekommt der Schatten
dieses Baumes den Menschen besser wie der jeden anderen Baums.
64. Tom Weinstock*
Vitis heisst ein Weinstock. 2) Er ist auch eher eine Staude
wie ein Baum. Bringt man die Weinbeeren in einen warmen Ofen
und trocknet sie darin, so heissen sie lateinisch Uva passa, geröstete
Weinbeeren. Die Rebenbliiteu tödten die Schlangen, und der beim
Beschneiden ausfliessende Saft vertreibt die Krätze und ähnliche
Hautkrankheiten. Die gepulverte Wurzel beseitigt die Unsauberkeit
und den Eiter aus den Ohren. Ihr Saft zertrümmert den Blasen-
stein. Frisch abgeschnittene Weinreben werden am Feuer vor-
sichtig angeröstet, wieder herausgezogen und der Saft ausgepressL
Dieser Saft ist triefenden Augen und überhaupt kranken Augen
heilsam, wenn man ihn hineinträufelt. Nach einer reichlichen Wein-
lese soll man wenig, und nach einer geringen ordentlich und mehr
trinken. Das ist so zu verstehen, dass man das Weinquantum,
welches man trinken will, nicht danach bemessen soll, ob man viel
oder wenig W>in hat, sondern man soll ihn zu eigenem Nutzen und
massig geniessen. Also trinke wenig in einem guten und reichlich
in einem schlechten Herbst. Der gewöhnliche Boden bringt mehr
Wein, das Gebirge aber bessere Qualität. Der Südwind, welcher
Auster genannt wird, veredelt durch seine Wärme den Wein in
den lieben; der, Aquilo genannte, Nordwind dagegen vermehrt wegen
seines Wassergehaltes den Wein in den Stöcken, die er triflFt. Die
Trauben sind gesunder zu essen drei Tage nach der Lese, weil sie frisch
gepflückt am ersten Tage blähend wirken. Ist dagegen der blähende
Dunst aus ihnen entwichen, so bekommen sie besser. Hängend
aufgehobene oder mit Honig und Zucker eingemachte, auf dem
Ofen getrocknete Weinbeeren sind ein gutes Nahrungsmittel. Die
Weinrebe ist dadurch charakterisirt, dass an der einen Seite derselben
aus einer Knospe das Weinblatt sich entwickelt und an der anderen
Seite die Traube. Dem kalten Winde ausgesetzt bringen die Reben
zwar viele Blätter aber wenig Trauben. Jakobus behauptet^ der
Saft aus den Reben sei für giftige Thiere schädlich. Ein Wein
von mittlerer Stärke ist der beste, den soll man nach Belieben
trinken. Galen sagt, der Wein werde mit zunehmendem Alter
*^) Vitis vinifera L.
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feuriger. Aristoteles giebt eine Probe an, mit deren Hülfe man
erkennen kann, ob junger Wein oder Most einen Zusatz Ton Wasser
erhalten haben. Wirft man ein Ei hinein, so schwimmt es in un-
verfälschtem Wein oben, ist Wasser zugesetzt, so sinkt es zu Boden.
Outer Most hat zweierlei Wärme in sich, eine aus sich selbst und
die andere von dem Orte her, wo er entstand und die Sonne ihn
gekocht hat Diese doppelte Wärme lässt den Most im Fasse
gähren, und desshalb schwimmt das Ei oben. Wasser dagegen ver-
treibt die Wärme, und das Ei sinkt desshalb unter. Nach Galen
erregt süsser Wein Durst, weil er die Körperwärme steigert.
Isidorus warnt alle Menschen, die zur Wassersucht neigen, vor
jedem süssen Wein. Es giebt drei Sorten Wein. Die erste ist
wässerig und dünn, die zweite erdig und dick, die dritte hält die
Mitte zwischen Beiden. Reiner Wein wird im Magen wohl verdaut,
durchzieht die Adern und wirkt harntreibend. Desshalb reicht man
ihn den Kranken, denn er erhitzt nicht sehr, raubt die Besinnung
nicht, ist für das Gehirn unschädlich und ebenso auch für die
Adern. Mit Wasser gemischt löscht er aber den Durst besser.
Aristoteles sagt, man solle in einen zu starken Wein, der das Fass
zu sprengen drohe, etwas Käse werfen. Dadurch wird die stürmische
Gährung beseitigt, denn der Käse ist kalt und voll Poren, in die
er die hitzigen Dünste einzieht, welche die Gährung hervorrufen.
Gleichzeitig dämpft er dieselbe durch seine Kälte. Nach Isidorus
ist der aus Korn oder Gerste bereitete Wein nicht gesund, wird im
Magen schlecht verdaut und erzeugt böse Dünste und Feuchtigkeiten
im Leibe. Er verschoppt Leber und Milz und erzeugt Steine in
Blase und Nieren. Weiter sagt er: Guter Wein, massig und dem
natürlichen Bedürfniss entsprechend getrunken, ernährt den Leib,
bringt und erhält die Gesundheit und stärkt die verdauende Kraft
des Magens und den Stoffumsatz in den Gliedern. Es giebt keine
Speise und kein Getränk, das die natürliche Wärme so stärkt, wie
der Wein. Er entfernt die Trauer und bringt Freude, er wandelt
die Fehler der Seele in Tugenden um, macht den Harten milde,
den Rauhen sanftmüthig, den Hoffärtigen demüthig, den Trägen
behende und den Furchtsamen tapfer. Er wandelt die Schwer-
fälligkeit des Denkens in Weissheit und Klugheit, macht den Un-
geaprächigen gesprächig und den Thoren gescheidt. Desshalb
franken ihn die Weisen, Perser und Hellenen, wenn sie mit
Jemandem weise Reden führen, etwas Neues ersinnen oder zum ge-
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•
meinen Nutzen des Rathes pflegen wollten. Der Wein aus der
Gegend von Neapel brennt wie Oel, wenn man ihn in's Feuer
giesst und ist ein gutes Nahrungsmittel. Isidor berichtet, wenn
man ein Ei drei oder vier Tage in Essig lege, werde seine Sehale
.80 weich, dass man sie leicht mit der Hand in jede beliebige Form
bringen und so lange ausziehen könne, dass das Ei durch einen
Handschuhfinger gehe. Galen nennt den Essig sehr hulf reich für
jiitzige, und sehr schädlich für kalte Dinge. Nach Platearius er-
öffnet Essig den vollen Magen, verschliesst ihn dagegen und wirkt
zusammenziehend, wenn er in den leeren Magen kommt. Derselbe
giebt als Probe für einen guten Essig an, man solle ihn auf die
Erde oder ein Stück Eisen giessen. Wallt er dann auf, so ist er
gut, thut er es nicht, so taugt er Nichts. Galen sagt: Beiner Essig,
mit Wasser verdünnt, kühlt zur Sommerszeit und löscht den Durst
Mit Wein oder Essig gemischtes Wasser löscht den Durst besser
wie reines, weil Wein und Essig das Wasser bis in das Innerste
des Leibes führen und es überallhin durchdringen lassen. Der
Essig besitzt uemlich die Fähigkeit, die Kräfte anderer Dinge, mit
denen er vereint ist, in die Tiefe zu führen. Das wussten die
unreinen Juden recht wohl, als sie unseren Herni marterten. Denn
als er in seinem bitteren Leiden am Kreuze hing und mit lauter
Stimme rief: Mich dürstet! gaben ihm die Juden Essig mit Galle,
damit der Essig seine Glieder mit der Galle durchdringe. Einige
behaupten auch, gemischter Wein mache schneller trunken, wie un-
gemischter, weil der gemischte durch den Wasserzusatz leichter be-
weglich werde und überall durch den Körper durclischlüpfen könne.
Er giebt auch mit Wasser zusammen mehr Dunst aus, wie gewöhnlich,
und dieser Dunst oder Rauch zieht in den Kopf und macht be-
trunken. Diese Trunkenheit hält aber nicht so lange an, wie die
durch reinen Wein hervorgerufene.
55, Von der Ulme.
ülmus heisst ein ülmenbaum. i) Er hat, nach Isidorus, die
Eigenart, sehr leicht giiin zu werden. Ist er vertrocknet und wird
dann wieder mit Wasser begossen, so wird er wieder grün, und
wenn man ihn abschneidet und eingräbt, so bewurzelt er sich und
kommt wieder zu Kräften. Der Baum wird ziemlich gross, seine
*) Ulmus canipestris L.
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Binde ist scharf und rauh im Älter, die Blätter gleichen denen des
Pappelbaumes, sind aber nicht auf der einen Seite weiss, sondern
beiderseits grün und dünn. Die Ulme ist unfruchtbar, taugt auch
nicht als Bauholz, aber die Weinreben schlingen sich gerne an
ihr herauf, weil sie ihnen nicht schadet. Pflanzt man dagegen eine
Hasel in die Nähe eines Weinstockes, so dörrt sie ihm die Wurzeln
aus und ruinirt ihn. Ebenso wirkt auch der Kohl, grade wie
der Mohn den Hafer, und der Flachs und das Unkraut das Korn
yerderben.
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804
IV.
B. Yon den wohlrieclienden Bäumen.
Die wohlriechenden Bäume, deren Rinden, Wurzehi, Blätter^
Harz und Saft man hoch preist, wachsen nicht in deutschen Landen
sondern in den heissen Ländern gegen Mittag und Sonnenaufgang
hin. Desshalb haben sie auch keine deutschen Xamen, und wir nennen
sie so, wie sie im Lateinischen oder in anderer Sprache heissen.
Von ihnen wollen wir nunmehr reden.
1. Von der Salbenaloe.
Aloe ist eine Salbe, erhitzend und austrocknend wnrkend, wie
Plinius berichtet Sie wird aus dem Safte eines, Aloe genannten,
Krautes auf folgende Weise gewonnen. Das Kraut wird zerstossen,
der Saft ausgepresst, längere Zeit auf dem Feuer gesotten und dann
an die Sonne gestellt und aufgehoben. Die zu oberst sich aus-
scheidende Aloe ist die feinste und wird Hepaticum genannt, weil
sie für die Leber gut ist. Was danach kommt heisst Citrinum und
ist wehiger rein, wie die erste Qualität. Der Bodensatz ist trübe^
unrein und wird Caballinum genannt, i) Die ersten zwei Sorten
sind gelb gefärbt, das heisst die zweite nicht so sehr, wie die erste.
Die zu Unterst sich ausscheidende Aloe ist schwarz. Alle Aloesorten
schmecken bitter und sind dem menschlichen Gaumen zuwider.
Aloe, äusserlich über gebrochene Glieder gebunden, lässt die zer-
brochenen Knochen wieder zusammenwachsen und hilft auch gegen
den Biss giftiger Thiere. Inwendig genommen reinigt sie den Leib
von der Feuchtigkeit, die Phlegma genannt wird. Ausserdem ver-
1) Aloe liepatica und caballina .sind auch lieute nocli gebräuchliche
Namen bestimmter Aloesorten.
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305
mag sie auch die Feuchtigkeit zu entfernen und auszutreiben, die
schwarze Galle genannt wird, stärkt die Glieder und ist desshalb
gut gegen die überflüssige Feuchtigkeit, die sich im Magen befindet.
Sie macht das von Bauch und Dunst krank gewordene Haupt
wieder gesund und die Augen klar. Sie beseitigt die Anschoppungen
von Milz und Leber und entfernt die Ueberflüssigkeit aus den
Gliedern, besonders auch aus der Regio pubica. Ein dunkel ge-
wordenes Antlitz macht die Aloe wieder schön. Weil sie im Munde
bitter schmeckt und doch dem Magen angenehm ist, heisst sie in
der Arzneikunde Epiglostomachon, das heisst: dem Magen angenehm.
Aloe soll mit herbem Wein oder Wermuthsaft gegeben werden.
2. Tom Aloeholz.
Aloe ist das Holz eines gleichnamigen Baumes, der in Indien
und Arabien vorkommt, wie Isidorus sagt, und einen sehr feinen
Geruch besitzt.^) Man benutzt das Holz zu Altären in den Gottes-
häusern, grade wie das Thymusholz vom Baume Thymus, den wir
oben schon erwähnten. 2) Andere Gelehrte behaupten, das Holz
stamme aus den fiiessenden Gewässern des irdischen Paradises her
und werde mit Netzen aus dem Wasser gefischt. Die schweren
und knorrigen Stücke dieses Holzes sind die besten und besitzen
den meisten Wohlgeruch. Es ist nur massig bitter, wenn man es
auf die Zunge bringt. Seine Farbe ist schwärzlich oder röthlich, es
lässt sich nur schwer zerkauen. Gekaut und im Munde gehalten
ist es wegen seines kostbaren Wohlgeruches gut für das Gehirn.
Femer hilft es gegen Erkrankung des Magens, der Leber, des Ge-
hirns und des Herzens, wie auch gegen das Ausbleiben der Menses
gegen Bru»tleiden und andere Krankheiten der Glieder, die durch
Kälte hervorgerufen sind. Gegen die vorgenannten Leiden ist auch
der mit dem Holze abgekochte Wein nützlich, und wenn man mit
der Nase den beim Kochen aufsteigenden Dunst einzieht, bringt
dieser dem kalten Gehirn gute Gesundheit. Pulvert man das Holz,
stösst die Blätter des Nelkenhaumes und den Knochen aus dem
Herzen des Hirsches gleichfalls klein, verreibt das ganze Pulver mit
Baumöl und bestreicht einem Hahne den Kopf damit, so kräht er
Tag und Nacht nicht mehr.
^) Aloeholz ist das stark harzige Holz von Excoecaria Agalocha L.,
gemeiner Blindbaum, in Ostindien heimisch und zum Räuchern benutzt.
^ IV. A. 50.
8 c h u 1 s , Konrad von Megenberg^s Buch der Natar. 20
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3. Vom Amomuin.
Amonium ist, imchPlinius und Isidorus Angaben, ein Baum
oder Strauch, der in Armenien wächst.') Er ist voller Trauben,
wie eine Weinrebe, die einzelnen Frücjite stehen reichlich und nahe
bei einander. Die Blüten sind weiss, zuweilen violett, und riechen
wie Zimmt, den wir noch kennen lernen werden. Die Blätter
gleichen denen der Paeonia, deutsch Gichtrose genannt, wie sich
hernach ergeben wird, wenn wir die Kräuter abhandeln werden.
Avicenna dagegen sagt, die Blätter des Baumes glichen in Grösse
und Gestalt den Weinblättern, seien goldgelb, und das Holz sei ge-
färbt wie der Stein Hyacinthus, nemlich wachsgelb, wie sich nachher
ausweisen wird. Dabei riecht das Holz sehr gut. Der an feuchten
Stellen vorkommende Baum mit grünem Holz und einem Geruch
nach Baute ist übrigens dieselbe Art. Das aus Egypten kommende
Holz ist weniger lang und breit, leicht mit den Zähnen zu zer-
kleinern und von kräftigerem Geruch wie die Raute. Es wird
Egyptiacum genannt. Die dritte Art des Holzes ist weisslich, etwas
in's Rothe spielend von schlichtem, gradem Wuchs. Gekaut beisst
und brennt es im Munde. Dioscorides giebt an, dies sei das
beste, lasse sich pulverisiren und habe viele Samen. Man sammelt
die Früchte vom Baume wie W^eintrauben, und die Aerzte behaupten,
ein Getränk von Amomum sei gut gegen die Krankheit der Beine,
welche Podagra genannt wird. Es macht aber den Kopf schwer,
bringt Schlaf und Trunkenheit. Consta ntinus bemerkt, wenn eine
Frau an den Genitalien leide und sich über den Dunst des Holzes
setze, so genese sie, auch kämen die Menses wieder. Ein Pflaster
von Amomum ist gegen den Skorpionbiss gut.
4t. Ton der Eardamome.
Cardamomum heisst eine Kardamome, sieht dem Amomum gleich
und ist eine Staude, die längliche Samen bringt. 2) Es giebt vier
verschiedene Arten. Die eine ist lebhaft grün gefärbt, sehr saftig
und mit scharfen Stacheln versehen, die den verletzen, der seine
Haut an ihnen reibt. Dies ist die vorzüglichste Sorte. Die zweite
Art ist röthlich weiss, die dritte klein und schwarz, die vierte ver-
Cissus vitiginea L.? — Amomuin Zingiber L.? — Amomum granum
paradisi Afg.? Elettaria Cardamomum White?
2) Die Kardamome, Elettaria Cardamomum White, ist auch heute
noch offiziuell.
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schieden gefärbt, leicht zerceiblich und wenig riechend. Diese Sorte
hält man für die schlechteste. Die besten Kardamomen riechen am
kräftigsten und etwas süsslich. Das Holz kräftigt durch seinen
guten Geruch die menschliche Xatur und wirkt nach seiner Art
lösend und zehrend, weil es heiss und trocken ist. Auch gegen
Magenbeschwerden ist das Holz gut, es stärkt die Verdauung, ver-
hütet Schwindel, Ohnmacht und Uebelkeit, wenn man es in den
Mund nimmt. Nun kann mau wohl sagen: Das ist Alles sehr gut
und dem Menschen nützlich, aber wo soll ich es herbekommen?
Wahrlich, es wächst gar fern von meiiiem Garten! Hast Du aber
Gut und Gold, so errreichst Du viele Dinge uud machst sie Dir
zu Nutzen. Denn die Kaufleute reisen weit.
5. Yoiirt Bdelliam.
BideUia heisst Bdellium. Das ist ein in Arabien wachsender
Baum.i) Sejß jj^rz ist glänzend weiss, leicht und gleichmässig
gefärbt. Das beste ist dasjenige, welches leicht weich wird und nicht
mit Erde oder Holz verunreinigt ist. Es schmeckt bitter und ist
wohlriechend. Mit anderen, weniger bitter schmeckenden Harzen
verfälscht, verschwindet der charakteristische Geschmack des Harzes
leicht. Platearius nennt die Wirkung des Harzes eine zusammen-
ziehende, anziehende. Es beseitigt den Durchfall, der von scharfer
Galle im Leibe herrührt. Ebenso heilt es die, Aposteme genannten,
Geschwüre innerlich und äusserlich, wenn man sich damit einreibt,
und zerbricht den Stein in der Blase. Vorzüglich wirkt es gegen
den Biss des tollen Hundes oder ähnliche Wunden und ist, mit
Essig verrieben, ein Mittel gegen Erkrankungen der Hoden.
6. Vom Balsambaam.
Balsamus heisst ein Balsambaum. ^) Jakobus, Solinus uud
andere Gelehrte berichten in vielen Schriften, dass dieser Baum
oder Strauch ehemals nur in Judäa in der Nähe der Stadt Jericho
Torkam. Im Verlaufe der Zeit aber brachten ihn die Egypter in
das Babilonische Gefilde, und dort wird er von den gefangenen
Christen kultivirt. Die Egypter haben nemlich wiederholt die Er-
fahrung gemacht, dass die von Heiden angebauten Sträucher un-
*) Balsamodendron africanum Arn., atrikanischer Balsambaum, liefert
das, Bdellium africanum genannte, Haiz.
2) Balsamodendron giieadense Kunth., arabischer Balsamstrauch.
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fruchtbar bleiben. So heisst es wenigstens in den Historien, das
heisst den Schriften von den Ereignissen in Ländern und Zeiten.
Auf demselben babilonischen Gefilde finden sich sechs Brunnen, und
in einem derselben hat, wie erzählt wird, unsere liebe Frau unseren
Herni Jesus Christus gebadet. Von diesem und den anderen fflnf
Brunnen wird das Balsamfeld gewässert. An anderen Orten liefert
die Staude niemals Balsam. Avicenna seinerseits behauptet wieder,
das Land, wo die Balsamstaude wächst, erhalte sein Wasser von
dem Brunnen des Gefildes Engadi. Plinius sagt, der Stamm des
Baumes gleiche dem des Weinstockes und seine Blätter denen der
Raute. Sie sind aber heller gefärbt und immer grün. Man muss
den Baum häufig beschneiden und oft begiessen. Will man den
edeleu Balsamsaft vom Baume gewinnen, so muss man ihn mit
beinerneu oder steinernen oder auch gläsernen Messern ganz ober-
flächlich anschneiden. Der Saft träufelt dann in untergesetzte,
gläserne Gefässe ab. Beschneidet man den Baum mit einem eisernen
Messer, so geht er ein. Dagegen sagen aber Avicenna und Andere^
man beschneide ihn doch mit eisernen Messern. Deu aufgesammelten
Balsam hält man sechs Monate unter Taubendünger, dann holt man
ihn, nachdem er inzwischen sich abgeklärt hat, wieder hervor. Man
thut dies, weil der Taubendung heiss ist, und der Balsam seine
Kraft behält, wenn er nicht abdunston kann. Dieser Balsam ist
wirksamer wie kein anderer. Der Baum heisst Balsamus, sein Holz
dagegen Xylobalsämum, der Samen Carpobalsamum und der Saft
Opobalsamum. Platearius sagt von dem Letztgenannten, er be-
sitze die besten und wirkuugsfähigsten Eigenschaften, weil er heiss
und trocken im vierten Grade sei. Weil er selten ist, wird er häufig
und mit verschiedenen Dingen verfälscht. Einige nehmen Terebinthen-
harz, Terebinthina genannt, und setzen eine Spur Balsam hinzu, um
es dem echten Balsam ähnlich zu macheu, andere nehmen das, vom
Kraute Nardus stammende, Nardenöl und versetzen es mit Tere-
biuthenharz.
Nun behaupten Einige, man solle den Balsam in folgender
Weise auf seine Güte hin untersuchen : Bringt man Etwas von ihm
vorne an einen GriflTel und zündet es an, so brennt es. Das thut
Terebinthenharz aber auch. Dioskorides sagt, wenn man einen
Tropfen Balsam in Ziegenmilch bringe, so gerinne diese sofort und
der Balsamtropfen falle auf den Boden. Es giebt aber viele Dinge,
die die Milch gerinnen machen. Der Balsam ist gelb und ganz
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klar and. man unterscheidet ihn von falschem Balsam so: Briugt
man ihn mit Hülfe eines Griffels auf den Boden eines, mit Wasser
gefüllten Gefasses, so bleibt er dort, bringt man ihn in die Mitte
des Wassers, so hält er sich dort gleichfalls, und dasselbe thut er»
wenn er au die Obei'fläche gebracht wird. Ein zweiter Versuch ist
dieser: Fülle Wasser in ein Gefäss und thue etwas Balsam hinein.
Wird dann beim Umrühren mit einem Holz das Wasser trübe, so
ist der Balsam verfäscht oder direkt reines Torebinthenharz, denn
echter Balsam trübt das Wasser nicht. Rabanus sagt, wenn der
Balsam unverfälscht und echt sei, werde ein wollenes Tuch von ihm
nicht unsauber und behalte seinen vorigen Werth. Weiter: Wäge
ein wenig Balsam ab und danach ein gleich grosses Stück Tore-
binthenharz, selbstverständlich in demselben Gefasse, Ist dann der
Balsam echt, so w;iegt er zwei oder drei mal mehr, wie das Tore-
binthenharz, ist dagegen sein Gewicht nur unbedeutend höher, so
ist er gefälscht. Ferner: Ist der Balsam echt, so wirkt er so stark,
dass, wenn man einen ' Tropfen davon bei Sonnenhitze in die Hand
bringt, diese es nicht aushalten kann, weil der Balsam die Hand
sofort durchdringt. Es giebt keine Flüssigkeit, die so schnell durch-
dringt. Der Schotte Michael sagt, Milch gerinne sofort^ wenn
man sie auf den Balsam giesse, auf Wasser gegossen behält aber
der Balsam seine Kraft. Gereinigt wird der Balsam durch Waschen
mit Essig, in dem man ihn wiederholt umkehrt. Er lässt sich mit
keiner anderen Flüssigkeit mischen. Das glaube ich, der Megen-
b erger, aber nicht, denn sonst könnte man ihn nicht so häufig ver-
fälschen, wie man thut. Der Balsam wirkt lösend, Kraft erhaltend
und anziehend. Ausser anderen Eigenschaften besitzt er auch die,
das todte Kind sowie die Eihäute, in denen das Kind im Uterus
liegt, auszutreiben. Die Häute heissen lateinisch Secuudina. Sie folgen
dem Kinde in der Geburt und heissen desshalb Seeundina nach
dem Worte sequor, was folgen bedeutet. Den Balsam soll man bei
allen veralteten Kopf leiden geben mit einem Opiumpräparate, das für
die Krankheit passt. Wachs mit etwas Balsam zusammengeschmolzen
und auf eine Narbe zehn Tage lang aufgelegt (denn so lange hält
sich der Balsam mit dem Wachs, zur Noth auch vierzehn Tage),
lässt die Narbe verschwinden. Leichen, mit dem echten Balsam
einbalsamirt, halten sich viele Jahre lang, ohne zu verwesen.
Dem Balsam vergleicht sich unsere liebe Frau in der Schrift
mit den Worten: „Ich dufte wie ein wohlriechender Balsam.^ Das
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sagt sie mit vollem Recht, denn sie streut, aller Tugenden voll, ihre
grosse Barmherzigkeit mit soviel Gnade auf uns arme 8ünder herab^
dass wir den Himmel mehr mit Gewalt wie mit Recht besitzen.
Desshalb sagt die Schrift: Der Gerechte wird kaum behalten, weil
man kaum einen Menschen findet, der keine Todsünde begangen
hat, es sei ein Apostel oder sonst ein Heiliger. Nur unsere liebe
Frau ist frei davon, desshalb heisst es auch in der Schrift: Coelum
vira patitur, das bedeutet: der Himmel leidet Gewalt. Nun be-
denke, wie wir in den Himmel kommen. Barmherzigkeit muss der
Wahrheit entgegen kommen und die Gerechtigkeit milde und fried-
fertig sein. Desshalb sagt der Prophet im Psalm: Gerechtigkeit
und Wahrheit sind einander entgegen gekommen, Gerechtigkeit und
Friede habeu sich gekösst. Dieses Küssens freue ich mich, e»
giebt mir mehr Kraft, wie aller Balsame Geruch.
7. Vom Zimmtbaam.
Cinnamomum ist ein Baum im Mohreulande, wie Isidorus
und Plinius angeben.^) Es ist eine kleine, kaum zwei Ellen hohe
Staude, mit schwarzer oder aschgrauer Rinde und kleinen Zweigen.
Die grosse Art mit starken Zweigen verschmäht man, die kleine
dagegen wird gerühmt und ist edel. Die Aeste des Baumes sind
rund und hohl, wie Röhren, 2) und wenn man sie zerbricht, entwickelt
sich aus ihnen ein deutlich süsser Geruch, wie ein Nebel oder sehr
feines Pulver. Platearius lehrt, der Zimmt starke durch seinen
feinen Geruch das Gehirn und kräftige den durch Kälte erkrankten
Magen. Gepulverter Zimmt, au Stelle der Sauce zum Essen ge-
geben, macht fröhlich. Oft gekaut beseitigt er den übelen Geruch
aus dem Mimde, was andere Gewürze und wohlriechende Dinge, wie
Gewürznelken, Muskate und ähnliche nur selten thun. Denn wenn
sie auch gut riechen, so faulen sie doch schliesslich und greifen
durch ihre Hitze das Fleisch im Munde an. Der Zimmt dagegen
wirkt zwar auch erwärmend, verzehrt aber den übelen Geruch wegen
seiner adstringirenden Eigenschaft, die lateinisch Couglutiuatio heisst,
und durch die er das Fleisch zusammenzieht und fest macht. Wem
das Zahnfleisch fault und übel riecht, was besonders hitzigen Naturen
passirt, wasche es zunächst mit Salzwasser und reibe es, bis es
') Cinnamomum ceylanicuni Nees. und aromatlcum N.
^) K. meint hier vvolil die getrocknete Zimmtrinde.
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blutet. Dann mische man Zimmtpulver mit warmem Wein und
wasche den Mund sorgfältig damit aus. Augentropfen, Collyrium
genannt, aus Zimmt bereitet, machen die Augen klar. Zimmt mit
Gewürznelken gepulvert ist gut gegen den Schwindel und die
Athemnoth, welche Cordiaca genannt wird. Der Zimmt lässt den
(Jreruch anderer aromatischer Substanzen nicht aufkommen. Wieder-
holt genossen hilft er gegen Sehschwäche. Er besänftigt und reinigt
die Brust, hilft gegen Ohrenschmerz und bildet, mit Myrrhe ge-
mischt, ein Gegengift gegen den Stich des Skorpions. Das aus ihm
bereitete Oel befördert die Beweglichkeit der Glieder und bewahrt
sie vor Zittern und Krankheit. Rabanus bezeichnet den, im Neste
des Vogel Phönix gefundeneu, Zimmt als den besten. Weil aber
der Baum, auf dem der Phönix nistet, hoch und gleichzeitig dünn
ist, können die Leute nicht an das Nest kommen und werfen dess-
halb den Zimmt mit bleiernen Wurfkugeln herab. Dem Zimmt
vergleicht sich unsere liebe Frau in der Schrift mit den Worten:
„Ich dufte wie der wohlriechende Zimmt.** Sie sagt das mit Recht
wegen ihrer reinen Keuschheit, die so hoch dasteht, dass die ganze
Welt und besonders die himmlischen Engel sich derselben freuen.
Denn wisse, dass die rechte Keuschheit sich hoch über alle körper-
liche Natur erhebt.
8. Von der Holzkassie.
Cassia lignea heisst Holzkassie. ^) Nach Plinius ist es eine,
in Arabien heimische, wie eine Gerte grade auf wachsende Staude.
Sie ist lebhaft purpurroth gefärbt, ihre Blätter gleichen denen des
Wachholders, und in ihren Eigenschaften steht sie dem Zimmt nahe.
Da ihre Kraft aber geringer ist, wie die des Zimmts, so muss mau
in Arzneieu die doppelte Menge von ihr nehmen, wo man mit der
einfachen von Zimmt auskommt. Der Stamm der Pflanze wird
drei Ellen hoch und hat dreierlei Rinde. Die innerste ist weiss,
dann folgt eine roth gefärbte und die dritte, oberste, ist schwarz.
Die schwarzen Stücke lobt man am meisten, danach die zweite
Rinde, wogegen die weisse verworfen wird. Die beste Rinde ist
die ganz schwarze. Platearius sagt, das Holz sei heiss und trocken
und wirke durch seinen guten Geruch verzehrend und stärkend.
Ein Gemisch der Blätter mit Lorbeeröl, Laudanum genannt, und
M Eine Abart des gewöhnlichen Zimmts, Cinnamomum ceylanicura
var. cassia N. v. E.
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Weriniith ist vorzüglich gegen den kalten Fluss des Kopfes, der
Rheuma genannt wird, sowie gegen Erkältung der Leber und Milz.
Auch gegen die Yerschoppung beider Organe ist sie nützlich und
stärkt das Gehirn. Zur Kräftigung des Magens sowie gegen alle,
aus erkältenden Einflüssen herrührenden, Krankheiten soll man das
Ilolz mit Wein abkochen und diesen den Kranken zu trinken geben.
9. Tom Kasslcnbanm.
Cassiana heisst ein, erhitzend und austrocknend wirkender
Baum, der gerne an feuchten und moorigen Plätzen wächst.^) Er
kommt allerdings hier und da auch in trockuerer Lage vor, sein
ganzer Wuchs sowie die Blätter sind aber dann kleiner. Die Blätter
und Früchte des Baumes sind arzneikräftig, letztere sind klein,
wie die Wachholderbeeren. Eine Abkochung der Früchte ist gut
gegen die Paralyse. Wird Jemand vom Schlage getroflFen und
verliert dadurch die Sprache, so nehme er die frischen oder das
Pulver der getrockneten Blätter, halte sie unter die Zunge, und er
wird zweifellos die Sprache wieder erhalten. Indess muss dies im
Anfang der Krankheit geschehen, währt sie bereits länger, so muss
eine stärkere Arznei augewandt werden. Immerhin ist das ange-
gebene Mittel das beste. Die Blätter des Baumes helfen ferner
gegen Harnzwang, müssen aber zu dem Zweck unter dem Kiau
getragen werden, nicht etwa in der Hand oder im Busen.
10. Ton der BOhrenkassie.
Cassia fistula mag Röhrenkassie heissen.^) Dieser Baum
wächst, nach Platearius, im Orient, ist weder warm noch kalt und
bringt längliche Früchte. Die Früchte fallen ab, reifen nach und
trocknen dann ein, wobei die äussere Schale verdorrt und das
Mark im Inneren dick wird. Es finden sich in einer Schale mehr
als vierzig Samen beieinander vor. Die dicke und fettige Eöhren-
kassie ist die beste, weil sie viel Feuchtigkeit besitzt. Die dunkle
Rinde ist ausgereift, röthliche oder helle Rinden dagegen sind un-
reif. Der Baum besitzt erwärmende und anfeuchtende Kraft in
sehr massiger Weise, sein Mark liefert eine gute Arznei. In
warmem Wasser mit Zucker verrührt reinigt es den Bauch, hilft
^) Cinnamomum Tamala N. v. E., deren unreife Fruchte als Flores
cassiae, Zimmtnägelein, gehrSuchlicli sind?
-) Gassia fistula L. Röhrenkassie. Das Fruchtmark wirkt abführend.
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gegen hitzige Fieber und bringt die Geschwüre im Halse zum Auf-
brach, wenn man damit gurgelt.
IL Tom wohlriechenden Bohr.
Caiamus aromaticus^) heisst das wohlriechende Rohr nach dem
gewöhnlichen Rohr, dem es ähnlich sieht. Es ist eine, in Indien
heimische Staude. Platearius sagt: Dieses edele Rohr ist heiss
und trocken, weisslich gefärbt, riecht sehr schön und ist im Inneren
tiohl. Durch die vorzugliche Art seines Geruches wirkt es kräftigend.
Es ist eine gute Arznei gegen Magenkrankheiten, die von Kälte
herrühren, stärkt die Eingeweide und hilft gegen die Blähungen,
wenn man seinen Saft mit Wermuthsaft und Wein einnimmt. Zur
Aufbesserung der Verdauung im Magen nehme man ihn mit Zimmt-
pulver, eine Arznei, die auch für die Brust gut ist.
13. Tom alexandrinischen Kürbis.
Coloquintida heisst ein alexandrinischer Kürbis. 2) Diese
Pflanze wächst im Orient bei Jerusalem, und ihre apfelförmigen
Früchte werden gleichfalls Koloquinthen genannt. Das Mark der
Pflanze wie auch die Früchte liefern eine gute Arznei, ebenso auch
die Samen der Früchte. Sie wirken eröffnend, verzehrend und
reinigend. Gurgelungen mit Wein, in dem die Sjimen abgekocht
sind, helfen gegen Zahngeschwüre.
13. Tom Eapperstraueh.
Capparis heisst ein Kapperstrauch. ^) Es ist eine, im Orient
heimische Staude, nach Platearius erhitzend und trocknend in
ihrer Wirkung, die sich auch in Apulien und der Romagna vor-
findet, dort aber nicht so kräftig wird. Wurzel, Rinde, Blüten
und Blätter sind arzneikräftig. Die abgeschälte und an der Sonne
getrocknete Rinde ist röthlich und bitter. Mit Wein gekocht hilft
ßie gegen Milzkrankheit und Leberverhärtung. Die Blüten sollen
gesammelt werden, so lange sie noch geschlossen und nicht aufge-
1) Caiamus aromaticus ist die alte Bezeichnung tür Acorus caiamus
L. Kalmus, der von Indien nach Griechenland gebracht, erst im 15. Jahr-
hundert in Deutschland in Gärten eingefahrt wurde und sich dann weiter
verbreitete.
^ Citrullus colocynthis L., Koloquinthe.
^) Capparis spinosa L., der gemeine, in Südeuropa häufige Kapperstrauch.
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blüht sind. Sie werden mit Salz und Essig eingemacht. Sie wirken
Appetit erregend, verdauen die Feuchtigkeit im Magen und er-
wärmen ihn, wenn er kalt ist.
14. Von den Eabeben.
Cubebae heissen die Kubeben. Sie sind massig erwärmend
und trocknend in ihrer Wirkung, wie Platearius sagt. Diese
Früchte w^achsen auf einem, im Orient vorkommenden Baume. Die
besten erkennt man an ihrem feinen (leruch. Erwärmte und zer-
riebene Kubeben vor die Nase gehalten sind gut gegen den kalten
Fluss des Kopfes, der Rheuma genannt wird. Ebenso stärken sie
das Gehirn. Sie müssen zu diesem Zweck gekaut und längere Zeit
im Munde behalten werden, bis der Dunst aus ihnen in das Ciehirn
zieht. Das ist für den Kopf sehr gesund.
15. Tom Traganth.
Diadragantum wirkt kältend und anfeuchtend, wie Platearius
angiebt. Es ist ein Harz oder Gummi, das unter dem Einfluss der
Hitze aus einem Baume im Orient ausfliesst.^) Der weisse, reine
Traganth ist der beste, der röthliche taugt Nichts. Er besänftigt
die Hitze, labt, feuchtet an und reinigt besonders das Gesicht, wenn
man ihn als Latwerge nimmt, wie im Antidotarius, dem Buche von
den Gegengiften, beschrieben ist. Ein aus ihm bereitetes Gurgel-
wasser hilft gegen Brustkrankheiten sowie gegen den Husten, der
von Erhitzung der geistigen Organe herkommt. In warmem Gersten-
wasser gelöster Traganth mit Gummi arabicum versetzt und als
Gurgelwasser gebraucht, hilft gegen kalten Husten und Austrocknung
der Brust.
16. Vom Galbannm.
Galbanum heisst Galban.^) Diese Staude wächst in den
Ländern des Orients, und ihr Harz oder Gummi führt denselben
Namen wie die Mutterpflanze. Galbanum ist, nach Platearius,
heiss und feucht. Das beste ist hell gefärbt und rein, wirkt er-
öffnend, anziehend und verzehrend. Ausserdem lindert es die
Piper Cubeba L., Kubebenpfeffer.
^) Die Lieferanten des Traganthgummis sind Astragalus creticus Lam.,
A. aristatus L. und andere Arten.
3) Galbanum, Mutterliarz, stammt von einer in Persien heimischen
Umbellifere, wahrscheinlicli einer Ferula-Art.
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Schmerzen, zeitigt und erweicht die Geschwüre, welche Aposteme
genannt werden. Wer die, lateinisch Lethargus genannte, Krankheit
der Vergesslichkeit hat, soll den Dampf von auf Kohlen gelegtem
Galbanum durch die Nase einathmen. Es hat einen sehr feinen
Geruch, der aber für Solche schädlich ist, die an übele Gerüche
gewohnt sind. Es vertreibt die Schlaugen, reinigt das Haupt von
Flüssen und schmeckt auf der Zunge bitter. Besonders geeignet
ist es zur Anfertigung des Thymiama's, das vom Baume Thymus^
herkommt, wie wir oben schon gesagt haben. ^)
17. Von den Gfewttrznelken.
Caryophylon heisst ein Gewürznelkenbaum.^) Platearius
giebt an, es sei eine in Indien heimische Staude. Ihre Früchte
sind die Nelken. Denen, die sie gerne riechen und kauen, sind
sie von grossem Nutzen, wenn sie an Seelenschwäche leiden, weil
die Nelken die Seele kräftigen. Die Nelken sind heiss und trocken,,
scharf auf der Zunge und heissen im Lateinischen Caryophylli.
Die besten geben, mit den Fingern zerrieben, eine Feuchtigkeit
aus. Sie müssen an einem nicht zu trocknen noch auch zu feuchten
Orte aufgehoben werden, dann kann man sie zehn Jahre lang voIIt
kräftig erhalten. Sind sie verdorben und vertrocknet, so fälscht
man sie in folgender Weise. Man nimmt gute, scharfe Nelken,
pulverisirt sie möglichst fein, und mischt dies Pulver mit starkem
Essig unter Zusatz einer geringen Menge bouquetreichen Weines.
Die schlechten Nelken werden in ein Tuch gebunden und eine
Nacht hindurch in diese Flüssigkeit gelegt. Aus dem Essig nehmen
sie dabei eine Feuchtigkeit an, und man kann dann die guten
Nelken von den gefälschten nicht mehr unterscheiden. Diese halten
aber trotzdem kaum dreissig Tage. Die Nelken wirken kräftigend^
eröffnend und verzehrend. Wer sein Gehini stärken will, halte
Nelken unter die Nase. Sehr gut sind sie bei dem Durchfall, der
von einer zu starken Arznei erzeugt wurde. Auch den Augen sind
sie von Nutzen, weil sie das Gesicht reinigen und die Haut an den
Augen vertreiben. Sie kräftigen Magep und Leber und helfen gegen
Unverdaulichkeit und Erbrechen.
1) Vergl. IV. A. 50.
2) Eugenia caryophyllata W., Gewürznelkenbaum, dessen getrocknete
Knospen das bekannte Gewürz liefern.
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18. Tom Galgant
Galanga heisst Galgant. ^) Er wirkt erhitzend und trocknend,
^ie Platearius berichtet. Dieser Baum oder Staude wächst im
persischen Lande, wo die Leute wohnen, w^elche Perser genannt
werden, und die Wurzel dient zum Arzneigebranch. Sie hält sich
«twa fünf Jahre und heisst Galgant. Der beste Galgant ist röthlioh
gefärbt, schwer, fest und schmeckt scharf auf der Zunge. Er wirkt
kräftigend und verzehrend. Man fälscht ihn wie die Nelken, nur
dass man statt des Nelkenpulvers Pfeffer nimmt. Er stärkt die
Verdauung im Magen und ist gegen die Magenkrankheiten gut, die
von kalten Dingen oder Blähungen hervorgerufen werden. In
jsolchen Fällen siedet man die gepulverte Wurzel mit Wein, üntar
die Nase gehalten ist er für das Gehirn gut, kräftigt es und macht
ausserdem den Athem wohlriechend. Er erregt die unkeuschen
Leidenschaften, besonders im Sommer. Im Winter äussert er seine
guten Eigenschaften mehr, weil er im Sommer den Menschen über-
hitzt. Ausserdem hilft er gegen die L^teruskolik, die lateinisch Colica
genannt wird, gegen Nierenschmerzen und noch viele andere Dinge.
19. Vom arabischen Gamml.
Gummi arabicum ist arabisches Gummi. 2) Der Name rührt
davon her, dass dies Gummi aus einem, in Arabien wachsenden
Baume fliesst, wie Platearius angiebt. Das Gummi wirkt er-
hitzend und anfeuchtend und kommt in drei Sorten vor. Die erste
und beste Art ist weiss, die zweite leicht gelblich, die dritte gelb-
jöthlich gefärbt. Das Gummi wirkt anfeuchtend, zusammenklebend,
lösend und besänftigend. Wer an rauher Zunge leidet, lege das
Gummi in Wasser, bis es schlüpfrig wurd, und reibe dann die Zunge
damit. Man giebt es auch gegen die Uebelkeit und ün Verdaulichkeit,
die von einer Krankheit herrühren. Mit Zimmtpulver zusammen ist
-es gut gegen den kalten und trocknen Husten; gegen die Aus-
trocknung der Brust soll man Wasser, mit dem Gummi und Gerste
gekocht, trinken. Auch gegen das Feuer ist es wirksam, wenn
man sein Pulver mit Eiweiss gemischt auf die brennende Stelle bringt.
^) Der Wurzelstock von Alpinia Galanga Sw. u. A. officinarum H.
3) Von verschiedenen Acacienarten geliefert.
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30. Von der arabischen Myrrhe.
Myrrha Arabiae heisst arabische Myrrhe.^) Isidorus be-
schreibt sie als einen, etwa 10 Ellen hohen Baum, voller Domen
und Stacheln und mit sehr harter Einde. Das Harz des Baumes-
ist grün und sehr bitter. Der freiwillig ausgeflossene Saft ist besser
^ie der, durch Einschnitte in die Rinde gewonnene. Wirft mau
die Zweige des Baumes in's Feuer, so ist Das für die am Feuer
sich aufhaltenden Leute sehr schädlich. Sie verfallen durch den
sich entwickelnden Rauch in unheilbares Siechthum, wenn sie nicht
schleunigst den Geruch des Baumes einathmen, der Storax genannt
wird und nachher noch besprochen werden soll. Die gesammelten
und an der Sonne getrockneten Blätter und Blüten des Baumes
wirken kräftigend und zusammenziehend. Sie sind gut gegen Un-
verdaulichkeit, Durchfall und Blutfluss. Die Myrrhuli, deutsch
Myrrhen, genannten Früchte sind indessen wirksamer, ebenso auch
das Harz. Die Blätter gleichen denen des Oelbaumes, sind aber
etwas krauser, haben einen gezähnelten Rand und sind in ihrer
ganzen Gestalt etwas rundlicher. Der Saft oder das Hfirz des
Baumes wird auch Myrrha genannt, ist zuweilen ganz hell gefärbt,
uud es ist dies die beste Sorte. Die röthlich oder dunkel gefärbten
Stücke sind nicht so gut. Das Harz wirkt erhitzend, austrocknend
und eröfTnend, entfernt die Gasansamnilungen aus dem Darm und
den Gliedern. Der beim Verbrennen des Harzes aufsteigende Rauch
verhält sich ebenso. Indessen trocknet er die zu feuchten Glieder*
in kürzerer Zeit und angenehmer Art, ohne Beissen und Nagen.
Das Harz ist arzneikräftig und wird desshalb starken und energisch
wirkenden Arzneien zugesetzt. Es wirkt so stark fäulnisswidrig,
dass es einen Leichnam vor der Verwesung, jeglicher Veränderung
und fauligem Geruch schützt, besonders wenn es mit Aloe^) zu-
sammen angewandt wird, von der wir schon gesprochen haben.
Das wusste Joseph von Arimathia w^ohl, der Aloe und Myrrhe kaufte,
als er unseren Herrn begraben wollte. Schon die drei Könige
deuteten es an, dass Christus begraben werden sollte, als sie ihm
Myrrhen opferten. Die Myrrhe entfernt weiterhin die rohe, über-
flüssige Feuchtigkeit und beseitigt den übelen Geruch aus dem
Munde, macht ihn vielmehr angenehm. Eine Salbe aus Myrrhe,
Eiweiss und Wein, in die Achselhöhlen und die Regio pubica ein-'
^) Balsamodendron myrrlia N.
') Das Aloeholz ist gemeint.
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gerieben, entfernt dort den übeleo Geruch. Myrrhe macht auch
die Stimme klar und ruft, im Klysma mit Rauten- oder Werniuth-
wasser, die Menstruation wieder hervor. Sie wirkt befördernd auf
die Geburt und vertreibt die Würmer, die im Leibe wachsen.
Der Myrrhe vergleicht sich unsere liebe Frau in der Schrift
mit den Worten: „Ich habe einen süssen Duft, wie von auserlesener
Myrrhe, verbreitet. ** Sie spricht desshalb so, weil Gott sie auserwählt
und vor allen Frauen gesegnet hat zu einer Wohnung seines ein-
geborenen Sohnes, in der er ohne Makel blieb.
21. Vom Maeisbaam«
Macis ist, nach Isidorus, ein Baum, der ein, Mastix genanntes,
Harz liefert, das sehr wohlriechend und roth wie ein Granatapfel
ist. Die mit Honig gesottene Rinde giebt eine sehr gute Arznei
gegen den Blutfluss, weil sie zusammenziehend, verzehrend, kräftigend,
Btärkeud und zusammenklebend wirkt. Auch gegen die Feuchtigkeit,
die vom Kopf nach den Augen oder den Händen hin fliesst, ist das
Harz heilsam. Das Wort Macis hat übrigens, nach Platearius^
noch eine andere Bedeutung. Es heisst neralich auch Muskatblüte
oder, nach anderer Angabe: Macis ist die Schale um die Muskat-
nuss, in der die eigentliche Nuss steckt.^) Die beste Muskatmacis
ist röthlich und schmeckt scharf. Sie stärkt das Gehirn, eröffnet
und verzehrt die bösen Säfte im Körper. Muskatblüte soll mau
kauen und lange im Munde halten, damit ihre Kraft zum Gehirn
aufsteigen und die überflüssige Feuchtigkeit zerstreuen kann.
32. Tom Maskatbanm.
Muscata heisst ein Muskatbaum. '^) Er wächst in Indien, wie
Plinius und Jakobus berichten, ist ein sehr edeler Baum und
trägt Nüsse, die Muskaten genannt werden. Sie wirken erhitzend
und trocknend im dritten Grade. Die besten sind schwer und
schmecken scharf auf der Zunge. Unter die Nase gehalten stärken
sie das Gehirn und die Sinnesorgane, weil sie sowohl durch ihreu
Geruch wie auch ihre Eigenart kräftigend wirken. Die Muskatnuss
eignet sich besonders bei Kälte des Magens und Verdauungsschwäche
desselben. Am Morgen für sich genossen nützt die Nuss dem
^) Auch heute bedeutet Macis, Muskatbli'ite, den Samenmantel der
Muskatnuss.
3) Myristica fragrans Houtt.
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Haupte, braucht man sie aber zu reichlich, so schädigt sie das Ge-
hini wegen ihrer durchdringenden Wirkung. Mit Muskate gesottener
Wein stärkt das Gehirn. Eekonvalescenten sollen Muskate kauen,
<lamit ihre Sinnesorgane wie auch das Herz, die Leber und die
übrigen Organe, wieder zu Kräften kommen. Auch sollen sie mit
Muskate gekochten Wein trinken.
88. Vom Onyx.
Onycha heisst ein Onyx,^) latemisch auch üngula, was Klaue
oder Fussnagel bedeutet, entsprechend den Nägeln an Händen und
Füssen des Menschen. Es ist ein edeler Stein, gefärbt wie ein
Finger- oder Zehennagel. Einige lassen den Stein von den Meer-
thieren herkommen, die Austern heissen und Seeschnecken sind, wie
wir oben gezeigt haben. Andere dagegen behaupten, der Stein sei
eigentlich ein, aus einem im Orient heimischen Baume stammendes
Harz, das im Laufe der Zeit soweit erhärte, dass der genannte Stein
daraus würde. 2) Dieser Stein oder dieses Harz ist gut gegen Krätze
und Eäude und macht das Gesicht weiss und rein. Es giebt eine
wunderbare Geschichte von diesem Stein, die ich mir aber aufheben
will, bis wir es mit den Steinen zu thun haben w^erden, denn dabei
müssen wir des Onyx auch gedenken.
34. Vom Pfefforbaam.
Pipperis heisst ein Pfefferbaum. ^) Er wächst in Indien am
Bande des im Osten gelegenen Berges Kaukasus. Holz und Blätter
des Baumes gleichen denen des Wachholders. Kabanus sagt, der
Pfefferbaum bringe weisse Samen, die aber schwarz würden in den
Gegenden, wo man die Schlangen durch Feuer vertreibt. Der
Bischof Jacobus Aquensis giebt eine andere, wesentlich glaub-
würdigere Ursache an, wesshalb der Pfeffer schwarz ist. Er schreibt
nemlich, der Pfeffer werde ohne jede Anwendung von Feuer ge-
sammelt und dann in heissen Oefen getrocknet, um ihn haltbarer
zu machen, oder auch, um zu verhüten, dass die frischen Samen in
1) Vgl. VI. 56.
^) Vielleicht ist der Tabaschir gemeint, die eigentliümliche, leicht
opalescirende, aus Kieselsäure bestehende Concretlon, die sich im Innern
Älter Bambusstämme abscheidet und heute noch in Persien und Indien in
hohem Ansehen steht.
^) Piper spec. var.
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anderen Gegenden gesäet und angebaut werden. Der leichte Pfeffer
ist alt, der schwere frisch. Platearius nennt den Pfeffer heiss im
letzten Grade. Sorgfältig gepulverter, von der äusseren Schale
vorher bejEreiter Pfeffer, reichlich mit Rosenwasser besprengt, ge-
trocknet und tropfenweise in's Auge gebracht, entfernt die Haut
vom Auge und die Sehschwäche. Die von Natur heissen und
feuchten Leute, die lateinisch Sanguinici heissen, sollen keinen Pfeffer
brauchen, weil er verflüssigend wirkt und zuweilen den Aussatz her-
vorrufen kann. Gepulverter Pfeffer frisst das überflüssige Fleisch
aus Wunden weg. Galen und Aristoteles führen drei Arten
Pfeffer an, schwarzen, langen und weissen, die alle auf einem
Baume wachsen sollen. Der weisse soll den Magen besser kräftigen^
der lange dagegen mehr zur Weiterbeförderung der genossenen
Speisen beitragen. Andere Autoren sind damit nicht einverstanden.
Denn was wir bei uns zu Lande langen Pfeffer nennen, ist locker
gebaut und von der Form der länglichen Dinge, die an den Haseln
hängen, ehe die Nüsse auf ihnen wachsen.^) Der lange Pfeffer da-
gegen ist schwarz und riecht wie der echte Pfeffer, nur dass sein
Geschmack weniger scharf ist. Was wir aber mit weissem
Pfeffer bezeichnen sind Nüsse, etwa den Haselnüssen vergleichbar.
Ihre Schale ist aber weicher, wie die der Haselnüsse und heller
gefärbt, aMch haben sie inwendig nicht das bräunliche Häutchen
und solche Kerne, wie die Haselnuss. Der Kern riecht auch anders,
wie bei dem gewöhnlichen Pfeffer und schmeckt süsslich, nur wenig
scharf. Es ist auch nicht glaublich, dass von Natur alle diese ver-
schiedenen Früchte auf einem und demselben Baume wachsen. Der
echte Pfeffer hat die Eigenschaft, massig genossen, harntreibend zu
wirken. In grösseren Gaben dagegen wirkt er eröffnend auf den
Darm, verzehrt den Samen und macht dadurch keusch. Der lange
Pfeffer dagegen, wie auch der weisse, fördern durch ihre Feuchtig'
keit die Uukeuschheit. Es wird auch gesagt, dass geschälte, vom
Kernhaus befreite und inwendig mit gepulvertem, langem Pfeffer
bestreute, gebratene Aepfel die Verdauung wesentlich befördern.
Wenn eine schwangere Frau viel echten Pfeffer isst, abortirt sie.
^) Piper aethiopicum von Habzelia aethioplca DC? Die ganze, hier
gegebene Beschreibung vom Pfeffer ist unklar.
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25. Vom Tanbenbanm.
Peridixiou ist die griechische Benennung eines, in Indien
wachsenden Banrnes. Deutsch kann man ihn etwa Taubenbaum
nennen, weil eine besondere Art von Tauben die Früchte dieses
Baumes mit Vorliebe frisst. Die Früchte sind, nach Isidorus
Angabe, süss, und unter den Zweigen und im Schatten des Baumes
haben die Tauben Kulie vor einer bestimmten Art von Schlangen.
Ueber diesen Baum ist schon in dem Abschnitt über die Tauben
mehr gesagt worden. \)
36. Vom Myrrhenharz.
Stacten, wie die Uelehrten es nennen, ist ein Harz, das vom
Myrrhenbaum fliösst. Das Harz bekommt den vorbemerkten Namen
erst, wenn es erhärtet ist. Es ist viel schärfer, wie die Myrrhe
selbst, die feucht und wohlriechend ist. Einige behaupten, das Harz
stamme nur von ganz alten Myrrhenatauden her, die gründlich von
der Sonne durchhitzt seien. Andere dagegen sind wiederum der
Ansicht, dass der echte MyiThenbaum in einigen Gegenden das Harz
producire, auch ohne besonders alt geworden zu sein. Das ist aller-
dings sehr wohl möglich, dass dieselbe Baumart in dem einen Lande
ein viel besseres Harz hervorbringt, wie in dem anderen. Der
Weizen gedeiht ja auch in der einen (hegend besser, wie in der anderen.
27. Vom Storax.
Storax ist ein, nach den Angaben des Platearius, Piinius
und Isidorus, in Arabien heimischer, dem Granatbaum ähnlicher
Baum.-) In der Jahreszeit, wo der, Canis genannte, Stern mit der
Sonne aufgeht, scheiden die Zweige Saft in Tropfen aus. Fällt
das Harz auf die Erde, so wird es unrein, dasjenige aber, was an
den Aesten und Blättern haften bleibt, ist rein und weiss. Später
wird es unter dem Einflüsse der Sonnenhitze goldgelb. Der Saft
ist fettig und sehr harzreich, er riecht wunderbar gut, und liefert
verflüssigt eine honigsüsse Flüssigkeit. Die beste Sorte dieses
Balsams wird flüssig, wenn man ihn mit den Händen knetet und
hat einen sehr feinen Geruch. Er ist gut gegen die Wirkung der
Kälte und gegen Magenschwäche. Auch vertreibt er die Feuchtigkeit
aus dem Gehirn und reinigt es, erregt dabei aber Kopfschmerzen.
1) Vgl. B. 2'2. Ich habe iiäliere Aiigal)en über diesen Baum nicht
finden können.
-) Styrax officinalis L., Li(|uidanihar orientalis Mill?
Schulz, Konrad von Megenberg's Buch der Natur. 11
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Einige Gelehrte geben, im Gegensatz zu den Vorigen, an, der
Balsam entstamme dem Oelbaum, der im Mohrenlande wachse und
komme in zwei Arten vor. Die eine ist gelb oder goldfarbig, fliesst
von selbst aus der Rinde und heisst bei Constantinus Calamita.^)
Die zweite Art wird durch Auskochen der Oelbaumrinde gewonnen,
ist schwarz und klebrig und heisst bei Constantinus Sigia.
38. Vom Santelbanm.
Sandalus ist ein im östlichen Indien vorkommender Baum;
nach Platearius abkühlend und austrocknend in seiner
Wirkung. Sein Holz heisst JSandalum und kommt in drei ver-
schiedenen Qualitäten vor. Es giebt weisses, rothes und gelbes
Santelholz.-) Das gelbe riecht, besonders auf dem frischen Bruch,
feiner, wie die anderen Arten. Ein Pflaster aus Santelholzpulver,
Rosenöl, und Essig auf die Lebergegend gelegt, nimmt der Leber
die Hitze, wenn sie [überhitzt ist. Dasselbe Pulver hilft auch gegen
Stirnkopfschmerz und wirkt, mit Alraunöl und Lattichsaft gemischt,
Schlaf erregend. Santelholzpulver, sorgfaltig mit Fenchelrinde, ^)
Zucker, weissem Mohn, arabischem (Jummi und Lakritzenpulver
zerstossen, dann vorsichtig geröstet und mit gewöhnlichem SjTup
versetzt, ist vorzüglich gegen hitzige Abscesse, gegen den Durst
beim Fieber, Ueberhitzung der Leber, den Husten und gegen Stirn-
kopfschmerz, der von Erhitzung herrührt. Das Präparat wird in
den Apotheken unter dem Xamen Diasandalum geführt. Mau
kann es allerdings auch in anderer Weise herstellen, die in der an-
gegebenen Art verfertigte Latwerge ist aber besser und wirksamer.
Sie ruft auch tiefen Schlaf hervor, muss jedoch zu diesem Zwecke
einen Zusatz von Alraunpulver erhalten.
29. Vom Welhrauehbanm*
Thus heisst ein Weihrauchbaum.'*) Er wird sehr geschätzt,
riecht vorzüglich und wächst in Arabien, wie Plinius und
Platearius lehren. Er erreicht eine ganz beträchtliche Grösse,
^) Der Balsam von Styrax otfticiualis, Apotheker-Storaxbaum, kam in
Körnerform, in Schilf- oder Palmblätter eingerollt, in den Handel, dalier
die Bezeichnung Storax calamita.
^) Das weisse und gelbe Santelholz kommt von Santalum album L,
weisser Sautelbaum, das rothe von Pterocarpus santaliuus L.
^) Die Rinde vom FeucheUiolz, von Laurus Sassafras L., kann nicht
gemeint sein, da die Stannnpflanze in Amerika heimiscli ist,
^) Boswellia sacra Fl.
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a28
ist sehr astreich und hat eine sehr dünne Rinde. Die rötlich ge-
färbten Blätter sind kleiner, wie die des Birnbaums. Im Frühjahr
und Anfang Sommers nimmt der Baum eine grosse Menge Wasser
auf, und sein Saftgehalt wird dadurch so gross, dass die dünne
Kinde sich dehnt und ausreckt. Wenn dann die heissen Tage
kommen, wo der Stern Canis mit der Sonne aufgeht, im August,
bekommt die Rinde kleine Risse, und es fliesst ein an der Luft er-
härtender, Saft heraus. Dieser Saft heisst lateinisch gleichfalls
Thus und ist der echte Weihrauch. Der um die genannte Zeit
hervorgebrachte Weihrauch ist weisslich, bildet runde Stücke und
ist der beste. Auf dem Bruche ist er inwendig weich. Am Feuer
4?utzündet er sich leicht. Er ist gut gegen Brustleideu. Gut ge-
pulverten, reinsten Weihrauch mit frischem Wachs, das eben erst
vom Honig geschieden ist und ungesalzener Butter zu gleicheu
Theilen am Feuer geschmolzen und gut untereinander gerührt, lässt
mau zunächst kalt werden. Dann wird die Masse wiederum am
Feuer erweicht, auf die Fleischseite eines Schaffelles gestrichen und
auf die Bnist gelegt, wenn ein Abscess in ihrem Inneren sich be-
findet. Dies hilft sehr gut. Ein Pflaster aus Weihrauchpulver und
Wein ist gut gegen Triefaugen und den Zahnschmerz, der von
Flüssen aus dem Kopfe herkommt. Weihrauch, längere Zeit ge-
kocht und im Munde behalten, entfernt den Fluss des Hauptes, der
Rheuma genannt wird. Der hellfarbige Weihrauch mit einem Ge-
tränk genossen, stärkt den Magen. Der dunkel gefärbte, der zu
anderen Zeiten aus dem Baume fliesst, ist mit dem hellen an Güte
nicht zu vergleichen, bildet auch nicht die rundlichen Stücke. Es
ist bemerkenswerth, dass alle die Meister und Lehrer der Zauber-
kunst angeben, dass sämmtliche Götter und Geister, die durch
Schriftgebilde, die man Charaktere nennt, oder durch geschnittene
Siegel beschworen werden, die Zauberer desto eher erhören, wenn
man ihnen Weihrauch opfert. Das ist ein heidnischer Irrthum.
Die ganze Wahrheit an der Sache ist die, dass die bösen Geister
den Genich des Weihrauchs fliehen, und dass man mit ihm Gott
besonders ehrt. Desshalb ist auch der Weihrauch eine der drei
Oaben gewesen, die die drei Könige unserem Herrn Jesus Christus
geopfert haben, und aus demselben Grunde verbrennt man ihn in
den Gotteshäusern. Weil aber der echte Weihrauch selten und
theuer ist, nimmt man an seiner Stelle oft andere, weniger gut
riechende Harzsorten.
21*
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324
V.
Yon den Kräutern im Allgemeinen.
In diesem fünften Kapitel nnseres Buches werden wir die-
Kräuter behandeln, und zwar zunächst im Allgemeinen.
Es lässt sich die Frage aufwerfen, wie es möglich ist, dass
so mancherlei Kraut aus der Erde aufwächst, wo die Erde doch
immer dieselbe und nur ein einfaches Element für sich ist. Die
Antwort darauf lautet: Die Kräuter wachsen weder noch entstammen
sie aus reiner Erde. Der Erdboden nemlich, den wir sehen und
greifen können, und aus dem die Bäume und Kräuter hervor-
wachsen, ist gemischt aus den vier Elementen, Feuer, Luft, Wasser
und reiner Erde. Diese Mischung ist eine so wechsebide, dass
auch die Kräuter verschiedene Art und Gestalt haben müssen.
Eine andere Frage ist die: Warum sagen wir bei erdentsprossenen
Dingen vom einen, es sei wässeriger, vom andern, es sei feuriger,
von einem dritten und vierten, sie seien luftiger oder erdiger Art^
wo sie doch alle nur aus einer Mischung der vier Elemente hervor-
gegangen sind? Darauf lautet die Antwort, dass jedes Ding seine
Bezeichnung erhält nach der vorzüglichsten Eigenschaft, die es besitzt
und dem hauptsächlichen Bestandtheil, der es bildet. Es bestehen
ja allerdings alle irdischen Dinge aus den vier Elementen, aber eins
ist hitziger, wie das andere, und wir sagen desshalb, es sei feuriger
Art. •l^]benso nennen wir ein anderes wässerig, wenn es mehr
Feuchtigkeit besitzt, und noch weiter irgend Etwas luftig, wenn es
sehr leicht ist und die Neigung hat, in die Höhe zu streben. AJles
aber, was besonders schwer und kalt ist und nach unten strebt,
nennen wir erdiger Art, wie denn auch alle Thiere,« Bäume, Kräuter»
edele und andere Metalle und Steine wesentlich aus Erde bestehen.
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Man könnte aber sofort im Auschliisse hieran weiter fragen: Warum
ist denn die Haupteigenschaft bei dem einen Theil der genannten Dinge
die feurige oder wässerige Beschaffenheit, wo doch alle zumeist aus
Erde bestehen? Hierauf lautet nun meine, nicht im Anschlüsse an
die Ansichten anderer Gelehrter gegebene Antwort folgendermassen :
Allerdings bestehen die vorgenannten Dinge zumeist und nach der
grössten Menge ans Erde. Aber ein bestimmter Theil eines Ele-
mentes kann kräftiger wirksam sein, wie ein entsprechender Theil
eines anderen. So besitzt zum Beispiel ein pfefferkorngrosses
Quantum Feuer oder Luft mehr Kraft und Leistungsfähigkeit, wie
eine grosse Menge Erde oder Wasser. Auch entnehmen die Dinge
ihre Kräfte von den bildenden und charakterisirenden 3Iomenten
her, durch die himmlische Einflüsse auf sie einwirken. Dann noch
eine Frage: Wenn ein Kraut kältende, ein anderes erwärmende
Kraft besitzt, eins süss, das andere sauer und bitter schmeckt und
jegliches Wesen sich von Seinesgleichen erhält, wie zum Beispiel
Süsses von Süssem und Saures von Saurem, wie kann dann in
demselben Garten aus einem und demselben Boden so verschieden-
artiges Kraut wachsen und sich darin ernähren? Hierauf lautet
die Antwort, dass die verschiedenen Kräuter aus demselben Boden
durch den wechselnden Einfluss der (Testirne am Himmel entstehen.
Jegliches Gebilde aller dieser vergänglichen Dinge steht nemlich
unter der Einwirkung eines eigenen Sternes am Himmel. Sind
nun, wie oben gesagt, in der Erde die vier Elemente unter ein-
ander gemischt, und gehen aus dieser Mischung die Kräuter her-
vor, so zieht die Eigenkraft jedeu Sternes am meisten von dem
Element zur Verarbeitung an sich, dessen sie besonders bedarf.
In Folge dessen ziehen auch die Kräuter gleich nach ihrer Ent-
stehung aus den vier Elementen in wechselnder Weise ihre Nahrung,
grade so, wie sie es im einzelnen Falle uöthig haben. Jedoch bedürfen
sie zu ihrer Ernährung in erster Linie und am meisten der Erde,
die ja ihren Hauptbestandtheil ausmacht. Sie verdorren desshalb
auch in der Luft, wenn man sie ans der Erde herauszieht. Es
ist zwar die Luft in der Nähe der Erde, wo wir wohnen, auch aus
den vier Elementen zusammengesetzt, enthält aber zu wenig der-
selben und genügt desshalb nicht zur Ernährung der Kräuter.
Eine Frage lässt sich noch aufwerfen, die unser lateinischer Text
nicht berücksichtigt: Ob die Kräuter ihre Kräfte nur aus der
Mischung der Elemente her haben? Meine Antwort darauf lautet:
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Nein! Die Kräuter erhalten wunderbare Eigeusehaften durch den
Einfluss der Gestirne, der auf ihre äussere Gestaltung grade so
einwirkt, wie ein geistiger oder von körperlichem Ursprung her-
rülirender Eindruck auf den Spiegel Deiner Vernunft, der Dich
von einem Orte zum anderen treibt. Genau so wirkt die Kraft der
Gestirne auf die Geartung der Kräuter. Manchmal kommen hier-
bei auch noch die starken Einflüsse der heiligen Worte mit iu
Betracht, mit denen man Gott anruft und die Kräuter und edelen
Gesteine beschwört und segnet, ebenso, wie man das Weihwasser
einsegnet. Wolltest Du hier den Einwand machen, dass dabei der
Einfluss des bösen Geistes walte, so ist Das ein Irrthum, voraus-
gesetzt, dass Du es nicht in böser Absicht thätest Dn kannst ja
jedes Ding zum Guten wie zum Bösen betreiben. Sage mir doch,
ob der Vogel sündigt, der lateinisch Merops, deutsch Baumläufer
genannt wird und in hohlen Bäumen nistet. Wenn man ihm den
Zugang zu seiner Brut mit einem Holzkeil versperrt, so holt er ein
Kraut herbei und hält es an den Keil, der dann wieder herausfährt.
Dies Kraut heisst lateinisch Herba meropis, das heisst Baumläufer-
kraut und wird in den Büchern der Zauberer -Thora genannt. Es
wäre nicht gut, wenn dies Kraut allgemeiner bekannt wäre, weil
man Schlösser mit ihm öffnen kann. Und doch sündigte Niemand
bei seinem Gebrauche, der in Leibesgefangenschaft sässe. Auch
andere Kräuter besitzen wunderbare Eigenschaften, wie die Betonie
und das Eisenkraut, das lateinisch Verbena heisst. Ich will aber
ihre Heimlichkeit nicht jedem Strassenläufer preisgeben, denn ea
wäre unrecht gehaudelt, wollte man heilige Dinge vor die Hunde
und Edelsteine den Schweinen vor die Füsse werfen. Das wäre
sicher unbillig. Ich weiss es recht wohl, dass gute Kinder selten
ihr Brot von Hunden und anderen Räubern unangetastet behalten,
1. Vom Wermnth.
Absinthium heisst Wermuth.^) Es ist ein sehr bitteres Kraut
und der menschlichen Natur höchst nützlich und förderlich, wie
Platearius und andere grosse Meister lehren. Der Saft de»
Krautes, für sich oder mit Wein genossen, ist für viele Dinge gut.
Er wirkt gegen die Würmer im Leibe, die Verschoppung von Leber
und Milz und gegen das Kopfweh, das von schädlichen Dünsten
und Dämpfen herrührt. Er ist ferner gut gegen die fallende Krank-
1) Artemisia absinthium L.
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heit, die lateinisch Apoplexia genannt wird, besonders, wenn man
fürchtet, da»8 ein Anfall eintreten wird, und eine treffliche Arznei
fürj den, der die Sprache verloren hat. Wer Ohrwürmer in den
Ohren hat, soll den Saft einträufeln. Der getrunkene Saft macht
das Gesicht klar. Er schützt auch Bücher, Kleider und Holz lange
Jahre vor Würmern und Mäusen und ist dem Magen sehr be-
kömmlich, weil er ihn kräftigt und die Yerdauungsthätigkeit ver-
mehrt. Einroibungen des menschlichen Körpers mit Oel, in dem
Wermuth gesotten ist, schützen vor Flöhen. Wenn ein Schreiber
seine Tinte mit Wermuth kocht, fressen die Mäuse seine, mit solcher
Tinte geschriebenen Bücher und Briefe nicht an. Einige thun auch
Wermuth in ihre Seife gegen das Ungeziefer. Eine wunderbare
Sache ist es, dass der Wermuth zwei einander entgegengesetzte
Eigenschaften besitzt. Er wirkt nemlich erweichend und eröffnend
bei den Leuten, die es nöthig haben, und zieht zusammen und
kräftigt in den Fällen, wo diese Wirkung am Platze ist. Die letzt-
genannte Eigenschaft besitzt die Pflanze in Folge der groben Art
ihres Saftes, die erste dagegen durch ihre Hitze und Bitterkeit.
Wermuth ist nemlich im ersten Grade heiss und im zweiten Grade
trocken.
2. Vom DllL
Anethum heisst Dill. ^) Er ist, nach Platearius, heiss und
trocken. Das Kraut muss im Herbst gesammelt und getrocknet
werden. Es zertrümmert den Blasenstein und wirkt gegen das Er-
brechen und die Unverdaulichkeit, auch gegen das Aufstossen, wenn
man daran riecht. Das gekaute Kraut stärkt, ebenso wie auch eine
Abkochung von ihm, das Gehirn und den Magen,, entfernt die
Blähungen und wirkt vorzüglich harntreibend. Das Kraut hat in
Blättern und Blüten viel Aehnlichkeit mit dem Fenchel, nur dass
sein Stengel kürzer ist, wie der des Fenchels. Seine Blüten sind
gelb und kreisförmig, in Gestalt einer Krone, angeordnet. Der Dill
zeitigt und kocht die kalte Feuchtigkeit im Magen und Leib und
bringt guten Schlaf. Zu reichlich genossen beeinträchtigt er die
Sehschärfe. Den Ammen, die den Samen mit Fleischbrühe oder
anderem Getränk abgekocht geniessen, bringt er reichliche Milch.
Es ist übrigens ein Irrthum, anzunehmen oder zu glauben, dass
^) Anethum graveolens L., gemeiner Dill, GurkcDkraut, bekanntes
Küchengewnrz.
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Anethiim Aniskraiit sei, denn dies ist eine andere Pflanze, wie wir
nachher sehen werden.
3« Tom Eppieli.
Apium heisst Eppich.^) Platearius bezeichnet dies Kraut
als hei SS und trocken. Seine Wurzel und Blätter sind arzneikräfti*^.
letztere sind etwas breiten wie bei der Petersilie. Es giebt ver-
schiedene Arten von Eppich. Die eine wächst auf dem Gebiro;e,
die andere in Wäldern, die dritte wird angebaut und die vierte
wächst im Wasser. Eine Art giebt es noch, deren Stengel hohl
und weisslich gefärbt ist. Der Eppich entfernt die Blähungen aus
dem Leibe, eröffnet die verstopften Kanäle im Körper und wirkt
desshalb schweisserregend. Der angebaute Eppich macht den Mund
wohlriechend, ist aber für den Kopf gefährlich und ruft die fallende
Krankheit hervor, die lateinisch Epilencia (Epilepsie) genannt wird.
Um den Hals gehängt vertreiben die E])pichwurzeln den Zahn-
schmerz. Galen bemerkt, das Kraut sei gut mit Lattich zusammen
zu verspeisen, weil es die Kälte des Lattichs mildert. Sein Samen
ist gegen die Wassersucht gut, weil er die Leber erwärmt und
reinigt. Weil er aber auch diuretisch und als Enmienagogum wirkt,
ist er für schwangere Frauen nicht zuträglich. Wenn man den
Samen mit Wein angemengt auf die Blasengegeud aufbindet, wirkt
er harntreibend. Einige Autoren berichten auch noch, dass das
Kraut und sein Samen den Ammen schädlich sei. Es erregt nemlich
die Unkeuschheit, und damit sinkt die flüchtige Feuchtigkeit aus den
Brüsten hinab zur Regio pubica.
4. Von der OstcrluzeL
Aristolochia heisst in einigen Gegenden Deutschlands Hobwurz.*^)
Es ist ein Kraut mit vielen, wunderbaren Eigenschaften und, nach
Dioskorides, wechselnd gestalteter Wurzel. Sie kann länglich,
rund oder auch verästelt sein, wie die Weinrebenzweige. Es giebt
männliche und weibliche Individuen bei der Osterluzei. Die Blätter
der männlichen sind wohlriechend mit einer gewissen Schärfe und
fast rund. Das Kraut ist von schlankem Wuchs und treibt aus
einer Wurzel zahlreiche lange Triebe. In seiner Blüte befindet
^) Apium grave(»lens L. Sellerie.
2) Aristolochia clematitis L. und die, nacli der W'urzelform A. longa
u. A. rotunda genannten, siUleuropäischen Arten.
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sich ein rothes Diug, wie ein Hütchen geformt, welches übel riecht.
Die Wurzel ist etwa fingerdick und eine Hand laug. Das Kraut
wirkt erhitzend und trocknend und besitzt ausserdem die Fähigkeit,
äusserlich reinigend zu wirken. Es säubert nemlich die Zähne tou
ihnen anhaftender Uureinlichkeit, befreit die Haut von ihren Sekreten
und Flecken und giebt dem ganzen Körper eine reine Färbung.
Der Saft, mit Honig in die Ohren geträufelt, schärft das Gehör,
reinigt das Innere der Ohren und verhütet die Entstehung von Eiter
in ihnen. Auch den Fallsüchtigen, die lateinisch Epileptici heissen,
ist er heilsam. Er reinigt die Brust. Mit Myrrhe und Pfeffer zu-
sammen entfernt der Saft bei Frauen das Ueberflüssige in der Ge-
bärmutter während des (jeburtsaktes , wirkt befördernd auf die
Menstruation und die Geburt. Audi Dornen, Pfeile und dergleichen
vermag das Kraut aus dem menschlichen Fleisch heraus zu ziehen,
und ist ein Gegenmittel gegen den ßiss giftiger Thiere. Das ge-
pulverte Kraut mit Minzensaft, oder auch eine, mit dem Pulver
und etwas Honig bestrichene Charpiewieke beseitigt das todte oder
wilde Fleisch aus den Wunden. Ist die Frucht im Mutterleibe ab-
gestorben, so soll die Frau Wein trinken, in dem Osterluzeiwurzelu
abgekocht sind, weil dieser fruchtabtreibend wirkt. Auch gegen
Käude und Krätze ist das Pulver gut.
5. Vom Knoblauch.
AUium heisst Knoblauch. ^) Er wirkt erhitzend und trocknend
und ist gut gegen kalte Gifte. Desshalb sagt man auch: Der
Knoblauch ist der Theriak der Bauern. Zu reichlich genossen
schadet er den Augen und dem ganzen Körper. Gerösteter
Knoblauch, auf die Adern an rler Hand gebunden, beseitigt die
Zahnschmerzen. Gesottener Knoblauch stärkt die Brust und die
Stimme, eröffnet den Leib, kräftigt die Verdauungsthätigkeit des
Magens und verhütet die übele Wirkung schädlicher Getränke und
Flüssigkeiten im Magen. Roher Knoblauch dagegen macht Kopf-
schmerzen.
6. Vom Färbkraut.
Alterana heisst Färbkraut, weil es den menschlichen Körper
färbt. *'^) Das Kraut wirkt kältend und trocknend. Wenn ein
M AUium .sativum L.
-) Welche Pflanze gemeint ist. liis.st sich nicht feslstellen.
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Mensch nach vorher genommenem Bade sich mit dem Kraute ein-
reibt, danach mit warmem Wasser abwäscht und dies mehrere Tage
wiederholt, so wird dadurch die Haut sehr gereinigt und ausserge-
wohnlich weiss. Am ersten Tage sehen die eingeriebenen Glieder
sehr ungestalt aus, am zweiten schon weniger und am dritten kaum
noch. Am vierten Tage sind sie rein und schön. Das Kraut ist
ein vorzügliches WundheUmittel, hat man es nicht zur Hand, so
kann man auch Zimmtpulver dafür anwenden.
7. Tom Anis.
Anisium heisst Anis^) oder auch römischer Fenchel, weil
seine Blätter denen des Fenchels ähnlich, nur etwas breiter siud.
Der Samen des Krautes wird auch Anis genannt. Anis wirkt er-
wärmend und trocknend, führt auch den Namen: süsser Kümmel
und besitzt die Fähigkeit, zu eröiSfnen und zu verzehren. Er ist
vorzüglich gegen die Blähungen im Leibe, Unverdaulichkeit und
die Ohrenkraukheit, die von Feuchtigkeit herrührt. Er vermehrt
die Milch in der weiblichen Brust, wirkt kräftig diuretisch und
fördernd auf die Menstruation. Er beseitigt den weissen Fluss,
wirkt aber gleichzeitig ah Aphrodisiacum. Er hilft gegen Durch-
fall, eröffnet die verschoppten Nieren und treibt das Gift aus dem
Körper.
8. Vom Beifüss.
Artemisia heisst Beifuss^) Das Kraut wirkt erhitzend und
trocknend und ist gut gegen die, durch zuviel Feuchtigkeit be-
dingte Unfruchtbarkeit. Die Gelehrten sagen auch, es benehme
den Wanderern die Müdigkeit, wenn sie sich das Kraut an die
Beine binden. Man mag das versuchen, ich glaube es aber nicht,
es müsste denn ein Zauber dabei mit im Spiele sein.
9. Von der Melde.
Atriplex heisst Melde, lateinisch auch Chrysolochauna. •'*) Das
Kraut hat breite Blätter, die w^eiss gesprenkelt sind, wie wenn sie
mit Mehl bestäubt wären. Auf dem Lande werden sie von den
Leuten mit Fleisch zusammen gekocht. Das Kraut wirkt kältend
^) Pimpinella Anisum L.
2) Artemisia vulgaris L.
3) Artriplex hortense L. Gartenmelde, wilder Spinat.
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und anfeuchtend und ist, wegeu seines Wassergehaltes, von geringem
Nährwerth. Vergräbt man die Blätter in einem neuen Topf, der
80 verschlossen ist, dass Nichts ausdünsten kann, unter die Erde,
so werden aus den Blättern Frösche.
10. Tom. Eibisch.
A.Icea heisst Eibisch.^) Das Kraut wirkt massig erhitzend,
heisst lateinisch auch Bismalva und hat Blätter, wie die Malven.
Das ganze Kraut ist aber grösser und hat mehrere, aus einer
Wurzel hervorgehende, lange Stengel. Kraut, Wurzel und Samen
erweichen die Abscesse und verhüten ihr Wachsthum, zeitigen auch
die Geschwülste und Geschwüre, die aus dem Blute stammen.
Mit Gänseschmalz zusammen wirkt das Kraut gegen die Schmerzen
an den Stellen, wo die Glieder an einander stossen, wie am Knie
und anderswo. Das gesottene Kraut reinigt den Leib von Gestank
und übelriechender Flüssigkeit in seinem Inneren. Mit Wein und
Oel getrunken wirken die Samen giftwidrig.
11. Vom MSuseöhrchen.
Auricula muris heisst Mäuseöhrchen,^) weil seine Blätter in
ihrer Form den Ohren der Mäuse gleichen. Es breitet sich über
den Boden hin und hat blaue Blütchen. Es wirkt kältend und
anfeuchtend und im Grossen und Ganzen ebenso, wie der Wermuth.
Im Getränk genommen oder als Schnupfpulver in die Nase gebracht
ist es den Epileptikern heilsam.
12. Von der Betonte.
Betonica heisst Betonie. ^^) Platearius nennt das Kraut heiss
und trocken, seine Blätter sind arzneikräftig. Die grosse Wirk-
samkeit des Krautes äussert sich bei dem frischen ebenso wie beim
getrockneten. Mit Wermuthsaft gekocht hilft es gegen Kopfschmerz.
Alexander sagt, das Kraut kräftige, nüchtern getrunken oder ge-
gessen, die Augen, entferne den Schleim und die Trübsichtigkeit
aus ihnen und mache sie hell. Die Zauberer suchen das Kraut
besonders viel und behaupten, es könne wahrsagen, wenn es in
^) Althaea officinalis L.
2) Valerianella olitoria Soll. gem. Feldrapunzel? Myosotis süvatica
Ehr. AVald- Vergissmeinnicht ?
^) Betonica officinalis L.
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der rechten Weise beschworen ist. Ich meinerseits kenne eine
Meierin, die mit Hülfe dieses Krautes viele wunderbare Dinge aus-
geführt hat. Ich will aber nicht darüber sprechen.
13. Vom Basilikum.
Basilicon heisst Basilikum.^) Diese Pflanze besitzt einen sehr
schönen Geruch, der etwas an AVein erinnert, Sie fuhrt auch die
Xamen: Traguntea oder 8eri)entaria oder Colubrina und existirt in
zwei Arten. Die eine hat kleine Blätter, bei der anderen sind sie
grösser, etwa so wie bei der Minze. Das Kraut wirkt erwärmend
und trocknend, und man erzählt von ihm, es vei'treibe die Schlangen
aus der Nähe des Menschen, der es bei sich trägt. Alexander
giebt an, die Pflanze wachse au der Stelle, wo der Basilisk erzeugt
werde. Ich, der Megenberger, weiss Nichts davon, das aber ist mir
wohlbekannt, dass die gelehrten Männer in Paris es in ihren Gärtchen
vor ihren Schlafkammern ziehen. Es riecht nicht, wenn man es
nicht mit der Hand zerreibt. Dann aber giebt es einen, dem Herzen
wohlthuendeu Geruch aus, grade wie ein züchtiger und weiser Manu,
der viel edele Gedanken in seiner Seele birgt, auch oft genug nicht
als solcher erkannt wird, wenn man ihn nicht mit Bitten, Geschenken
oder sonstwie angeht.
14. Von der Hauswurz.
Barba Jovis heisst Hauswurz. 2) Das Kraut wirkt stark ab-
kühlend und ist gut für die überhitzte Leber. Die Meister der
Zauberei erzählen, es vertreibe Donner und Blitz, weshalb man es
denn auch auf die Dächer pflanzt. Einige wissen auch anzugeben,
dass diese Pflanze die Kraft besitze, aus zwei Stücken Fleisch eins
zu machen, wenn man sie mit diesen in einen Topf legt. Gegen
heisse Abscesse ist das Kraut von Nutzen.
15. Tom Mangold.
Beta oder Blitus heisst Betenkraut oder Mangold.^) Es giebt
zwei Arten. Die eine hat grüne, die andere rothe Stengel, und
diese ist grösser und besser. Beide Arten haben breite Blätter,
Ocimum minimum u. 0. basilicum L., klein- und grossblättriges
Basilienkraut.
2) Serapervivum tectoruui L.
^) Beta vulgaris var. cicla L., Gartenmangold, römischer Kolü.
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wie der Wegerich, aber sie sind länger, wie bei diesem. Das Kraut
wirkt niittelmässig kühlend und anfeuchtend, liefert desshalb, mit
Petersilie zubereitet, ein gesundes Essen und wird, wegen seiner
Weichheit, leicht im Magen verdaut, wenn es sauber zubereitet und
auf dem Feuer gekocht ist.
16. Von der Kamille.
Camomilla heisst Kamille und es giebt ihrer drei Arten. Die
eine hat weisse, die andere gelbe, die dritte purpurfarbene Blüten.^)
Das Kraut wirkt nach Galenus erwärmend und trocknend, in
vieler Beziehung den Rosen ähnlich. Es vertreibt die heissen
Abscesse, indem es dieselben erweicht und zum Aufbruch bringt^
Die reichlich mit Adern ausgestatteten Organe werden durch die
Kamille gekräftigt und ermüdete Glieder wieder erfrischt, weil die
Wärme der Kamille in vieler Hinsicht der des Menschen vergleich-
bar ist. Ausserdem kräftigt sie das Gehirn, entfernt die schlechte
Materie aus dem Kopfe und vertreibt die Gelbsucht. Wenn eine
schwangere Frau sich in ein mit Kamille angerichtetes Bad setzt,
werden Frucht und Nachgeburt heraus befördert. Ein ' solches
Bad hilft auch gegen Hüftweh.
17. Von der ZwIebeL
Cepa heisst eine Zwiebel oder Zipolle.^) Sie eröffnet die
Kanäle in den Gliedern und im Leibe kräftig, wirkt blähend und
zieht das Blut unter die Haut hin, macht dadurch die Haut roth
und verleiht ihr eine schöne Färbung. Ungekocht oder ungebraten
hat die Zwiebel wenig Nahrungswerth, am Feuer gesotten bringt
sie dagegen eine Menge dicklicher Feuchtigkeit, die zwar etwas
nährt, aber böses Blut und schädliche Säfte im Körper auftreten
lässt. Desshalb ist die Zwiebel für die Vernunft und die Sinnes-
thätigkeit von Nachtheil. Den Magen dagegen kräftigt sie und
macht Appetit. Die Gefässe am After, die lateinisch Haemorrhoides
heissen, bringt sie zum Fliessen und erw-eckt Unkeuschheit. Die
durch den Biss eine? tollen Hundes erzeugten Wunden werden mit
Y ortheil mit Zwiebelsaft eingerieben oder mit einem Zwuebelpflaster
verbunden.
') AValirscheinlich sind die weLssblüliende Matricaria chamomilla L.,
echte Kamille, die gelbblühende Anthemis tinctoria L., Färber-Huudskamille,
u. Anacyclus officiiiarum H., deutscher Bertram, gemeint, dessen weisse Strahl-
bliiten auf der Unterseite rotli gestreift sind.
-) Allium cepa L.
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18. Ton der Kichererbse.
Cicer heisst Kichererbse.^) Das Kraut hat kleine Blätter wie
die Bohnen, Linsen oder Wieken und ist roth oder weiss von Farbe.
Die Samenkörner sind länglieh zugespitzt. Einige Kiehererbsen-
arten werden angebaut, andere wachsen wild. Die angebauten
Sorten nähren besser, die wilden dagegen sind kräftiger, erhitzen
mehr, ^lassen sich gut verdauen und wirken stärker, wie die ange-
bauten. Die Kichererbse wirkt erwärmend und trocknend und ist
als Nahrungsmittel der Bohne vorzuziehen. Hauptsächlich ernährend
wirkt sie auf die Lungen. Der Genuss aufgeweichter Kichererbsen
macht eine schöne Hautfarbe. Es wird auch berichtet, dass diese
Erbse gegen Kückenschmerzen wirke und eine Abkochung der-
selben gegen Zahnschmerzen und die heissen Geschwülste, die hinter
den Ohren auftreten. Die Kichererbsen machen die Stimme hell
und klar, weil sie die Lungen besser ernähren, wie irgend etwas
Anderes, und es wird desshalb aus ihrem Mehl ein Getränk bereitet.
Gekocht sind sie gut gegen Wassersucht und Gelbsucht, da sie,
besonders die schwarze Sorte, eröffnend wirken. Zur Mahlzeit soll
man sie ' weder zu allererst noch zuletzt anrichten, sondern mitten
zwischen den anderen Speisen geniessen. Das von den schwarzen
Kichererbsen abgekochte Wasser, wie auch ihr Genuss selbst, zer-
trümmert den Blasen- und Nierenstein. Zu dem Ende niuss man
sie mit Mandelöl, Rettich und Eppich kochen. Alle Arten der
Kichererbse wirken fruchtabtreibend, erregen in hohem Grade die
Unkeuschheit und stärken die Sexualorgane, wenn man sie nüchtern
in Speise oder Getränk zu sich nimmt. Wer Das wusste, hat schon
mancher Ehe damit genützt. Die gewöhnliche Erbse hat in den
angegebenen Eigenschaften viel Aehnlichkeit mit der Kichererbse.
19. Tom Schmikraut.
Celidonia heisst Schöllkraut. 2) Platearius nennt seine
Wirkung erhitzend und austrocknend. Das Kraut reinigt das Haupt
und stärkt die Sehkraft. Isidorus nennt es der Schwalben Kraut,
weil, wenn man den jungen Schwalben mit einer Nadel in die
Augen gestochen hat, die alte sofort die Blüthen vom Schöllkraut
*) Cicer arietinum L. In ganz Südeuropa heute noch vielfach kul-
tivirt. Die Samen, spanisch Garbanzos genannt, liefern ein allgemein be-
liebtes Nahrungsmittel.
2) Chelidonium majus L.
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herbeiholt und sie den Jungen an die Augen hält. Diese erhalten
dadurch ihre Sehkraft wieder. Der Saft des Krautes ist für die
Augen sehr zuträglieh, er entfernt die Bläschen von den Augen
und beseitigt die Schärfe und weissen Flecken.
20. Von der Handszange.
Cinoglossa heisst Hundszunge.^) Dies Kraut ist gut gegen
das viertägige Fieber. Mehr sagt unser lateinischer Text über die
Pflanze nicht, auch finde ich in anderen Kräuterbüchern weiter
keine Angaben.
31. Von der Binse.
Cirpus heisst eine Binse oder auch Senide.^) Sie wächst gerne
in Sümpfen und moorigen Stellen an Seeen. Das Kraut hat eine
lebhaft grün gefärbte Rinde und im Inneren einen langen, lockeren
Kern, den die Gelehrten als sein Mark bezeichnen. Wenn man
dieses Mark oder den Kern in gewässerten Wein legt, |so z^eht er
das Wasser an sich und trennt den Wein vom Wasser. Das Kraut
der grossen Binse wächst lang in die Höhe, ohne jeden Knoten,
sein Saft ist sehr roh und wässerig. Dieselbe Eigenschaft wie das
Binsenmark besitzt auch das Mark der Schwertlilie, die lateinisch
Carectum heisst. Auch diese wächst an nassen Stellen und führt
im Lateinischen auch den Namen (rladiolus, weil ihre Blätter schwert-
förmig gestaltet sind.**^)
33. Von der Melone.
Citrullus heisst ein Erdapfel und ist beinahe gestaltet wie die
Kürbisse, die lateinisch Pepones heissen. Der Erdapfel ist aber
grün*) und die Kürbisse sind gelb und rund. Gewöhnlich werden
aber Beide gleich genannt. Ihre Früchte sind ohne Ausnahme
schädlich, biingen rohe Feuchtigkeit und Fäulniss in die Adern mit
nachfolgendem, schwerem Siechthum. Indessen besitzen sie die eine
gute Eigenschaft, dass, wenn man sie Ohnmächtigen unter die Nase
liält, diese wieder zu sich kommen und wieder zu sprechen anfangen.
Sie wirken ferner durstlöschend und ihre Blätter sind gut gegen den
Biss toller Hunde.
^) Cynoglossum officmale L., früher gegen Lungenkraiikheiten officlnell.
^) Scirpus spec. var.
3) Vergl. Nr. 42.
*) Cucumis citrullus L., die gemeine AVassermeloue. Arbuse, ist gemeint.
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23. Vom AlpenTeilehen.
Cyclanieii heisst Alpenveilchen^) oder auch Panis porciuus,
Schweinebrot. Die Pflanze wirkt erwärmend und austrocknend,
ihre Wurzel ist als Arznei verwendbar. Die Wurzel soll Ende
Herbst, in vier Stücke geschnitten, mit dem Kraute an einem dunkeln
oder doch möglichst wenig von der Sonne beschienenen Orte auf-
gehoben werden. Sie wirkt lösend und anziehend, und ist heilsam
bei geschwollenen aber nicht fliessen^len Afteradern, die lateinisch
Hämorrhoides genannt werden.
34. Vom Hartheu.
Corona regis heisst Königskrone.-) Dies Kraut hat auf einem
Stengel zahlreiche, wie die des Basilikums geformte Blätter, die
sämmtlich von vielen kleinen I.öchelchen durchbohrt erscheinen.
Desshalb heisst die Pflanze im Lateinischen auch Perforata, die
Durchlöcherte, griechisch wird sie Hypericum genannt. Sie kräftigt
Herz und Leber, reinigt die Nieren und heilt die Geschwüre, be-
sonders die grossen unreinen, die lateinisch Annuates^) genannt
werden. Ausserdem zieht sie das Uift an. Das Kraut heisst auch
Sankt Johanneskraut
35. Vom Saffran.
Crocus heisst Saffran.**) Diese Pflanze, deren Blüte lateinisch
gleichfalls den Namen Crocus führt, ist sehr wohlriechend und
wirkt gleichmässig erwärmend und austrocknend. Saffran besitzt
kräftigende und stärkende Eigenschaften und ist desshalb von
Nutzen gegen Mageuschwäche, die Ohnmacht, die den Menschen
befällt und Synkope genannt wird, und die Augenentzündung, die
vom Blute oder der Galle herstammt. Man muss den Saffran in
einem Gefässe erwärmen, darauf pulverisiren und das Pulver mit
Wasser und Oel mischen. Dies Mittel eröff'net und erweicht den
Leib und ist auch gegen die vorgenannten Leiden brauchbar.
Leuten, die von Natur hitzig und trocken sind, soll man keinen
SaflPran geben, weil er ihnen schlecht bekommt und Uebelkeit er-
regt. Zur Bereitung einer Arznei für die Augen soll man den ge-
^) Cyclaraen europaeum L.
-) Hypericum perforatum L., (lurohlöcliertes Hartheu.
3) Annulares, ringförmige?
*) Crocus sativus L.
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palverteu Saffran mit Eiweiss Terreibeii, Baumwolle hiueintauchen
und diese auf die Augen legen. Die Baumwolle heiest lateinisch
Bombax, davon stammt das Wort Bombasium, das heisst: ein baum-
wollenes Wamms. Umbasium dagegen bezeichnet ein leinenes
Gewand. In Wein getrunkener Saffran wirkt berauschend und
bringt die Leute zu lautem Lachen, ohne dass sie wissen, warum.
Er macht nemlich das Herz fröhlich und gesund. Es wird be-
hauptet, dass dies Getränk die Fröhlichkeit zuweilen so zu steigern
im Stande sei, dass der Trinker vor Freude sterbe. Von anderer
Seite wird der Saffran auch als Milzmittel gerühmt wie auch als
Äphrodisiacum. Diuretisch wirkt er gleichfalls. Endlich soll auch
ein Trank von Saffran die Geburt befördern und gegen Verhärtungen
und Contraktionen des XJterus hülfreich sein.
26. Vom Kfirbls.
Cucurbita heisst ein Kürbis.^) Nach Platearius wirkt diese
Pflanze iu massigem Grade erwärmend und anfeuchtend. Die in
den Früchten befindlichen Samen sind gekocht gut zu Arzneizwecken,
im rohen Zustande dagegen nicht. Sie wirken gegen Leberan-
schwellung und die Geschwülste der edelen Organe, wie der Brust
und anderer. Gesotten oder gebraten, ohne alle Zuthat, ist der
Kürbis im Fieber dienlich, wenn man ihn den Kranken als Speise
giebt. Einen guten Syrup für Fieberkranke erhält man, wenn man
einen Kürbis in Teig gehüllt brät, dann in Wasser zertheilt und
hierzu Zucker fügt. Gegen Erhitzung der Leber wirkt der Genuss
des Wassers, mit dem ein Kürbis abgekocht ist, sehr gut. Michael
von Schottland sagt, der Kürbis öffne seine Blüten in der Nacht
und zeige seine Schönheit im Finstern. Am Tage aber schliesse er
seine Blüten wieder, die dabei welken, bis sie zuletzt vertrocknen
und abfallen.
Ach und wehe uns armen Sündern, die wir unsere Blüte
und Kraft in der Finsterniss mit Bosheit verzehren, im Lichte der
guten Werke aber verschliessen und so verdorren bis zu unserem
Tode und Hinsterben! Ach und aber ach und wehe mir armen
Kürbis, wie lange hat mich die Welt in ihre Finsterniss hineinge-
zogen und verlockt mich immer noch weiter! Fahre hin, Falschheit,
fahre hin Ueppigkeit und böse Lust! ihr habt weder Treue noch
^) Cucurbita pepo L.
Scholz, Konrad von Megenberg's Buch der Natur. 22
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Starke! Hilf mir, Helferin, aus dieser falschen Welt, ich hoffe, es
währet nicht lange!
27. Vom Eohlkraat.
Caulis heisst Kohlkraut. ^) Es hat einen langen, rothen Stengel
und grosse, breite Blätter, die auch roth werden, wenn der Frost
sie beftUt. Der Kohl giebt schlechte Nahrung, macht dickes Blut,
bläht den Leib auf und bringt viele Schmerzen. Er wirkt er-
hitzend und austrocknend, ersteres aber in geringerem Grade. Will
man den Kohl richtig zubereiten, so muss man das erste Wasser,
in dem er gekocht ist, abgiessen und ihn danach mit fettem Fleisch
und guter Zuthat kochen, wodurch er zur Nahrung geeigneter wird.
Er trocknet die Zunge aus, macht Schläfrigkeit, verhütet die
Trunkenheit und macht die Stimme klar. Wenn man Kohl und
Haselnusssträucher in die Nähe von Weinstöcken pflanzt, so ver-
derben sie diese.
38. Von der Sonnenwende.
Cichorea heisst Sonnenwende oder auch Ringelkraut und
lateinisch Solsequium oder Sponsa solis, was Sonnenbraut bedeutet*^)
Die Blume wird Dionysia genannt und öffnet sich beim Sonnen-
aufgang. Platearius nennt das Kraut erkältend und anfeuchtend.
Gestossen und gegessen ist es gut gegen Vergiftung und den Biss
giftiger Thiere, besonders, wenn man es auf die Wunde legt. Der
Saft hilft gegen Anschoppung von Leber und Milz, falls sie durch
Erhitzung bedingt ist. Die Pflanze wächst gerne auf hartem, fest-
getretenem Boden an den Wegen, hat einen sehr harten Stengel
und eine Blüte von bläulicher oder gelblicher Färbung, wie der
des Edelsteines Hyacinth.
39. Vom Honigrohr.
Canna mellis heisst Honigrohr. ^) Es gleicht sehr dem ge-
wöhnlichen Rohr, ist aber dicker und von süssem Geschmack. Das
gemeine Rohr, das in Lachen und an sumpfigen Stellen wächst
ist ganz hohl und von schlechtem Geschmack. Wenn man das
^) Brassica spec. var.
^) Cichorium intybus L., wilde Cichorie.
3) Saccharum officinarum L., eclites Zuckerrohr, im Alterthum bereits
bekannt, wurde im 12. Jalirhundert durch die Araber nach Egypten, Sicilien
und Malta verpflanzt.
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Houigrohr spaltet und siedet, so wird aus dem Schaum der dabei
sich bildet, Zucker. Ueber die Eigenschaften des Zuckers wird
nachher noch die Rede sein.
30. Tom Coriander.
Coriandrura heisst in einigen deutscheu Gegenden Wanzen-
kraut.^) Es wirkt, einigen Angaben zufolge, erwärmeud und aus-
trocknend. Galen dagegen behauptet, es besitze eine gewisse laue
Feuchtigkeit und Avicenna nennt diese sogar kalt. Diese beiden
Ansichten vertragen sich mit einander, da im Vergleich zu „warm"
die Eigenschaft „lau" wohl „kalt" genannt werden kann. Avicenna
hat indessen diesen Gedanken nicht dabei gehabt. Sei dem nun,
wie ihm wolle, man erkennt das Kraut aus Folgendem: Die Blätter
stehen zerstreut, die Blüten sind gelb, die Früchte nmd, den
Veilchensamen ähnlich und w^eiss gefärbt. Beim Sieden des Krautes
scheidet sich seine erwärmende Kraft von der abkühlenden. Dess-
halb stirbt Jemand, der zuviel von seinem Safte trinkt, durch Er-
kältung. Der Coriander verhütet das Aufsteigen von Rauch und
Dunst aus dem Magen nach dem Kopfe hin. Desshalb setzt man
ihn für solche Leute der Speise zu, die durch die genannten Dünste
ohnmächtig werden. Jedoch soll man jedesmal nur wenig von ihm
nehmen. In unserem lateinischen Text finden sich über den Cori-
ander abweichende Angaben. Ich nehme auf sie weiter keine
Rücksicht, sondern schliesse mich den besseren Quellen an.
31. Tom Kampfer.
Camphora heisst Kampfer, und die alten Meister berichten von
dieser Pflanze, dass sie im Osten von Indien heimisch und sehr
wohlriechend sei. 2) Man erntet das Kraut zu Ende des Frühlings,
zerstösst es, presst den Saft aus, lässt die trüben Bestandtheile
desselben absitzen und stellt die klare Flüssigkeit an die Sonne, bis
sie erhärtet. Dann nimmt sie das Aeussere eines undurchsichtigen
Kristalles an. Knetet man diesen in der Hand, so zerspringt er
zu Pulver. Dies ereignet sich besonders bei solchen Leuten, die
durch ünkeuschheit befleckt sind, weil der Kampfer nur von reinen
Menschen angefasst und behandelt sein will. Männer, die an ihm
Die frischen Samen von C. sativum L. riechen nach Wanzen.
*) Camphora officinalis N. v. E. Der Kampferbaum erreicht eine Hohe
bis zu 9 Meter, ist also kein Kraut, wie K. angiebt.
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riechen, macht er keusch, bei Frauen bewirkt er daa GegentheiL
Man bewahrt den Kampfer in (lefässen von Marmor oder Alabaster
auf. Constantinus ist der Meinung, der Kampfer sei das Harz
eines Baumes, Avicenna dagegen sagt, es sei der, später erst er-
härtende, Saft.
32. Vom Kfimmcl.
Cyminum heisst Kümmel, i) Es ist der Samen eiues Krautes
und besitzt, nach Platearius, erhitzende und trocknende Eigen-
schaften. Das Kraut hat lange, kleine Blätter, wie die des Fenchels
oder des Dills, seine Blüt4?n sind weisslich oder gelblich und die
Samen länglich von wechselnder Färbung. Es giebt schwarzen und
gelben Kümmel, je uachdem er vom Feldkummel oder von der
angebauten Pflanze herkommt.'^) Der schwarze wirkt starker, wie
der gelbe, er vertreibt die Blähungen, eröffnet, stärkt und befördert
die Verdauung im Magen und beseitigt da« Rülpsen und Aufstossen.
Mit Kümmel gekochter Wein vermehrt bei den Ammen die Milch-
sekretion und fördert bei Männern die Anbildung des Samens.
Kümmelpulver mit Wermuth, in Speise oder Getränk genossen, er-
öffnet bei Männern die, zu den Testikeln führenden Gefässe, bei
Frauen wirkt er in gleicher Art auf die zur Brustdrüse führenden.
Waschungen mit Kümmelwasser machen die Gesichtshaut weiss
und rein. Zu häufige Anwendung des W^assers giebt aber dem
Gesicht eine bleiche Färbung, massig gebraucht wirkt es dagegen
in der angegebenen Weise. Feldkummel heilt die Wunden, wenn
man ihn als Pulver darauf streut. Riecht man an einer Mischung
des Pulvers mit Essig oder tunkt eine Wieke in dieselbe und steckt
sie in die Nase, so stillt sie das Nasenbluten. Wein, mit Kümmel
getrunken, hilft gegen den Biss giftiger Thiere.
33. Von der Erdgalle.
Centaurea heisst Erdgalle oder auch Fieberkraut. ^) Lateinisch
heisst sie Fei terrae, was Enlgalle bedeutet, w^eil die Pflanze sehr
bitter schmeckt. Nach Platearius wirkt sie erhitzend und aus-
Carum carvi L.
'^) Der schwarze Kümmel sta nmt von Nigella sativa L., den schon
Karl der Grosse nacli seinen Caiiitularien auf seinen Höfen anpflanzen Hess.
3) Die grosse Erdgalle ist ICuzian, Geutiaua lutea L. u. ähnliche, die
kleine E. ist Erytluaea centauriiiin L., 'Jausendgüldeukraut.
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trocknend. Es giebt zwei Arten. Die eine, grosse Erdgalle genannt,
hat dreispitzige Blätter und zerfällt wiederum in zwei Unterarten,
von denen die eine einen gelblichen, die andere einen grünen
Stengel hat. Die zweite Art ist die kleine Erdgalle mit Blättern,
-wie die der Raute und von Geschmack äusserst bitter, wie das
noch zu erwähnende Scammonium.^) Die Blume, in Form einer
unvollkommenen Krone gestaltet, ist hellroth. Dies Kraut w^ächst
Ende des Frühlings, vor Sankt ürbanstag. Alle Arten von Erd-
galle wirken erhitzend und austrocknend und besitzen grosse Schärfe.
Das frische Kraut reinigt die Wunden, hilft gegen Anschoppung
der Leber und Milzverhärtung, wirkt fördernd auf die Menstruation
und den Geburtsakt und tödtet die Würmer im Leibe. Wein, mit
dem Kraute abgekocht und mit Zuckerzusatz getrunken, hilft gegen
Milz- und Leberleiden, wie oben bemerkt ist. Für Kranke, die in
Folge von Paralyse gliederschwach sind oder am Hüftweh, lateinisch
Passio iliaca g:enannt, leiden, passt folgendes Getränk: Fenchel-
wurzel, Sellerie Wurzel und Petersilienwurzel werden mit Erdgallen-
saft abgekocht, Zucker hinzugefügt und das Ganze durch ein Tuch
geseiht. Gegen die Würmer im Leibe gebe man den Erdgallensaft
mit Honig. Die Wurzel der Pflanze schmeckt bitter, etwas süsslich,
und erregt auf der Zunge ein etwas herbes (fefühl. Sie hat die
Fähigkeit zu vereinigen, und es verheilen desshalb Wunden, die mit
der zerstossenen Wurzel verbundeu Averden. Der Saft aus der
Wurzel der grossen Erdgalle mit Rosenwasser versetzt und in die
trüben Augen geträufelt, macht diese klar. Wein mit dem Kraute
gesotten und Abends getrunken, wirkt kräftig Schweiss erregend,
indess muss man nicht zu reichlich von ihm trinken, damit die
Brust nicht zu stark ausgetrocknet wird. Auch passt dies Mittel
besser für den Winter, wie für die Sommerszeit, da in dieser die
Hitze doch schon stark genug ist. Die Erdgalle besitzt schliesslich
noch die Eigenschaft, alle J'leischstücken, mit denen zusammen sie
gekocht wird, in ein Stück zu vereinigen, grade wie es von der
Hauswurz erzählt wird.*-^)
34. Yom PfefFcrkraut.
Diptamus heisst Pfefferkraut, wie ein Sprachgelehrter angiebt,
und ist eine sehr gemeine Pflanze.-^) Ihr Kraut würkt gegen
') Das Harz von Convolvulus Scammoiiia L., Purgirwinde.
8) Vergl. Nr. 14.
^) Dictamnus albus L., geiueiuer Diptam.
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Schlangeubiss, dea Biss giftiger Thiere und gegen innere, durch
irgend ein Getränk hervorgerufene Vergiftung. Es wird entweder
zerquetscht auf die Wundstellen gelegt oder sein Saft, mit Wein
und hinlänglich Minzensaft verseizt, getrunken. Die todte Frucht
treibt das Kraut ab, und man erzählt ausserdem von ihm, dass die
Hirsche seine Kräfte zuerst haben bekannt werden lassen, weil sie
ihre W^unden an dem Kraute reiben und es gleichzeitig auch fressen,
wodurch die Pfeile wieder herausgezogen werden. Man könnte
danach die Pflanze auch Hirschwurz nennen.
35. Tom weissen Senf.
Eruca heisst weisser Senf.^) Dies Kraut hat Blätter beinahe
wie der echte Senf, wirkt massig erwärmend und austrocknend und
wird desshalb in den Gärten angepflanzt. Einem Gerichte von Bete
oder Mangold zugesetzt mildert es die Kälte und Feuchtigkeit dieser
Kräuter. Die Pflanze kommt wild und angebaut vor. Der Samen
der kultivirten Art wird an Stelle von Senf zubereitet; geniesst
man aber das Kraut selbst, so beschwert es den Kopf. Dieser
Nachtheil wird durch Zusatz von Lattich oder Mangold aufgehoben.
Das Kraut des weissen Senfs ist für die Ammen gut, weil es viel
Milch erzeugt und ausserdem wirkt es günstig auf die Verdauung.
Der wilde Senf dagegen wirkt diuretisch und als Aphrodisiacum,
weil es Erectionen hervorruft. Dies thut besonders der Samen.
36. Von der Nieswurz«
Helleborus heisst Nieswurz und kommt in zwei Arten vor.
Es giebt weisse und schwarze Nieswurz. 2) Diese ist zwar schwächer
in ihrer Wirkung, wie die weisse, gleichwohl aber müssen die Leute,
welche sie sammeln, vorher Knoblauch essen und starken Wein
trinken, damit sie nicht zu Schaden kommen. Die Blätter gleichen
denen einer anderen Pflanze, die lateinisch Alexandria und deutsch
Wolfskraut oder Hundskraut ^) genannt wird, weil man sie gepulvert
Sinapis alba L., gelber oder englischer Senf. Die Samen, waren
als Semen Enicae officinell. Die gewöhnlichen oder echten Senfsamen
kommen von Sinapis nigra L.
^ Weisse Nieswurz ist Veratrum album Bemh., weisser Germer;
schwarze N. ist Helleborus niger L. Christrose, Weihnachtsrose.
3) Aconitum lycoctonum L.
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auf das Fressen der Wölfe und Hunde streut, um sie zu tödten.
Die schwarze Nieswurz hat einen kurzen, schwarz geäderten und
leicht purpurroth gefärbten Stengel. Dieser trägt rechts und links
eine Knolle, wie eine Zwiebel. Die Pflanze wächst mit Vorliebe
an dürren Stellen und in geborstenen Mauern. Zerbricht man die
Wurzel, so erscheint sie innen hohl und in den Höhlungen sind
Fäden, wie Spinngewebe. Sie schmeckt scharf und beissend. Das
Kraut wirkt erhitzend und trocknend, auflösend und ^ertheilend auf
Ausammlungen von Materie. Es besitzt eine solche Schärfe, dass
es wildes Fleisch wegnagt. Ausserdem vermag es den ganzen Or-
ganismus zum Besseren umzugestalten und zu jugendlicher Beschaffen-
heit wieder zurückzuführen. Für Frauen und weibische Männer
passt es nicht, nur für kräftige Männer und starke Jünglinge, die
reich an Blut sind. Am besten wird es im März und September
angewandt, zweckmässiger wie in der übrigen Zeit, und ist nament-
lich für Leute von fröhlicher Gemüthsart geeignet. Wie es aber
anzuwenden ist, lehren die Aerzte. Mit Essig gekocht beseitigt es
das Dröhnen in den Ohren und kräftigt, in das Ohr geträufelt, das
Gehör. Wäscht man den Mund damit aus, so vertreibt es die
Zahnschmerzen. Ferner ist es ein Heilmittel gegen die Krankheit,
welche Melancholie, in Thüringen Raserei genannt wird, wenn ein
Mensch mit sich selber grämliche Dinge redet, wie auch gegen die
fallende Sucht, die den Namen Epilencia (Epilepsie) führt. Die
weisse Nieswurz gleicht in der Blattform der schwarzen, aber ihr
Stengel ist weiss geädert und die Wurzel sieht der des Eibisches
ähnlich. Die weisse Nieswurz wächst gern im Gebirge und schmekt
stärker bitter, wie die schwarze. Ihre Wurzel wird zur Erntezeit
gesammelt und getrocknet. Auf der Zunge beisst sie nicht so sehr
und wirkt erregend auf die Speichelsekretion. Schmeckt sie aber
stark beissend, so soll man sie wegwerfen. Die weisse Nieswurz
wirkt wie die schwarze, erhitzend und trocknend. Mäuse sterben,
wenn man ihrem Futter Nieswurz zusetzt. Ihr innerer Gebrauch
ist sehr unsicher, da sie oft tödtliche Krämpfe auftreten lässt. Ge-
pulverte Nieswurz in die Nase gebracht erregt Niesen, woher sie
auch ihren deutschen Namen hat. Vorsichtig angewandt schärft
und stärkt sie die Sehkraft, zuviel gebraucht ist sie dagegen für
Menschen, Schweine und Hunde ein tödtliches Gift. Auch die
Hühner sterben, wenn sie vom Kothe eines Menschen fressen, der
Nieswurz genommen hat.
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37. Vom Fenehelkmat.
Poeniculum heisst Fenchel. i) Platearius uenut das Kraut
erhitzend und trocknend, es besitzt eine flüclitige Eigenschaft und
wirkt diiiretisch. Der Saft des Krautes, seine Blätter und die
Wurzel sind arzneifähig und werden sänimtlich im Frühjahr ge-
sammelt. Die mit Wein gekochte Wurzelrinde ist gut gegen An-
schoppungen der Leber und Milz, ebenso auch gegen die Ruhr oder
den Durchfall und gegen den Stein, falls diese Beschwerden von
erkältenden Ursachen herrüliren. Sind sie durch erhitzende Ein-
flüsse entstanden, so soll man als Mittel gegen dieselben Fenchel-
w^asser kochen. Gekochtes und wie anderes Kraut zubereitetes
Peuchelkraut ist gleichfalls gegen die vorgenannten Leiden dienlich,
Es beseitigt die Blähungen im Leibe, stärkt die Verdauung im
Magen und ebenso wirken auch die gepulverten Samen. Der Saft
des Krautes ist wirksam gegen gewisse Sehstörungen und bessert
die Sehkraft. Alexander berichtet, dass die Schlangen Fenchel
fressen und ihre Augen an dem Kraute reiben, wenn sie nach dem
Ablauf des Winters aus ihren Löchern heraus kommen, und dadurch
helle Augen erhalten. Auch gegen den Biss giftiger Thiere ist das
Kraut von Nutzen. Es beseitigt das Aufstossen und die Gähruug
im Magen und tödtet die Würmer. Der Saft muss in einem
metallenen Gefässe fünfzehn Tage lang aufbewahrt werden. Wird
er dann in die Augen getröpfelt, so macht er die verdunkelten
wieder klar.
S8. Ton den Scliwümnien.
Fungi heissen die Schwämme. Es giebt ihrer mancherlei, die
besten sind bei uns zu Lande klein und rundlich, wie ein Hut ge-
staltet, wachsen im Anfang des Frühjahres und verschwinden im
Mai wieder. Man hat nemlich nie erlebt, dass diese Schwämme
Jemanden getödtet oder in kurzer Zeit krank gemacht hätten. Sie
führen lateinisch den Namen Morachi, deutsch heissen sie Morcheln. '-^
Im Uebrigen gilt für alle Pilze, dass die trocknen besser sind, wie
die saftigen. Sie sind zwar sämmtlich feucht und kalt, jedoch die
eine Art mehr wie die andere. Sie erzeugen im Menschen schwer-
bewegliche Feuchtigkeit von schädlicher Beschaffenheit. Am besten
verfährt man so, dass man sie gründlich mit Birnen zusammea
M Foeniculum ofticinale All.
2) Helvella esculenta Pers.
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kocht und guten, reinen Wein hinterher trinkt. Eine Pilzart giebt
es, die lateinisch Boletus, deutsch Pfifferling genannt wird.^) Vor
dej muss man sich in Acht nehmen, da sie sehr giftig und todt-
bringend wirkt. Ich weiss Das ganz genau, weil zu Wien in Oester-
reich einmal Jemand Pfifferlinge verzehrte, Meth darauf trank und
sofort vor dem Fasse starb. Es giebt fenier Schwämme, die durch
und durch unrein sind, breit und dick gebaut und au ihrer Ober-
fläche roth mit weissen Flecken. 2) Wenn man diese mit Milch
kocht, sterben die Fliegen davon. Desshalb heissen sie Fiiegen-
^chwämme, und im Lateinischen Muscineci. Mein ßath ist: Hute
Dich vor allen.
39. Von den Bohnen.
Fabae heissen die Bohnen.*^) Sie werden im Magen nur un-
vollkommen verdaut und besitzen, nach Platearius, im frischen
Zustande viel überflüssigen Saft. Am besten sind die grossen,
weissen, die von den Maden der Kornkäfer nicht durchfressen sind,
welche lateinisch Curculiones genannt werden. Kocht man die
Bohnen, ohne sie umzurühren, so lange sie noch auf dem Feuer
stehen, so blähen sie weniger, wie sonst. Die Bohnenschale blälit
stärker, wie das Mehl. Ein Pflaster aus Bohnen, auf eine geschorene
Stelle gelegt, verhindert das Wledererscheiuen der Haare. Der
Oenuss der Bohnen schadet den Augen, auswendig aufgestrichenes
Bohnenwasser ist ihnen dagegen dienlich. Füttert man Hennen mit
Bohue^, so legen sie keine Eier. Für feuchtes Land passt die Aus-
saat von Bohnen mehr, wie die von anderer Körnerfrucht.
40. Vom Cretreldc.
Frumentum heisst Getreide und ist verschiedener Art. Eine
heisst Roggen, die andere Weizen, die dritte Spelt.**) Alle drei haben
das gemeinsam, dass sie den Menschen besser ernähren als irgend
eine andere Körnerfrucht. Der Grund dafür liegt in der Aehnlich-
keit derselben mit der menschlichen Natur. Das Brot aus dem
Mehl des Kornes nimmt der Brust und der Lunge ihre Schärfe,
jnit Oel gekocht eröffnet es die harten Geschwülste und heilt, gekaut
aufgelegt, den Biss der tollen Hunde. Der feine Mehlstaub, der in
*) Lactarius torminosus Fr., Giftreizker?
^) Ainanita muscaria. Fliegen schwamm.
^ Die verschiedenen Phaseolus-Arten.
•*) Seeale cereale L., Triticum vulgare L. und Tr. spelta L.
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der Mühle umherfliegt, ist, mit Wasser verrührt, heilsam gegen die
rothe Kuhr. Zu bemerken ist, dass Weizen besser nährt wie Boggen,
und dass Brot aus ungebeuteltem Mehl den Leib weniger verstopft,
wie das aus gebeuteltem gebackene. Die Organe ziehen nemlich
das gebeutelte Mehl zu sehr an sich, während das ungebeutelte mehr
nach der Tiefe hin sinkt und besser den Ausweg aus dem Leibe
sucht. Das Waschen mit Kleie entfernt die Unreinlichkeit der
Haut gründlich.
41. Ton der Hirse.
Gegrues heisst Hirse und kommt in zwei Arten i) vor. Die
eine ist die gewöhnliche, lateinisch Milium genannte, Hirse. Ihre
Aehre hat zerstreut stehende Blätter. Die andere, weniger häufige
Art heisst lateinisch Panicum, deutsch Fennich. Ihre Aehre ist
stark entwickelt, wie die des Rohrkolbens und hat zahlreiche Körner^
die denen der gewöhnlichen Hirse in allen Stücken gleichen. Hirse-
korn wirkt abkühlend und trocknend, macht schlechtes Blut, wird
im Magen schwer verdaut und erzeugt den Aussatz. Hat aber
Jemand Magenschmerzen, als ob Stacheln darin wären, so soll er
Fennich oder Hirse in einem Topfe erwärmen und auf den Magen
legen, dann vergeht der Schmerz.
43. Ton der Schwertlilie.
Gladiolus heisst Slatenkraut oder besser, nach dem lateinischen
Namen: Schwertlilie oder Schwertel, weil die Blätter Schwertform
haben. Diese Pflanze hat keinen Stengel sondern nur Blätter, die
aus der Wurzel hervorkommen und existirt in zwei Arten. 2) Die
eine wächst auf dem Trocknen, und hat eine grosse, hyacinthfarbene,
zarte und sehr wohlriechende Blume. Die andere Art wächst an
wasserreichen Stell 3n, hat gleichfalls eine grosse, aber gelb gefärbte
Blüte, von morigeni Geruch und eine knotige Wurzel. Diese liegt
ganz oberflächlich im Boden und ist zuweilen ganz von der Erde
entblösst. Sie wirkt erkältend und anfeuchtend. Ein Pflaster, mit
Honig und Oel aus der Wurzel bereitet und auf die Milzgegend
gelegt, entfernt die Blähung und Anschwellung der Milz. Die Pflanze
führt auch den Namen Carectum.
Panicum müiaceum L., echte Hirse u. Milium effusum L., Waldhirse.
^) Iris florentina L. und ähnliche und Iris pseudacorus L., Wasser-
schwertlilie.
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43. Vom Hopfen.
Humulus heisst HopfeD.^) Diese Pflanze hat ein bedeutendem
Längenwachsthum und breitet ihre Ranken über die Bäume und
Mauern aus, an denen sie wächst, wie die Brombeerstauden, die
lateinisch Vepres genannt werden. Die Hopfenblüte wirkt erhitzend
und trocknend und behält diese Eigenschaft lange Zeit. Sie wirkt
ferner auflösend auf die zähen Säfte im menschlichen Körper und
an anderen Stellen. Sie durchsetzt die Flüssigkeiten, die lateinisch
Liquores heissen, und erhält sie bei ihrer Kraft, so dass sie nicht
verderben noch verfaulen, wenn man ihnen Hopfenblüten zusetzt.
Der Hopfen selbst aber beschwert den Leib, seine einzigen guten
Eigenschaften befinden sich nur in der Blüte.
44. Tom Bilsenkraut.
Jusquiamus^) heisst Bilsenkraut. Es wirkt stark abkühlend
und sein Samen, der gleichfalls kühlende Eigenschaften besitzt, ist
zu mancherlei Arznei gut. Die frischen, zerquetschten Blätter oder
auch die Samen wirken stark schlafmachend, wenn man sie in der
Nähe der Ohren auf die Schläfen aufbindet. Die Samen erregen
besonders leicht Schlaf und mau kann desshalb Vögel, die mit
Bilsensamen gekochtes Korn oder Hafer gefressen haben, mit der
Hand fangen, so fest schlafen sie. Man darf die Samen keinem
Menschen zu essen geben, weil sie tödtlich giftig sind und die Krank-
heit der Vergesslichkeit hervorrufen, während der ein Mensch immer
nur schlafen will und tiele Dinge vergisst. Dieses Leiden heisst
lateinisch Lethargia. Man erzählt von einem Bischof, der über-
mässig an unkeuschen Anwandlungen litt und allerlei dagegen ver-^
suchte. Schliesslich nahm er den Saft der frischen Bilsenkraut-^
blätter und kühlte damit seinen Genitalapparat derartig ab, dass
ihm der Animus coeundi völlig verging. Das Oel aus den Bilsen-
samen ist gut gegen die Zahnschmerzen, die durch Erhitzung ent-
standen sind, ebenso auch gegen Blähungen und alle anderen
Leiden aus derselben Ursache.
45. Tom Ysop.
Tsopus^) heisst Ysop. Platearius sagt, das Kraut wirke er-
wärmend und austrocknend und seine Blätter und Blüten, nicht
^) Humulus lupulus L.
9) = Hyoscyamus niger L.
3j =Hyssopus officlnalis L.
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aber die Wurzel, seien arzneikräftig. Bestreicht mau das Gesicht
mit gekochtem Ysopsaft, so wird es wohlriechend. Mit Honig ge-
kochter Ysop ist gut für die Lunge. Das Wasser eines Absudes
von Ysop mit Feigen, in die Ohren geträufelt, beseitigt die Ohren-
schmerzen. Die Pflanze besitzt ausserdem noch genug guter Eigen-
schaften, wenn man sie so zubereitet, wie es die ärztliche Kunst
in ihren Büchern vorschreibt.
46. Tom Lattich.
Lactnca heisst Lattich.^) Dies Kraut besitzt unter allen
anderen die mildesten und gleichmässigsten Kräfte und macht gutes
Blut. Seine Samen wirken Schlaf erregend und eignen sich zur
Behandlung des Anfangsstadiunis heisser Geschwülste. Alle Wiesel,
wie auch die schwerer beweglichen Vögel fressen wilden Lattich,
wenn sie von Schlangen gebissen wurden und sichern sich dadurch
vor der Vergiftung.
47. Von der Lilie.
Lilium heisst eine Lilie. 2) Diese Pflanze ist allgemein be-
kannt, hat eine schöne weisse, sechsblätterige Blume und in der
Mitte derselben befindet sich ein gelbes, nageiförmiges Gebilde um-
geben von kleineren mit gelben Köpfchen. Die Lilie wirkt nach
Platearius, erhitzend und anfeuchtend und erweicht und zeitigt die
Geschwülste. Sie verscheucht die Schlangen und hilft gegen den
Biss des Skorpions. Mit Lilienwurzel gewaschen erhält das Gesicht
eine schöne Farbe und die Kunzebi vergehen. Lilienwurzel ist
dienlich gegen Verbrühungen mit heissem Wasser. Mit Rosenöl
gekocht liefert sie die beste Arznei gegen Uterusschmerzen. Sie
eröffnet die Gefässe, die zum After hinziehen. Lilienöl ist gut gegen
den Biss giftiger Thiere und wirkt befördernd auf die Geburt.
Der Lilie vergleicht unser Herrgott seine Mutter mit den Worten:
Meine Liebe oder meine Freundin ist unter den anderen Töchtern
dieser Erde gestaltet wie die Lilie unter den Dornenstauden!
Siehe, welch schönes Wort! Die schönste unter allen Frauen ist
unter die Sünder gegangen und erlitt doch niemals einen Makel
vom Dorn der Sünde. Frau, hehr und voller Gnade, lass mich
-dessen froh werden!
^) Lactuea sativa L. Salat.
2) Lilium caudidum L.
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48. Vom Alraan.
Mandragora heisst Alraun. ^) Die Pflanze wirkt erhitzend und
austrocknend, wächst im Orient und ihre Wurzel wird Labro ge-
nannt. Sie hat, nach Avicenna, die Gestalt eines Menschen und
ist entweder männlich oder weiblich. Die männlich geformte Wurzel
treibt Blätter, die denen des Mangolds gleichen, die weibliche dem
Lattich ähnliche, nur etwas spitzer gebaute. Kinder, die die Wurzel
fanden und da.yon assen, starben in grosser Zahl, einigen jedoch
kam man mit Butter und Honig zu Hülfe. Die Pflanze bringt sehr
wohlriechende Früchte, Erdäpfel genannt. Es sind das aber andere
Erdäpfel wie die bereits beschriebenen. 2) Wurzel, Rinde, Blätter
und Früchte des Alrauns sind als Arznei zu brauchen und wirken
zusammenziehend und wegbeizend. Will man einem Kranken
Schlaf verschaffen, so mische man gepulverte Alraunwurzel mit
Frauenmilch und Eiweiss, bereite daraus ein Pflaster und lege es
auf die Stirn und die Schläfen bei den Ohren. Gegen Kopfweh
durch Erhitzung soll man die zerquetschten Blätter auf die Schläfen-
gegend legen. Alraunöl wird so hergestellt: Zunächst zerquetscht
man Alraunblätter gründlich, mischt sie mit Baumöl, siedet alles
zusammen und seiht es durch ein Tuch. Das ist dann das Alraunöl.
Es bringt den Schlaf, vertreibt Kopfschmerz und die Fieberhitze,
w^enu man Stirn und Schläfen mit ihm einreibt. Koche Alraun-
wurzel mit Wein und gieb ihn dem zu trinken, dem ein Glied ab-
genommen w^erden soll, er fühlt dann in dem tiefen Schlaf die
Schmerzen nicht. Bringt man ein Stückchen der Wurzel, besonders
der männlichen, in Wein, so wirkt dieser schneller berauschend.
Wenn aber Jemand die Wurzel ölter anwendet,- auch viel daran
riecht, so bekommt er das fallende Leid, das lateinisch Apoplexia
genannt wird. Zur Erleichterung der Geburt stellt man den Frauen
etwas von dem Wurzelsaft unter. Alraunsamen wirkt reinigend auf
die Gebärmutter, und wenn eine Frau über einer Mischung der
Samen mit Schwefel, der nie an's Feuer gekommen ist, sitzt, so
wird sie von Metrorrhagie befreit.
49. Von der Malve.
Malva heisst Malve. •'^) Die Pflanze ist gemein und allbekannt
und hat eine weisse, längliche Blüte, die sich stets der Sonne zu-
*) Mandragora oflicinalis L.
3) Vergl. Nr. 22.
3) Malva silvestris L., wilde Malve, Rosspappel und andere Arten,.
deren Blüten aber in der Regel blass-rosa gefärbt sind.
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wendet. Morgeus ist sie nach Osten, Abends nach Westen gerichtet,
am Tage steht sie aufrecht. Das Kraut wirkt abkühlend und an-
feuchtend, erweicht und eröffnet den Leib, und wenn man eine
Kreisende über das Kraut setzt, so treibt es die Frucht sofort aus,
^ie man sagt.
50. Von der Hinze.
Mentha heisst Minze. ^) Das Kraut hat einen rotheu, zuweilen
auch grüneu Stengel; die Minze, welche im Wasser wächst, ist an
Stengel und Blättern röthlich gefärbt. Die Pflanze wirkt erhitzend
und trocknend, wie Platearius lehrt, die Feldminze ist aber
heisser, wie die kultivirte und diese desshalb zur Arznei besser
verwendbar, wie die wilde. Die Minze wirkt durch ihren feinen
Geruch lösend, verzehrend und kräftigend. Wer an übelem Geruch
aus dem Munde und krankem, leicht blutendem Zahnfleisch leidet,
wasche den Mund mit Essig aus, der mit Minzenblättern abgekocht
ist, reibe darauf das Zahnfleisch mit trocknen Minzenblättem und
er wird wieder gesund werden. Mit Minze und Wasser gekochter
Wein ist sehr gut gegen Anschoppungen in Leber und Milz, wenn
sie von kalter Feuchtigkeit herrühren. Giebt man eine Arznei
gegen Vergiftung, so soll man sie mit Minzeusaft verabreichen.
Wein mit Minze gekocht wie auch der Zusatz gepulverter Minze
zum Essen stärkt den Magen- Die Minze besitzt ausserdem noch
die Eigenschaft, dass sie kein schädliches Thier aufkommen lässt,
wenn man sie in die Nähe anderer Kräuter, zumal von Kohl an-
pflanzt. Auch verhindert sie die Gerinnung der Milch, wenn man
ein Stückchen oder mehr derselben hineinthut. Minzensaft, mit
Essig getrunken, beseitigt Darmblutungen.
5L Vom Andorn.
Marrubium heisst Andoni oder Siegminze, lateinisch auch
Prassium. Die Pflanze hat rauhe, ruuzliche Blätter wie die Taub-
nesseln und es giebt weissen und schwarzen Andorn. 2) Die Blätter
des weissen sehen wie mit Mehl bestreut aus, die des schwarzen
sind bräunlich gefärbt und ohne Flecken. Das Kraut wirkt, nach
*) Von den verschiedenen Mentha»Arten hat M. piperita L., Pfeflfer-
minze, rothgefärbte Stengel.
2) Weisser Audom ist Marrubium vulgare L., schwarzer Andorn ist
Ballota nigra L.
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Platearius, erhitzend und trocknend, macht die Stimme klar,
reinigt die Brust und ist wirksam gegen die Anschwellung der
Aftergefässe, die Hämorrhoiden heissen, wenn man es nach Vor-
schrift der Aerate zubereitet.
53. Tom Xardenkraut.
Nardus heisst Nardenkraut. ^) Es ist sehr dornig, riecht, nach
Platearius, wie die Cypresse, hat spitze Blätter und wächst in
den beiden Ländern Indien und Syrien. Die indische Narde
wechselt in ihrer äusseren Form, die syrische ist aber besser.
Hält man Nardenkraut lange im Munde, so macht es die Zunge
trocken. Seine Bhiten bewahrt man, ihres kostbaren Geruches
wegen, sehr sorgfältig auf. Das Kraut wirkt erhitzend und
trocknend und ist gut gegen die Ohnmacht, die Synkope heisst,
wenn Einer nicht mehr sprechen kann. Auch gegen die, lateinisch
Cardiaca genannte, Erkrankung tou Brust und Herz ist es dien-
lich, wenn man es mit Rosenwasser kocht und durch Zuckerzusatz
Syrup daraus herstellt. Gegen Erkrankung des Gehirns hält mau.
das Kraut an die Nase, und in dieser Art angewendet hilft es
gleichzeitig gegen den Hauptfluss, der lateinisch den Namen Rheuma
führt. Gegen Erkältung des Magens und das Stechen im Darm,
das von feuchter Kälte herrührt, wie auch gegen Anschoppung von
Leber und Milz giebt man Wein mit Nardenkraut gekocht. Aus
den Blüten der Pflanze stellt man eine sehr kostbare Salbe her,
grade so, wie man Wachholderöl bereitet, von dem wir bereits ge-
sprochen haben. Dieses Oel oder diese Salbe ist gut gegen die
Paralyse und die beiden Arten von Fallsucht, von denen die eine
Apoplexia und die andere Epilencia (Epilepsie) genannt wird.
Ferner hilft sie gegen die Adergicht, die Arthetica genannt wurd,
gegen Fuss- und Beingicht, die Podagra und gegen die Handgicht,
die Chiragra heisst, wenn man die Glieder mit ihr einreibt. Diesem
Kraut und seiner Blume vergleicht die heilige Christenheit unsere
liebe Frau, weil sie, wie die Narde, voller Gnade ist.
5ä. Von der Kresse.
Nasturtium heisst Kresse. 2) Die Pflanze ist gemein, wirkt er-
hitzend und austrocknend, lässt die fauligen Feuchtigkeiten im
leeren Leibe eintrocknen und schützt vor Haarausfall. In einem
Nardostachys Jatamansi DC.
*) Hier ist wohl Lepidium sativum L., gemeine Gartenkresse, gemeint.
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Getränk geuossen oder auch äusserlieh zum Einreiben gebraucht,
wirkt die Kresse günstig gegen Abscesse und Creschwüre. Mit Salz
und Honig gemengt ist sie gut gegen die zehrende Krankheit, die
lateinisch Ignis persicus^) und von den Laien das höllische Feuer
genannt wird. Ferner wirkt sie allgemein erweichend auf die
Adern, reinigt die Lunge und hilft gegen Athembeschwerden, wenn
Jemand in Folge von Erkrankung an dem Leiden, das Asthma
heisst, nicht ordentlich Athem holen kann. Sie erwärmt Magen
und Leber und wirkt gegen die Anschwellung und das Blähen der
Milz. Jedoch kann ihr Genuss dem Magen auch schädlich werden.
Die Kresse hat fernerhin die Eigenschaften, als Aphrodisiacum und
Emmenagogum wirken und Abort herbeiführen zu können. Letzteres
tritt nicht ein, wenn die Kresse unzerquetscht und unzerrieben ge-
nossen wird. Gegen den Biss giftiger Thiere ist die Kresse heil-
sam und besitzt ausserdem, richtig und wohl zubereitet noch viele
andere Kräfte.
54. Von der Seerose.
Nenufar heisst Seewurz oder Seekraut. Die Pflanze hat breite^
auf der Oberfläche von Seeen und anderen stehenden Gewässeni
schwimmende Blätter, und der Name Nenufar kommt eigentlich
nur der Blüte zu. Diese ist zweierlei Art: gelb oder weiss.'-)
Die Wurzel der Seerose, welche aus Indien herkommt, hat viele
von den Eigenschaften des Alrauns. Die Wurzel ist entweder
weiss oder schwarz, die Pflanzen mit weisser Wurzel wirken
kräftiger, wie die anderen. Die Blume wirkt kühlend und feuchtend,
und die Wurzel ist für viele Zwecke brauchbar, wenn sie nach
Vorschrift der Aerzte präparirt wird. Diese wenden sie an bei der
feuchten Krankheit, die Morphea^) genannt wird und gegen Ge-
schwüre. Die Wurzel wirkt narkotisch und beseitigt die Kopf-
schmerzen, die von Kälte herrühren. Mit Mohnsyrup genommen
wirkt sie gegen sexuelle Erregung.
55. Von der rothen Kornblume.
Nigella heisst die rothe Kornblume.^) Diese Pflanze ist
allgemein bekannt, wächst im Korn, hat schmale Blätter und einen
*) Alte Bezeichnung für den bösartigen Carbunkel, Anthrax.
^) Nuphar luteum Sm., gelbe und Nymphaea alba L., weisse Seerose.
3) Morphea bezeichnet die weissen, beim Aussatz vorkommende»
Hautflecken.
*) Agrostemma githago L., rothe Kornrade.
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langen, grünen, rauhen Stengel. Die Blüte ist roth, die Samen
sind schwarz. Die Pflanze besitzt erhitzende und austrocknende
Eigenschaften, befreit den Leib von Winden und Blähungen und
bessert die bleiche Gesichtsfarbe. Mit Essig verrieben lässt sie
harte Abscesse schneller reifen oder bringt sie zum Schwinden, und
wenn man sich den Mund mit Essig auswäscht, der mit der Pflanze
abgekocht ist, so vergehen die Zahnschmerzen. Einige Wollenweber
geben auch an, dass wollene Stoffe mit Hülfe der Pflanze sehr gut
gereinigt werden können.^)
56. Vom Stnrmhut.
Nappellus heisst Sturmhut. 2) Er wächst an der Meeresküste,
ist sehr giftig und höchst schädlich und wirkt über die Maassen
erhitzend und austrocknend. Eeibt man sich mit dem Kraute ein^
80 entfernt es Flecken und Male von der Haut. In Form eines
Getränkes nach ärztlicher Vorschrift genossen hilft es gegen den
Aussatz, wirkt aber giftig, wenn man mehr wie eine halbe Unze
davon nimmt. Ja, noch kleinere Gaben sollen schon, noch einigen
Angaben, für den Menschen tödtlich sein können. Es ist ein Wunder,
dass eine kleine Mäuseart sich von den Wurzelknollen des Sturm-
hutes nährt und dadurch ein Gegengift gegen Sturmhutvergiftung
wird. Auch die Wachteln fressen das Kraut ohne Schaden.
57. Vom Mauerpfeffer.
Orpinum heisst Mauei'pfeffer, lateinisch auch: Crassula.^) Das
Kraut wirkt kühlend und feuchtend und ist gut gegen Knochen-
brüche. Es hat die Eigenthümlichkeit, ohne Erde und Wasser fast
ein Jahr lang grün zu bleiben, wenn man es zehn Tage vor der
Sommersonnenwende abpflückt und in einem Hause luftig aufhängt.
Wenn es dabei an der einen Seite vertrocknet, wird es an der
anderen wieder grün. Man zieht diese Pflanze vielfach zu Paris an
den Häusern. Sie ist gut gegen Uebererhitzung der Leber, kühlt
sehr stark und beeinträchtigt die Sehschärfe. Sie erzeugt Anurie,
so dass der Harn nicht entleert werden kann, sistirt auch die Men-
struation und macht impotent.
^) Die Samen enthalten das u. A. auch in der Quillaja- oder Seifen-
rinde vorkommende Saponin.
') Aconitum napellus L., Sturmhut, Eisenhut
3) Sedum spec. var.
Schulz, Konrad von Megeiiberg^s Bach der Natur. 23
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58. Von der Feldblume.
Oculus porci heisst eine Feldblume,') lateinisch wird sie auch
Flos campi genannt und fährt auf dem Lande auch den Namen
Himmelschlüssel. Sie wächst gerne auf Anhöhen an Strassen und
trocknen Stellen. Ihre Wurzel ist wohlschmeckend, man isst sie
und gräbt sie auch als Futter für die Schweine aus. Die sehr
schön gefärbte Blüte steht auf einem langen Stengel und behält ihre
lebhafte Färbung auch nach dem Trocknen. Das Kraut hat kleine,
schmale Blätter. Die Blume wirkt gleichmässig erwärmend und
trocknend.
Dieser Blume und der Lilie vergleicht sich unsere liebe Frau
in der Schrift mit den Worten: Ego flos campi etc., das heissf.
Ich bin eine Feldblume und eine Lilie der Thäler. Wahrholi,
sie ist auch eine hellstrahlende Feldblume, denn sie steht am
Wege der Gnade. Wenn der Sünder sicli ihr nähert, so erscheint
ihm die Blume der Barmherzigkeit voll, und gleichzeitig ist sie eine
Lilie des Thaies, wo die beiden Berge: Gerechtigkeit und Barm-
herzigkeit einander zuneigen. Sonst wäre der Sünder verloren.
59. Von der Gerste.
Ordeum*-^) heisst Gerste. Das Gers:enkom liefert weniger gutes
Mehl, wie das andere Getreide, das man mahlt. Avicenna be-
hauptet, Roggen und Gerste seien gleichartig, weil der Roggen im
Leibe Blähungen erzeugt, wie die Gerste. In anderen Stücken sind
die beiden iudess einander ungleich, und ich, der Megenberger, bin
der Ansicht, dass das Roggenkorn in seinem Xährwerthe dem Weizen
viel näher steht, wie der Gerste. Desshalb beendigte ich auch den
Abschnitt über das Korn mit dem Weizen. Das Gerstenkorn wirkt
erkältend und trocknend und nährt schlechter, wie der Weizen.
Gerstenwasser dagegen nährt mehr, wie das Gerstenkorn selbst,
wohingegen das Wasser vom Roggenkorn wieder mehr anfeuchtend
wirkt. Blähungen erzeugen alle diese wässerigen Abkochungen,
man findet aber kein Wasser, das kranken Leuten zuträglicher wäre,
wie das Gerstenwasser, das lateinisch Ptisana genannt wird. Es
*) Primula otficinalis Jacq.? Lilium bulbiferum L.? aber für beide
passt die Angabe über die Wurzel nicht.
9) =. Hordeuua vulgare, IL distichum u. H. hexastichum L., die ver-
schiedeneu cultivirten Gerstenarten.
Google
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durchfeuchtet die dürren Glieder, löscht die Hitze im Menschen,
bringt verlorene Kraft wieder und wirkt stärkend. Gerstenmehl ist
auch zu manchem Pflaster gut, und doch ist das Gerstenw^asser
wegen seiner Kälte dem Magen schädlich.
60. Von der Petersilie.
Petrosilium heisst Petersilie. i) Platearius sagt, dass diese,
wild und angebaut vorkommende Pflanze erhitzend und austrocknend
wirke. Die angebaute Petersilie ist zur Arznei besser geeignet und
besitzt die Fähigkeit, harntreibend zu wirken. Beide, Kraut und
Wurzel sind nützlich gegen den ßlasenstein. Mit anderen Speisen
genossen stärkt das Kraut die Magenverdauung und entfernt die
Blähungen im Leibe. Petersilie besitzt viele von den Eigenschaften
des Eppichs, gleicht ihm auch im Aeusseren, nur dass ihre Stengel
und Blätter kleiner sind, wie beim Eppich, der lateinisch Apium heisst.
61. Vom Mohn.
Papaver heisst Mohn. Er w-irkt, nach Platearius, erkältend
und trocknend. Es giebt zw^eierlei Arten Mohn, weissen und
schw^arzen.2) Der weisse wirkt kältend und anfeuchtend, der
schwarze dagegen kältend und trocknend, zehrt auch mehr, wie der
weisse. Mohnsamen ist zur Arznei brauchbar, bringt Schlaf und
lindert manche Schmerzen, auch wirkt er in einzelnen Fällen zehrend.
Man bereitet ein Pflaster aus Mohnsamen, Frauenmilch und Eiweiss
und legt dies an den Ohren auf die Schläfen. Es ist gegen be-
ginnende Geschwülste wirksam. Auch gegen üeberhitzung der Leber
ist es dienlich. Für heisse Abscesse eignet sich dagegen ein Pflaster
aus Mohnsamen mit ausschliesslichem Zusatz von Rosenöl mehr.
Gegen das Austrocknen der Brust bereitet mau Diapapaveron, eine
Latwerge aus Mohnsamen und Lakritzensaft, der vom Süssholz ge-
w^onnen wird, unter Zusatz von arabischem Gummi, welches Gummi
arabicum genannt wird, und von Traganth. Alle diese, schon er-
wähnten, Substanzen mischt man mit einem dazu passenden Syrup.
62. Von der Paeonie.
Peouia heisst Paeonie. '^) In ihren Blättern gleicht sie einiger-
massen der Nieswurz. Es giebt männliche und weibliche Paeonien,
*) Petroselinum sativum Hoffm.
2) Die beiden, auch lieute noch cultivirteu Arten von Papaver somni-
ferum L. mit grauschwarzeu und weissen Samen.
3) Paeonia officinalis L. Gemeine Päonie, Giclitrose, Pfingstrose.
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letztere haben breitere Blätter, wie die männlicheD. Die Pflanze
entwickelt aus einer Wurzel zahlreiche, lange Blätter, die aufrecht
stehen und anfänglich, wenn sie hervorsprossen, lebhaft roth gefärbt
sind, mit der Zeit aber immer grüner werden. Die männlichen
sowohl wie auch die weiblichen Pflanzen haben schön roth gefärbte
Blüten, deren Blätter breiter sind, wie die der Rosen. Die Blüten
entwickeln sich aus einer Knospe, die der der Seerose ähnlich ist
Sie theilt sich in vier Theile, lässt die Blume hervortreten und biegt
sich dann gegen den Stengel herab. Dann bildet sich im Inneren
der Blume eine neue Knospe von länglicher Gestalt, in der dunkele,
vor Schwärze glänzende Samen sich entwickeln. Wenn die Samen
reifen, öffnet sich ihre, inwendig roth gefärbte Hülle von selbst, und
die Samen fallen heraus. Die Wurzel der männlichen Pflanze hat
die Grösse eines Fingers, bei der weiblichen theilen sich Wurzel
und Stengel vielfach. Die Paeonie wirkt, nach Platearius, er«
hitzend und trocknend, beseitigt die schwarzen Flecken von der
Haut und ist gut gegen die Krankheit der Beine oder Füsse, die
lateinisch Podagra genannt wird. Die Samen helfen gegen die
fallende Sucht, lateinisch Epilencia (Epilepsie) genannt. Galen be-
richtet, man habe beobachtet, dass sie gegen diese Krankheit halfen,
wenn man die Kerne dem Kranken um den Hals hängte. Für die
gewöhnliche Paeonie trifft dies indessen nicht zu. Der Jude Isaak
sagt, ein Rauch aus Paeoniensamen sei für die Besessenen gut, die
Daenioniaci genannt werden und für die Fallsüchtigen, die mau
Epileptiker nennt. Für dieselben Kranken passe ferner ganz vor-
züglich ein Getränk aus den Samen, mit Rosenhonig bereitet
Fünfzehn Paeonieukörner, mit Rosenhonig getrunken, seien gut
gegen die Geister, die bei den Frauen nach Mannesweise schlafen
und den lateinischen Namen; Incubi führen. Die Samen stärken
ausserdem auch den Magen, und die Wurzel ist gut gegen die,
lateinisch Ictericia genannte, Gelbsucht, eröffnen auch die verstopfte
Leber, welche Erkrankung Oppilacio (Obstipatio) hepatis genannt
wird. Ein Wurzelstück von der Grösse eines Mandelkernes, mit
Wein gekocht und getrunken, reinigt den Menschen von seinen
Säften und führt die stinkende Ueberflüssigkeit nach aussen ab.
63. Vom Porrel.
Porrum heisst Porrei oder Lauch, ^) die erste deutsche Be-
zeichnung ist aber aus dem Lateinischen entnommen. Der Porrei
^) Allium porrum L.
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wirkt erhitzend und austrocknend, erzeugt auch die bösen Säfte im
Körper, die Galle genannt werden. Der wilde Porrei wirkt starker
«rhitzend, wie der angebaute. Er beschwert den Kopf, macht den
Schlafenden böse Träume und schädigt Zähne und Zahnfleisch.
Wenn ein Thier, Rind oder Schaf, Porrei frisst, so riecht das ganze
Fleisch danach, und die Milch einer Kuh, die Porrei gefressen hat,
behält den Geruch danach mindestens zwei Tage lang. Porrei
Bchadet dem Magen, wirkt blähend und wird im Magen nur schwer
Terdaut. Will man ihn geniessen, so muss er desshalb zweimal mit
Wasser abgekocht werden. Er wirkt harntreibend und fördernd
auf die Menstruation. Auch als Aphrodisiacum ist er wirksam, be-
sonders aber seine Samen, die gleichzeitig für Nieren und Blase
schädliche Eigenschaften besitzen.
64. Vom Portulak.
Portulaca heisst Portulak, i) Die Pflanze kriecht mit ihrem
Stengel über die Erde hin, hat dicke Blätter, etwa wie junge Haus-
wurz, und einen zähen Saft. Sie wirkt kühlend und anfeuchtend
und ist ein sehr gutes Mittel gegen Darmblutungen wie auch gegen
die Ansammlung von Feuchtigkeit im Leibe, die Galle genannt
wird. Geniesst man aber zu viel von dem Kraute,, so erzeugt es
den Staar im Auge. Es ist gut gegen üeberhitzung des Magens
und der Leber, verdirbt aber den Appetit uud benimmt die Ge-
schlechtslust. Wer aber eine hitzige und trockene Natur hat, wird
durch den Genuss der Pflanze aufgeregt. In Paris wird der
Portulak viel gegessen.
65. Vom Polei.
Polegium heisst Polei. *^) Die Pflanze ist klein, riecht dem
Ysop ähnlich und wirkt erhitzend und trocknend. Sie ist ein gutes
Futter für die Schafe und hat die Eigenschaft, aufzulösen und an
sich zu ziehen.
66. Tom Flohsamen«
Psillium heisst Flohsamenkraut ^) und seine Samen Flohsamen.
Das Kraut wirkt kühlend und anfeuchtend, wie Platearius sagt.
*) Portulaca oleracea L.
^) Teucrium poliura L. Polei-Gamander.
3) Plantage psyllium L. Flohsamen- Wegerich.
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und ist gut gegen die Austrocknung während hitziger Krankheiten.
Bei dem trockenen Husten, der von Erkrankung der edlen Organe
lierrflhrt wie auch gegen Leibeszwang soll man zur Beseitigung
des Durstes zunächst die Zunge mit einem Messer abschaben und
dann mit einem weichen Tüchelchen abreiben, in das die Samen
eingebuuden siud und das vorher in kaltes Wasser getaucht wurde.
Auch soll man zum selben Zwecke die Samen unter die Zunge
legen. Nimm Flohsamen, lege ihn einige Zeit in Wasser, gieb ihn
dann dem Kranken in frischem, kaltem Wasser zu trinken.
67. Von der Baute.
Ruta heisst. Raute. ^) Die Pflanze wirkt, nach Platearius,
erhitzend und austrocknend, und ihre Blätter und Samen sind
arzneikräftig. Pulverisirt und geschnupft wirken sie lösend, ver-
zehren die wässerige Feuchtigkeit, die Phlegma genannt wird, und
reinigen das Gehirn. Zum selben Zwecke dient auch mit Raute
abgekochter Wein und dasselbe Mittel, mit pulverisirten Paeonieu-
samen versetzt, ist heilsam gegen das fallende Leid, welches Epi-
'encia (Epilepsie) heisst. Wer in Folge zu starker Ansammlung
von Dünsten im Kopfe an Schwäche leidet, lege Raute in ein
Gefäss mit Most und gebrauche davon. Auch kann er mit Raute
gekochten Wein mit Bibergeil nehmen. Rautensaft soll eine Frau
trinken zum Hervorrufen der gewohnten Menstruation oder zur
Herausbeförderung der Nachgeburt, wenn sie von einem Kinde
entbunden ist, wie auch zur Abtreibung einer todten Frucht. Wer
durch einen Fall oder sonst woher Gliederschmerzen hat, erhitze
Raute in einem Topfe und binde sie auf die schmerzenden Stellen.
Wem ein Glied, Arm oder Bein, angeschwollen ist, nehme gut zer-
quetschte Raute, menge sie mit ungesalzener Butter, bringe diese
Salbe auf die erkrankte Stelle und lege ein in Wasser gekühltes
Tuch darüber. Die Anschwellung vergeht dann, oder aber die
innere Krankheit fährt an der betreffenden Stelle in Gestalt kleiner
Bläschen heraus, und der vorher bestandene Schmerz verschwindet.
Gegen rothe, kranke Augen verreibe man Kümmelpulver mit Rauteu-
saft, tunke etwas Baumwolle hinein und lege diese auf die Augen.
Dasselbe Mittel hilft auch gegen die gelbe Verfärbung der Augen.
Gegen Vergiftung hilft das Trinken von Rautensaft. Wird Jemand
von einem giftigen Thiere oder tollen Hunde gebissen, so lege er
^) Ruta graveolens L.
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zerriebenes Rautenkraut auf die Wunde. Raute vertreibt deu Geruch
nach Knoblauch und Zwiebel, ruft Esslust hervor, kräftigt den
Magen, ist der Milz gesund, verzehrt die unkeuschen Säfte und
benimmt den Geschlechtstrieb.
68. Vom Rettich.
Raphanus heisst Rettich,^) die Griechen dagegen nennen die
Wurzel, die wir mit dem Worte Raphanus bezeichnen, Radix.
Demokritus sagt, wenn man die Hände mit reifen Rettichsamen
abgerieben habe, könne man Schlangen anfassen und ohne Schaden
mit ihnen hantieren. Das Elfenbein wird durch Rettich gebleicht.
Rettich ist ein Gegenmittel gegen vergiftete Speisen, und w^er seine
Wurzel isst, braucht sich nicht vor Schlangen zu scheuen. Die
Griechen sagen, es gebe zwei verschiedene Arten Rettich, die indess
die gleichen Eigenschaften besässen. Die eine Art heisse Raphanus,
das ist die, welche wir hier besprechen, die andere w^erde Radix,
Wurzel, genannt. Sie heisst desshalb W^urzel, weil die Rübe gross
und lang ist, oben breit und unten spitz. Ich, der Megenberger,
denke, dass die Wurzel, die <1uch Meerrettig'-^) oder in anderen
Gegenden Kren genannt wird, lateinisch Radix heisst, und dass mit
Raphanus der wirkliche Rettig bezeichnet wird. Die Griechen da-
gegen verwechseln die beiden Namen, wne schon bemerkt wurde,
und nennen deu Rettich Radix und den Meerrettig Raphanus. Sei
dem nun, wie ihm wolle, jedenfalls wirkt der Rettich erhitzend und
anfeuchtend und erzeugt Blähungen im Leibe, wohingegen seine
Samen die Blähungen vertreiben. Ein Pflaster aus Rettich beseitigt
die Flecken von der Haut und die Male, die von Schlägen her-
rühren. Der Rettich lässt am Menschen das Ungeziefer in Menge
auftreten, was ich oben Füsslinge*^) genannt habe. Er schadet
dem Kopf, den Zähnen, dem Schhmd und den Augen. Isst man
ihn vor Tisch, so bewirkt er, dass die Speisen im Magen umher-
schwimmen und nicht zur Ruhe kommen. Nach der Mahlzeit ge-
nossen stärkt er dagegen die Verdauung und lässt die Speisen sich senken.
69. Von der Bube.
Rapa heisst Rübe.*) Die Rübe, wie auch ihr Kraut, wirken
erkältend und anfeuchtend und blähen stark, wenn man nicht durch
Die verschied CD en Abarten von Ra]>hanus sativus L., Gartenrettich.
^) V^on Armoracia rusticana Lain.
3) Vergl. III. F. IJ).
*) Die verschiedenen Arten von Brassica rapa L.
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die Zubereitung dagegen Sorge trägt. Man soll desshalb das erste
Wasser, womit sie abgekocht sind, abgiessen. Gekochte Rüben er-
weichen den Leib und erleichtern den Stuhlgang.
70. Vom Kel8.
Kisum heisst Reis.^) Es ist eine Getreideart, deren Halme,
Aehren und Blätter denen der Gerste gleichen. Der Reis wirkt
erwärmend und trocknend, letzteres jedoch in ausgesprochenerer
Weise, übertrifft aber in der erstgenannten Wirkung den Weizen.
Mit Mandelmilch gekocht nährt der Reis besser, wie sonst. Nur
mit Wasser zubereitet belästigt er den Leib etwas und vermehrt die
Feuchtigkeit oder den Samen der Unkeuschheit.
n. Vom Wald.
Sandix heisst Waid. 2) Die Pflanze hat eine rothe Wurzel
und Blätter ähnlich dem Lattich, nur schmaler und mehr zugespitzt.
Den Waid benutzen die Färber, die Tuch mit ihm färben und
nachher andere Farben zusetzen. Man findet diese Pflanze vielfach
in Thüringen, in der Nähe von Erfurt.
72. Vom GalafeneheL
Siler montanum heisst Gaisfenchel. ^) Die Pflanze hat das
Aeussere des echten Fenchels, nur dass ihre Samen grösser sind,
entspricht aber in ihren sonstigen Eigenschaften völlig dem ge-
wöhnlichen Fenchel. Sie wirkt erhitzend und trocknend. Man
erzählt, dass Ziegen und einige andere Thiere vor der Begattung
die Pflanze fressen und sofort trächtig werden. Ebenso äussert
sich auch der Arzt Alexander.
73. Vom wilden Ysop.
Saturegia heisst wilder Ysop.*) Die Blätter der Pflanze
gleichen denen des ächten Ysops, ihr Stengel ist aber kürzer, auch
stärker verästelt und die Blüten sind weissblau gefärbt. Das Kraut
wirkt erhitzend, anfeuchtend und beim Menschen als Aphrodisiacum.
^) Oryza sativa L.
3) Isatis tinctoria L.
^) Mit Siclierheit lässt sich die Pflanze nicht feststellen.
*) Satureja liortensis L., Bohnenkraut.
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74. Ton der Bergkieher.
Staphisagria heisst Bergkieher oder auch, mit Verlaub, Läuse-
kraut, und wird lateinisch auch Uva passa montana genannt. ^) Die
Kömer sind schwarz, aber kleiner, wie die der schwarzen Kicher-
erbse. Die Pflanze findet sich häufig auf dem Berge Libanon,
wirkt erhitzend und austrocknend, brennt, frisst und ist scharf auf
der Zunge, tödtet auch die Läuse. Man kaut die Samen, damit die,
Phlegma genannte, Feuchtigkeit aus dem Gehirn und von den
Zähnen wegziehe. Mit Essig getrunken beseitigen die Samen die
Zahnschmerzen und reinigen Zähne und Zahnfleisch von faulem
Blut und anderer Unreinlichkeit. Bindet man die gepulverten Samen
in ein Tuch, so sammelt sich alles am Menschen haftende Unge-
ziefer daran und geht zu Grunde.
75. Tom Steinbrech.
Saxifraga heisst Steinbrech. 2) Es ist ein kleines, gern an
sandigen Orten wachsendes Kräutchen, erhitzend und trocknend in
seiner Wirkung. In Wein genossen zertrümmert die Wurzel den
Stein in der Blase. Die Wurael ist ausserdem auch dienlich gegen
Hüftweh. Auch kann man gegen dasselbe Leiden die pulvorisirte
Wurzel mit einem weichen Ei nehmen.
76. Ton der Salbei.
Salvia heisst Salbei.') Sie wirkt erhitzend und trocknend, wie
Platearius angiebt. Die Blätter sind als Arznei brauchbar. Es
giebt wilde und zahme Salbei. Von der wilden benutzt man die
Wurzel, von der zahmen die Blätter zu Arzneizwecken. Die au-
gebaute Salbei wirkt zehrend und kräftigend; mit Wein abgekocht
ist sie gegen Paralyse und die fallende Sucht von Nutzen, die Epi-
lencia (Epilepsie) heisst. Die Kröten fressen gerne Salbei, man
kann sie aber davon fernhalten, wenn man Raute in die Nähe
pflanzt. Lateinisch führt das Kraut auch den Namen: Ambrosia deorum.
77. Ton der MäusezwiebeL
Squilla heisst Mäusezwiebel, ^) weil diese Pflanze die Mäuse
tödtet. Ihre Blätter sind wie Lilienblätter gestaltet. Eine Art
M Delphinium staphisagria L., Läuserittersporn, die Samen heissen
Stephanskömer.
') Die verschiedenen Arten von Saxifraga
^) Salvia officinalis L.
■*) Scilla maritima L., Meerzwiebel.
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Mäiisezwiebel ist ein tödüiches Gift, und Einige haben diese für
Sturmhut gehalten. Das ist aber ein Irrthura und folglich auch der
Ausdruck: Cepa raaris, Meerzwiebel, in unserem lateinischen Terte
irrthümlich gewählt. Es müsste vielmehr dort heissen: Cepa muris^
Mäusezwiebel, aus dem oben angeführten Grunde. Eine andere
Art dieser Pflanze ist unschädlich, wohlriechend, von erhitzender
und austrocknender Wirkung. Sie beseitigt den übelen Geruch
aus dem Munde, und ihr Genuss stärkt das Sehvermögen. Diese
Zwiebel ist ferner hülfreich gegen Wasser- und Gelbsucht, wirkt
diuretisch und als Emmenagogum. Bei schwangeren Weibern ruft
sie Abort hervor, so dass sie vor der Zeit entbunden werden. Ein
Zauberer hat auch gesagt, w^euu man das Kraut über der Haus-
thüre aufhinge, werde giftigen Thieren damit der Eintritt verwehrt.
78. Vom Siimgrfin.
Semper\'iva heisst Sinngrün. ^) Die Pflanze hat Blätter wie
der Buchsbaum, aber grösser und dicker und im Winter und Sommer
gleichmässig grün. Das Sinngrün wirkt abkühlend und trocknend.
79. Vom Senf.
Sinapis heisst Senf. 2) Der Senf wirkt erhitzend und aus-
trocknend, zertlieilt die zähen, lateinisch Phlegma genannten, Säfte,
und vor seinem Geruch flieht alles giftige Ungeziefer. Der Senf
kommt wild und angebaut vor, der wilde erzeugt aber böse Säfte
im Leibe. Der angebaute Senf ist zu vielen Dingen nützlich.
Seine Blätter und Wurzeln geben ein gutes Essen. Der Senfsamen
reinigt die Gesichtsfarbe und zeigt an, ob Jemand faules Blut in
sich hat. Ein Senfpflaster entfernt den Ohrenfluss und andere Cn-
reinlichkeit. Es wird auch behauptet, nüchtern genommener Senf
kläre die Vernunft und reinige das Gehirn, sei aber der Brust
nachtheilig. Er wirkt auch als Aphrodisiacum.
80. Vom Leinsamen.
Semen lini heisst Leinsamen.*^) Er hält in seiner Wirkung
die Mitte zwischea feuchtend uiul trocknend, reinigt, zeitigt und
zertheilt Geschwülste und stillt die Schmerzen, wenn auch nicht so
Vinca minor L., Immergrün.
2) Vergl. Nr. 3j.
3) Linum usitatissimum L., Lein, Flachs.
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gut, wie die Kamille. Innere und äussere Geschwüre erweicht und
lindert^ er, verhütet Krämpfe und das Kunzligwerden der Finger-
nägel, wenn man ihn mit Wasser und Honig zubereitet. Für den
Magen^ ist er aber schädlich.
81. Tom Strolehenkraat.
Tapsia heisst Strolchenkraut. ^) Sein Oenuss erzeugt einen
Ausschlag im Gesichte, der dem Aussatz gleicht. Man beseitigt
ihn durch Reiben des Gesichtes mit einem in Essig getauchten
Tuche oder durch Einreiben mit Sinngrünsaft oder der Salbe, die
Populeum heisst und vorher, bei der Besprechung des Pappelbaumes,
erwähnt wurde. Die Strolche essen die Wurzel des Krautes und
legen sich dann, mit dem Ausschlag behaftet, an die Strassen.
82. Von der Xessel.
Urtica heisst Nessel.*-^) Es giebt drei verschiedene Arten.
Die eine heisst taube Nessel, weil sie nicht brennt und doch wie
eine Nessel aussieht.^) Die zweite Art wird griechische Nessel ge-
nannt, sie ist kleiner und brennt stärker, wie die gewöhnliche
Nessel. Die dritte ist die gemeine Nessel. Die Nessel wirkt er-
hitzend und trocknend, der Samen weniger stark erhitzend. Sie
zertheilt die Abscesse und ist gut und heilsam dagegen. Ein
Pflaster aus Nesselsamen und Nesselasche hilft gegen Feigwarzeu
und die Geschwüre, die nach Hundsbiss auftreten, besonders, wenn
das Pflaster einen Zusatz von Salz erhalten hat. Die zerquetschten
Blätter sind dienlich gegen das Nasenbluten. Die Samen wirken
kräftig gegen die Verstopfung der Nasenlöcher und anderer Aus-
gänge, und eine aus ihnen bereitete Salbe erleichtert das Ausziehen
der Zähne. Gerstenwasser mit Nesselblättern gekocht reinigt die
Brust und wirft die zähen Flüssigkeiten heraus. Die Nesseln,
namentlich aber ihr Samen, mit Wein genossen, erregen die Ge-
schlechtslust und eröffnen den Mutternmnd, so dass leichter
Conception eintritt. Ebenso wirkt die Pflanze, wenn sie von einer
Frau mit Zwiebel und Eiern verspeist wird. Ein Sitzbad mit
Nesseln und Raute wirkt fördernd auf die Menstruation und er-
öffnend auf den Muttermund. Frische Nesselblätter, nach Art eines
^) Thapsia Asclepium L., schmalblättriges ßöskraut, im Altertlmiu
gegen bösartige Gescliwüre benutzt
^) Urtica dioica und U. urens L.
3) Die Lamium-Taubnessel-Arten.
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Pflasters aufgelegt, bringen einen Muttervorfall wieder zurück. Die
ausgekernten Samen, mit Wein genossen, oder auch das Kraut für
jsich wirken lösend auf den Darm und reinigen denselben.
83. Tom Eisenkraut.
Yerbena heisst Eisenkraut. Es hat kleine Blätter, einen
harten Stengel, wächst gerne an dürren Stellen und kommt in
•zweierlei Arten vor. Die eine Art blüht gelb, die andere blau,
wie der Flachs.^) Die Pflanze besitzt erhitzende und trocknende
Eigenschaften. Sie wird von den Zauberern vielfach benutzt. Das
wissen Die, welche in ihren Netzen gewesen sind, recht gut. Was
es aber hiermit eigentlich für Bewandniss hat, soll der Gassen-
Springer nicht erfahren. Man hat mir das Kind gestohlen, ehe es
recht geboren war, desshalb muss ich ihm die Kleider um so kürzer
zuschneiden. Mit Eisenkraut gekochter Wein erfreut das Herz,
und wenn man mit ihm gurgelt, entfernt man die Fäulniss und
Unreinlichkeit aus Mund und Hals.
84. Von der Wlcko.
Vicia heisst Wicke. 2) Kraut und Samen dienen als Pferde-
futter, haben jedoch für die Pferde wenig Nährwerth, weil die
AVicke kalter und windiger Art ist. Die Bauern sagen, wenn man
die Wicken grün abschneide und die frischen Stoppeln umackere
und verfaulen lasse, so erhalte man für das Land eine ganz vorzügliche
Düngung. Lässt man dagegen die Stoppeln vorher vertrocknen, so
dörren sie den Ackerboden aus, auch wenn man sie in ihm ver-
rotten lässt, und machen das Feld unfruchtbar. So sollen auch wir
uns umackern mit guten Werken, so lange wir noch frisch und
jung ßind. Denn wenn wir vom Alter dürr werden, so verdorrt
auch in uns der Boden zu jeder guten That, und wir können dann
weder Gott dienen noch der Welt.
85. Vom Veilchen.
Viola heisst Veilchen.«^) Blätter, Blumen und Samen der Pflanze
haben fast übereinstimmende Eigenschaften, und wirken sämmtlich
erkältend und anfeuchtend. Wenn Einige dagegen behaupten, sie
^) Verbena offtcinalis L. blülit blau, das gleichfalls Eisenkraut ge-
nannte Sisymbrium officinale Scop. gelb.
^ Die verschiedenen Arten von Vicia satica L. und andere.
3) Viola odorata L.
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wirkten erwärmend, so ist das ein Irrthum. Das Veilchen behält
seine Kraft zwei Jahre lang, ist aber im frischen und gi*üuen Zu-
stande tauglicher. Veilchensyrup wird folgendermassen bereitet;
Siede Veilchen mit Wasser, seihe das Ganze durch ein Tuch und
füge Zucker hinzu bis zur Syrupdicke. Besser wäre es, wenn man
den Syrup aus dem Saft der' frischen Veilchen bereitete. Veilchen-
syrup wirkt in hitzigen Fiebern lösend und reinigend auf den Darm.
Veilchenöl wird so dargestellt: Man siedet Veilchen in Oel, presst
aus, und das fertige Präparat heisst dann Veilchenöl. Wer an
Kopfschmerzen durch Erhitzung leidet, salbe Stirn und Schläfen an
den Ohren mit dem Oele. Die Veilchen haben die Eigenschaft,,
kühlend und anfeuchtend zu wirken, zu besänftigen und den Stuhl-
gang zu befördern. Waschungen der Püsse und Stirne mit Wasser,
in dem Veilchen gekocht sind, bringen den Kranken Schlaf in
hitzigen Krankheiten, wie den Fiebern und ähnlichen Leiden.
86. Vom Ingwer,
Zingiber heisst Ingwer. ^) Er wächst im Lande Lidien und DaSy
was wir Ingwer nennen, an der Wurzel der Pflanze. Es giebt zwei
Arten Ingwer. Die eine wächst wild, ist männlicher Art und auf
der Zunge schärfer, wie die angebaute. Die andere Art wird
kultivirt, ist weiblichen Charakters, weicher und heller gefärbt, wie
der wilde Ingwer und auch von besserer Qualität. Ingwer ist gut
gegen beginnende Erkältung der Brust und gegen Kälte des Magens,
befördert dessen Entleerung und verzehrt die überflüssige Feuchtigkeit
im Leibe. Für alle diese Leiden passt der Ingwer, wenn man ihn
mit Wein abkocht oder kaut und isst. Pulverisirter Ingwer, in
Augen tropfen angewandt, macht die Augen hell. Eine aus ihm
bereitete Latwerge, Diazingiber genannt, ist für die genannten
Zwecke wirksamer, wie der Ingwer für sich allein.
87. Vom Zlttwer.
Zeduarium oder Zeduara heisst Zittwer.^) Diese Pflanze
wächst in den Ländern des Orients. An ihrer Wurzel wächst DaSy
was wir Zittwer nennen. Der beste Zittwer ist gelblich, auf der
Zunge scharf und bitter schmeckend. Er ist gut gegen Blähungen
im Leibe, gegen Darmgicht und einige stechende Schmerzen. Der
Zingiber officinale Roxb.
^) Curcnma zedoaria L.
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aus seinem Pulver bereitete Saft ist gut gegeu die Ohnmacht und
Schwindelanfalle, die lateinisch Synkope genannt werden, und erregt
Esslust.
88. Vom Zacker.
Zuccara heisst Zucker. Platearius giebt an, er wirke er-
wärmend und anfeuchtend. Der weisse Zucker ist aber besser und
mehr zu empfehlen, wie der gelb gefärbte und kühlt auch mehr.
Er ist gut gegen Brustschmerzen, hilft auch gegen den Durst und
macht die dürren Brüste wieder saftreich. Wer an Kopfweh aus
erhitzenden Ursachen oder Stuhlzwang leidet, nehme Zucker in mit
Veilchen gekochtem Wasser und trinke es.
89. Tom TaumcUolch.
Zizania heisst Taumellolch, ^) lateinisch auch Lolium und in
einigen Gegenden Unkraut. Er wächst im Korn, trocknet aber
Weizen und Roggen aus und entzieht ihnen die Nahrung, so wie
der Mohn den Hafer und der Kohl die Weinstöcke verdorren lässt
Der Oenuss der Samen dieser Pflanze erzeugt Trunkenheit und Be-
sinnungslosigkeit.
Damit haben die Kräuter ein Ende.
^) Lolium temulentura L.
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VI.
Yon den Edelsteinen im Allgemeinen.
In diesem sechsten Kapitel unseres Buches wollen wir von
den Edelsteinen sprechen, wie sie gefärbt sind, welche Eigenschaften
sie besitzen, und wie man ihre Kräfte verstärken kann. Wir wollen
mit dem Stein anfangen der im Lateinischen mit einem A beginnt,
dann die mit B beginnenden folgen lassen und so das ganze ABC
mit Edelsteinen durchgehen. Zunächst indessen w^ollen wir sie im
Allgemeinen behandeln, wie wir das bisher immer gehalten haben.
Es ist eine Frage, wie die Edelsteine in den Adern der Erde
entstehen. Die Antwort darauf erhalten wir aus den Schriften der
Naturforscher. In ihnen finden wir angegeben, dass die Steine in
der Erde sich bilden aus dem irdischen Dunst und der Feuchtigkeit,
die in den Adern imd Höhlungen der Erde eingeschlossen ist. In
diesen Dünsten und der Feuchtigkeit haben wir nemlich eine Mischung
der vier Elemente: Feuer, Luft, Wasser und Erde in wechselnden
Verhältnissen, und je nach der verschiedenen Art dieser Mischung
ist auch die Natur der Steine eine verschiedene. Nun behauptet
unser lateinischer Text, die Steine erhielten ihre Gestaltung in der
Erde je nach der Beschaffenheit der Oertlichkeit, in der sie werden
und sich vergrössern, und spricht die Meinung aus, dass, wenn die
Umgebung einfach gestaltet sei, auch die Steine eine einfache Form
erhielten, wogegen sie eckig wnlrden, wenn ihre Umgebung derartig
beschaffen sei. Aber, mit Verlaub zu sagen, das kann nicht richtig
sein. Man findet doch viele edele Steine, die menschliche, thierische
oder Vogelgestalt aufweisen, trotzdem die Stellen, an denen man sie
findet, dazu gar keine Veranlassung geben können. Auch findet
man kleine, rundliche Steine an geräumigen und eckigen Orten und
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umgekehrt eckige Steine an einfach gestalteten Lagerstätten. Dess-
halb sage ich, der Megenberger: Form und Gestalt der Steine ist
abhängig von besonderen Kräften der Gestirne, die im Stande sind,,
die Form und das Verhältniss zwischen der Feuchtigkeit und den
Dünsten zu beeinflussen. Denn Form und Gestaltung aller, aus^
den vier Elementen hervorgehenden Dinge wie auch die Elemente
selbst unterstehen dem vom Himmel ausgehenden Einflüsse. Ebenso
äussert sich auch Aristoteles im zweiten Buche von der Entstehung
und dem Untergang der Elemente, das den lateinischen Titel führt:
De generatione et corruptione. ^)
Die Färbung der Steine, weiss, schwarz, grün, roth, violett
und so fort, entsteht durch den Einfluss der Gestirne auf das
wechselnde Mischungsverhältniss zwischen Dünsten und Feuchtigkeit,
Enthält die Feuchtigkeit viel irdische Substanzen, so wird der Stein
schwarz oder dunkel, ist sie wasserreich, so wird der Stein farblos,.
Ueberwiegen der Luft lässt die Färbung gelblich oder bleich werden^
Vorwalten des Feuers macht sie roth. So wechselt also die Farbe
der Steine ebenso, wie das Verhältniss der vier Elemente in der
Feuchtigkeit wechselt, aus der die Steine entstehen. Darum sind
auch die Steine kostbarer und wirksamer, die aus den Ländern
herkommen, in denen die vier Elemente reiner und weniger vöu
fremdartiger Substanz durchsetzt sind, wie z. B. die ans dem Orient,,
das heisst aus den gegen Sonnenaufgang gelegeneu Ländern
stammenden Steine und die, welche nach einigen Angabeu mit den
vier Flüssen aus dem Paradise herausgeführt werden.
Eine Frage von grosser Wichtigkeit ist die: Woher und auf
welche Weise kommen die Steine zu der grossen Kraft und wunder-
baren Wirksamkeit, die sie der menschlichen Gesundheit und anderen
Dingen gegenüber äussern ? In unserem lateinischen Texte heisst es,,
menschlicher Vernunft sei nicht erkennbar, woher die Steine ihre
Eigenkräfte haben, wenn sie ihnen nicht von Gott gegeben sind.
Denn Aristoteles sagt in dem Buche von den übernatürlichen
Dingen, lateinisch Liber Metaphysicae genannt, dass alle Kräfte von
Gott kommen. Die Kräfte indessen, die wir in den Kräutern,.
Bäumen und Früchten finden, sind von Gott in mittelbarer Weise,,
mit Hülfe einer zwischenwirkenden Energie in sie gelegt, Gott
lässt nemlich in den genannten Gegenständen die Kräfte mit Hilfe
Die sechs, unter diesem Titel geschriebenen Bücher sind voa
Albertus Magnus, nicht von Aristoteles verfasst.
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der Einflüsse der Natur sieh entwickeln also z. B. in den Kräutern
mit Hülfe der Wärme, der Kälte, der Feuchtigkeit oder der Trocken-
heit, um sie für eine bestimmte Arznei brauchbar werden zu lassen.
An den Steinen dagegen ist von diesen Momenten Nichts zu nennen,
zu demonstriren oder nachzuweisen. Die Kraft des Steines ist
lediglich durch Kälte oder Wärme bedingt und hieraus folgt, dass
Gott den Steinen ihre Kräfte ohne zwischenwirkende Energie ver-
liehen hat, lediglich aus seiner Allmacht heraus, wie unser lateinischer
Text sagt. An Stelle des Wirkens der Naturkräfte hat er sie be-
gnadigt aus seinem göttlichen Wollen heraus, denn man findet an
den Gesteinen ausser dem segenbringenden Einflüsse auf die mensch-
liche Gesundheit noch andere wunderbare und bedeutende Kräfte.
Der Magnetstein und der Adamas z. B. ziehen das Eisen an, und
der Adamas zeigt den Schiffern auf der See den Polarstern am
Himmel, wie wir noch sehen werden. Der Ostolan macht den
Menschen unsichtbar, und der Karfunkel leuchtet in der Nacht,
Ebenso besitzen noch viele andere Steine wunderbare Eigenschaften,
wie uns das vorliegende Werk bezeugt. Der letzte Grund alle
»lieser Wunder ist der göttliche Wille mit seiner AUmjicht, den die
heilige Schrift den Wunderthäter in den menschlichen Angelegen-
heiten nennt. Die hier mitgetheilte Anschauung unseres Urtextes
kann indessen nicht als richtig angesehen werden, und es ist eine
kindliche Auffassung, zu denken, dass Gott den Steinen ihre Kräfte
ohne Beihülfe der natürlichen Einflüsse verliehen habe, bei den
Bäumen und Kräutern dagegen anders verfahren sei, weil die
Kräuter mit Hülfe der Kälte und Wärme wirken und die Steine
auffallende Fähigkeiten besitzen, die man nicht auf die Elemente
zurückführen kann. Das ist eine sehr einfältige Denkweise, weil
auch die Steine kühlende und anfeuchtende Wirkungen von den
elementaren Kräften her besitzen, aus denen ihre Eigenart hervor-
gegangen ist, und das Herz und andere menschliche Organe stärken,
wenn man sie zerstossen mit den Speisen oder in Arzneiform geniesst.
Wir sehen das zum Beispiel bei der Latwerge, die Diamargariton
heisst und zerstosseue Perlen und gepulvertes Gold enthält. Weiter
sage ich, dass die Kräuter ebenso wunderbare Eigenschaften be-
sitzen, wie die Steine, wie zum Beispiel das Eisenkraut, das Liebe
zwischen zwei Menschen erweckt, das Baunihächelkraut, welches
Schlösser aufthut und die Betonie, die weissagende Kräfte verleiht.
Desshalb sage ich, der Megenberger: Ich bezweifele, dass der
Schulz, Koorad vod Megenberg's Buch der Nutur. 24
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lateinische Text von Albertus geschrieben ist, weil er sich in
anderen Schriften ganz abweichend über die (Jegenstände äussert,
die unser Text behandelt. Vielleicht lässt sich die Annahme auf-
stellen, dass es sich um eine Jugendarbeit des Albertus handelt,
die er verfasst hat, bevor er eigene Ansichten haben und aussprechen
konnte. Das Werk, das ich hier aus dem lateinischen Worriaut
in's Deutsche übertragen habe, ist eine Zusammenstellung der An-
schauungen alter txelehrter, wie der Verfasser am Ende des Werkes
selbst zugiebt. Meine Ansicht ist also die: Gott verlieh den Steinen
ihre Kräfte nach den üesetzen der Natur unter Benutzung der
zwischenwirkenden Einflüsse der (jestirne des Himmels, grade so,
wie es bei den Pflanzen auch der Fall ist.
Es ist zu beachten, dass durch die Kräuter die Geister, welche
dem Menschen günstig sind, gewissermassen angelockt werden, so dass
sie unter dem Einflüsse von Produkten der Natur bei den Menschen
verweilen. Hierüber spricht der heilige Augustinus im Buche
vom Gottesstaate, im fünften Kapitel. Er sagt dort, die Kräfte der
Geister würden dem Menschen zu eigen und an ihn gefesselt durch
mancherlei Steine, Kräuter, Holz, Thiere wie auch durch ver-
schiedene Dichtungen und Worte. Ebenso liest man auch, dass
Salomo einen King besessen habe, in welchem mit Hülfe von Edel-
steinen Geister eingeschlossen waren. Es wird auch berichtet, dass
der arabische König Evax dem Kaiser Nero die Namen und Farben
der Edelsteine aufgeschrieben habe, und dass man aus dieser Schrift
gebundene Rede, was wir Verse nennen, gefertigt habe. Diese
Verse sind Wälz- oder Kehrreime, weil man die Worte hin und
her wälzen und kehren muss, ehe man sie kunstgerecht bemessen
kann. Sinn und Meinung dieser Verse berücksichtigt unser Text
besonders bei den edelen Steinen und verbindet damit die Lehren
der alten Meister. Am Schlüsse des Abschnittes über die Steine
bringt das Buch die Ideen der ältesten Gelehrten über die Steine,
auf denen Thiergestalten eingegraben oder in erhabener Form in
wechselnder Gestaltung sichtbar sind. Indess bestätigt das Buch
weder durchgehend die Anschauungen der genannten Autoren noch
auch verwirft es dieselben völlig und folgt damit dem heiligen
Lehrer Sankt Augustinus.
Es wird auch gesagt, die Israeliten, das sind die gläubigen
Juden, hätten vor Zeiten in der Wüste allerlei Formen und Ge-
stalten in edele Steine, besonders in Karneole, geschnitten und in
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dem Steinschneiden eine solche Geschicklichkeit besessen, dass
Niemand aas ihrer Nachkommenschaft ihnen habe gleich kommen
können. Es unterliegt auch keinem Zweifel, dass man Bilder und
andere Gestalten in die Steine schneidet, die den bestimmten
Kräften derselben entsprechen. Wenn es nun richtig ist, dass die
Kinder Israels mannigfache Gestalten in allerlei Geramen und Edel-
steine geschnitten haben, so ist es auch zweifellos, dass sie es '
nicht gethan haben ohne Beziehung auf die verschiedenen Kräfte,
die die Steine dadurch erhalten, und dass sie ihrer Arbeit den Sinn
zu Grunde legten, der ihnen vom heiligen Geiste zu dem Ende be-
sonders gelehrt wurde. Der eine dieser Künstler hiess Beseleel, der
andere Ooliab,^) beide waren vom heiligen Geist besonders in alle
dem unterrichtet, was zur Kunst gehört, Edelsteine zu schneiden,
zu polireu und zierlich herzurichten. Sie schnitten und bereiteten
die edelen Steine für das Tempelgewand, welches Aaron beim
Gottesdienste am Altar trug. Nach Gottes Gebot brachten sie an
dem Gewände zwölf ausgesuchte Steine an und schnitten die Namen
der Kinder Israels hinein. Desshalb ist das Steinschneiden nicht
so ohne Grund. Allerdings glaube ich damit nicht, dass jegliche,
in einen Stein geschnittene Figur auch gleich eine Kraft oder Tugend
desselben bedeute. Das ist dasjenige, was über die Steine im Allge-
meinen zu sagen ist.
1. Vom Amethyst.
Amethystus ist einer der eben erwähnten, kostbaren und aus-
erwählten Steine. Er ist violett oder purpurfarben, letztere Art
ist die beste. Einige Amethyste sind auch gefärbt wie rother Wein
oder Wasser, das durch rothe Erde geflossen ist, und diese lassen
sich leichter schneiden, wie die anderen Arten. Dieser Stein wirkt
der Trunkenheit entgegen, macht den Menschen wachsam, ver-
scheucht die bösen Gedanken und bringt klaren Verstand. Der
Stein wäre noch geschätzter, wenn er weniger häufig vorkäme,
man findet ihn aber sehr oft im Mohrenlande Aethiopien und in
Indien. Auch in Deutschland trifft man ihn hier und da, er ist
aber nicht viel werth und dunkel.
Mit diesem Steine habe ich unsere liebe Frau in einem Lob-
gesange verglichen, der mit den Worten beginnt: Ave virgo praegnans
prole!» Sie ist ja auch mild und sanft in ihrer Gnade, wie der Stein
^) 2. Mose 31, V. 2— 0. Luther nennt die beiden: Bezaleel und Ahaliab.
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in seiner Wirkung. Sieh' doch, ob ein Sünder leidet, der ihren Namea
ehrt! Wer die Gerte schont, hasst das Kind. Ihre zarte Milde-
habe ich in meinen Sünden eingeschlossen in meine letzte Hoffnung,
3. Vom Achat.
Achates gehört auch zu den auserwählten Steinen, aber nicht
unter die zwölfe, die Johannes in der Apokalyse gesehen hat^)
Man findet diesen Stein im Orient im Wasser Achates, er ist
schwarz, mit weissen Aederchen (hirchzogen. Der Stein soll auch
gar schöne, ihm anerschaifene Zeichnungen zw^ischeu den Aderu
haben, deren Färbung mit der des ganzen Steines übereinstimmt.
Der Achat wirkt giftwidrig, löscht den Durst, stärkt die Augen und
macht den, der ihn trägt, kräftig, fruchtbar und angenehm vor
den Menschen. In alten Schriften steht, der König Porus habe-
einen solchen Stein am Finger getragen, so schön, dass neun
Saitenspiele oder Musikinstrumente in ihn eingeschnitten waren und
in der Mitte der Abgott Apollo mit einer Harfe in der Hand.
3. Vom Diamant.
Adamas ist ein Edelstein, der in zweierlei Ali; vorkommt^
Die eine findet man an der Grenze von Indien unter anderen, dort
häufigen Kristallen. In seiner Farbe gleicht er auch den Kristallen^
nur dass er einen Glanz besitzt wie frisch gefeiltes Eisen. Der
Diamant ist sehr hart und kann weder durch Eisen noch durch
Feuer zerbrochen werden. Man zerkleinert ihn aber mit noch
warmem, frisch entleertem Bocksblut. Mit seinen spitzen Splittern
schneidet man andere, besonders harte Edelsteine. Ein solcher
Diamant wird nicht grösser, wie eine Haselnuss. Es heisst, er
bringe dem Menschen, der ihn von einem Freunde geschenkt er-
hält, Gnade, sei aber für den nutzlos, der ihn kaufe. Die Juweliere
sagen, seine Kraft werde wesentlich vermehrt, wenn man ihn in
Eisen fasse, falls man ihn in einen Ring setzen wolle. Der Ring
selbst soll aber, dem Werthe des Steines entsprechend, von Gold
sein. Die zweite Art des Diamanten ist viel minderwerthiger und
geringer, \vie die erst beschriebene.'-^) Man findet sie in Arabien,,
in den Ländern am cyprischen Meere und bei Ferrara. Der Stein
ist dunkelfarbig, wie Eisen, und übertrifft den erstgenannten in der
') Offenb. Johannis 'il. V. 11) u. 20.
2) Offenbar ist Magneteisen gemeint.
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<jrösse. Dieser Diamant lässt sieh ohne Hülfe von Bocksblut zer-
kleinern. Er besitzt die Fähigkeit, das Eisen anzuziehen, wie der
Magnetstein, aber der Diamant entzieht dem Magnetstein das Eisen,
wenn er gegenwärtig ist. Er zeigt auch die Stellung des Polar-
sterns an. Wenn die Schiffer auf dem Meere vor Nebel nicht er-
kennen können, wie sie das I^and erreichen sollen, so nehmen sie
«ine Nadel, reiben ihre Spitze an dem Diamanten und stecken sie
quer durch ein Rohrstückchen oder einen Holzspahn, bringen sie in
-ein, mit Wasser gefülltes Becken oder Schale und einer führt dann
mit der Hand den Diamanten auswendig um das Geföss herum, in
dem sich die Nadel befindet. Die Nadelspitze folgt im Inneren
dieser Bewegung und beschreibt also in dem Gefässe auch einen
Kreis. Dies wird einige Zeit fortgesetzt, dann aber zieht der, der
den Stein umherführt, diesen plötzlich weg und versteckt ihn. Hat
nun die Nadelspitze so ihren Führer verloren, so wendet sie sich
sofort gegen den Polarstern hin, steht fest und bewegt sich nicht
mehr. Danach ricliten sich dann die Fischer, denn der Stern steht
Am Himmel im Norden, wo der Wagen sich befindet, dem Süden
oder der Mittagsgegend gegenüber. Das ist so zu verstehen, dass
sich die Schiffer an die Richtungen halten, die durch das Kreuz
gegeben sind, das die ganze Welt umfasst hat: Osten, Westen, Süden
und Norden. Wissen sie nun, wo Norden ist, so richten sie sich
danach. Es heisst auch, der Stein sei zum Zaubern nütze. Wer
ihn trägt, den soll er gegen seineu Feind stark machen, üppige
Träume vertreiben und Gifte anzeigen und verscheuchen. Man
sagt, er schwitze, wenn Gift in seiner Nähe sich befinde. Für die
Mondsüchtigen, deren Sinne durch die Mondphasen beeinflusst werden,
ist er heilsam, ebenso auch für die vom Teufel Besessenen. Der
Stein will an der linken Hand getragen werden.
4. Vom Abeston.
Abeston^) ist ein, im Lande Arkadien vorkommender Stein,
wie Eisen gefärbt. Hat man diesen Stein einmal angezündet, so
ist er nicht mehr zu löschen, sondern brennt immer weiter. Isidorus
hat über ihn berichtet. Aus diesem Mineral verfertigt man für
Laternen oder Leuchten eine künstliche Vorrichtung, die unausgesetzt
breunt und weder durch Sturm noch Regen zum Verlöschen ge-
bracht wird.
*) Asbest, das jrriecliische ..asljestos" heisst unauslöschlich.
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5. Vom Amantes.
Amantes^) ist ein Edelstein, der in den Ländern des Orients
«gefunden wird nnd wie weisse Kreide aussieht. Bearbeitet man
ein seidenes Gewand damit, so schallet diesem das Feuer nicht, es
wird viehnehr so weiss und schön, als ob es mit Wasser gereinigt
worden sei. Dieser Stein wirkt gegen Gifte und Zauberei.
6. Vom Alleeton
Der Stein AUectorius hat die Grösse einer Bohne und die
Färbung emes Kristalles, nur etwas dunkler. Dieser Stein entsteht
im Magen eines im dritten Jahre kappaunten Hahnes, wenn man
ihn nachdem noch G Jahre lebeu lässt. Im Munde getragen wirkt
der Stein durstlöschend. Er macht den Menschen siegreich, bringt
Frieden, stellt die verlorene Ehre wieder her und macht deu
Menschen beredt und allen anderen Leuten angenehm. Besonders
aber macht er die Frauen ihren Männern lieb, und daher heisst er
auch im Lateinischen AUectorius, das heisst: ein Anlocker. '^) Um
aber seine sämmtlichen Fähigkeiten am Menschen entwickeln zu
können, muss der Stein im Munde getragen werden.
7. Vom Absint.
Absyntus ist eiu schwarzer, weiss geäderter Stein. •^) Er hat die
Eigenschaft, am Feuer erhitzt, die Wärme sieben Tage lang zu
lialten.
8. Vom Alabander.
Alabandra ist ein sehr schöner Edelstein, dem Granatsteine
gleich in der Farbe, nur lebhafter roth, etwa dem Rubin ähnlich.'*)
Eine Abart dieses Steines gleicht in der Farbe dem Sarder, er ist
dunkler oder weniger ausgesprochen roth, so wie rothe Erde. Man
findet ihn in der ilritten Provinz des bewohnbaren Erdtheils, der
Asien genannt wird, im Lande Alabandra, und daher hat der Stein
seinen Xameu. Er ruft Bhitflüsse hervor und steigert sie, wenn sie
schon vorhanden sind.
Amiant ist gleichfalls Asbest, Bergflachs. Aus ihm vertertigte Ge-
webe sind unverbrennbar.
2) Diese Deutung ist irrthünilich, das AVoii; A. kommt vom griecliischen
..Alektor'*, Haushahn.
3) Ein Achat?
*) Almandin, eine Granat Art?
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9. Vom Almaudin.
Amandiniis^) ist ein bunter, niannigfarbiger Stein, der in vielen
Farben spielt. Er zerstört jedes Gift, verleiht dem Menschen Sieg
gegen alle Feinde und die Gabe, Träume gut auslegen und deuten
zu können.
10. Vom Andromaut
Andromanda, oder, wie er auch genannt wird, Androdragma,
ist ein silberfarbiger Stein von grosser, der des Diamanten nahe-
kommender Härte. 31an findet ihn im rothen Meere. Er benimmt
<lea Jähzorn und vertreibt die Unkeuschheit.
!!• Vom Beryll.
Berillus ist einer der zwölf Steine. Seine Farbe ist blass,
dem Meerwasser gleich. Die geschätztesten Beiylle gleichen in der
Farbe reinem Baumöl und sind im luneren frei von feinen, haarähu-
lichen Streifen. Wenn der Beryll sechseckig ist, zeigt er im Sonnen-
lichte alle Farben des Regenbogens. Ist er aber rund wie ein Apfel
und lässt man auf ihn in angefeuchtetem Zustande die Sonne scheinen^
so entzündet er erloschene Kohlen, schwarzes, wollenes Tuch oder
dürren Baumzunder. Es heisst, der Stein helfe gegen die Hals-
krankheit, welche Squinancia (Halsentzündung, Anghia) genannt
wird. Die Drüsen, die durch böse Säfte am Halse hervorgerufen
werden, vertreibt er, wenn man sie mit dem Steine reibt, besonders
im Anfangsstadium ihrer Entwicklung. Er vermag auch die Liebe
zwischen Eheleuten wieder zu erwecken und verleiht dem, der ihn
trägt, hohes Ansehen. Auch für Augenkrankheiten ist er von Nutzen.
Trinkt ein Kranker das Wasser, mit dem ein Beryll gewaschen ist,
so wird das Aufstossen (hidurch vertrieben wie auch das vom Herzen
kommende Asthma und die Schmerzen der Leber. Es giebt ver-
schiedene Arten dieses Steines, einige sind kristallhell, und diese
kommen aus Indien.
13. Vom Kröteustelii.
Borax ist ein Kröten stein.-) Ihn trägt eine bestimmte Kröten-
art im Kopfe und der Stein selbst kommt in dopi)elter Art vor.
Die eine ist weiss, die wirksamste und selten. Die andere Art ist
M Vergl. die AmiRM-kun?? bei s. Auch eine Spinellart fl\hrt den
Xamen Almaudin.
2) Vergl. lil. F. 4.
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dunkel gefärbt, etwas gelblich. Unter den dunkelen Steinen ist die
in's Gelbliche spielende die bessere Sorte. Nimmt man den Stein
aus einer lebendigen, noch zappelnden Kröte, so kann mau ein
kleines Auge au ihm wahrnehmen. Entnimmt man ihn dagegen
einer schon längere Zeit todten Kröte, so hat das Gift derselben
das Aeugelchen bereits zerstört und den Stein verschlechtert. Ver-
schluckt man den ganzen Stein beim Essen, so durchgeht er das
gesammte Eingeweide und reinigt es von aller schädlichen Un-
sauberkeit. Nachdem er so den Menschen innerlich geheilt hat, geht
er unten wieder ab. Diese Eigenschaft besitzt nur der weisse Kröten-
stein, den die Italiener Crapadina nennen. Es heisst auch, dass
dieser Stein gegen Vergiftungen wirke.
13. Vom Karfunkel.
Carbunculus ist der edelste aller Steine und vereinigt in sich
alle Kräfte der anderen Steine. Er ist so hell, dass er durch seinen
Glanz ein schwaches Auge blendet, die Gedanken des Menschen
aber erweitert er. Seine Farbe gleicht der des Feuers, indessen
scheint er Nachts mehr, wie am Tage. Bei Tage ist er dunkel, in
der Nacht dagegen leuchtet er so stark, dass er in seiner Nähe die
Nacht zum Tage macht. Griechisch heisst der Stein Anthrax. Er
wächst in Lybien und kommt in drei Arten vor. Die erste, Kar-
funkel genannt, ist die kostbarste. Die zweite Art heisst Rubin,
ist auch feuerfarbig aber nicht so leuchtend, wie der Karfunkel
und vertreibt auch nicht die Dunkelheit der Nacht. Auch in seineu
inneren Kräften gleicht er dem Karfunkel nicht, übertrifft jedoch
andere Steine in Kraft und Färbung. Die dritte Art ist in Wirkung
und Farbe die minderwerthigste und wird Balastus^) genannt. Man
schätzt sie aber doch höher, wie den Saphir und den Jaspis.
Diesem Steine habe ich die Weisheit unserer lieben Frau ver-
glichen, mit der sie die göttliche Dreifaltigkeit und das götthche
Wesen durchschaut. Ein solcher Vergleich birgt aller Vergleiche
Vorzüge in sich, denn in Gott erkennt man alle Dinge aus Gott.
Mit dem Beryll dagegen habe ich unserer lieben Frauen Verstand
verglichen, mit dessen Hülfe sie die Wahl hatte, das Gute zu thun
und das Böse zu vermeiden. Weisheit und Klugheit sind verschieden,
denn Weisheit ist eigentlich nur die Fähigkeit, göttliche und über-
natürliche Dinge ermessen zu können und deckt sich mit dem
^) Balas-Rubiu, l)lassroth, fast durchsichtig.
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lateinischen Worte Sapientia. Klugheit dagegen ist die Gabe der
Umsieht in den menschliehen Werken, das Eine zu thun und das
Andere zu lassen und entspricht dem lateinischen Worte Prudentia.
Anknüpfend an diese zwei Steine Hesse sich eine gute Predigt über
unsere liebe Frau halten.
14. Vom Cbalcedoii.
Calcedonius ist einer der zwölf Steine, die Johannes sah. Er
hat eine mehr* stumpfe, fettähnlich bleiche Farbe, die zwischen der
des Hyacinth und des Beryll die Mitte hält. Hängt man den ge-
schnittenen Stein um den Hals oder trägt ihn am Finger, so ver-
leiht er Sieg im Kriege und sänftigt des Fiebers Hitze. Es giebt
von diesem Stein drei Arten. Die eine hat einen bleichen Glanz
und scheint im Licht mehr, wie im Hause. Wird ein solcher Stein
durch die Sonne oder vou der Hand erwärmt, so zieht er kleine
Hähnchen an und lässt sich schlecht bearbeiten. Die anderen Arten
haben andere Färbung.
Dieser Stein gleicht der Liebe. Weil sie innen im Herzen
verborgen ist, scheint sie nach Aussen wenig und verhält sich wie
das Licht in einer Laterne. W'ird sie aber bezwungen und kommt
aus dem Herzen hervor, Andern zu nützen, dann beweist sie auch
äusserlich, wie sie innen beschaffen war. Und wenn die wahre
8onne, Christus, sie berührt oder der Finger des heiligen Geistes,
so zieht sie die Sünder an sich und lässt sich dann nicht theilen
noch durchbohren, weil sie durch keine Widerwärtigkeit zertrümmert
wird, sondern nur um so mehr erstarkt. Darum heisst es in der
Bibel im achten Kapitel des hohen Liedes: Die Liebe ist fest wie
der Tod! imd ferner: Viele Wasser löschen die Liebe nicht aus!
Ebenso auch sagt Paulus im Korintherbrief: Die Liebe ist geduldig,
sie erträgt Alles und wird doch nicht zerstört, lässt sich auch durch
schmeichelndes Lob nicht ersveichen. Desshalb habe ich Armer
die Liebe unserer Frau mit diesem Steine in dem Lobgesange ver-
glichen, wo ich ihre Tugend durch die zwölf Steine versinnbildlicht
habe.
15. Von der Koralle.
Corallus ist ein lebhaft roth gefärbter Stein, allerdings von
geringerem Glanz, wie der Karneol. Dieser Stein ist verästelt, wie
^in Hirschhorn oder die Wurzel eines Krautes, mit zahlreichen Aus-
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läufern. Das ist uidit zu verwundern, weil dieser Stein anfänglich
als Kraut im Meero wächst. Erst wenn dies Kraut durch die
Schüfe oder absichtlich aus dem Wasser hervorgezogen wird, erhärtet
es und wird zu Stein. Dieser Stein kommt bis zur Grösse eines
halben Fusses vor. Er vermag dem Blitz und dem Ungewitter zu
widerstehen. Desshalb streuten unsere Vorfahren ihn mit dem
Saatgut auf den Acker aus und hingen ihn in den Oelbäumen auf,
zum Schutz gegen Hagel und Unwetter. Auch gegen die bösen
(^eister ist er wirksam, vielleiclit, weil er in seiner Verästelung
häufig die Form eines Kreuzes darstellt. Desshalb wehrt er auch
manches Unheil ab, wenn man ihn mit seinen Aesteu an sich trägt.
Endlich auch ist er heilsam gegen die zehrende Feuchtigkeit, die
lateinisch Phlegma genannt wird.
16. Vom Chrysopras.
Crisoprassus ist ein Edelstein mit zw^ei Farben. Er ist nemlich
grün wie Porrei- oder Lauchsaft und dabei besprengt mit goldenen
Tröpfchen. Dieser Stein ist sehr selten und steht desshalb hoch
im Werthe. Man findet ihn in Indien. Er ist gut für die Augen,
<la er die Sehkraft stärkt. Ausserdem benimmt er die Neiguug
zum Geiz und verleiht dem Menschen Stätigkeit zu allen guten
Werken.
In meinem Lobgesange habe ich unsere liebe Frau wegen ihrer
grossen Sanftmuth diesem Steine verglichen. Sie klärt die Seh-
kraft unserer Vernunft, giesst volle Gnade in unsere Seele, nimmt
von uns die Habsucht nach weltlichen Dingen und bestätigt uns in
allen göttlichen Werken.
17. Vom Schwalbenstein.
Chelidonius heisst Schwalbenstein. Er ist unförmlich und
klein und findet sich im Körper der Schwalbe.^) Es giebt rothen
und schwarzen Schwalbenstein. Die jungen Schwalben, welche den
Stein iu ihrer Leber haben, erkennt man daran, dass sie ihre
Schnäbel, wie zum Zeichen des Frierlens, einander zugekehrt halten,
wogegen die anderen Schwalben ihre Schnäbel von einander weg-
wenden. Der rothe Schwalbenstein besänftigt die Mondsüchtigen
und Unsinnigen wie auch das täglidio Fieber, und macht den
Menschen w^ohlredend und angenehm oder liebenswerth. Man mus&
^ergl. III. ß. 41.
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den Stein in ein leinenes Tuch gewickelt auf der linken Seite tragen.
Der schwarze Schwalbenstein ist gleichfalls in einem leinenen Tuche
initzuführen. Er ist gut für die Leute, die Geschäfte besorgen^
wie Kaufleute und ähnliche. Er besänftigt den Zorn, und wenn
man ihn in Wasser wäscht, macht er die Augen klar und das
(iesicht scharf. In einem gelben Tuche getragen mildert er das
Fieber und schädliche Krankheiten. Wird er in Schöllkrautblätter
gewickelt, so verschlechtert er das Sehvermögen.
18. Vom Caloph.
Calophagus oder Calophanos ist ein scliwarzer Stein, i) Wenn
ein keuscher Mensch ihn trägt, so bekommt er eine helle und lieb-
liche Stimme und wird vor Heiserkeit in der Kehle behütet. Wenn
man mit Eisen oder einem anderen Metall auf den Stein schlägt,
klingt er so schön, wie Glockenspeise.
19. Vom Kristall.
Der Stein Cristallus entsteht aus Eis, wenn dieses im Laufe
der Jahre erhärtet. Solinus ist indessen anderer Ansicht und sagt,
mau finde die Kristalle in vielen Ländern, die niemals von Frost
und Eis berührt würden. Wenn auf einen runden Kristall die
Sonne scheint, so entzündet er Zunder grade so, wie der Beryll.
Der Stein besitzt ferner die Eigenschaft, gepulvert und mit Honig
gemischt getrunken, bei einer säugenden Frau die Milch zu mehren.-
Auch für die Augen ist er heilkräftig.
20. Vom Chrysolecter.
Chiysolectrus-) ist ein goldfarbener Stein, der am Morgen, zur
Mettenzeit, lebhafter gefärbt ist, wie sonst. Es giebt auch der-
gleichen Steine, die weniger klar sind, dunkler, nicht durchscheinend
und <lem Golde sehr ähnlich sehen. Der Stein mildert Stirn- und
Augenschmerzen, wenn sie in Erhitzung ihren Grund haben, lindert
auch, in der Hand gehalten, die Fieberhitze. Gepulvert wirkt er
gegen Krätze und Geschwüre. Eine dritte Art desselben Steines
hält in der Färbung die Mitte zwiclien gelb und roth. Hält man
ihn an's Feuer, so zerbricht er sofort und springt vom Feuer w^eg
wie gejagt. Er ist dienlich gegen Anschwellung der Glieder und
hilft gegen die Entzündungen unter der Haut des Menschen.
^) Phonolith, Klingstein?
'-) Chrysülitli?
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21. Vom Donnerstein.
Ceraunus heisst Donnerstein. ^) Er ist gelblich gefärbt und
fällt hier und da mit dem Blitz herab. Man sagt, dass da, wo
dieser Stein sieh befindet, Donner uud Blitz nicht schaden. Meist
ist der Stein an der einen Seite scharf.
23. Vom Karneol.
Corneolus ist ein rother Stein, wie rothes Fleisch gefärbt
Er besänftigt den Zoni und stillt Blutungen, wenn das Blut von
einem Gliede oder aus der Nase fliesst, besonders aber bei Frauen,
die an Blutungen leiden. In der Bibel heisst es, die Kinder Israels
jiätten vor Zeiten in der Wüste vielfach diesen Stein geschnitten,
so wie man Siegel schneidet, und das haben sie nicht ohne Grund
gethan.
28. Vom Chrjsollth.
Chrysolitus ist einer der zwölf Steine, dunkel meergrün gefärbt
mit durchgemischten goldenen Funken, und gleisst wie Feuer. Wer
ihn in Gold gefasst trägt, ist vor dem Albdrücken gesichert. Wird
der Stein durchbohrt und ein Eselshaar durch die Bohrung gezogen,
so verscheucht und verjagt er die bösen Geister. Man soll ihn an
der linken Seite tragen. Er kommt aus dem Mohrenlande. Mit
ihm habe ich die Würdigkeit unserer lieben Frau verglichen, denn
sie sichert den Sünder vor den nächtlichen Schrecken und der
Finsterniss des ewigen Todes.
24. Vom Schneekensteiu.
Celonites heisst Schneckenstein. 2) Er ist purpurn und manuich-
faltig gefärbt. Dieser Stein kommt von einer Schnecke. Er ver-
leiht dem, der ihn unter der Zunge trägt, die Kraft, wahrzusagen.
Diese Fähigkeit hält aber nur so lange an, wie der Mond eben
sichtbar ist uud im ersten Viertel steht, und w^ährend der Zeit, wo
der Mond am achtundzwanzigsten Tage wieder abnehmend und ganz
schmal ist und lateinisch Monoides genannt wird. Dieser Stein
jjerbricht nicht im Feuer.
^) Donnerkeil, Belemnit.
^) Vielleicht sind die sop:. Krebssteine oder Krebsaugen gemeint, die
allerdings im gebleichten Zustande weiss aussehen.
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35. Tom Cegolith.
Cegolitiis ist ein Stein von der Form eines Olivenkernes, i)"
In Wasser aufgelöst ist er gut gegen Nieren- und Blasenstein.
36. Vom Chrysopaslon.
Chrysopasion ist ein, aus dem Mohrenlande herkommender
Stein, 2) der im Finstern leuchtet, nicht aber am Tage, gerade wie
faules Holz oder ein Glühwurm.
27. Vom Wetzstein.
Cos heisst ein Wetzstein. Er existirt in zwei Arten. Die eine
ist härter, die andere weicher, und die härtere Sorte eignet sich
mehr zum Schleifen weicher Messer, wogegen die weichere mehr
für härtere Messer passt. Giebt man Aschenwasser auf einen zer-
stossenen Wetzstein, so tröpfelt eine vorzügliche Lauge davon ab,,
mit der man die Kleider und den Kopf recht sauber waschen kann.
Das Ausstreuen der Asche iu den Garten ist für diesen vortheilhaft.
Lebendiger, das heisst frischgebrannter, Kalk birgt verborgenes Feuer
in sich. Fasst man ihn mit der Hand an, so ist er kalt, giesst
man aber kaltes Wasser auf ihn, so liefert er Wärme. Es ist ein
Wunder, dass der Kalk durch Wasser, das doch anderes Feuer
löscht, entzündet wird und umgekehrt im Baumöl, mit dem man
sonst Feuer entzündet, erlischt. Molaris heisst ein Mühlstein. Essig,
der über gepulverten Mühlstein gegossen und mit ihm durchge-
arbeitet worden ist, bringt den Blutfluss aus dem Leibe zum Stehen
und ist ausserdem gegen heisse Abscesse nützlich. Silex heisst ein
Kiesel, er ist hart und kalt und dennoch schlägt man Feuer aus ihm.
28. Tom Dämon.
Demonius heisst ein Stein mit zwei Farben, hülfreich den
Leuten, die am Fieber leiden, giftwidrig und den, der ihn trägt,
sicher und siegreich machend. Weiteres über diesen Stein findet
sich in unserem lateinischen Texte nicht.
39. Vom Drachenstein.
Dracontides heisst ein Drachenstein. ^') Man nimmt ihn aus dem
Gehirn eines Drachen, er ist aber werthlos, wenn er nicht einem
^) Cegolithen, Lapides judaici, Jiulensteine sind die versteinerten
Stacheln von Cidaris glandarius, einer Seeigelart.
2) Topas? Fluss.spath?
3) Vergl. III. E. 10.
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lebendigen Drachen entnommen wird. Tapfere Männer schleichen
sich an die Lagerstellen der Draclien heran und macheu sich über
diese her, schlagen ihnen den Schädel entzwei und holen den Stein
heraus, während der Drache noch zappelt. Man sagt, dieser Stein
sei gut gegen giftige Thiere und wirke kräftig gegen die Vergiftung.
Die Drachensteine sind durchscheinend und durchsichtig und be-
sonders beliebt bei den orientalischen Fürsten.
30. Vom Dyonls.
Dyonisia ist ein, im Orient vorkommender Stein. Er ist
dunkel gefärbt und mit schneeweissen Tröpfchen gesprenkelt. Zer-
stösst man ihn in Wasser, so riecht dieses wie Wein, und dieser
(reruch vertreibt die Trunkenheit. Der Geruch des echten Weines
dagegen erregt Trunkenheit, auch wenn mau den Wein selbst
nicht trinkt.
31. Vom Dyadochen.
Dyadochos ist ein Stein, der, ins Wasser geworfen, mancherlei
böse Geister erscheinen lässt, so dass diese dem, der sie befragt.
Antwort geben. Legt man den Stein auf eine Leiche, so verliert
er seine Kraft und erschrickt deutlich vor dem Tode. Er gleicht
einem Beiyll.
33. Vom Hämatit.
Emathites ist ein eisenfarbiger, roth geäderter Stein, der aus
dem Mohrenlande oder aus Arabien herkonmit.^) Gepulvert und
in Wasser vertheilt heilt er das Blutspeien, kürzt die Dauer der
Menstruation ab und wirkt auch gegen die gewöhnliche Hämorrhoidal-
blutung. Mit Wein gemischt heilt sein Pulver Geschwüre und ist
gegen Bisse giftiger Thiere wirksam. In die Augen getröpfelt heilt
und reinigt dies Mittel dieselben. Getrunken zertrümmert es den
Stein in der Blase.
33. Vom Adlerstein.
Echites ist ein Stein 2), den der Adler aus fernen Ländern in
sein Nest trägt, weil er von Natur sehr wohl weiss, dass dieser Stein
^) Hämatit, Rotheisensteiii.
') Gelber Thoneisensteiii, in rundlichen Stüciven vorkommend, die im
Inneren einen losen, klappernden Kern fi'diren. Vergl. auch IM. R 1.
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seinen Jungen Sicherheit und Schntz bringt. Andere Gelehrte sind
der ileinung, die Eier des Adlers verdürben durch ihren Uebei'fluss
an Hitze^ wenn er den Stein nicht zwischen sie legt. Der Stein ist
roth, wie ein Granatapfel, innen hohl, und hat einen kleineren Stein
in sich, welcher klappert. Er hilft schwangeren Frauen kräftig zur
Vollendung der Geburt und gegen die Schmerzen der Geburtswehen.
Er will an der linken Seite getragen werden und macht den Menschen
massig im Trinken und siegreich. Er mehrt den Reichthum, bringt
Onade und sichert die Kinder vor Schaden.
34. Vom Souncnwendstein.
Elitropius^) heisst Sonnenwendstein. Bringt man ihn in ein
Oefass mit Wasser, so färbt er die Sonne blutroth, als ob sie
ihren Schein verloren hätte, und dabei wallt das Wasser im Gefässe
ohne UnterlaöS und sprüht wie ein Regen heraus. Sind bei diesem
Vorgange dazu veranlagte Menschen zugegen, so werden sie ekstatisch
und sagen kommende Dinge im Voraus. Wer den Stein trägt, den
kräftigt er und verlängert ihm das Leben. Er stillt das Blut, ver-
treibt Gift und sichert den Menschen vor Schmerzen. Wer die,
Sonnwende genannte Pflanze*-^) oder Ringelkraut unter den Stein
legt und einen Segen darüber spricht, der dazu gehört, wird un-
sichtbar. Der Stein ist smaragdgrün, mit blutfarbigen Tröpfchen
gesprenkelt. Man findet ihn im Mohrenlande, in Cypern und in Afrika.
35. Vom Eplstut
Epistutes ist ein leuchtend rother Stein. Wer ihn am Herzen
trägt, ist sicher vor Unfrieden und Krieg. Er beschützt die Erd-
früchte vor den Heuschrecken, Vögeln, schädlichen Nebeln, Hagel
und verderblichen Winden. Legt man ihn an die Sonne, so strahlt
er aus sich selbst Feuer und helles Licht aus. Wirft man ihn in
kochendes Wasser, so hört das Sieden auf und das Wasser wird kalt.
36. Vom Hexakolith.
Exacolitus ist ein verschieden gefärbter Stein. Trinkt man
den Wein ab, in dem ein solcher Stein liegt, so hilft er gegen
Darmgicht und die Krankheit, welche durch feuchte Galle erzeugt wird.
1) = Heliotropius, Heliotrop.
3) Vergl. V. -28.
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37. Vom Ellder.
Elidros oder Enidros ist ein Stein, ^) der einem Kristall gleicht
und von dem unablässig feuchte Tropfen fallen, als ob er schwitze.
Diese Tropfen sind gut für Fieberkranke. Er vermindert sich auch
durch das Abtropfen nicht, sondern bleibt hart und unversehrt,
38. Tom Granat.
Granatus ist ein sehr schön, dem Rubin ähnlich gefärbter
Stein, nur dass seine Farbe stumpfer ist, wie beim Rubin, mehr
der rothen Rose vergleichbar. Dieser Stein ist sehr schwer zu be-
arbeiten und gewinnt an Glanz, wenn man ihm eine schwarze Unter-
lage giebt. Er verjagt die Traurigkeit und macht frohen Muth,
Man findet ihn im Mohreulande und bei Tyrus in dem, vom Meere
ausgeworfenen Sand, Eine Abart dieses Steines ist violett-roth, sie
ist edeler und geschätzter und gleicht dem Balastus.^) Der Granat
gehört nach Art und Geschlecht zum Hyacinth.
39. Vom Bernstein.
Gagatea heisst Agtstein oder Brennstein. Mau findet ihn in
Lycien, in Preussen und Britannien. Es giebt schwarzen und hellen
Bernstein.^) Letzterer ist entweder weiss oder gelb. Reibt man
den Stein bis zum Warmwerden, so zieht er Hälmchen au, und
wenn er mit Wasser gewaschen ist, brennt er, erlischt aber in
Olivenöl. Er ist für Wassersüchtige sehr heilsam, befestigt wackelnde
Zähne und ruft die Menstruation hervor, wenn man ihn mit Wasser
wäscht und dann mit ihm räuchert. Auch den Epileptikern hilft
er, wenn man ihn anzündet. Ebenso auch verhält sich der Elider.
Der Bernstein verscheucht die bösen Geister und sein Rauch bringt
sie zum Schweigen., w^enn sie durch den Mund eines Besesseneu
reden. Auch gegen Umkehrung des Magens und gegen Zauber ist
der Stein hülfreich. Das Wasser, in dem der Stein drei Tage ge-
legen hat, ist schwangereu Frauen dienlich und entbindet sie rasch
von ihrer Last. Trinkt eine Jungfrau, die noch rem ist, das Wasser,
so geschieht ihr Nichts, ist sie aber nicht mehr rein, so lässt sie
sogleich Harn. So wird sie durch den eigenen Harn kenntlich gemacht,
M Kleine Chalcedonkugeln , deren innere Höhle mit Flüssigkeit ge-
ITdlt ist.
2) Vergl. 13.
3) Schwarzer Bernstein ist Gagat.
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40. Tom Grclas.
Uelasius ist eiu Stein, schueeweiss wie ein Hagelkorn und
übermässig hart, wie der Diamant. Durch Feuer ist dieser Stein
nicht zu erwärmen, er bleibt immer kalt und besitzt die Fähigkeit,
den Zorn und die Unkeuschheit zu mildern.
41. Vom ealarit.
Galaritides ist ein Stein, der aussieht wie Asche. Mit Milch
zerrieben und getrunken steigert er die Milchsekretion, wirkt fördernd
auf die Geburt und ist, n)it Eiweiss zusammen ein Mittel gegen die
Krätze. Den, der ihn trägt, macht er reich. Man findet ihn im
Xilstrom, der durch das Land Aegjq}ten fliesst.
42, Vom Oegatrum.
Gegatromeus ist ein Stein, scheckig wie eine Rehgais. Seinen
Trüger macht er siegreich im Streit und unüberwindbar zu Wasser
und zu Lande. Man liest, der Fürst Aleides habe mit diesem Stein
alle seine Noth überwunden, sei aber jedesmal sieglos gewesen,
wenn er den Stein nicht bei sich hatte.
43. Vom Gerarchit
(Jerarchites ist ein schwarzer Stein. \\^er ihn im Munde trägt,
vermag grosse Gedanken zu bethätigen und viele Freude zu erregen.
Er macht auch den Menschen angenehm und liebenswerth. Man
]>rüft diesen Stein in folgender Weise: Bestreicht man einen
nackenden Menschen mit Honig und hat er den Stein bei sich, so
thun ihm die Fliegen nichts. Nimmt man ihm den Stein fort, so
stechen ihn die Fliegen.
44. Vom Jaspis.
Jaspis ist ein grüner Stein und gehört zu den zwölfen, die
tlie Auserwählten genannt werden und welche Johannes sah. Die
i^rüne Farbe ist mit rothen Pünktchen durchsetzt, und am meisten
geschätzt werden die Steine, welche durchsichtig sind. Trägt ihn
ein keuscher Mensch, so bleibt er vom Fieber und der Wassersucht
verschont. Er hilft ferner den Frauen während der Geburt und
macht, wenn er mit dem Steinsegeii gesegnet ist, seinen Träger
sicher und angenehm, vertreibt auch die bösen Gesichte im Schlaf
Schulz, Konratl v<>n Megonbeitj's Buch der Xntur. '2.)
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3SG
und sonst wann. Er hat die Eigenthömlichkeit, in Silber gefasst
seine Kräfte besser äussern zu können, wie wenn er in anderem
Metall gefasst ist. Dieser Stein kommt in vielerlei Arten und in
vielen Ländern vor, es giebt ganz feuerrothen und durchscheinenden
Jaspis, und dieser wird besonders geschätzt. Es kommt auch eine
rothe, aber nicht durchseheinende Sorte vor, die aber weniger werth
ist. Der grüne Jaspis, der das leibliche Auge stärkt, gleicht dem
Glauben, der das Auge der Seele kräftigt. In meinem Lobgesang
habe ich dem Jaspis das Maasshalten unserer lieben Frau verglichen,
denn die Tugend, welche Temperautia heisst, stärkt das leibliche
und das geistige Sehvermögen.
45. Vom Hyaeinth.
Jacinctus heisst Hyacinth. Der Stein ist gelb, in der Finster-
niss dunkel und am Lichte scheinend, weil er, wie man sagt, licht-
empfindlich ist. Der Hyacinth ist der beste, der weder zu dunkel
noch zu hell in der Färbung ist. Er ist sehr hart und lässt sich
schwer spalten und schneiden, man kann ihn aber mit Diamant-
splittern bearbeiten. Er ist sehr kalt, besonders, wenn man ihn in
den Mund nimmt. Seinem Besitzer verleiht er Kraft, vertreibt die
Traurigkeit und die Herzensangst, und macht den sicher, der in
fremden Ländern reist. Er beschützt den Menschen vor dem Tod
durch die Pest, vor Vergiftung und Schlangenbiss. Er macht seinen
Träger angenehm vor Gott und den Menschen. Dieser Stein kommt
aus dem Mohrenlande, und weil er seine Farbe nach dem Wetter
wechselt (denn er ist trübe und dunkel bei schlechtem und hell
bei gutem Wetter) ist er ein Sinnbild der bescheidenen Art der
Heiligen, mit deren Hülfe sie sich nach allen Menschen um Gottes
Willen richteten, um ihnen Segen zu bringen, damit sie Gott und
«las ewige Leben erwürben. Desshalb sagt auch Sankt Paulus von
sich selbst: Ich bin mit Allen gemein geworden! grade als ob
er sagen wollte: Ich bin mit allen Menschen alle Menschen ge-
worden, das heisst: in unserem Herrn Jesus Christus. Ich Armer,
der in seinen Sünden allezeit grosser Gnade bedarf, habe mit diesem
Stein die überströmende Gnade unserer lieben Frau verglichen.
Denn sie benimmt dem Sünder das Trauern und schützt ihn, wenn
er aus diesem Lande scheidet, in dor Stunde, wo Seele und Leib
sich trennen. Ich rathe Dir ans voller Treue, dass Du ihren Namen
im Herzen trägst vor allem edelen Gestein.
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46. Vom Beg^enbogenstein.
Iris heisst der ßegenbogensteiu. ^) Er gleicht einem Kristall,
ist sechseckig und wirft schöne Farben, die denen des Regenbogens
gleichen, an die Wand, wenn man ihn im Hause von der Sonne
bescheinen lässt. Dieser Steiu widersteht dem Blitze und die edelsten
Arten desselben findet man im rothen Meer und in den Gebirgen
von Italien. Auch in Deutschland kommt er in steinigen Ge-
birgen vor. .
47. Vom Hyänenstein.
lena ist ein sehr edeler Stein, den man den Augen eines
Thieres entnimmt, das gleichfalls Hyäne genannt wird. 2) Die alten
Meister sagen, er verleihe seinem Träger die Kraft, wahr zu sagen.
Indessen äussert er diese Eigenschaft nur, wenn man ihn im Munde
anter der Zunge trägt.
48. Tom Luchs&tein.
Ligurius heisst Luchsstein und gehört zu den zwölf Steinen,
wie unser lateinischer Text angiebt. Ich denke, er war einer von
den zwölfen, die Aaron im Tempel trug, gehört aber nicht zu denen,
die Johannes in der Vision von der göttlichen Stadt Jerusalem sah.
Der Luchsstein tröpfelt, wie Plinius angiebt, von den Genitalien
des Luchses und die Tropfen erhärten zu Stein. ^) Das weiss das
Thier von Natur wohl, und weil es den Menschen und was ihm
frommt, hasst, verscharrt es seinen Harn im Sande. Die Farbe
des Steines wechselt nach der Färbung des Harns, ist aber meist
gelb mit einer Neigung in's Schwärzliche. Wäscht man ihn in
Wasser, so hilft er denen, die nicht zu Stuhle kommen können, er-
öffnet den Leib und bringt auch die verloren gegangene gesunde
Gesichtsfarbe wieder, wie er denn auch Gelbsüchtigen nützlich ist.
Er zieht Hähnchen an wie der Bernstein.
49. Tom Lagapis.
Lagapis ist ein Stein mit erkältender und austrocknender
Kraft, rund und besonders verwundeten Menschen dienlich. Dieser
Stein zieht das Eisen aus den Wunden.
^) Pliniu.s bezeichnet so die Säulen, die der Bergkristall bildet.
*-^) Vergl. III. A. 3i;.
3) Vergl. ni. A. 41.
2:>
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50. Vom Xngiiet.
Der Stein Magnes sieht aus wie Eisen. Er zieht Eisen an^
wenn kein Diamant in der Nähe ist. Man erzählt, der Stein sei
in der Kunst der Zauberer von Nutzen. Er besitzt eine wunder-
bare Eigenschaft, wie man sagt. Will ein Mann wissen, ob seine
Frau die Ehe bricht oder nicht, so soll er ihr den Stein im Schlafe
unter den Kopf legen. Ist sie treu und fromm, so umfängt sie
ihren Ehemann im Schlafe mit den Armen, ist sie aber untreu
und falsch, so fällt sie im Schlafe aus dem Bett, als würde sie
horausgestossen. Der Stein tilgt auch Zank und Zorn zwischen
den Eheleuten. Auch die Diebe wissen ihn zu nützen. Kommen
sie au ein Haus, so legen sie glülieinle Kohlen an seine vier Ecken
und streuen Magnetsplitter <larauf. Dadurch werden Sinne und
Augen der Hausbewohner so verändert, dass diese glauben, das
Haus wolle einfallen. Sie fliehen in Folge dessen heraus, und die
Diebe nehmen, was sie wollen. So berichten die Steinkundigen.
(Jepulvert und mit Milch genossen hilft der Magnetstein den Wasser-
süchtigen, das Pulver selbst ist auch gegen Brandwunden gut. Man
findet den Stein im Lande der Dr.igoditen und in Indien. Isidorus sagt,,
je gelber der Stein gefärbt sei, um so besser sei er. Er zieht auch
(ilas an, grade wie Eisen. Sankt Augustinus sagt, es hänge
ein eisernes Bildniss, nur durch den Stein gehalten, in der Luft,
51. Vom 3Iemph{tes.
Memphites ist ein Stein, welcher von der egyptischeu Stadt
Memjdiis herkommt und beinahe feuerroth gefärbt ist. ^) A>rreibt
man ihn mit Essig und giebt ihn denen ein, an denen man brennen
oder schneiden will, so werden sie so unempfindlich, dass sie von
den Schmerzen Nichts fühlen.
53. Vom Meder.
Medns ist ein Stein, der aus (hm Ländern kommt, in denen
die Meder wohnen, von grünlicher Färbung.-) Er besitzt gute und
schlechte Eigenschaften. Löst man ihn in der Milch einer Frau,
die ein Knäldein säugt, so giebt er den Blinden das Auge wieder,.
entferiit die weissen Flecken in den Augen und macht Leute wieder
— — _ •
^' Vau altes (ielieiruniss der egyptischen Priester, ist Art ii. Zusammen-
setzung: iWs M. dunkel i,a»l)liel)en. Vielleielit war es eine eisenhaltige Tlionerdc,
-; Vielleielit ein Zinkerz, (ialniei. Blende?
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«ehend, die nie mehr sehen zu können glaubten. Auch das,
lateinisch Podagra genannte, Fussleiden heilt dieser Stein, wie auoli
die Menschen, die während einer Krankheit ihre Besinnung verlieren
und im Lateinischen Phrenetici heissen. Löst man ihn dagegen in
Wasser und trinkt dies, so muss man seine Lunge stückweise mit
Würgen und Brechen ron sich geben, und wenn sich Jemand mit
dem Wasser die Stirne wäscht, wird er blind.
53. Vom Späth.
Nitrum heisst Späth. ^) Dieser Stein ist hell und durchsichtig,
fast wie Glas und wird desshalb in einigen Gegenden z. B. in
Thüringen, in die Fenster gesetzt. Der Späth wirkt anziehend und
lösend und ist gut gegen die Gelbsucht.
54. Tom Alabaster.
Nicomar oder Alabastrum ist ein Alabasterstein. Er ist weiss
und sehr kalter Art, man kann desshalb Salben lange in ihm
aufheben. Maria Magdalena hatte eine Büchse aus diesem Stein,
in der die Salbe sich befand, mit der sie unserem Herrn das Haui)t
salbte. Dieser Stein verleiht Sieg und erhält die Freundschaft
unter den Menschen. Man verfertigt Figuren aus ihm, schätzt ihn
Aber nicht sonderlich, da er häufig vorkonmit.
55. Vom Nosech.
Nosech ist ein Stein doppelter Art. Die eine ist weiss, die
andere bunt gefärbt. Man zieht den Stein aus dem Kopfe einer
Kröte, ehe sie Wasser getrunken oder Wasser berührt hat. Zu-
weilen kann man an einem solchen Stein eine Kröte mit ausge-
breiteten Beinen erkennen. Dieser Stein ist gut gegen den Biss
von allerlei Gewürm und gegen Vergiftung. Ist nemlich Gift vor-
handen, so brennt der bunte Nosech den Finger. Man soll beide
Steine zusammen fassen lassen.
56. Vom Onyx.
Onichinus ist einer der zwölf Steine vom Kleide Aarons, und
<lie Gelehrten haben über diesen Stein zwei verschiedene Ansichten.
Die Einen glauben, es sei eine kleine Auster, das ist ein kleiner
^) Marienglas, Frauen eis.
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Meerfisch, der sehr gut schmeckt und in Grösse und Farbe dem
Pingernagel eines Menschen gleicht.^) Wenn dies Thier aus dem
Wasser kommt und hart wird, soll der Stein daraus werden, und
in der That ist er auch wie ein Fingernagel gefärbt. Desshalb
heisst er im Griechischen Onichinos, weil Onichina im Griechischen
Fingernagel bedeutet. Diese Ansicht vertritt die alte Glosse zum
Buche Leviticus. Die andere Anschauung, welche von Beda her-
rührt, ist die, dass der Onichinos oder Onyx zum Theil schwar2:
geförbt sei und in der schwarzen Parthie rothe und weisse Adern
besitze. Diese Angabe hat aber keiner der Naturgelehrten.
Platearius dagegen meint, dass Onichina oder Onyx oder Onichinos
ein Baumsaft sei, der von einem Baume fliesse und so hart werde,
ilass ein Stein aus ihm sich bilde, grade wie der Stein, der Succi-
nus genannt wird. Diese Annahme hat viel für sich. Woraus aber
der Stein auch entstehen mag, so ist doch die überwiegende Ansicht
der Naturforscher die, dass er wie ein Nagel geftrbt ist, grade wie
ein röthlicher Wassertropfen. Diese Anschauung ist die am meisten
verbreitete. Der Stein ist gut gegen Räude oder Krätze, verleiht
dem Gesicht eine helle Farbe und giebt einen sehr angenehmen
Geruch aus, wenn man ihn in's Feuer legt. Bringt man ihn in ein
krankes Auge, so kann man, ohne irgend welchen Schmerz zu er-
regen, überall in dem Auge damit umherfahren, bis er die schädlichen
Säfte heraus befördert. Das ist ein grosses W^under, da doch sonst
die kleinsten Fremdkörper dem Auge Schmerz bereiten. Desshalb
sagt auch Salomo in seinem Buche der Sprüche: Das Auge ist vine-
kleine Behausung und duldet keinen Gast.
57. Tom Ostolan.
Ostola oder Optalius-) ist ein Stein, über dessen Färbung die
Gelehrten sich nicht äussern, weil mau ihn nur selten findet. W^er
ihn trägt, wird nemlich unsichtbar, kann aber selbst sehr gut sehen,
und aus diesem Grunde haben die Diebe diesen Stein sehr gern,
58. Vom Orltes.
Orites''^) ist ein grüner Stein mit weissen Flecken. Er wider-
steht dem Unheil. Eine Art desselben ist schwara und nmd, dieso
1) Vergl. IV. B. 23.
••') Opal?
3) Orites heisst eigentlich nur: Bergstein. Hier ist vielleicht irgend
ein Eisenerz gemeint, Glaskopf.^
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heilt, mit Baumöl bestriehen, den Biss giftiger Thiere. Der Orites
kommt ausserdem noch in Uestalt kleiner Eisenplättchen ^) vor.
Diese Art befördert bei den Frauen die Conceptionsfähigkeit, bewirkt
aber bei Schwangern Abortus.
59. Vom Perlt.
Perites oder Pirites oder Piridonius ist ein, wie Gold gefärbter
Stein,-) der von den Persern herkommt. Zuweilen ist er auch wie
der Chrysolith gefärbt, nur etwas mehr grün. Dieser Stein ist gut
«ijegen die, lateinisch Arthetica genannte, Adersucht (Gicht). Drückt
man ihn fest in der Hand, so brennt er diese so, dass mau es nicht
aushalten kann. Desshalb will er sanft und zart angefasst werden.
Der Glanz des Steines nimmt mit dem Monde zu und ab.
ftO. Vom Paiithersteln.
Panthera ist ein Stein, der fast alle Farben in sich vereint.
Sein Träger soll ihn am Morgen früh ansehen, wenn die Sonne
aufgeht, damit er siegreich und kräftig in allen Dingen werde. Der
Stein vertreibt das Hautjucken und es heisst von ihm, er habe
soviel gute Eigenschaften wie er Farben aufweist. Er kommt aus
Indien. Ich will Dir aber den Rath geben, am Morgen zuerst die
keusche Magd mit ihrem Kinde anzurufen; denn hast Du die Mutter,
so hast Du das Kind, hast Du Mutter and Kind, so hast Du den
Vater und so hast Du Alles, was Du willst, ohne alle Sünde.
61. Vom Fräsern.
Prasius ist ein sehr schöner, grüner Stein. '*^) Seine Färbung
ist jedoch weniger intensiv wie die des Smaragdes. Er ist nur zur
Verzierung des (ioldes zu brauchen. Man bricht Smaragde aus ihm.
62. Vom Mciischensteln.
Piropholos mag ein Menschenstein heissen. Denn, wie der
Meister Aesculapius dem Kaiser Octavianus Augustus schrieb, der
Stein ist sehr kostbar und entsteht aus dem Herzen eines vergifteten
Menschen, weil ein solches Herz im Feuer unverbrennlich ist.*)
') Eisenglimmer?
3) Schwefelkies?
^) Prasera, ein lanchgrüner Quarz, im Handel Smaragdmiitter genannt.
*) Vergl. I. 33.
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Hält man das Herz neun Jahre lang unausgesetzt im Feuer, so
wird der, mit gar wunderbaren Kräften ausgestattete, Stein daraus.
Denn, wie der genannte Meister spricht, dieser Stein beschirmt
seinen Träger vor Blitz und Donner, verleiht den Sieg im Kampfe
und sichert vor Vergiftung. Einen solchen Stein trug Alexander,
wie man erzählt, in einem purpurnen I^eibgurt. Und als er aus
dem Lande Indien wiederkelirte und über den Fluss Euphrat wollte,
zog er seine Kleider ab, um im Wasser zu baden. Indess kam
eine Schlange, biss den Gürtel mit dem Steine ab und Hess ihn
in's Wasser fallen. Aristoteles hat dies in einem Buche über die
Schlangen geschrieben. Nun glauben die Gelehrten, dieser Menschen-
stein sei mit dem Stein identisch, <ler gemeinhin Lapis humanus
genannt wird. Von diesem wird berichtet, er behüte den Menschen
vor einem jähen Tode, und man könne nicht sterben, so lange man
<len Stein in der Hand habe. Vor Krankheit beschirmt er den
Menschen aber nicht, auch nicht vor Schmerzen, trotzdem er das
Leben im Leid verlängert. So schreibt man auch von einem Lande
der Lebendigen, in dem Niemand sterben kann, und das den Namen
Dialle oder Trivalles führt. Dieser letztgenannte Stein ist ziemlich
lebhaft roth gefärbt, etwas in 's Weisse spielend.
63. Vom Peaiiit.
Der Stein Peanites entsteht im Lande Macedonien und hat
die Art eines Weibes an sich. Zu gewisser Zeit empfängt er
nemlich und gebiert einen ihm gleichen Stein. Dieser Stein ist
schwangeren Frauen von Nutzen.
64. Vom Wldehopfstciii.
Quirin heisst der Widehopfstein. Man findet ihn im Neste des
Widehopfs. Er kündet im Schlafe verborgene Dinge und vermehrt
<lie Träume und Gesichte während des Schlafes.
65. Voui &eierstelii.
Quirindros heisst der Geierstein. Man holt ihn aus dem
Gehirn eines Geiers, er ist gegen allen Schaden gut und mehrt den
Ammen die Milch.
66. Vom Saphir.
Saphirus ist ein sehr edeler Stein nnd einer von den zwl^lfen,
die Joliannes sah. Er hat des Himmels Farbe, denn er ist hellblau.
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Indess wird er nie so hell, dass er, wie ein Spiegel, ein Bild in
sich aufnehmen kann. Scheint die Sonne auf diesen Stein, so
strahlt er einen brennenden Glanz aus. Er ist den Hiinmelskräften
stets zugewandt. Die besten Steine kommen aus Indien, sie sind
nie durchsichtig. Dieser Stein erhält den Leib und die Glieder in
ihrem natürlichen Ernährungszustande, der lateinisch Vegetatio ge-
nannt wird, beruhigt innere Hitze, wirkt schweisswidrig, vertreibt
Stirn- und Augenschmerzen und heilt die Krankheit der Zunge.
Geschwülste zertheilt und Geschwüre heilt er, ausserdem vertreibt
er die grausame Krankheit, die das Gesicht zerfrisst und lateinisch
Xoli me tangere, Rühr mich nicht an, genannt wird. ^) Auch gegen
Untreue, Hass und Erschrecken ist der Stein wirksam und macht
friedfertige Gesinnung. Wer ihn trägt, muss sich aber sehr der
Keuschheit befleissigen. Bei der, im Westen gelegenen Stadt Poi*^)
findet man auch Saphire, die sind aber nur wenig Geld werth und
besitzen nur geringe Kraft. Sie sind wie ein dunkler Kristall ge-
färbt, werden aber in den Ringen mit blauer Unterlage gefasst,
damit sie einigermassen blau erscheinen. Man bringt sie viel nach
Deutschland, sie taugen aber nicht viel. Nur die, welche ebendaher
kommen und die BeschaffenJieit der aus dem Orient stammenden
Saphire besitzen, sind wertlivoller, werden aber nur selten gefunden.
Die vom Orient herkommenden Saphire sind die besten, namentlich
4lie an der Oberfläche weisslich gewölkt und dunkel gefärbt sind.
Einige der orientalischen Saphire sind mit einem Rubin durchsetzt.
Dies sind die schönsten und kräftigsten unter allen. Die Zauberer
sprechen in ihren Büchern viel von diesem Steiu. Der Saphir, der
dem klaren Himmel gleicht und im Sonnenschein ein brennendes
Licht ausstrahlt, ist ein Bild der Hoffnung, die u]\s zur ewigen
Freude hinzielit und der heissen Flamme der göttlichen Liebe, die
uns entzündet und durchflammt, dass wir die Welt verschmähen.
So können wir dann mit Sankt Paulus sprechen: Unser Wandel ist
im Himmel. Desshalb auch s))richt (fott durch den Mund des Pro-
pheten Jesaias von dem Menschen, den er sich erwählt hat: Ich
will Dich auf Saphir gründen!, das heisst: auf die Hoffnung.
Darum habe ich unsere liebe Frau diesem Stein verglichen und
gesagt: Tu saphirus sanctae spei, «las heisst: Du bist ein Saphir
der heiligen Hoffnung! Ich kenne keine sicherere Zuflucht in allen
^) Gesichtskre])s, auch Lupus wurden so jjeiianut.
-) Le Puy, Departement Haute- Loire.
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Aeugsteu und Nöthen, wenn der oberste Richter über Leib und
Seele richten wird, als den gar edeleu Saphir, die Mutter der Barm-
herzigkeit, Maria. Kein Jude noch anderer Ketzer soll mich davon
abhalten, zu behaupten, dass ich das Zeichen der Wahrheit mehr
denn einmal in meine Seele gedrückt habe und dass ich darum
leide. Niemand darf fragen, warum ein Mensch mehr leidet, als
hundert andere.
67. Vom Smaragd.
Smaragdus ist ein kostbarer Edelstein, auch einer von deu
zwölf Steinen, und grüner als alle anderen grünen Dinge. Indes»
kommt er in verschiedenen Arten vor. Der beste Smaragd findet
sich im Lande Scythien, wo man ihn aus den Nestern der Greife
herausholt, die ihn mit grossem (irimm behüten. Unter diesen
Steinen ist nun wieder der beste der, welcher durchsichtig ist und
dessen grüne Färbung sich auf die umgebende Luft fortpflanzt, auch
weder in der Sonne noch in sonstigem Licht oder Schatten an
Intensität verliert. Am zweckmässigsten wird er flach geschliffen,
weil er sonst an Glanz einbüsst. Wer den Stein keusch und ehrbar
trägt, ist vor der fallenden Krankheit sicher. Er stärkt das Gesicht
und kräftigt die Augen. Wenn man ihn wäscht und mit Baumöl
einreibt, wird die grüne Färbung noch vermehrt. Der Smaragd
mehrt den Besitz, giebt Segen zu allem Thun, macht den Menschen
wohlredend und hilft denen, die verborgen Dinge erforschen wollen.
Er lenkt das Unwetter ab und beruhigt unkeusche Gelüste. Der
Stein zerbricht, wenn man ihn während der Cohabitation trägt.
Der Smaragd ist das Sinnbild der Keuschheit, denn diese erhält
des Menschen Leib grün, das heisst gesund und rein. Diese Tugend
übertrifft alle anderen menschlichen Tugenden, denn es ist mehr
Art der Engel, wie der Menschen, völlig keusch zu bleiben. Sie
ist gnadenbringeud vor Gott, den Menschen und den Engeln und
trägt das Bild unseres Herrn Jesu Christi an sich. Sie folgt dem
göttlichen Lamm auf seinen Wegen und Sankt Johannes setzte
den Smaragd an die vierte Stelle in der Zahl der zwölf Steine,
weil die vier pjvangelisten die Keuschheit mit Fleiss loben. Dem
Smaragd habe ich unsere liebe Frau in ihrer Keuschheit und
Reinheit verglichen, die Gott so angenehm war, dass er sich selbst
in die Zelle dieser reinen Keuschheit einschloss. Wie wonnig und
schön ist das Betrachten und Erwägen, wenn ein Mensch sich über-
GooQle
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legt, mit wieviel Liebe und grosser Gnade die göttliche Blume sich
mit dem reinen Thau der keuschen Jungfrau umgab und für un&
Mensch wurde.
68. Vom Sardonyx.
Sardonyx ist auch einer der zwölf Steine und von der Natur
aus zwei verschiedenen Steinen, dem Onyx und dem Sarder bereitet.^)
Zum Theil ist er roth, und diese Röthe hat er vom Sarder, zum
Theil ist er schwarz und weiss gefärbt, und diese Färbung stammt
vom Onyx. Man sagt, dieser Stein besitze weiter keine Kräfte, al&
ilie, dass der Onyx nicht schädlich wirken könne, wenn ein Sardonyx
zugegen sei. Es ist nemlich zu bemerken, dass einige behaupten,
der Onyx sei ein anderer Stein als der Onichinus, von dem wir
vorher berichtet haben. Sie nehmen vielmehr an, der Onyx sei ein
Edelstein, auf der einen Seite schwarz, auf der anderen weiss, und
mit der Kraft ausgestattet, den, der ihn am Halse oder am Pinger
trägt, vor Habgier und bösen Träumen zu schützen. Dagegen soll
or die Untugend haben, Krieg und Zwietracht unter den Menschen
hervorzurufen, und wenn man ihn Kindern um den Hals hängt,
soll er anregend auf die Speiehelsekretion wirken. Gegen die übele
Eigenschaft des Onyx ist nun der Sardonyx wirksam. Man findet
den Onyx in den beiden Ländern Arabien und Indien und den
Sardonyx ebenfalls. Die Gelehrten sagen, der Sardonyx sei dann
besonders schön, wenn die oben erwähnten Farben alle zusammen
bei ihm gemischt seien. Dem Träger des Steines geziemt Klugheit
und Demuth und es heisst, die Steine seien die besten, die ge-
schnitten sind, wie man Siegel schneidet. Die Glosse zum ein und
zwanzigsten Kapitel der Apokalypse sagt, der Sardonyx sei unten
schwarz, in der Mitte weiss und oben roth. Diese Färbung ver-
sinnbildlicht die Geduld der Heiligen, mit der diese in dieser armen
Welt ausgestattet sind. Desshalb sagt Hieb: Man verspottet des
Gerechten Einfalt. In der Mitte sind die Heiligen weiss, da*
heisst, sie sind durch ihre Unschuld in ihrem Herzen und Gewissen
rein. Oben aber sind sie roth wegen ihrer heissen Liebe zu Gott,
derentwegen sie viele Martern leiden müssen. Desshalb auch habe
ich diesem Steine die Gerechtigkeit unserer lieben Frau verglichen.
Ach Herr, Du weisst, wie sehr sie mit Dir in dieser Welt verachtet
^) Eine Varietät des Karneols, aus einer rothen und einer weissen
Lage bestehend.
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wurde, und was sie mit Dir um Deiner göttlichen Werke Avillen
hier auf Erden gelitten hat! Desshalb sagt sie auch mit Recht von
sich selbst im hohen Liede: Ihr Töchter Jerusalems sollt mich
nicht schelten, weil ich braun bin, denn die Sonne hat mich gefärbt,
ich bin schwarz, aber wohlgestaltet. Oh, welch schöne Predigt
Hesse sich daraus machen!
69. Vom Sarder.
Sardius gehört gleichfalls zu den zwölf Steinen.^) Ihn fanden
<üe Leute zuerst, die 8arder genannt werden. Der Stein ist roth,
aber ohne Glanz, wie rothe Erde. Er vermag Blutflüsse zu stillen,
und der Onyx verliert seine schädliche Kraft, wenn ein Sarder
gegenwärtig ist. In der Glosse heisst es, der Sarder und der
Karneol seien derselbe Stein. Der Sarder versinnbildlicht die voll-
kommene Festigkeit der heiligen Märtyrer, die ihr Blut um die
Liebe zu unserem Herrn vergossen haben. Desshalb nimmt er ii^
der Apokalypse die sechste Stelle unter den Steinen ein, denn unser
Herr litt seine Marter im sechsten Zeitalter der Welt. Ich habe
bei unserer lieben Frau diesem Steine die kindliche Scheu verglichen,
die ein Kind allezeit seinem Vater gegenüber haben soll. In dieser
Scheu vollbringt es alle seine Werke und richtet sein ganzes Leben
danach, seinen Vater nicht zu erzürnen, nur mit Hülfe der grossen
Liebe, die es stets zu seinem Vater hegt. Oft genug furchtet ein
Mensch den andern, weil er von ihm einen V ortheil erhoift oder
aus Furcht, Leiden und Schaden dulden zu müssen, wenn er ihm
nicht zu Willen ist. Diese Furcht habe ich nicht gemeint, sie dient
nur dem eigenen Nutzen, nicht der Liebe und ist eine sklavische
Furcht. Die zuerst genannte Scheu dagegen ist ein frei geborenes
Kind, nur auf Liebe und Treue gegründet. Sie vermag für den
Gegenstand ihrer Zuneigung grosses Leid zu erdulden. Diese Furcht
hat unsere liebe Frau Gott gegenüber gehegt so lange sie auf der
Erde war.
70. Vom Syren.
Syrus ist ein, nach Isidorus Angabe, aus dem Lande Syrien
.stammender Stein.-) Er hat die Eigenthünilichkeit, als Ganzes auf
Sarder ist eine braune, in's Gel])liche spielende Varietät des Karneols.
-) Bimsstein, der in frrösseren Stücken wegen seiner vielen Hohlräume
sfhwimnit. gepulvert aber untersinkt.
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dem Wasser zu schwimmeu, zerstückelt dagegeu unterzusinken.
Das ist wunderbar genug.
71. Vom Leichensteiii.
Sareophagus heisst Leichenstein, i) ' Isidorus sagt, wenn man
lieicheu in ihm bestatte, so verwesten sie in dreissig Tagen und
würden völlig verzehrt. Sarkos heisst nemlich im Griechischen
ein Schrein und Phagos bedeutet essen. Yen diesen beiden Wörtern
kommt der zusammengesetzte Name Sareophagus.
73. Tom Samius.
Den Stein Samius findet man auf der Insel Samos. '■^) Er ist
schwer und weiss und dient zum Schönen des Goldes. Im Getränk
eingenommen vertreibt er den Schwindel und besänftigt den er-
zürnten Sinn. Dagegen besitzt er die übele Eigenschaft, einer
Kreisenden an die Hand gebunden, die Geburt zu verzögern.
73. Vom Suceinns.
Succinus ist ein Stein, den die Griechen Elektron nennen.^)
Er ist gelbgefärbt und beinahe so durchsichtig wie Glas. Isidorus
sagt,, er käme vom Safte der Fichten her und werde gemeinhin
Lambra**) genannt. Reibt man ihn mit den Fingern, so zieht er
Hälmchen und den Saum der Kleider an, wie der Magnet das Eisen
anzieht. Seine Träger macht er keusch, und sein Rauch hilft den
Kreisenden in der Geburt, vertreibt auch die Schlangen. Der erste
Saft, der im Sommer, in der warmen .Fahreszeit, von den Fichten
fliesst, ist hell, zu anderer Zeit dagegen ist er (hmkel und unrein,
und dem entsprechend sieht auch der Stein aus. Diesen Stein
finden die Leute, welche Gothen heissen, in einem (fowässer, in das
der Fichtensaft gefallen ist.
74. Vom Silenit.
Silenitis ist ein schön weiss, roth, grün und purpurn gefärbter
Stein. '^) Ihn tragen die Schnecken im Lande Indien, und es kommen
solche Steine vor, die grasgrün gefärbt sind. Wer den Stein im
M Eine Kalksteinart? Verj^;!. Schade, altd. AVörterbucli.
-) Irgend eine Thonerde. •
^) Offenbar ist Bernstein j^enieint. Verjjjl. .'>J).
*) Am!)ra.
^) Selenit, Mondstein, farbiger (iyps?
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Munde trägt, prophezeit künftige Dinge. Wenn Du gerne Kenntniss
haben möchtest von möglichen Dingen, die noch nicht geschehen
sind, ob sie eintreffen oder nicht, so nimm den Stein unter die
Zunge und bewege ihn hin und her. Trifft nun etwas ein oder
nichts sofort richtet sich Dein ganzer Sinn darauf und Du kannst
nicht davon ablassen. Diese Kraft besitzt der Stein nur bei zu-
nehmendem Monde, sie äussert sich am Morgen in der sechsten
Stunde, am ersten Tage nur eine Stunde lang, am zehnten dagegen
in der ersten und sechsten Stunde. Mit abnehmendem Monde ver-
schwindet des Steines Kraft. Im Feuer zerspringt er nicht. Er
stellt die Liebe zwischen Eheleuten, die sich hassen, wieder her.
Er hilft auch den Menschen, die an der zehrenden Krankheit leiden,
die lateinisch Phthisis genannt wird.
75. Vom Splegelfttetn.
Specularis heisst Spiegelstein. ^) Er ist durchsichtig wie Glas,
man findet ihn in der Erde und spaltet ihn beim Ausgraben in
kleine Stucke, wie Isidorus angiebt.
76. Vom Saddeii.
Sadda ist ein Stein, der so fest au den Schiffen hängt, dass
man ihn kaum mit der Feile herunter bringen kann. Dieser Stein
ist grün wie Lauch.
77. Vom Topas.
Topasius ist ebenfalls einer der zwölf Steine, die Johannes er-
blickte, dem Golde in der Farbe gleich und der edelste unter
ähnlichen Steinen. Eine Art ist allerdings viel heller und matter
gefärbt, aber schlechter, wie die erstgenannte. Dieser Stein ist
gut für cfie Adern, die zum Anus herabziehen. Man sagt, er sei
vom Monde abhängig, bringe kochendes Wasser aus dem Sieden,
wenn man ihn hineinwirft und vertreibe Zorn und Unkeuschheit.
Er kommt aus Arabien und w^urde zuerst auf der Insel Topasia
gefunden. Plinius erzählt, man habe einen solchen Stein in solcher
Grösse gefunden, dass Ptoleniaeus Philadelphus eine Säule von vier
Ellen Länge daraus habe herstellen lassen. Will man den Stein
durch Poliron schöner machen, so wird er dunkel, lässt man ihn
*) Marien j^las, Fraueiieis.
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fio, wie er ist, so hat er einen schönen Glanz. Ihm habe ich den
Glanz unserer lieben Frau verglichen. Je mehr man sie zu ihrem
Lobe mit anderen Kreaturen vergleicht, um so mehr verringert man
ihr Ansehen. Lässt man sie dagegen in ihrem eigenen Adel, als
Jungfrau den wahren Gott geboren zu haben, so erscheint sie schön
über aller Kreatur, es seien Engel, Himmel oder andere Dinge.
Desshalb wird ihr Lob geschmälert, wenn man sie anders als die
Oottesgebärerin oder dem entsprechend nennen will. Dass wir sie
aber mit anderen Dingen zu ihrem Preise vergleichen lobt unseren
Pleiss und beweist, dass wir Armen ihr gerne mehr gäben, wenn
wir es nur hätten, und sie nimmt das dann für gut an.
78. Von den Terobolen.
Terobolen sind im Orient vorkommende Steine, von denen die
einen von Natur das Bild eines Mannes, die anderen das einer
jschönen Jungfrau aufweisen. Sind sie einandert genähert, so sprühen
sie Flammen und Feuer, entfernt von einander aber nicht.
79. Vom VertUl.
Vertillus ist ein leuchtend heller Stein, ^) reinem Oele gleich,
wie Platearius sagt, der seinen Träger liebenswerth macht und
gegen alle Augeuschmerzen gut ist. Er beseitigt auch das Auf-
stossen, die Herzensaugst und Leberschmerzen, wenn man ihn in
Wasser wäscht.
80. Vom Vernix.
Vernix ist ein weisslicher, wohlriechender Stein. 2) Er hilft
gegen die Melancholie, wenn Einer von sich selber kommt, gegen
Milz- und Leberleiden und gegen die Brustkrankheit, die Cardiaca
genannt wird.
81. Vom Lasurstein.
Zunich heisst Lasurstein, lateinisch auch Lapis lazurii.*^) Er
ist gefärbt wie der Himmel, blau mit goldenen Punkten. Man be-
reitet gute Lasur aus diesem Stein. Er ist gut gegen Melancholie,
*) Verwechselung mit dem Beryll?
^) Sandarakharz von Callistris (juadrivalvis V'ent.
3) = lazuli.
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(las viertägige Fieber und gegen die Oliumacht, die von der schäd-
lichen Feuchtigkeit herrührt, welche schwarze Galle genannt wird.
83. Vom ZIgnit.
Zignites ist ein glasähiüicher Stein, der auch Evas genannt
wird.^) Trägt man ihn am Halse, so behütet er vor Besinnungs-
losigkeit und bringt Blutungen zum Stehen. Einem brennenden
Dochte genähert lässt er die Flamme verlöschen.
83. Von den Lehren der alten Väter.
Es giebt Steine, in die eine Figur eingegraben ist, und über
diese haben die alten Väter viel geschrieben. Mau darf indess ihren
Angaben nicht zu viel trauen, ohne sie dabei ganz zu verwerfen.
Zunächst muss man wissen, dass die Figuren, welche die Alten in
die Edelsteine schnitten, die Kräfte derselben andeuteten, und man
soll desshalb diese Bildnisse in Ehren halten. Niemand aber soll
sich ganz allein nur auf solche Steine verlassen, wie es denn auch
heisst: Man soll dem höchsten Gott vertrauen, von dem aller Steine
Kräfte und aller Kreatur Wertli herkommt.
Ein Stein mit dem Bilde eines Ochsen, einer Jungfrau oder
eines Steinbockes ist kalt und verleiht seinem Träger Sicherheit.
Ein Stein mit einem Krebs, Skorpion ofler Fisch ist kalt und besitzt
nördliche Kräfte, das heisst er ist kühl wie <ler Nordwind, der
lateinisch Aquilo genannt wird. Solch ein Stein schützt seinen Be-
sitzer vor der Adersucht, Arthetica (Gicht) geheissen, vor dem drei-
tägigen Fieber und hitziger Krankheit. Diese Steine sind geweiht.
Ein Stein mit einem Zwillingspaar oder einem Wassermenschen,
«ler einen Krug voll Wasser ausgiesst, neigt sich mit seinen Kniften
nach Westen und entfaltet sie nach Sonnenuntergang. Er heilt die
Leute vom viertägigen Fieber und der Paralyse und macht seinen
Träger seinen Mitmenschen angenehm.
Ein Stein mit einem Widder, Löwen oder Schützen hat östliche
Kraft und entwickelt sie nach Sonnenaufgang. Ein solcher Stein
ist an und für sich kräftig, macht den Menschen liebenswerth und
heilt das tägliche Fieber und die Wassersucht. Er schärft tlie
Sinne, verleiht Sicherheit und Beredsamkeit.
M Vielleiclit Lichnitt's, ^viue Varietät des Rubins?
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401
Ein Stein mit dem Bilde eines Menschen, der in der rechten
Hand eine Sichel trägt, macht seinen Besitzer von Tag zu Tage
mächtiger.
Ein Stein mit einem Menschen und dem Kopfe eines Widders
macht seinen Träger bei Menschen und Thieren beliebt.
Ein Stein mit einem gewappneten Manne oder einer Jungfrau
in wallendem Kleide, die einen Lorbeerbaum hält, zeigt an, dass
er geweiht ist und befreit von Missgeschick.
Ein Stein mit einem Menschen und Sonne und Mond macht
seinen Träger keusch und sicher gegen unkeusche Anwandlungen.
Ein Stein mit einem Manne, der Flügel an den Füssen und
in der linken Hand eine zusammengerollte Schlange trägt, verleiht
seinem Besitzer überreiche Weisheit, Frohsinn und Gesundheit.
Ein Stein mit einem Manne, der eine Palme in der Hand
trägt, macht siegreich und seinen Besitzer den Fürsten angenehm.
Findet man auf einem Steine einen Jäger, Jagdhund, Hirsch
oder Hasen, so vermag er die vom Teufel Besessenen zu heilen wie
auch die, welche durch Krankheit von Sinnen gekommen sind und
lateinisch Phrenetici heissen.
Zeigt ein Stein eine Schlange mit einer Urne auf dem Rücken
oder einem Raben auf dem Schwänze, so verleiht er seinem Träger
Klugheit, Verstand, Vorsicht und vertreibt zu grosse Hitze.
Ein Stein mit dem Torso eines Menschen von den Schultern
bis zur Nierengegend erlöst von unkeuschen Begierden und macht
seineu Besitzer züchtig und angenehm.
Ein Stein mit einem segelnden Schiffe giebt die Oberhand in
Geschäften.
Ein Stein mit dem Bilde des Hundes aus dem Löwen (das
ist der im Sternbilde des Löwen befindliche Hundsstern), sichert die
Glieder vor Wassersucht und dem Biss toller Hunde, weil das ge-
nannte Sternbild heiss und trocken ist.
Zeigt ein Stein einen Mann mit einem Schwerte, so verleiht
er im Streite den Sieg.
Ein Stein mit einem Adler beschützt die Ehre.
Ein Stein mit einem Schwan befreit von Wassersucht und
viertägigem Fieber.
Der Stein, welcher ein geflügeltes Pferd, Pegasus genannt,
zeigt, ist besonders nützlich für dit, welche die Ritterschtift pflegen
Schulz, Konrad von Megenberg's Buch der Xalur. 2ti
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402
lind kämpfen. Er macht schnell und kühn und befreit die Pferde
von der Rehe.^)
Ein Stein mit dem Bildnisse einer Frau in aufgelöstem Haar
versöhnt die Eheleute.
Ein Stein mit einer Jungfrau, die ihre Hände übers Kreuz
gelegt, eine dreizackige Krone auf dem Kopfe hat und auf einem
Sessel sitzt, giebt Trost nach Leiden und Ruhe nach der Krankheit.
Ein Stein mit einem Menschen, der mit einer Schlange um-
gürtet ist, ihren Kopf in der rechten und deu Schwanz in der linken
Hand hat, befreit von den Folgen einer A'ergiftung.
Findet man auf einem Steine einen knieenden Manu, mir
einem Morgenstern in der Rechten, einen Löwen oder ein anderes
Thier erlegend, so macht ein solcher Stein in allem Streite sieghaft,
darf aber nur von einer durchaus würdigen Person getragen werden.
Ein Stein mit zwei Bärinnen, die eiue Schlange zwischen sich
haben, macht den Menschen gescheit, stark, ausdauernd und vor
den Leuten angenehm.
84. Vom Buche Tethels.
Nunmehr beginnt ein Buch, das vor Zeiten ein grosser
jüdischer (ielehrter mit Namen Thetel über das Einschneiden von
Bildern in Steine verfasst hat. Er giebt aji, die Kinder Israels
hätten das Buch verfasst, als sie durch die Wüste zogen und in
das Land der göttlichen Verheissung wollten. Der Verfasser des
lateinischen Buches, das ich hier in's Deutsche übersetze, sagt, er
glaube, dass jenem Buche auch nicht sehr zu trauen sei, und dass^
die Figuren mehr zum Zierrath in die Steine geschnitten seien, als
dass man grosse Hoffnungen auf sie setzen dürfe, mau solle vielmehr
seine ganze Hoffnung allein auf (lott setzen um aller Gnade sicher
zu werden. Ich bin zwar auch derselben Ansicht, indess redet der
genannte Verfasser so, als ob die Steine ihre Bilder nur durch
Kunst und nicht auch von Natur hätten. Das ist aber ein Irrthuni,
denn man findet mancherlei (lebilde an den Steinen, wenn sie noch
in der Erde wachsen. Auch Albertus sagt in seinem Buche von
den Edelsteinen, dass einige Steine ihre Bildnisse durch den Einfluss
der Gestirne und nicht durch menschliche Kunst erhalten hätten,
so wie es bei der Alraunwurzel auch der Fall ist. Ich will noch
*) Rehe oder Versclilag ist ein entziiudlioh-rlieuniatisches, in der Regel
ilie Vorderbt'iue der Pferde treffendes Leiden.
I
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403
dazu bemerken, dass meiner Ansicht nach Gott den Steinen ihre
Schönheit und Kräfte verliehen hat, dem Menschengeschlechte zur
Hülfe und zum Tröste, und wenn ich hoffe, dass mir aus diesen
Kräften Trost werden soll, so verleugne ich damit die Gnade Gottes
keineswegs. Ich hoffe auf Gottes Werke und lobe ihn in seinen
Kreaturen. So nährt den Menschen auch Wein und Brot besser
wie Wasser und Eicheln, und desshalb setzt der Mensch seine Hoff-
nung darauf und lobt Gott, weil er es ihm verleiht.
85. Xmi fängt Tcthcls Bach an.
Findet man den Stein, der Jaspis heisst, mit dem Bildnisse
eines Menschen, der ein Schild am Halse hängen oder in der Hand
hat, in der anderen Hand einen Spiess und unter den Füssen eine
Schlange, so erlangt man Kraft gegen alle Feinde. — Ein Mensch
mit Flügeln ist zur Kaufmannschaft gut. — Ein Chrysolith mit
einer Frau, die in der einen Hand einen Yogel hält und in der
andern einen Fisch, hilft zu allerlei Geschäften. — Eine Turteltaube
mit einem Oelzweige erweckt Liebe gegen alle Menschen. — Eine
mit einem Schützen kämpfende Schlange bringt Frieden. — Ein
weisser Stein mit dem Bilde eines halben Weibes, dessen andere
Hälfte ein Fisch ist, das einen Spiegel in der einen und einen
goldenen Oelzweig in der anderen Hand festhält, vermag seinen
Träger unsichtbar zu machen. — Ein Kreuz auf einem grünen
Jaspis lässt seinen Träger im Wasser nicht untergehen.
' Ein Basilisk oder eine Sirene auf einem Steine bewirken, dass
man sicher zwischen Schlangen gehen kann. — Zeigt ein Stein die
Figur eines Menschen, der in der einen Hand eine Teufelsgestalt
mit Hörnern und Flügeln, in der anderen eine Schlange hält, unter
den Füssen einen Löwen und oben über diesen Gestalten Sonne
und Mond, so soll man ihn in Blei fassen. Denn ein solcher Stein
besitzt die Kraft, die Teufel zu zwingen, dem zu antworten, der sie
fragt. — Findet man einen Stein mit dem Bilde eines Mannes, der
ein Büschel Kraut am Halse trägt, so soll man ihn in Silber fassen,
da er die Fähigkeit verleiht, die Krankheiten am Menschen zu er-
kennen. Er stillt das Blut allerorts, giebt Gnade und Ehre und
man sagt, der Arzt Galenus habe einen solchen Stein am Finger
getragen. — Ein schwarzer Stein mit einem Menschen, der rechts
ein Scepter, links einen fliegenden Vogel mit ausgebreiteten
2G*
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Schwillgen hält und zu seinen Füssen ein Krokodil hat, ist gut
zum Teufelbannen, hilft gegen alle Feinde und yertreibt die Teufel
aus den Besessenen. Diesen Stein trug Alexander, wie man liest.
Man soll ihn in Eisen fassen. — Zeigt ein schwarzer Stein einen
auf einem Leoparden reitenden Mann mit einem Rohr in der Hand,
so hilft er gegen wilde Thiere und das Ertrinken im Wasser. —
Fasst man einen Stein mit einem Meiisclien, der rechts einen Hasen,
links eine Gerte trägt, in Gold, so verleiht er Frieden und den Sieg
vor Gericht, hilft auch gegen die Thiere. Die Zauberer brauchen
diesen Stein. — Ein Stein mit einem geschmückten Manne, der
rechts ein Scepter, links eitie Palme fuhrt und einen Schemel zu
seinen Füssen hat, fördert, in Gold gefasst, zu hohen Ehren und
was sein Träger sich wünscht, erlangt er sofort, wenn es nicht
gegen Gottes Willen ist. — Ein Baum auf einem Stein, nebeu dem
rechts ein Weib, links ein Mann steht, bringt Eintracht zwischen
Eheleuten und versöhnt die streitenden. — Ein 3Ieusch mit einem
Stein in der Rechten und einem Frauenkopfe in der Linken legt
<len Krieg bei, und sein Träger erwacht schwer aus dem Schlafe.
— Ein Ochse und ein Widder auf einem Steine machen beredt
und helfen gegen die Wassersucht. — Ein Mensch mit Flügeln an
den Russen und einem Stabe in der Hand, bringt Gnade. — Ein
Mensch mit einer Sichel in der Hand erwirbt Liebe und lässt auch
seinen Besitzer Liebe und Gnade erwerben. — Ein Mann mit einer
(Jerte in der Hand ist den Herrschern dienlich. — Ein Mann mit
einem Hörn am Halse hilft gegen die Krätze und bösen Träume. —
Vau Bild, das halb Mensch halb Rind ist, giebt Ehre und lenkt den
Sinn zu Gott. — Ein Schiff mit Segel und Mast hilft zur Erlangung
dessen, das man in würdiger Weise begehrt. — Ein Hase mit
langen Ohren hilft gegen schädliche Thiere. — Ein Löwe hilft gegen
Wassersucht und viele andere Krankheiten. — Ein Adler und ein
Steinbock helfen im Geschäft. — Ein Dromedar mit gesträubtem
Kückenhaar bringt Versöhnung und Frieden zwischen Eheleuten.
— Eine Taube mit einer Blume im Schnabel bringt Ehre. — Eine
Frau mit einem Tuche auf dem Kopf und in den Händen hilft
gegen Mühe und Arbeit. — Eine Turteltaube mit zwei Jungen
bringt Gnade und ist gut gegen (his Ungewitter auf dem Meere. —
Zeigt ein Stein einen gekrönten, auf einem Schemel sitzenden
Menschen, der seine Hände zum Himmel hebt und unter sich vier
andere Menschen in der Haltung hat, als ob sie den Schemel hielteUv
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so nimm Mastix und Terebinthenharz und lege es unter den Stein
in einem silbernen, zwölf Stein schweren Einge. Legt man dies
dann einem Schlafenden unter den Kopf, so träumt er von dem,
was er wachend begehrt. — Ist ein Hyacinth mit einem weissen
Steine vereint, der ein Pferd zeigt, so dient ein solcher Stein dazu,
Ehre und Ansehen zu gewinnen. — Ein Stein mit einem schäumenden
Pferde, dessen Reiter ein Scepter in der Hand hat, ist denen nütz-
lich, die Gewalt über andere Leute haben.
86. Wie man den Steinen Ihre verlorene Kraft wieder glebt.
Ein Buch, genannt das Buch der Dinge, enthält die Sprüche
der alten Väter und lehrt Folgendes: Jegliche Kreatur ist mit der
Sünde der ersten Menschen behaftet, besonders aber die Edelsteine,
die Gott, wie die Kräuter und viele anderen Dinge, dem Menschen
zum Nutzen geschaffen hat. Auch werden die Kräfte der Edelsteine
geschädigt durch das Anfassen und Hantieren von Seiten der un-
reinen, sündigen Menschen. Wie aber der Mensch durch Taufe
und Busse wieder zu dem Anfangszustande gelangen kann, in dem
Adam erschaffen wurde, so können auch die Edelsteine ihre Kräfte
«lurch Weihen und den heiligen Segen wieder erhalten. Die Art,
die Edelsteine zu weihen und zu segnen, ist in dem genannten
Buche angegeben. Zunächst soll man die Edelsteine in ein leinenes
Tüchelchen binden und auf den Altar legen, bis die heilige Messe
vollendet ist. Dann soll der Priester, bevor er das Messgewand
ablegt, die Steine segnen mit folgen<len Worten:
Dominus vobiscuni. Orenuis, — Collecta. Dens omnipotens
pater, qui etiam per quasdani insensibiles creaturas virtutem tuam
hominibus ostendisti, qui faniulo tuo Moysi inter cetera vestimenta
sacerdotalia rationale judicii duodecim lapidibus pretiosis adornari
praecepisti nee non Johanni evangelistae celestem civitatem Jerusalem
virtutibus eosdem lapides significantibus construendam essentialiter
ostendisti, majestatem tuam huniiliter deprecamur, ut hos lapides
consecrare et sanctificare digneris per sanctificationem et invocationem
sancti nominis tui, ut siut sanctificati et consecrati et recipiant
effectum virtutum, quas eis te dedisse sapientnm experientia com-
probavit, ut quicunque illos super se ])ortaverit virtutem tuam per
illos sibi adesse sentiat donaque tuae gratiae et tutehim virtutis
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accipere mereatur per Jesum Christum filium tuiim, ia quo omnis
sanctificatio existit. Qui tecum vivit et roguat deus per omnia
saecula saeculorum. Amen.^)
Der Herr sei mit Euch. Lasset uns beten. Gebet: Gott, aUmäch-
tif?er Vater, der Du den Menschen audi in der gefühllosen Kreatur Deine
HeiTlichkeit gezeigt, Deinem Diener Moses befohlen hast, ausser der anderen
priesterliclien Kleidung das Richterkleid mit zwölf Edelsteinen zu schmücken
und dem Evangelisten Johannes kundgegeben hast^ dass die himmlische
Stadt Jerusalem mit den Vorzügen gebaut werden sollte, die dieselben
Steine anzeigen, wir beten in Demuth Deine Majestät an und bitten Dich,
uns zu würdigen, diese Steine weihen und segnen zu dürten mit der Heiligonfr
und dem Anrufen Deines heilijjcen Namens, damit sie gesegnet und geweiht
seien und die Kräfte und Tugenden erlangen, die Du ihnen nach der Weisen
Kifahrung gegeben hast, damit Jeder, der sie trägt, inne werde, dass durch
sie Deine Kraft ihm nahe sei und er würdig werde, die Gaben Deiner Gnade
und den Schutz Deiner Kraft zu empfangen durcli Jesum Christum, Deinen
Sohn, in dem aller Segen rulit und der mit Dir als Gott lebt und regiert
durch alle Zeiten. Amen. — Das im lat. Texte erwähnte Rationale judicü
ist der Rock des Hohenpriesters, der das Brustschild mit den zwölf, den
Stämmen Israels entsprechenden Steinen trug, Urim und Tummim.
3. Mose 8 V. 7 u. 8.
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VII.
Yon den Metallen.
Dies ist nun das siebente Kapitel unseres Buches, und wir wollen
in demselben die Metalle behandeln. Ihrer sind auch sieben: Gold,
Silber, Gunderfai, Kupfer, Zinn, Blei und Eisen. Die Metalle hat
Gott dem Menschen zu Nutzen geschaffen. Das Messing gehört zum
Kupfer, der Stahl zum Eisen.
1. Vom Gold.
Aurum heisst Gold. Es ist warmer Art, wie Platearius an-
giebt. Gepulvert und mit edeler Salbe gemischt heilt es den Aus-
satz und die Krätze. Wunden, die durch Gold hervorgebracht
sind, entzünden sich nicht. Gold ist doppelt so schwer wie Silber,
Kupfer oder Zinn. Es ist kostbarer wie die anderen Metalle und
aus den vier Elementen besonders sorgfältig gemischt, so dass es
erwärmende, kühlende, anfeuchtende und austi'ocknende Kräfte in
gleich massigerer Vertheilung besitzt, wie die anderen Metalle. Es
glänzt immer und w4rd von keiner Unsauberkeit angegriffen. Man
findet es in einigen Bächen und Quellen, auch, aber selten, in den
Bergen. Es kostet viel Arbeit, das Gold auszuwaschen, aber, so
klein auch die einzelnen Goldflitter sind, sie sind immer reiner als
anderes Metall. Sie sind nicht, wie Kupfer oder Silber mit Erde
oder Schlamm verunreinigt, trotzdem sie in der Erde und dem
Schmutze liegen. Gold besitzt die Fähigkeit, zu stärken und zu
läutern oder zu reinigen. Es ist dauerhafter und leichter zu be-
arbeiten wie andere Metalle und lässt sich gut schmieden und ziehen.
Gold ist gut gegen Herzleiden, Ohnmächten und Kälte des Magens.
Wein, in dem Goldblech abgekühlt ist, ist Milzkranken gesund.
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Hat man dies Mittel nicht zur Hand, so nehme man Wein, in dem
Stahl abgelöscht ist. Will man einen Menschen kauterisiren, so
eignen sich dafür goldene Instrumente besser, wie andere. Gold
ist bei Tage kälter und aus seiner Abkühlung erkennen die Nacht-
schwärmer, dass ihnen der Morgen droht. Das Uold entsteht von
allen Metallen am tiefsten in der Erde, und je tiefer es in der Erde
liegt, um so näher ist es der Hölle. Desshalb sagt man auch:
Geh zum Teufel, wenn Du Gold willst! Der üeberfluss des Goldes,
(las heisst seine Schlacke, wird lateinisch Cadmia genannt. Wer
sie in die Augen tröpfelt oder sonst wie hereinbringt, dem beizt
sie die Flecken von den Augen, wie Platearius lehrt. Hämmert
man das Gold, so wird es heller, weicht dem Hammer aus und
breitet sich überallhin aus. So handelt auch der Gerechte: leidet
er, so klärt sieh sein Verstand und seine Erkenntniss, und er wird
entflammt zur TJebe gegen Gott. Wisse, dass Gold mehr Werth
besitzt als alle körperliehen, aus den Elementen hervorgehenden
Dinge und edler ist, wie die Steine. Es wird nemlich weder von
der Luft noch vom Wasser noch von der Erde angegriffen und
schwindet im Feuer nicht. Im Gegentheil wird es im Feuer besser
und nimmt eine Feuchtigkeit in demselben auf. Auch Schwefel,
der doch andere Metalle verbrennt, greift das Gold nicht an, weil
es eine so ebenmässige und lautere Mischung der Elemente dar-
stellt. Es besteht aus zehn Theilen Wärme, zehn Theilen Kälte
und ebensovielen Theilen Feuchtigkeit und Trockenheit. So be-
hauptet wenigstens unser lateinischer Text. Ich kann aber dieser
Angabe nicht recht beipflichten, denn sie ist wohl kaum richtig.
Weil aber das Gold so gleichartig zusammengesetzt ist, habeu die
Gelehrten seinen Namen so hoch gestellt und gefunden, dass es so
sehr dauerhaft ist, wie oben schon bemerkt wurde. Da's Gold steht
unter den übrigen Metallen wie die Sonne unter den anderen Ge-
stirnen. Alle anderen Metalle zersetzen sich, wenn man sie in
gepulvertem Zustande zu Arzneizwecken aufbewahrt.
3. Vom Silber.
Argentum heisst Silber. Platearius sagt, es sei gleich massig
kalt. In reinem Zustande ist es unveränderlich. In Legirungeu
zerbricht es dagegen leicht. Es lässt sich mit Zange und Hammer
gut ziehen und bearbeiten und hat einen schönen, angenehmen
Klang, besonders nach einem Zusätze von Kupfer. Desshalb gebot
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Moses, silberne Posaunen anzufertigen, um die Feinde zu schrecken.
Darum steht auch geschrieben: Die Posaune wird hallen und das
Volk wird erschrecken! Die Posaunen eignen sich auch, die Ritter
«u mahnen, zum Streit, zum Sturm auf die Testen, zu Tische und
zur Lustbarkeit. Silber vermag auch andere Metalle zu lötheu und
zwei Stücke zu einem zu verbinden. Gepulvert und mit edeler
Salbe gemischt dient es gegen die zähe Feuchtigkeit im Leibe, die
Phlegma genannt wird. Das Silber kommt nicht, wie das Gold,
an sich rein vor, sondern ist mit Erde und sonstiger Beimengung
verunreinigt. Desshalb bedarf seine Läutcning im Feuer grosser
Arbeit. Der Eauch, der sich beim Läutern entwickelt, ist sehr
schädlich, und wer durch denselben vergiftet ist, kann nur schwer
wieder geheilt werden mit Weihrauchdampf und anderen edelen
Gewürzen. Das Silber ist rein, aber doch weniger wie das Gold
und verdirbt deshalb in der Erde und an feuchten Orten. Es
Ächmeckt scharf auf der Zunge, verbrennt mit Schwefel und schwindet
im Feuer. Es hat ferner die Eigenthümlichkeit, trotzdem es weiss
ist, andere Dinge, die man mit ihm ritzt, zu schwärzen. Seine
Schlacke heisst lateinisch Scoriä, sie ist heilsam gegen Krätze und
Hämorrhoidalblutungen.
3. Vom Quecksilber.
Argentum vivnm heisst Quecksilber. Dies entsteht in d^r Erde
so wie man es sieht, und fliesst heraus, wie Wasser. Sein Dampf
ist den menschlichen Organen sehr verderblich, ruinirt die Adern
und bringt an den Gliedern die, Paralysis genannte, Krankheit her-
vor. So verdirbt es manchen Goldschmied und manchen der Scheide-
künstler, die Alchymisten genannt werden. Es bildet den Uranfang
aller Metalle in der Erde, dem sich dann mancherlei Schwefel bei-
fügt. Mit dem Quecksilber treibt man vielerlei Wunderbares. Mit
seiner Hülfe fälscht man Gold, Silber und andere Metalle, verfertigt
mit ihm springende Ringe und von selbst laufende Rädchen und
viele andere Dinge. Mit Speichel oder mit Asche kann man es
tödten ^), und in diesem Zustande lässt es sich mit anderen Dingen
^) Das sogenannte Todteu, Mortiticiren oder Exstiiiguiren des Queck-
silbers geschieht durch inniges Verreiben desselben mit anderen Stotten,
besonders Fett, in Folge dessen die einzelnen Quecksilberkügelchen für das
blosse Auge unsichtbar werden und. wie bei der gewöhnlichen grauen Salbe,
nur mit der Lupe erkennbar sind.
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inischeu, was vorher nicht der Fall war. Es muss in Gläsern kühl
aufbewahrt werden, weil es in der Wärme verdunstet. Mit Schwefel
färbt es sich weiss oder roth, nimmt überhaupt leicht jede Farbe
an. Tödtet man Quecksilber mit Fett, so sieht es aus wie Erde.
Man kann auch ohne Quecksilber Nichts vergolden.^)
4. Vom Goldlehni.
Auripigmeutum heisst eigentlich Goldlehm im Deutschen.'-^)
Es entsteht auf dem Meeresgrunde in CJestalt einer feinen, auf dem
Boden des Meeres liegenden Erde. Durch den Druck des Wassers
wird der Goldlehm fettig und so zähe wie der gewöhnliche Thon.
Wird nun diese Erde durch den, im Meere sich spiegelnden Schein
der Sonne erwärmt, so verbindet sich nach einiger Zeit die zähe
Erde mit der Feuchtigkeit, diese rinnt zusammen und wird hart.
Es entsteht also das Auripigmentuni in eben der W^ise, wie der
Schwefel. Es enthält zwei verschiedene Dünste, einen trüben und
groben, der von der zähen Erde herkommt und einen dünnen und
leichten. Will man es verflüchtigen, was, wie die Goldschmiede
wohl wissen, lateinisch sublimare heisst, so muss man ihm den einen
Dunst oder Wind durch W^aschen mit Lauge, Harn, Essig oder
Ziegenmilch entziehen. Bleibt nemlich der Dunst darin, so kann
man das Auripigment nicht sublimiren, weil es sofort unter Flammen-
erscheinung auf dem Heerde verbrennen würde.
5. Vom Gnnderfal.
Electrum heisst Gunderfai.*^) Es giebt natürliches und künst-
liches. Dies entsteht durch Zusammenschmelzen von Gold und
Silber, wie das Buch der Dinge angiebt. Das natürliche Gunderfai
sieht ihm in der Farbe gleich, ist aber besser wie das künstliche.
Man findet es nur selten und kann es nur schwierig von dem
falschen Gunderfai unterscheiden. Indess lässt es sich auf folgende
Weise erkennen: Ein Gefäss aus echtem, natürlichem Gunderfai
zeigt Gift an. Giesst man nemlich Gift hinein, so braust das Gefäss,
Schüssel oder Becher, auf und verliert seine ursprüngliche Farbe,
bis man es im Feuer wieder reinigt. Das Gunderfai schützt andere
Dinge vor Fäulniss und man legte desshalb früher die Leichen
Die alte Methode der Feuervergoldung.
2) Auripigment ist das gelbe Sclnvefel-Arsen, Rauscligelb.
3) AVas unter dem Namen G. zu verstehen ist, konnte ich nicht fest-
stellen. Ks scheint eine Bronze gemeint zu sein.
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vornehmer Herren in Särge, die aus Gunderfai gemacht waren ^
Ebenso liest man auch, dass Kaiser Constantinus der Grosse die
Leichen der heiligen Apostel Petrus und Paulus in einen Sarg aus
Cyprium gelegt habe. Die Gelehrten sagen, Cyprium^) sei Gunder-
fai, das von der Insel Cypern herkommt.
6. Vom Enpfer.
Aes oder Cuprum heisst Kupfer. Es giebt einen lauten Ton
und ist von Natur warm. Sein ihm eigener Klang ist indessen
grob, wird aber sehr schön, wenn man dem Kupfer Gold, Silber
oder Zinn zusetzt. Kupfer tönt lauter, wie die anderen Metalle,
greift aber das Gehör an, wenn man den Klang nicht durch Zusatz
von Zinn mildert. Kupfer lässt sich in beliebige Form giesseu,
auch mit einiger Mühe, unter Anwendung der Künste des Schmiedes,
ausziehen. Man kann es nie recht blank halten, da es leicht anläuft,
es hält aber viele Jahre.
Messing wird aus Kupfer. Lateinisch heisst es Auricalcum
und aus Messing wird Gold. Aristoteles sagt nemlich im Buche
vom Licht der Lichte, dass aus Messing und Kinderharn gutes Gold
werde. Einige fassen Das so auf, dass der Messing dabei nur die
Farbe des Goldes bekomme, nicht aber auch dessen specifische
Eigenschaften erhalte. Aristoteles sagt auch selbst, dass die Farbe,,
nicht aber die inneren Eigenschaften des Messings sich verändern.
In den Büchern wird Messing vielfach Electrum genannt, weil beide
viel Aehnlichkeit mit einander haben. Das Kupfer riecht übel, hat
aber gleichwohl einen guten Klang und wird durch Eost
nicht zerstört.
7. Vom Elsen.
Ferrum heisst Eisen. Es ist kalter Art, hart, fest und scharf,,
und bewältigt durch seine Festigkeit alle anderen Dinge. Trotz-
dem wird es durch sich selbst zerstört, leidet auch mehr, wie die
anderen Metalle, durch Rost und andere Einflüsse und überträgt
den Rost auf andere, mit ihm verbundene Gegenstände. Das Eisen
wirkt kühlend und lösend und ist als Eisenfeile, das ist das beim
Feilen entstehende, gepulverte Eisen, für den Magen gut. Es besitzt
^) Cyprisches Metall, Aes cyprium, hiess im Alterthum das Kupfer
nach der Insel Cypern, woher die Phoenizier dasselbe scheu holten.
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die Fähigkeit, den Menschen mager und trockner zu machen, wie
die Naturkundigen behaupten. Das Eisen hat einen heiseren Klang,
seine Schlacke heisst lateinisch Scoria, deutsch Sinter, und wirkt
zertheilend auf Abscesse.
Stahl kommt Tom Eisen her und wird hart durch wiederholtes
Schmieden und Zerkleinern. Auf diese Weise wird er stärker wie
das Eisen und man braucht ihn zum Schärfen der Waffen und
anderer (iegenstände. Im Orient findet sich eine Eisenart, die
Andena genannt wird. Diese eignet sich gut zu Hieb- und Stich-
waffen, lässt sich giessen wie Kupfer oder Silber, aber nicht aus-
ziehen, wie das gewöhnliche Eisen.
8. Tom Zinn.
Stannum heisst Zinn. Es ist sehr gleichmassiger Art, lässt
sich leicht ausziehen und b